Zweiter Gesang.

1.

O ihr Erzieher zarter Jugendtriebe,

Bei Spaniern, Franzosen, Deutschen, Britten,

Gebt euren Schülern möglichst viele Hiebe,

Es schmerzt, jedoch es bessert ihre Sitten.

Die herrlichste Method' und Mutterliebe

Hat in dem Fall Juans Schiffbruch gelitten,

Da er auf eine Art, die höchst curios war,

Die angeborne Tugend plötzlich los war.


2.

O warum ward er nicht Gymnasiast?

Dann hätt' ein täglich Pensum ohne Gnade

Ihn abgekühlt in seiner glüh'nden Hast,

Zum mindesten auf höhrem Breitengrade;

Mag sein, daß dies auf Spanien wen'ger paßt,

Ausnahmen sprechen für die Regel grade –

Scheidung veranlaßt schon mit sechzehn Jahren!

Sein Lehrer glaubte aus der Haut zu fahren.


3.

Ich finde, daß man sehr mit Unrecht schrie,

Wenn ich erwäge, was zusammentraf:

Erst die Frau Mutter, ganz Geometrie,

Sodann ein Lehrer oder altes Schaf,

Ein hübsches Weib, – natürlich, ohne die

Wär' er vielleicht noch heute fromm und brav, –

Ein ältrer Ehmann auf gespanntem Fuße

Mit junger Frau, – Gelegenheit und Muße.
[83]

4.

Ja, ja, – die Welt dreht sich um ihre Axe,

Die Menschheit dreht sich mit ihr, Kind und Kegel,

Lebt, liebt und stirbt und zahlt Abgab' und Taxe,

Und wie der Wind sich dreht, drehn wir das Segel.

Der König thront, der Arzt macht seine Faxe,

Der Priester klärt uns auf, – das ist die Regel:

Ein Bischen Luft, Wein, Ehrgeiz, eine Dame,

Krieg, Frömmigkeit und Staub, – vielleicht ein Name.


5.

Nach Cadiz ging Juan, wie wir vernahmen, –

Die Stadt ist hübsch und mir gar wohl bekannt;

Da kommen Silberflotten, (oder kamen,

Eh' sich Peru auf Rebellion verstand,)

Und Mädchen giebt es da, – ich meine Damen!

Ihr Gang allein schon setzt das Herz in Brand;

Beschreiben kann ich's nicht in Wort und Zeichen,

Noch auch durch Gleichniß, – nie sah ich dergleichen.


6.

Ein Wüstenroß, ein Edelhirsch, ein Füllen,

Gazellenschritt, Giraffenwandel, – nein,

's ist alles nichts! – und dann die Tracht, die Hüllen,

Der Rock und Schleier, – ach, ich könnt' allein

Mit solchen Dingen hundert Strophen füllen! –

Ihr Fuß, ihr Knöchel dann! – mir fällt nichts ein,

Womit ich die vergleich', und das ist gut, –

(Komm, meine ernste Muse, ruhig Blut!


7.

Doch wenn du mußt, so mußt du;) – flüchtig, sieh,

Theilt sich der Schleier in der weißen Hand,

Da flammt das Aug' ins Herz, du weißt nicht wie,

Und du erbleichst! – o sonnenhaftes Land!

Wenn ich dich je vergesse, will ich nie –

Mein Tischgebet mehr sprechen! Kein Gewand

Läßt Augensalven so zur Wirkung kommen,

Venedigs Fazzioli ausgenommen.
[84]

8.

Doch Ines wollte nicht, daß Don Juan

In Cadiz bleib' und dort sein Geld verzehre;

Ihn schleunigst einzuschiffen war ihr Plan,

(Aus Gründen, die ich weiter nicht erkläre;)

Seereisen machen sollt' ihr junger Mann,

Als ob ein spanisch Schiff die Arche wäre,

Aus der er, rein von allem Schmutz der Erde,

Der Taube Noä gleich, hervorgehn werde.


