Madrid.

[247] »Suivez moi, je vous ferai connaître Madrid.«

Lesage.


Ein spanischer Prediger aus dem sechzehnten Jahrhunderte sagt: »Satan habe den Sohn Gottes auf den Gipfel eines hohen Berges geführt, und ihm von dort Frankreich, Deutschland, Italien, England, kurz alle Reiche Europa's gezeigt, doch wäre Spanien glücklicherweise durch die Pyrenäen verdeckt worden, sonst hätte der Heiland wahrscheinlich der Versuchung erliegen müssen.«

In diesen Worten scheint mir ein Meer des Lobes völlig erschöpft zu seyn. Wie wenig Wahres daran sey, erinnert uns jede Zeitung, oder Spanien ist ein Vorhimmel, in welchen man Teufel gesetzt hat, um indessen in der Hölle die nöthigen Baureparaturen vornehmen zu können.

Die Mauren beteten, nachdem sie aus Spanien vertrieben waren, alle Freitage zu ihrem Propheten, daß er sie in dieß Land zurückführen möge, welches ihnen schon auf Erden gewähre, was dem Gläubigen erst im Himmel versprochen sey.

Als Rosa auf dem höchsten der Berge Guadarama's, beim Löwen Ferdinands, den Blick über die niedere Gegend[247] schweifen ließ, entdeckte sie in der weiten Ebene eine weißliche Masse. Es war Madrid, wohin man von dort aus noch zwei Tagmärsche rechnet. Von den Bergen heruntersteigend, kommt man durch eine beständige Wüste, nur von Heidekraut und dergleichen Pflanzengesindel bevölkert.

Rosa kam eben in Madrid an, als die Damen mit ihren eleganten Begleitern von der Promenade zurückkehrten, und in den Kaffeehäusern Labung suchten.

Während die Damen hier Gefrorenes oder Sorbet schlürfen, trinken die Herren eine Bouteille Bier, welche in eine Terrine gegossen wird, worein man schon vorher ein Glas gefrorner Limonade schüttete. Dieses Getränk, so sonderbar es uns auch scheinen mag, ist sehr erfrischend, und wird häufig genossen.

Die spanischen Damen gefielen der Rosa in hohem Grade; ich kenne aber auch in der That keine üppigeren Bewegungen, keine leichtere Haltung des Körpers, keine verführerischen Gestalten; ihre Füße sind so klein, daß man sie kaum bemerkt. Darum ist auch der Fußputz bei den Madrider Frauen, ohne Unterschied des Standes, stets von gesuchter Zierlichkeit und Reinlichkeit. Die Spanierinnen enthüllen ihren Fuß, und verhüllen ihren Busen, weil jener sehenswerth ist, dieser, mit seltenen Ausnahmen, nur gewinnen kann, wenn er mehr errathen als ge zeigt wird.

Rosa fühlte sich in einer neuen, ihr ganz fremden[248] Welt. Welch ein Abstand gegen das heitere Genußleben von Paris! Die Spanier sind um 500 Jahre zurück, und doch kann man aus einem Spanier noch zehen Portugiesen schneiden. Beide Völker zehren von der Erinnerung dessen, was sie vor Jahrhunderten waren, und sind, wie Frau von Staël sehr richtig bemerkte:


»– bien plus remarquables par ce qu'ils ont été, et par ce qui's pourraient être, que par ce qu'ils sont.«


Im Mittelsatze dieses Ausspruches: »daß sie etwas seyn könnten,« kann ich der geistreichen Frau nicht beistimmen. Die Aufklärung kann und wird nie in die Köpfe dieser Menschen dringen, die vom grassesten Pfaffen-Unsinn verrammelt sind.

Die schmählichste Bigotterie, wahrhaft gotteslästerliche Religionsbegriffe, woran keine Spur der christlichen Liebe unseres heiligen Erlösers zu finden ist; ein Unzahl müßiger, intriguenvoller Pfaffenwänste, die vom Marke des Landes gemästet werden, das sie planmäßig im geistigen Fortschreiten niederhalten; die Vorliebe für eine absolute Regierung; Mangel an Gewerbsfleiß aus angeborner Trägheit, grausame Gesetze und bestechliche Richter, u.s.w. sind eiserne Hemmschuhe, die jeden Aufschwung lähmen, und käme auch durch eine Fügung des Himmels einst ein König, der im Geiste der Zeit, nach dem Vorbilde der Monarchen Europa's selbstständig, und nicht am Gängelbande[249] der Apostolischen herrschen wollte, so würde er wohl bald in die Vorhalle der k. Gruft, in die Moderhalle, – et Padridero, – wandern müssen, worin die sterblichen Reste der Könige und Königinnen den ersten Verwüstungen der Fäulniß überlassen werden.

