[53] Der Mond. Dies Wort so ahnungsreich,
So treffend, weil es rund und weich –
Wer wäre wohl so kaltbedächtig,
So herzlos, hart und niederträchtig,
Daß es ihm nicht, wenn er es liest,
Sanftschauernd durch die Seele fließt? –
Das Dörflein ruht im Mondenschimmer,
Die Bauern schnarchen fest, wie immer.
Es ruhn die Ochsen und die Stuten,
Und nur der Wächter muß noch tuten,
Weil ihn sein Amt dazu verpflichtet,
Der Dichter aber schwärmt und dichtet.
[53] Was ist da drüben für ein Wink?
Ist das nicht Rieke Mistelfink?
Ja, wie es scheint, hat sie bereut
Die rücksichtslose Sprödigkeit.
Der Dichter fühlt sein Herz erweichen.
Er folgt dem liebevollen Zeichen.
Er drängt sich, nicht ganz ohne Qual,
In ein beschränktes Stallokal.
[54] Mit einem Mäh! mit einem langen
Sieht er sich unverhofft empfangen.
Doch nur ein kurzes Meck begleitet
Den Seitenstich, der Schmerz bereitet.
[55] Ein Stoß grad in die Magengegend
Ist aber auch sehr schmerzerregend.
Daß selbst ein Korb in solcher Lage
Erwünscht erscheint, ist keine Frage.
[56] Bedeckung findet sich gar leicht;
Es fragt sich nur, wie weit sie reicht. –
Und grade kommt die Rieke hier,
Der Krischan emsig hinter ihr;
Sie mit vergnügtem Mienenspiel,
Er mit dem langen Besenstiel.
[57] Er schiebt ihn durch des Korbes Henkel
Und zwischen Bählamm seine Schenkel.
Nachdem er sicher eingesackt,
Wird er gelupft und aufgepackt.
Er strampelt sehr, denn schwer im Sinn
Liegt ihm die Frage: Ach, wohin?[58]
Ein Wasser, mondbeglänzt und kühl,
Ist das erstrebte Reiseziel,
Und angelangt bei diesem Punkt
Wird fleißig auf und ab getunkt;
Worauf, nachdem der Korb geleert,
Das Liebespaar nach Hause kehrt.
[59]
Buchempfehlung
1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro