[Nun, da die Frühlingsblumen wieder blühen]

[270] Nun, da die Frühlingsblumen wieder blühen,

In milder Luft die weißen Wolken ziehen,

Denk ich mit Wehmut deiner Lieb und Güte,

Du süßes Mädchen, das so früh verblühte.

Du liebtest nicht der Feste Lärm und Gaffen,

Erwähltest dir daheim ein stilles Schaffen,

Die Sorge und Geduld, das Dienen, Geben,

Ein innigliches Nurfürandreleben.

So teiltest du in deines Vaters Haus

Den Himmelsfrieden deiner Seele aus.

Bald aber kamen schwere, schwere Zeiten.

Wir mußten dir die Lagerstatt bereiten;

Wir sahn, wie deine lieben Wangen bleichten,

Sahn deiner Augen wundersames Leuchten;

Wir weinten in der Stille, denn wir wußten,

Daß wir nun bald auf ewig scheiden mußten.

Du klagtest nicht. Voll Milde und Erbarmen

Gedachtest du der bittern Not der Armen,

Gabst ihnen deine ganze kleine Habe

Und seufztest tief, daß so gering die Gabe.

Es war die letzte Nacht und nah das Ende;

Wir küßten dir die zarten weißen Hände;

Du sprachst, lebt wohl, in deiner stillen Weise,

Und: oh, die schönen Blumen! riefst du leise.

Dann war's vorbei. Die großen Augensterne,

Weit, unbeweglich, starrten in die Ferne,

Indes um deine Lippen, halbgeschlossen,

Ein kindlichernstes Lächeln ausgegossen.

So lagst du da, als hättest du entzückt

Und staunend eine neue Welt erblickt.

Wo bist du nun, du süßes Kind, geblieben?

Bist du ein Bild im Denken deiner Lieben?

Hast du die weißen Schwingen ausgebreitet,

Und zogst hinauf von Engelshand geleitet

Zu jener Gottesstadt im Paradiese,

Wo auf der heiligstillen Blütenwiese

Fernher in feierlichem Zug die Frommen

Anbetend zu dem Bild des Lammes kommen?

Wo du auch seist; im Herzen bleibst du mein.

Was Gutes in mir lebt, dein ist's allein.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 270-271.
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