[Es hatt' ein Müller eine Mühl]

[264] Es hatt' ein Müller eine Mühl

An einem Wasser kühle;

Da kamen hübscher Mädchen viel

Zu mahlen in der Mühle.


Ein armes Mädel war darunt,

Zählt sechzehn Jahre eben;

Allwo es ging, allwo es stund,

Der Müller stund daneben.


Er schenkt ein Ringlein ihr von Gold,

Daß er in allen Ehren

Sie ewig immer lieben wollt;

Da ließ sie sich betören.


Der Müller, der war falsch von Sinn:

»Wenn ich mich tu vermählen,

So will ich mir als Müllerin

Wohl eine Reiche wählen.«


Da 's arme Mädel das vernahm,

Wird's blaß und immer blasser

Und red't nit mehr und ging und kam

Und sprang ins tiefe Wasser.


Der Müller kümmert sich nicht viel,

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Und fährt mit Sang und Saitenspiel

'ne andre zur Kapellen.


Doch als man auf die Brücke kam,

Fängt 's Wasser an zu wogen

Und zischt und rauscht verwundersam

Herauf bis an den Bogen.


Die weiße Wassernixe stand

Auf schaumgekrönter Welle;

Sie hält in ihrer weißen Hand

Von Gold ein Ringlein helle.


Du Falscher, deine Zeit ist aus!

Bereite dich geschwinde!

Dich ruft hinab ins kalte Haus

Die Mutter mit dem Kinde.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 264-265.
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