9.

Juan ließ also seinen Diener packen

Und kriegte vielen Rat und ein'ges bar;

Vier Jahre sollt' er sich im Ausland placken,

Und Ines hoffte oder glaubte gar,

Dies werd' ihn säubern von den ird'schen Schlacken,

Obwohl sie selbst beim Abschied traurig war.

Sie gab ihm einen Brief mit, voll Leviten,

(Er las ihn nie) und ein'ge mit Crediten.


10.

Sie hielt seitdem in ihren Mußestunden

Ein Sonntagsinstitut für böse Jungen,

Die sonst vielleicht als ächte Vagabunden

Im Freien wären wild umhergesprungen.

Dreijähr'ge Kinder waren ihre Kunden,

Und fleißig wurden Rut' und Stock geschwungen;

Bewährt durch den Erfolg mit ihrem Sohn,

Formt sie die zweite Generation.


11.

Juan fuhr ab, das Fahrzeug kam in See;

Das Wasser war bewegt, der Wind war West;

Ein teufelmäß'ger Seegang war von je

In jener Bucht, und hat mich selbst durchnäßt;

Man steht auf Deck, da fliegt der Schaum wie Schnee

Euch ins Gesicht und macht es wetterfest;

Dort stand auch er und grüßte scheidend jetzt

Sein Land zum ersten Mal, vielleicht zuletzt.
[85]

12.

Nun ist es wahr, wenn man sein Heimatland

Wegsinken sieht, so ist es unerfreulich;

Man fühlt sich wirklich völlig übermannt,

Zumal für einen Neuling ist es greulich.

England, erinnr' ich mich, ist weiß am Strand

Fast alle andern Länder aber bläulich,

Wenn wir sie schaun, getäuscht, als ob sie nah sei'n,

Beim Eintritt in das maritime Dasein.


13.

So stand Juan beklommen auf dem Deck;

Wind sang und Tauwerk ächzt' und Bootsmann fluchte,

Das Fahrzeug stöhnte, Cadiz ward ein Fleck,

Indeß das Schiff so schnell das Weite suchte.

Recept für Seekrankheit: man esse keck

Ein Beefsteak! wenn der Leser es versuchte,

So lacht' er nicht; es ist so, glaub' es mir;

Mir hat's geholfen, also wird's auch dir.


14.

So stand Juan und schaute heimatwärts

Und sah sein Spanien seinem Blick entfliehn.

Ein erster Abschied ist ein herber Schmerz,

Selbst Völker fühlen's, die zum Kriege ziehn.

Es ist, als öffn' ein jäher Stoß das Herz,

Es ist 'ne Angst, der Worte nicht verliehn:

Selbst wenn man den fatalsten Ort verläßt,

Hält man den Kirchthurm mit dem Auge fest.


15.

Juan inzwischen mußte viel verlassen,

Die Mutter, die Geliebte, keine Frau,

Und hatte bessren Grund sich nicht zu fassen,

Als mancher, der bei Jahren ist und grau;

Und nimmt man's selbst bei Leuten, die uns hassen,

Mit seinen Seufzern nicht so gar genau,

So weint man wohl, wo Liebe man verliert,

Das heißt, wenn nicht vor Gram die Thrän' erfriert.
[86]

16.

Juan weint' auch, wie einst auf Babels Flur

Die Juden weinten nach dem Jordan-Thal;

Na, meine Mus' ist härter von Natur;

Man stirbt nicht gleich von jeder kleinen Qual;

Ein junger Mann soll reisen, wenn auch nur

Um sich zu amüsiren; – nächstes Mal,

Wenn man den Koffer auf die Chaise hebt,

Ist er vielleicht mit diesem Buch verklebt.


17.

So weinte denn Juan; sein Herz bereute,

Und salz'ge Thräne floß in salz'ge See,

»Der Süßen Süßes« – so'n Citat erbeute

Ich gar zu gern und fragt ihr, wo es steh'?