Wie viele große Männer haben den Versuch, Spanien und Portugal durch Verfassungen in die Reihe der gebildeten Völker einzuführen, mit einem schmählichen Tode gebüßt! Die weit überlegene Mehrzahl ist dort noch nicht reif, und wird es nie werden, so lange der Einfluß der Apostolischen dauert; wer aber, oder vielmehr welche Macht kann sich mit diesen unsichtbaren Gewalten messen, mit diesen Polypenköpfen, die nachwachsen, wenn sie auch abgehauen werden?

Die Erziehung ist das erste und edelste Mittel, ein großes Volk heranzubilden; dort ist sie in den Händen der fanatischen Mönche. Beide Länder leiden am politischen Magenkrebse; nur ein zweiter Luther könnte einen Umsturz des Bestehenden erzielen, der dem Schwerte der Constitutionellen nie gelingen wird. Aber auf welche Weise sollten die Lehren eines solchen Mannes Eingang finden? Dann frägt es sich auch noch, ob diese Länder so großer Anstrengungen würdig seien? Ich glaube nicht; am wenigsten Portugal; denn ein Land, in welchem sich kein entschlossener Arm hervorthut, um ein thronräuberisches Ungeheuer zu erlegen, das seine Hyänenzähne in das Fleisch der[250] Unschuldigen schlägt, um seine heiße Mordgier mit Strömen Bürgerblutes zu löschen, verdient nicht einmal genannt zu werden. Man hat dem Sultan Griechenland entrissen weil er die Empörer durch die Gewalt der Waffen wieder unter sein Joch beugen wollte; die christlichen Mächte sehen aber ganz ruhig zu, daß ein Wütherich die getreuen Unterthanen des legitimen usurpatorischen Monarchen täglich zu zahllosen Galgen schleppen läßt, bis zuletzt Portugal ein allgemeiner Kirchhof seyn, und Don Miguel, als gekrönter Henker und Todtengräber zugleich, auf den Gebeinen des erwürgten Vaterlandes thronen wird. –

Doch weg mit Betrachtungen, die das heitere Leben der schönen Sängerin mit allzutrüben Schatten umdüstert.

Rosa fuhr langsam durch die Straßen der Stadt, um den vollen Genuß einer seltenen, ganz neuen Anschauung zu haben. Die Form der Kirchen fiel ihr ganz besonders auf; sie haben nämlich etwas Orientalisches, und ohne die Kreuze auf ihren Spitzen würde man sie für Minarets einer asiatischen Stadt halten. Vor jeder Kirchthüre steht eine Schüssel, zur Aufnahme des Geldes bestimmt, wofür Seelenmessen für die armen Verdammten im Fegfeuer gelesen werden sollen; nachdem es aber in einigen katholischen Ländern Deutschlands an den nöthigen Priestern und Altären fehlt, um alle Messen zu lesen, die zum Heile der Gestorbenen oder zu andern frommen Zwecken[251] bestellt werden, so kann wohl Jedermann selbst berechnen, wie viel Messen in Madrid auf eine gehen. In diesen Kirchen befinden sich keine Betstühle wie bei uns. Für die Männer sind längs den Mauern Bänke angebracht, die Frauen aber bleiben auf den Knieen liegen, oder setzen sich nach Art der Morgenländer, auf den Boden, welcher mit Decken bekleidet ist.

