Der Lohn einer guten Tat

(Eine wahre Geschichte)

[153] Wenn man von dem Lohn der Tugend

Hin und wieder was erfährt,

So ist das im allgemeinen

Jedenfalls nur wünschenswert.


Aber so was kann mich ärgern,

Wenn man in der Zeitung sieht,

Was dem Johann Luënicka

Für sein gutes Werk geschieht.


Der Lohn einer guten Tat

Von Geburt aus Leitomischl,

Handwerksbursche von Metjeh,

Kam er auch auf seiner Reise

Einst an einen großen See.

Plötzlich sieht er einen Knaben,

Welcher etwa dreizehn Jahr',

Und, nachdem er sich gebadet,

Eben beim Ertrinken war.


Der Lohn einer guten Tat

Dieses kann Johann nicht leiden,

Stürzt sich mutig in die Flut,

Faßt das Kind beim linken Beine,

Aber – ach – verliert den Hut.


Der Lohn einer guten Tat

[153] Erst jedoch, nachdem er alle

Rettungsmittel angewandt,


Der Lohn einer guten Tat

Fühlt er mittelst seiner Hände,

Daß er seinen Hut nicht fand.


Der Lohn einer guten Tat

Der Lohn einer guten Tat

[154] Unbemittelt und vertrauend

Auf das Werk, das er getan,

Hält er bei der Ortsgemeinde

Höflichst um Belohnung an.


Hier nimmt man das Anersuchen

Auch sogleich zu Protokoll

Und berichtet an das Kreisamt,

Wie man sich verhalten soll.


Von dem Kreisamt schreibt man wieder,

Und der Brave ist schon froh.

Aber groß war sein Erstaunen,

Denn die Antwort lautet so:


Der Lohn einer guten Tat

»Erstens, da der Luënicka

Schwimmen kann, so ist es klar,

Daß sein Leben bei der Sache

Nicht besonders in Gefahr;


Drum, nach reiflichem Bedenken,

Lautet unser Amtsbeschluß,

Daß die fragliche Belohnung

Jedenfalls von Überfluß.
[155]

Zweitens hat der Luënicka

Sein Ersuchen eingeschickt,

Ohne daß, wie es gesetzlich,

Ihm ein Stempel aufgedrückt;


Drum, nach reiflichem Bedenken,

Lautet unser Amtsbeschluß,

Daß er 72 Kreuzer

Stempeltaxe zahlen muß.«

Ja, so lautet das Erkenntnis. –

Zahlen muß der junge Mann,

Ob ihm gleich von jedem Auge

Eine stille Träne rann.


Und wir fragen uns im stillen:

Wozu nützt die gute Tat,

Wenn ein tugendsamer Jüngling

Obendrein noch Kosten hat?!


Der Lohn einer guten Tat

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 1, Hamburg 1959, S. 153-157.
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