5. An die Eltern

[4] 5. An die Eltern


Antwerpen den 1ten September. [1852]


Geliebte Eltern.

Von einem Tage zum andern habe ich einem Briefe von Euch entgegen gesehen, aber vergebens. Erst jetzt, da ich mich zum Schreiben niedersetze, empfinde ich eine heftige Gewißensangst, indem ich an die Möglichkeit denke, daß mein voriger Brief verloren gegangen sein könnte u. Ihr dadurch in eine unnöthige Unruhe versetzt wäret. Doch hoffe ich, daß dem nicht so sein wird.

Ich befinde mich hier in Antwerpen sehr wohl u. kann mich nicht genug freuen, daß ich hier mit meinen Malstudien den Anfang gemacht habe. Jeden falls lerne ich hier in einem halben Jahre eben so viel als ich in Düßeldorf in einem ganzen gelernt haben würde. Zwar wird hier die Malerei etwas handwerksmäßig betrieben, das thut aber nichts zur Sache, denn wenn man erst eben dieses handwerkmäßige, technische so ziemlich in seiner Gewalt hat, so kann man sich nachher desto mehr auf das geistige legen. Der größte Theil der Schüler der Akademie besteht aus Deutschen, so daß man in der Klaße fast nur deutsch sprechen hört; außerdem wird noch flämisch, weniger französisch gesprochen. Der Profeßor korrigirt entweder in französischer od. flämischer Sprache. Die Stunden beginnen jetzt um 9 Uhr morgens und dauern dann bis 12 Uhr, darauf ist eine halbe Stunde Pause. Von halb Eins bis 4 Uhr wird wieder gearbeitet u. dann noch Abends von 6-8. Der Name unseres Profeßers ist Dykmans; seine Korrektur ist ausgezeichnet; er sieht immer nur auf das großartige. Darnach sollte man erwarten, daß er auch seine eigenen Bilder in derselben Weise male. Aber dem ist nicht so. Er malt kleine Genrebilder, etwa 1 Fß quadrat, aber so ausgeführt, daß man bei den Personen die Poren in der Haut u. die einzelnen Haare auf dem Kopfe erkennen kann. Wenn man diese Bildchen durch ein Vergrößerungs=Glas betrachtet, so werden sie erst recht natürlich. Für ein solches Bild bekommt er in der Regel 10-12000 Franken. –

Die Flämischen Maler sind durchgehends ungebildete Leute, mit denen man nicht weiter umgehen kann. Ebenso steht es auch mit der Bildung des ganzen flämischen Volkes. Es wohnt in ihm indeß ein gewißer Sinn für Gemüthlichkeit. Abends sieht man alle Welt vor den Häusern auf der Straße sitzen, ja selbst mit Regenschirmen mitten im Regen. Ich selbst geselle mich wohl im Schlafrock u. mit der Thonpfeife an schönen Abenden zu den Flamändern vor der Hausthüre, um mit ihnen ein Wort zu klappen (d.h. gemüthlich sprechen). Lustig ist es anzusehen, wenn Abends der Zapfenstreich durch die Straßen zieht. Ein Heer von Straßenjungen verfolgt ihn, indem es die Melodie fürchterlich mitschreit, u. voran tanzen Schaaren von Mädchen den Ringelreihen in klappernden Holschen nach dem Tackte der Musik. Am ausgelaßensten ist aber das Volk hier bei der[4] großen Kirmeß, welche das größte Fest von Antwerpen ist u. sechs Tage dauert. Um das Volk in diesen Tagen zu amüsiren, bestehen förmliche Vereine. Preise aller Art sind ausgesetzt für Musik, Wettrudern, Schwimmen, Pfahlklettern – u.s.w. Auf einem der Großen Plätze in der Stadt ist großer Volksball, wo jedermann frei Tanzen kann. Abends sind große Feuerwerke, die über 100000 Fr. kosten. Eine Art der Belustigung will ich noch anführen, die, wenn sie auch nicht gerade sehr delikat ist, doch das flämische Volk recht eigentlich charakterisirt. Sie besteht nämlich darin, daß man von einem Abtritte die Brille abhebt u. diese in einem Fenster nach der Straße hin befestigt. Durch das Loch derselben stecken nun alte Weiber, eins nach dem andern, den Kopf u. schneiden die scheußlichsten Grimaßen. Daßjenige alte Weib nun, welches die gräulichste Grimaße schneidet, erhält einen dazu eigens ausgesetzten Preis. So etwas würde doch in Deutschland nicht vorkommen dürfen. –

Im ganzen habe ich das Volk hier nicht so sehr katholisch gefunden als in Düßeldorf. Es mag wohl daher kommen, daß die Konkurrenz des Protestantismuß hier fast gar nicht hervor tritt. Alles geht mehr so einen ruhigen geschäftsmäßigen Gang. Während des Gottesdienstes sieht man alle Arten von Fremden u. Neugierigen zwischen den Betenden auf u. abgehen, ohne daß das irgend eine Störung hervorbringt. Einen solchen Anblick hat die Kathedrale aber wohl noch nie erlebt, als bei der neulichen Anwesenheit der Königinn von England. Die Königinn besuchte nämlich auch die Kathedrale, um die dortigen Kunstwerke zu besehen; Prinz Albert, der König v. Belgien u. mehrere kleine u. große Prinzen begleiteten sie. Eine Maße Volk (darunter auch ich) stürzte ihr nach, drängend, stoßend, schreiend vive la reine, vive le roi. Das wühlte u. tobte in den großen Räumen der Kirche. Unten auf den Altären standen die alten Weiber, u. oben hingen u. kletterten die Straßenjungen. Mehrere Große Armleuchter wurden in dem allgemeinen Tumulte zu Boden geworfen. Man glaubte nicht in der Kirche, sondern auf dem offenen Markte zu sein, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß jedermann instinktmäßig seinen Hut abgenommen hatte. Ich ließ die Königinn mehrmals dicht an mir vorbei paßiren. Nach den Portraits, die ich von ihr gesehen, hatte ich sie mir ganz anders vorgestellt. Sie ist klein, mager, roth, unansehnlich u. hat durchaus nichts königliches in ihrem Äußern. In ihrem schwarzen einfachen Anzuge kam sie mir gerade so vor, wie eine alte, verschrumpfte, unverheirathete Pastorentochter vom Lande. Sie kam zu Schiffe hier an u. brachte noch acht andere englische Schiffe zur Begleitung mit, worunter vier Dampffregatten waren. Es war ein großartiger Anblick auf den letztern das Leben u. Handtiren der Matrosen zu sehen u. den Donner der Kanonen zu hören. Gegen die Marinesoldaten kommen einen die Landsoldaten höchst kleinlich vor. – – – – –

Wenn Ihr mir gegen den 23. dieses Monats wieder Geld schickt, so wird dies am besten in preußischen Papieren geschehen.

Zum Schluß viele Grüße an die lieben Meinigen u. die Versicherung, daß ich Euch immer recht herzlich lieb haben werde, wie immer

Euer Wilhelm.


P.S. Mein Freund Klemme ist zu meinem Bedauern heut von hier nach Düßeldorf abgereis't, wo er nur kurze Zeit bleibt u. dann nach Hannover so geht.

Meine Adreße ist:

An Herrn W.B.

Adr. Herrn J. Timmermans

pont au fromage No 320.

in Antwerpen.


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Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 4-5.
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