Noch am nämlichen Abende besuchte Rosa das Theater. Es ist größer als das della Crux, und die innere Einrichtung hat etwas Gefälliges. Auf der Leinwand des Vorhanges liest man die Namen der vorzüglichsten Dichter: Lopez de Vega, der allein 2000 Theaterstücke schrieb, Cervantes und Calderon. Die Logen sind ganz einfach, grau angestrichen, und werden durch hohe Wände zu beiden Seiten völlig geschlossen. Numerirte Sitze füllen das Parket, und werden las lunettas genannt. Das Auffallendste ist eine Loge, in welche nur Frauen gehen dürfen. Sie ist der Bühne gerade gegenüber, im ersten Range. Sie ist hoch, und rings umher stehen Bänke; sie heißt der Käfig, (la cazuela). Die weißen und schwarzen Mantillas, welche man hier erblickt, die häufigen Zurufungen des: Stille! welche nach dieser Seite gesandt werden, könnten mich verleiten, zu sagen, welche Art von Vögeln in jenem Käfig zu finden sey; doch ich fürchte, mich möchte derselbe Vorwurf treffen, den ich so eben gegen die aussprach, welche den Namen[252] cazuela veranlaßten. Ich kenne auch eine Theaterloge, die man mit der eben genannten in Madrid vergleichen könnte.

Das Theater in Madrid hat ein ledernes Publikum, das an den Darstellungen keinen selbstständigen Antheil nimmt. Ein neues Stück wird weder beklatscht noch ausgepfiffen; das Parterre hält sein Urtheil zurück, und die Tagblätter sprechen nicht davon. Niemand fragt nach dem Namen des Verfassers, und man verläßt das Haus, ohne über die Vorstellung zu sprechen. Der Autor nimmt die 100 oder 150 Franken in Empfang, welche sein Werk ihm einträgt; dieß erlebt zwei oder drei Darstellungen, und wird dann vergessen. In der Hauptstadt Spaniens, dessen Gegenwart zur Vorzeit sich verhält, wie das päbstliche Rom zum altrömischen Rom, ist ein glücklicher Stiertödter einer lautern Anerkennung seiner Verdienste gewiß, als der Geist eines Schiller, oder das Genie eines Eßlair.

Die Häupter der Liberalen in Paris hatten unserer Rosa Empfehlungsbriefe an ihre Freunde in Madrid mitgegeben, unter welchen sie zuerst jene an den berühmten General Riego benützte. Rosa schrieb von ihm: »Riego ist ein Mann von gewöhnlicher Größe: sein Gesicht ist schwarzbraun, seine Augen sind groß und feurig. Seine Züge haben nichts Auffallendes, seine Stirne verräth keine Gewohnheit angestrengten Denkens. Dieser Kopf kann nie großen Planen oder hochherzigen Gesinnungen zum Aufenthaltsort gedient haben, obgleich die Augen lebhaften[253] Verstand und Unternehmungsgeist verrathen. Die Furchen seiner Stirne, welche nicht das Alter grub, sind das unverkennbare Zeichen eines unruhigen, aufbrausenden Charakters.«

Rosa's Urtheil über Riego bestätiget nicht das Bild, das wir uns damals von diesem Helden des Tages gemacht haben, dem das schmähliche Loos fiel, von demselben Könige an den Galgen gebracht zu werden, der ihn ein Jahr früher vor dem versammelten Hofe an sein Herz drückte. Allein die Damen haben ganz andere Augen, womit sie die Männer ansehen, als wir Männer, wenn wir über unser Geschlecht urtheilen. Sehr naiv ist das Mißfallen Rosa's, das sie hinsichtlich der Furchen an Riego's Stirne äußert; Furchen und Runzeln, diese unausbleiblichen Gegner weiblicher Reitze sind so nahe verwandt, daß uns Rosa's Bemerkung ganz natürlich scheinen muß.

Der damals allmächtige Riego stellte Rosa dem Könige und der Königin, sowie dem Infanten Ton Carlos vor, der dieß ausdrücklich gewünscht hatte. Der König und die Königin empfingen sie mit der größten Huld. »Der König,« – sagte Rosa in einem ihrer Briefe, – »hat ein auffallendes Gesicht, welches man leicht wieder erkennen kann. Er ist ein schöner Mann, sein Auge ist sanft, und sein Lächeln voller Huld. Don Carlos hat einen ausgezeichneten Wuchs, sein Auge ist feurig, alle seine Bewegungen[254] bestimmt und ausdrucksvoll.« Don Carlos ging auch wirklich noch an dem Abende dieser Vorstellung in Rosa's Schlingen, woraus ich mir den Umstand erkläre daß sie so entschieden sagen konnte: »alle seine Bewegungen seyen bestimmt und ausdrucksvoll.« Rosa sang zuerst vor Ihren königlichen Majestäten, von welchen sie mit Lobeserhebungen und prächtigen Geschenken ausgezeichnet wurde, und trat dann sechsmal auf dem Theater auf, wo sie einen in Madrid ganz unerhörten Beifall fand. –

Unter Rosa's Anbetern befand sich auch der durch die Cortes außer Thätigkeit gesetzte Großinquisitor, der sich in den zehn Tagen ihres Aufenthaltes in Madrid an jedem Abende einfand, und in neuen Louisd'or die Taxe des Tarifes bezahlte. Er war so rasend in Rosa verliebt, daß er ihr den Antrag machte, mit ihr nach Deutschland zu reisen, bei dem Herrn Professor Krug in Leipzig Unterricht in den Grundlehren der protestantischen Religion zu nehmen, dann zu dieser Kirche überzutreten, und sie zu heirathen. Einen größern Beweis von Liebe könnte, meines Erachtens, ein Großinquisitor gewiß nicht geben.

Rosa hatte nicht die mindeste Lust, von diesem ketzerischen Antrage Gebrauch zu machen, und erwiederte vielmehr: »sie gedenke mit den gesammelten Schätzen in ihrem Vaterlande ein Kloster für Nonnen zu gründen, und als Aebtissin desselben durch einen frommen Lebenswandel die Sünden ihrer Jugend abzubüßen.« Als nun der graue[255] Sünder seine Hoffnung vereitelt sah, suchte er der Sache eine andere Wendung zu geben, erklärte seinen Antrag als eine Prüfung, rühmte ihren frommen Entschluß, und verhieß ihr Empfehlungsbriefe an den römischen Stuhl. Heimlich aber dachte er: »Schätzchen, Du sollst Madrid nie wieder verlassen!«

Sie erzählte in einer vertraulichen Stunde dem General Riego diesen Auftritt, der sie nachdrücklich warnte, sich vor diesem ränkevollen, verbuhlten rachsüchtigen Pfaffen zu hüten, der alles aufbieten werde, sie in seine Gewalt zu bekommen und dann möchte sie wohl ihr Vaterland nie wieder sehen; er würde sie in irgend ein Kloster zu Madrid, oder in der Nähe der Stadt bringen lassen, dort zu seinen und seiner Helfershelfern schändlichen Lüsten mißbrauchen, und zuletzt ohne Zweifel vergiften. Sollte sie in den Fall kommen, eine kräftige Hülfe zu bedürfen, so möge sie sich nur sogleich an ihn wenden, und er bürge ihr für die Sicherheit ihrer Person, indem sein Name allein schon hinreiche, das ganze Pfaffenthum von Spanien mit Entsetzen zu erfüllen.

»Liebe Rosa,« – fuhr er fort, – »das Gelübde der Keuschheit ist ein unnatürliches, ein Verbrechen gegen die Natur, das diese eben so bestraft wie das Uebermaß. Die Männer ziehen mit dem Priestergewande keine höhere Natur an, die sie von den irdischen Trieben des Fleisches losspricht, im Gegentheile, das Verbotene reizt nur um so[256] mehr. Die Geistlichen wissen sich auf verschiedene Weise schadlos zu halten, wollte Gott, dieß geschähe nur immer auf natürlichem Wege! Bei Euch in Deutschland herrscht noch eine strenge, bischöfliche Aufsicht, und die Geistlichen, besonders die Pfarrer auf dem Lande, die sich von den Augen der ganzen Gemeinde bewacht sehen, müssen im Verborgenen ihre Köchinnen lieben, wie die Türken ihren Wein trinken, bei uns ist es gerade umgekehrt. Nirgends wird das Konkubinat der Pfaffen offener getrieben. Es ist sogar in Gesellschaft gewöhnlich, eine Frau mit dem Namen dessen zu nennen, mit dem sie in einer solchen Verbindung lebt; z.B. Frau Priorin, Frau Canonissin, u.s.w. Der Priester Minnano lebt mit einer gewissen Paquita, die mehrere Kinder von ihm hat; der berühmte Pater Cyrillo hat ein ganzes Serai, das ihm ein Abgeordneter an einem nordischen Hofe mit großen Kosten zusammengebracht hat. Selbst der Herzog von Infantado hat eine sehr schöne Konkubine, Pepa, und der Staatsbeamte Calomarde die Viotante.