Die Mutter Hamlets, als sie Blumen streute

Ins Grab Ophelia's, sprach's. Mit Ach und Weh

Erwog' er seine gegenwärt'ge Lage

Und dacht' an Besserung für künft'ge Tage.


18.

»Lebwohl«, rief er, »lebwohl, mein spanisch Land!

Vielleicht soll ich dich niemals wieder sehn,

Vielleicht wird dieses Herz, von dir verbannt,

Am eignen Durst nach dir zu Grunde gehn:

Lebwohl, Guadalquivirs geliebter Strand!

Lebwohl, o Mutter! und – es muß geschehn, –

Du, Julia, auch, lebwohl, du theures Wesen! –

(Hier mußt' er ihren Brief noch einmal lesen.)


19.

Und o, vergäß' ich je ... sieh hier! ich schwöre ...

Doch das ist ganz unmöglich, nimmermehr!

Das Weltmeer schmölz' in Luft und Wolkenflöre,

Die Erde würde selber eher Meer,

Eh' ich dein Bild, o mein Juwel, verlöre

Und trüge je nach andrem Glück Begehr.

Dem hilft Arznei nicht, der vor innrem Weh krank ...«

(Hier traf ein Stoß das Schiff und er ward seekrank.)
[87]

20.

»Eh' küssen sich die Erde und der Himmel –

(Hier ward ihm schlimmer,) – Julia, unser Jammer –

(Um Gottes willen gebt mir ein Glas Kümmel;

Pedro, Battista, helft mir in die Kammer.)

Julia, mein Leben – (schneller doch, du Lümmel) –

O Julia! – (stößt das Schiff nicht wie ein Rammer!) –

Geliebte Julia, meine Schwüre bürgen –«

(Hier ward er unarticulirt vor Würgen.)


21.

Im Herzen oder auch im Magen schmerzte

Der bang Druck ihn, den man, ach, empfindet,

(Unheilbar für die Kunst der besten Aerzte,)

Wann Freundschaft treulos wird, wann Lieb' erblindet,

Wann jemand stirbt, den man so gerne herzte,

Mit dem ein Stück von unserm Leben schwindet:

Kein Zweifel, daß sein Pathos äußerst tief war.

Nur daß die See ein starkes Vomitiv war.


22.

Der Gott der Lieb' ist doch ein kleiner Narr;

Er hält so manches hitz'ge Fieber aus,

Und wird verblüfft durch Husten und Katarrh,

Und eine Bräune findet er zu kraus;

Vornehmer Krankheit trotzt er steif und starr,

Vulgäre Uebel sind für ihn ein Graus,

So, wenn ein Niesen seine Seufzer todt macht

Und Schnupfen seine blinden Augen rot macht.


23.

Doch Uebelkeit ist seine schlimmste Pest,

Und Schmerzen etwas unterhalb der Weichen;

Die Liebe, die sich kühn zur Ader läßt,

Wird vor dem heißen Leinsaatbrei erbleichen;

Purganzen geben ihrer Macht den Rest,

Seekrankheit Tod. Sein Herz war ohne Gleichen;

Denn seine Lieb', obwohl ins Meer verschlagen,

Bot Trotz dem nie zur See gewesnen Magen.
[88]

24.

Das Schiff – es hieß »die Heil'ge Trinidada« –

War nach der Stadt Livorno dirigirt;

Verwandte hatte Don Juans Papa da,

Die sich vor Jose's Zeit dort etablirt,

Die spanische Familie Moncada;

Juan war durch den Brief introducirt,

Den noch am letzten Tag ihm Castilianer

Verwandt' einhändigten für die Toscaner.


25.

Drei Diener waren sein Gefolg' und ein

Hofmeister, Don Pedrillo, Licenciat,

Ein Mann, der griechisch sprach und auch Latein,

Jetzt aber lag er stumm und desperat

In seiner Hängematt' in schwanker Pein,

Da jeder Wellenstoß ihm wehe that.

Das Wasser machte, das durch Luken drang,

Sein Bett ein wenig feucht, ihm selber bang.


26.

Nicht ohne Grund; es wehte frisch aus Süd,

Und gegen Abend stürmt' es schon mit Macht;

Ein Spaß nur für ein nautisches Gemüt,

Doch manches Landkind hätte nicht gelacht;

Seeleute sind verschieden von Geblüt.

Sie bargen doch die Segel gegen Nacht,

Der Himmel zeigt', es werde bei dem Wehen

Ein Mastbaum oder so zum Teufel gehen.


27.

Um ein Uhr warf der Wind mit jähem Stoß

Das Fahrzeug mitten in den Trog der Wellen,

Und legte so den Stern dem Seegang bloß.

Der Spiegelspann war nahe am Zerschellen,

Dann riß die See den Hintersteven los,

Und eh' es noch gelang das Schiff zu stellen,

Ging auch das Ruder weg: nun ward sondirt,

Und vier Fuß Wasser wurden schon notirt.
[89]

28.

Ein Theil der Mannschaft ging vor allen Dingen

Ans Pumpen, und die Andren formten Kette,

Um Güter und was sonst herauf zu bringen.

Wenn man den Leck nur gleich gefunden hätte!

Am Ende kam's so weit, doch das Gelingen

Der Rettung war noch eine gleiche Wette:

Das Wasser stürzte durch recht zum Erschrecken;

Sie stopften Laken, Hemden, Jacken, Decken


29.

Ins Loch; doch alles Stopfen war vergebens,

Und ohne Frage ging das Schiff zu Grunde,

Trotz aller Auskunftsmittel, alles Strebens,

Ohn' ihre Pumpen, – was ich gern bekunde,

Im Interesse manches Schifferlebens;

Sie hoben nämlich funfzig Tons per Stunde;

Das rettete die armen Vagabonden;

(Der Fabricant war Mr. Mann in London.)


30.

Der Sturm ließ etwas nach beim Morgenschimmer;

Sie dichteten den Leck, und es gelang,

Doch hielten freilich drei Fuß Wasser immer

Zwei Hand- und eine Kettenpump' im Gang.

Am Abend war das Wetter wieder schlimmer,

Ein Paar Kanonen brachen los, und Bang!

Warf eine Bö, furchtbar wie ein Orkan,

Mit einem Stoß das Schiff auf seine Ra'n.


31.

Da lag sie her; das Wasser unterdessen

Lief aus dem Raum den Leuten ins Gesicht;

Es war ein Bild, das Menschen nicht vergessen,

Denn Schiffbruch, Schlacht und Brand vergißt man nicht,

Nichts, was den Angstschweiß pflegt uns auszupressen

Und Hoffnung, Herzen, Hälse, Köpfe bricht;

So sprechen von Ertrinkungsfällen immer

Die Taucher gern und die entkommnen Schwimmer.
[90]

32.

Man kappte flugs die Masten; Anfangs hieb

Man Hauptmast und Besan um; der Besan

Ging über Bord, der andre auch, doch blieb

Das Fahrzeug wie ein Klotz. Als wir es sahn,

Ward Fockmast, Bugspriet auch gekappt; uns trieb

Die Not, sonst hätten wir es nicht gethan.

Dies gab ihr Luft; das alte Schiff erkrachte

Und kam zu Beine, ehe man es dachte.


33.

Man kann sich leicht vorstellen, wie verdrießlich

Die Schiffsgesellschaft ward bei solchen Thaten;

Die Passagiere fanden unersprießlich

Den nahen Tod und den verdorbnen Braten;

Und auch der Seemann pflegt, wenn er doch schließlich

Ertrinken soll, Tumultsucht zu verraten;

In solchen Fällen schreit die rohe Masse

Nach Grog und säuft den Rum direct vom Fasse.


34.

Nichts wirkt beruhigend auf unsre Seele

Wie Rum und Andacht: so geschah es, daß

Der Eine trank, der Andre sang Choräle;

Der Sturm gab den Discant, den dumpfen Baß

Das rauhe Meer. Was ihrem Magen fehle,

Vergaß die Seekrankheit, vor Schrecken blaß;

Seltsamer Schall, Gebete, Flüche, Weh,

Lärmten im Chor in das Gebrüll der See.


35.

Ein Glück, daß nicht Juan den Kopf verlor,

So jung er war; er lief zum Brantweinzimmer,

Und stand, Pistol in jeder Hand, davor.

Der Andren Furcht, (als wär' der Tod viel schlimmer,

Wenn er durchs Feuer- statt durchs Wasserthor

Hereintritt,) hielt trotz Fluchen und Gewimmer

Das Volk zurück, das vor dem Untersinken

Für angemessen hielt sich zu betrinken.
[91]

36.

»Gebt uns mehr Grog!« schrien sie. »Nach einer Stunde

Ist alles eins.« Juan versetze: »Nein!

Das ist gewiß, wir alle gehn zu Grunde,

Doch wer ein Mann ist, stirbt nicht wie ein Schwein!«

So hielt er Wacht vor dem ersehnten Spunde,

Und keiner wollte gern erschossen sein;

Und selbst Pedrillo, sein ehrwürd'ger Lehrer,

War einer der enttäuschten Rumbegehrer.


37.

Der gute alte Herr war ganz entsetzt;

Er weint' und klagte über die Bescherung,

Bereut' all seine Sünden; ja, zuletzt

Gelobt' er ernst und feierlich Bekehrung:

Im Fall der Rettung woll' er sich von jetzt

Nie mehr entziehn dem Amte der Belehrung

Im classisch-klösterlichen Salamanca,

Nie mehr auf Reisen gehn wie Sancho Panca.


38.

Noch einmal schien die Hoffnung zu erstehn;

Am Morgen schwieg der Sturm: – der Leck ward breiter

Die Masten waren weg, kein Land zu sehn,

Jedoch das Schiff blieb flott, die Luft ward heiter,

Und war die Arbeit erst umsonst geschehn,

Die Stärkren pumpten dennoch rüstig weiter,

Sobald sie nur ein Streifchen Sonn' erblickten,

Indeß die Schwächeren ein Segel spickten.


39.

Man zog das Segel glücklich untern Kiel,

Und eine Zeitlang half es; aber offen

Ein Leck, die Masten fort mit Stumpf und Stiel,

Kein Fetzen Leinwand, – was blieb da zu hoffen?

Doch ist es gut, zu ringen bis ans Ziel,

Zu spät wird man von Schiffbruch nie betroffen;

Man kann nur einmal sterben, doch mir deucht,

Im Golfe von Lyon ist es zu feucht.
[92]

40.

Dorthin warf sie der Wind und trieb von dort

Sie wieder ohne Willen durch die Fluten;

Denn wirkungslos war das Commandowort:

Obwohl sie nie bei Nacht und Tage ruhten,

War noch kein Notmast hergestellt an Bord;

Wer wußte, ob das Schiff noch zehn Minuten

Flott bleiben werd' im Kampf der Elemente?

Noch schwamm es, wenn auch nicht wie eine Ente.


41.

Zwar nahm der Wind ein Bischen ab, indessen

Das Fahrzeug stampfte so, es konnte schwerlich

Noch lang so gehn, nach menschlichem Ermessen;

Und eine neue Not war, daß sie spärlich

Zu trinken hatten, auch nur knapp zu essen;

Das oftbenutzte Fernrohr war entbehrlich, –

Kein Segel und kein Ufer war zu schauen,

Nichts als die hohle See und Abendgrauen.


42.

Dann wieder Sturm und wieder Finsterniß,

Und Wasser kam in Vor- und Hinterraum.

