606. An Franz von Lenbach

[251] 606. An Franz von Lenbach


Wiedensahl 15. Mai 1884


Caro mio amico!

Ein ewig blauer Himmel also! Der dauerhaften Heiterkeit dieser erhabenen makrokosmischen Kuppel entsprechend, wird, so hoffe ich, auch deine mikroskopische Gedankenkapsel von ewig ungetrübter Fröhlichkeit erglänzen. – Zwei Schwestern, zwei Papageien, zwei Köchinnen – wenigstens der trübe Geist des Schweigens, mit seinem matten Flügelschlage, pflegt sich auf dergleichen animirte Wirthschaften nicht eben mit Vorliebe herabzulaßen, um seine melancholischen Eier auszubrüten. Bei uns zu Lande dagegen sitzen die Spaßvögel auf kalten Nestern. So z. Exempel hat uns der heurige Winter unter der Maske des Frühlings mal wieder recht gründlich zum Besten gehabt. Auch ich Troddel deckte natürlich die Rosen auf. Sofort über Nacht kam der eisige Ostwind daher und zerzauste sie dermaßen, daß ihnen die Ohren herunterhingen, wie alter Toback. Zum Glück besitzt all das Zeug eine inwendige Hartnäckigkeit, die, mit einigen wehleidigen Ausnahmen, auf das Schlimmste gefaßt und gerüstet ist. Die von Frost zusammengeschrumpfte Welt ist wieder voll von Laub, wie vordem; und drüber hin schleichen die grauen Wolken und begießen's. Himmelblau giebt's kaum; außer, wo ein ausnahmsweise gewaschener Bauernschurz über den Zaun herabhängt.

Aber, liebster Freund, willst du denn wirklich wieder wegziehn aus dem milden Reiche der Pollenta in's rauhe Land des Schmarrens? Ich glaub's[251] noch nicht. – Du schreibst: Seit 1000 Jahren hätt ich nichts von mir hören laßen. Diese Zahl könnte nur dann auf absolute Genauigkeit Anspruch machen, wenn du meinen letzten Gedenkzettel, den ich nach der Luisenstraße dirigirte, nicht erhalten hättest. –

Grüß mir deine liebenswürdigen Schwestern, und sei du selber ungefähr 1000 Mal auf's herzlichste gegrüßt von deinem alten graudurchwirkten Freunde

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 251-252.
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