In diesem erzkatholischen Lande ist die Unsittlichkeit größer, als in irgend einem andern. Wie vor der französischen Revolution die großen Herrn und mächtigen Staatsruderer ihre Maitressen einander liehen, so machen es bei uns jetzt die Pfaffen. Ueber ihre raffinirte Wollust könnte man Folianten schreiben. Der graue Lüstling, der Großinquisitor,[257] geht ihnen mit dem schlechten Beispiele voran. Das Pfaffenthum regiert Spanien, mißbraucht die Beichte der königlichen Familie, um alle Staatsgeheimnisse zu erfahren, erhält das Volk in ewiger Dummheit, und ein König, der sich dem Einflusse der Pfaffen entziehen wollte, um selbstständig zu herrschen, würde bald in die Gruft seiner Ahnen befördert werden. Das Militär hat die Verfassung eingeführt, und trägt sie auf ihren Bajonetten; aber gedenken Sie meiner Prophezeihung: dieses schöne Gebäude wird durch die Pfaffenränke untergraben werden, und zusammenstürzen, und vielleicht mich selbst mit seinen Trümmern bedecken! Noch einmal, Rosa, hüten Sie sich vor dem Großinquisitor!«

Rosa benützte Riego's Warnung, und übergab alle ihre Gelder und Pretiosen einem deutschen Stabsoffiziere, der als Courier nach Deutschland eilte, und mit Vergnügen die Besorgung derselben übernahm. Ihre Reiseequipage hatte sie in einer unbedeutenden Schenke vor der Stadt, auf der Straße nach Frankreich, untergebracht, wohin sie auch ihre Reisebegleitung, mit Ausnahme der Fanny, die sie zu ihren Abendbesuchen brauchte, beorderte.

Niemand war von dem Tage ihrer Abreise in Kenntniß gesetzt; sie vermied dieß absichtlich, um allen Intriguen vorzubeugen; der Befehl an ihr Gefolge lautete nur: in jedem Augenblicke reisefertig zu seyn.

Am Vorabende ihrer Reise kam unerwartet der Großinquisitor,[258] mit ungewöhnlich ernstem Gesichte. Er verlangte, Fanny solle sich ins Nebenzimmer begeben, da er ihr etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Fanny trat ab.

»Liebe Rosa,« begann der Großinquisitor, »man hat bei deinem Kammerdiener ein Manuscript gefunden: Geheime Liebschaften der Königin von Spanien, Maria Ludovika, geborne Prinzessin von Parma, in spanischer Sprache. Ihr Sohn, unser allergnädigster regierender König, ist durch eine übereilte Dienstfertigkeit früher davon in Kenntniß gesetzt worden, als ich, daher es mir unmöglich ist, die Sache unter der Hand auszugleichen. Obgleich ich der Großrichter des königlichen Hauses bin, so hat mir der König doch nicht die Untersuchung dieses Frevels übertragen. Er will dich selbst verhören, und hat mir den Befehl gegeben, Dich sogleich zu ihm zu führen. Folge mir, mein Wagen steht an der Hausthüre; fürchte dich übrigens nicht; der allmächtige Großinquisitor nimmt dich in seinen Schutz!«

Rosa merkte sogleich die Falle. »In welcher Sprache ist denn dieß Manuscript geschrieben?« fragte Rosa ganz unbefangen.

»In französischer Sprache!«

»Wohl möglich, daß der Unbesonnene es in Frankreich von irgend Jemand zum Durchlesen erhielt, und nun vergaß, es zurückzustellen. Darf ich es einen Augenblick durchblättern, während ich im Schlafkabinete meine Toilette[259] mache? Denn in meinem gegenwärtigen Anzuge könnte ich in keinem Falle vor Seiner Majestät erscheinen?«

»Ich will bei deiner Toilette gegenwärtig seyn.«

»Das geb' ich zu, nur gedulden Sie sich, bis ich mit den ersten Voranstalten des Kleiderwechsels im Reinen bin; das Schickliche verletze ich nicht gerne.«

»Hat dein Kabinet keinen andern Ausgang als dielen?«

»Nein, Sie glauben, ich wolle Ihnen entfliehen? Ha! ha! ha! Wo wäre ich denn sicherer, als unter Ihrem Schutze, wo seliger, als in Ihren Armen?«

Mit diesen Worten verband sie einen Blick, der dreifaches Erz geschmolzen hätte.

Der Großinquisitor war nahe daran, vor Entzücken zu Rosa's Füssen zu sinken; allein er dachte auch für die Zukunft, und mochte wohl schon tausend Arten von Weiberränken erlebt haben. Er trat daher in Rosa's Schlafkabinet, überzeugte sich, daß keine zweite Thüre vorhanden, und daß es unmöglich sey, durch die Fenster zu entkommen, ohne vom zweiten Stockwerke auf die Köpfe seiner lauernden Gesellen hinabzuspringen.

Nun gab er ihr das Manuscript zum Durchblättern, und ging wieder in's Nebenzimmer, mit der Bitte, ihm zu rufen, wenn er erscheinen dürfe.

Eine halbe Stunde verging, Niemand rief. Da öffnete er die Thüre, und beide Vögel, Rosa und Fanny, waren davon geflogen.[260]

Diese Flucht schien dem Großinquisitor ein unbegreifliches Wunder; aus den tiefsten Kerkern der Inquisition hätte er sie für möglicher gehalten. Auch das Manuscript war fort.

Wie Rosa und Fanny entflohen, werde ich vielleicht meinen Lesern am Ende dieser Memoiren erzählen, das sich jetzt mit raschen Schritten nähert.

Der Großinquisitor zog also mit langer Nase und ohne Manuscript ab; Rosa aber eilte mit Fanny sogleich zu Riego, setzte ihn von Allem in Kenntniß, und bat ihn, dafür zu sorgen, daß sie augenblicklich mit ihrem Gefolge abreisen könne, ohne von den Intriguen des Großinquisitors daran verhindert zu werden.

Als Riego das Manuscript sah, rief er aus: »Gott Lob, mein Freund Orbando ist gerettet! Dieser tapfere Offizier, mein erster Adjutant, war so unvorsichtig, dieses Werk niederzuschreiben. Ein verrätherischer Diener hat es dem Großinquisitor ausgeliefert. Vor einer Stunde wurde er auf Befehl des Königs verhaftet, und müßte ohne weiteres am Galgen sterben, wenn das Manuscript in den Händen seiner Feinde geblieben wäre. Ich werde ihn sogleich davon in Kenntniß setzen lassen, damit er Alles läugne, und die Vorlage des Manuscriptes begehre. Es ist sehr interessant; wollen Sie es vielleicht einem Schriftsteller in Ihrem deutschen Vaterlande mittheilen, so steht es zu Ihren Diensten.«

[261] Rosa, die unter ihren Verehrern eine Menge Schriftsteller und Dichter zählte, nahm es gerne, um einem ihrer besten Freunde ein willkommenes Geschenk damit zu machen.1

Riego rieth ihr, nach diesem Vorfalle nicht mehr nach Lissabon zu reisen, wohin der allmächtige Arm des Großinquisitors reiche, sondern nach Cadix zu gehen, und sich dort nach Neapel einzuschiffen.

Den Paß visiren zu lassen, dazu war keine Zeit mehr. Die besondere Eile hätte Aussehen erregt. Riego schrieb ihr also einen offenen Vorweis: »Meine Gattin reist im Namen des Königs, mit einer geheimen Sendung beauftragt. Sie ist, bei Todesstrafe durch das Standrecht, nirgends aufzuhalten.«


Riego.


Unter diese gebietenden Worte drückte er das große Siegel des General-Commando's in Madrid, und bat Rosa, dieß Blatt eher zu vernichten, als in fremde Hände zu geben. Sie gelobte es, umarmte ihren treuen Freund Riego herzlich, der sie durch einen vertrauten Diener bis zu ihrer Reiseequipage auf Umwegen begleiten ließ, und hatte zehn Minuten darnach Madrid schon im Rücken. – Der Name Riego wurde überall gepriesen und geehrt; unaufhaltsam setzte sie ihre Reise nach Cadix fort; doch dem spanischen Boden mißtrauend, fuhr sie noch am Tage ihrer Ankunft nach Gibraltar, und nach zwei Ruhetagen schiffte sie sich auf einer englischen Fregatte nach

Fußnoten

1 Ich war der Glückliche, der es aus Rosa's Händen im Gasthofe zum goldenen Hirsch in München erhielt, als sie aus Mailand in ihre Heimath zurückkehrte. In »Amors geheimen Memoiren« werden meine verehrten Leser und liebenswürdigen Leserinnen diese interessante Mittheilung finden.


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 262.
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