Die Mannschaft sah es wohl, es war gewiß;

Doch war sie ruhig; Memmen gab es kaum,

Bis an den Pumpen Kett' und Leder riß, –

Da rollte sie als Wrack im Höllenschaum,

Ein Spiel der Wellen, – die so scherzhaft sind

Wie Menschen, wann ein Bürgerkrieg beginnt.


43.

Jetzt kam der Zimmermann, und Thränen waren

In seinem rauhen Aug'; er sagte nur:

»Es hilft nicht mehr!« – Er war ein Mann von Jahren,

Der lang schon manche wilde See befuhr;

Jetzt weint' er, nicht aus Furcht vor den Gefahren

Rann über sein Gesicht die nasse Spur;

Der arme Kerl, er hatte Weib und Kind,

Zwei Dinge, die kein Trost im Sterben sind.
[93]

44.

Jetzt sank das Schiff zusehends am Gallion,

Und alle Ordnung schwand. Ein Theil der Schar

Gelobte Kerzen ihrem Schutzpatron,

(Wer sie bezahlen sollte, ist nicht klar,)

Und Andre glotzten, Andre ließen schon

Die Boot' ins Wasser; Einer war sogar,

Der Don Pedrillo um Ablaß ersuchte,

Worauf ihn der in seiner Angst verfluchte.


45.

Ein Dritter schnürt sich in sein Hangbett ein,

Ein Vierter zieht sich festlich an, als wolle

Er tanzen, Andre fluchen Gott und schrein

Und raufen knirschend sich das Haar wie Tolle;

Noch Andre lassen alles andre sein

Und setzen Boote aus; denn eine Jolle

Hat manche schwere See schon überstanden,

Nur darf es leewärts nicht zu heftig branden.


46.

Das Schlimmste war, das es nach der Entbehrung

Verschiedner Tage sich so schwer erwies,

Vorrat heraufzuholen, der Ernährung

Und Linderung der Dulderschar verhieß:

Der Mensch, auch wann er stirbt, haßt die Entleerung.

Beschädigt war ihr Vorrat überdies.

Zwei Fässer Zwieback und ein Tönnchen Butter,

War aller Proviant für ihren Kutter.


47.

In die Barkasse stauten sie, von Schaum

Und Salz verdorben, ein'ge Pfunde Brot,

Ein Wasserfaß, zwanzig Gallonen kaum,

Sechs Flaschen Wein; auch holten sie mit Not

Von ihrem Rindfleisch etwas aus dem Raum,

Und eine Speckseit' auch gelangt' ins Boot,

Doch kaum genug für Frühstücksrationen;

Dann war ein Puncheon Rum da, acht Gallonen.
[94]

48.

Die andren beiden Boote hatt' ein Stoß

Der Wellen weggeschlagen vom Verdecke;

Die Not war auch in der Barkasse groß,

Als Segel dient' ihr eine alte Decke,

Als Mast ein Ruder, welches ein Matros

Zum guten Glück herunterwarf vom Hecke;

Und, ach, zwei Boote nahmen kaum ein Drittel

Der Leute auf, geschweige Lebensmittel.


49.

Die Dämmrung kam, der sonnenlose Tag

Versank im Meer, und einem Mantel gleich,

Aus welchem gleich ein Feind hervorschaun mag,

Der lauernd sich vermummt zum Todesstreich,

So schien die Nacht, die über ihnen lag,

Grimmig und finster über Stirnen bleich

Und öder Flut. Zwölf Tage war die Not

Ihr Schiffsgefährt', und nun erschien der Tod.


50.

Sie hatten auch versucht ein Floß zu machen, –

Bei solcher See armsel'ge Sicherheit;

Es war ein Ding, man konnte drüber lachen,

Wenn Lachen möglich wär' in solcher Zeit,

Wofern die Flaschen nicht das Hirn entfachen

Zu einer Art graunhafter Lustigkeit,

Die halb hysterisch ist, halb epileptisch: –

Dies Floß macht' auch die Hoffnungsvollsten skeptisch.


51.

Um neun war alles, Spieren, Holzgezimmer,

Gebälk und Hühnerbauer losgemacht,

Als letzte Chance für den Kampf der Schwimmer;

Denn bis zum Ende kämpften sie die Schlacht.

Am Himmel war nur wenig Sternenschimmer,

Die Boote stießen ab mit ihrer Fracht;

Das Schiff lag schräg und krängt' am Steuerbord

Und ging kopfüber, – sank, mit einem Wort.
[95]

52.

Gen Himmel steigt das schreckliche Ade!

Die Tapfren schweigen und die Memmen schrein;

Und Mancher springt ins Meer, um desto eh'

Tief unten in der Wassergruft zu sein.

Und nun, wie eine Hölle, gähnt die See

Und saugt mit ihrem Strudel alles ein,

Als ob ein Mensch mit einem Feinde föchte

Und ihn, bevor er stürb', erdrosseln möchte.


53.

Ein einz'ger Angstschrei! – lauter als das Brausen

Des lauten Meers, wie eines Donners Knall;

Dann ward es ringsum still, bis auf das Sausen

Des Sturms und mitleidloser Wellen Schwall;

Noch aber hallte durch die Nacht in Pausen

Ein schwächres Kreischen, ein erstickter Schall,

Begleitet von Geplätscher, wie ein Krampf, –

Das war der stärkren Schwimmer Todeskampf.


54.

Die Böte fuhren ab, wie wir vernommen,

Mit einem Theil der Mannschaft, aber schwerlich

War ihre Stimmung weniger beklommen

Als erst an Bord. Es wehte so gefährlich,

Daß wenig Aussicht war, ans Land zu kommen;

Auch war die Zahl zu groß, obwohl so spärlich!

Sie zählten, daß im Boote dreißig waren

Und neun im Kutter, als sie abgefahren.


55.

Der Rest ertrank: zweihundert Seelen ließen

Ihr Fleisch im Stich, – ein Glück, wer reformirt ist:

Wenn ein Papist im Meer liegt, so verfließen

Oft Wochen, eh' ein Meßamt celebrirt ist,

Um Fegefeuerkohlen auszugießen; –

Weil, eh' die Leute wissen, was passirt ist,

Sie für Verstorbne ungern Geld auslegen,

Und Messen doch drei Francs zu kosten pflegen.
[96]

56.

Juan gelangt' ins Boot, und schob sogar

Pedrillo mit hinein, mit viel Geschick;

Es schien, daß beider Amt verwechselt war;

Juan besaß des Muts Magisterblick,

Indeß Pedrillo's armes Augenpaar

Thränen vergoß um seines Herrn Geschick.

Dagegen ging Battista (kürzer Tita)

Verloren durch ein Quantum Aquavita.


57.

Auch sein Bediente Pedro macht' ihm Not

Und fand wie Tita seinen Untergang;

Er trank zu viel, so daß er statt ins Boot

Geradesweges in die Wellen sprang,

Und fand allda den Wein- und Wassertod;

Sie suchten ihn zu retten, – es mißlang,

Weil von Minute zu Minute toller

Die Dünung ward, und die Barkasse voller.


58.

Ein kleiner alter Pudel, (einst Don Jose's,

Der folglich für Juan ein Kleinod war,

Denn aus dem Kleinen macht Erinnrung Großes)

Stand heulend an dem Schiffsrand. Offenbar

(Denn eine Hundenas' ist was Famoses)

War ihm der Untergang des Schiffes klar;

So griff Juan ihn auf, warf ihn hinein

In die Barkass' und sprang dann hinterdrein.


59.

Auch stopft' er so viel Geld, wie gehen wollte,

Zu sich, und Don Pedrillo's Geld dazu,

Der, selbst nicht wissend, was er machen sollte,

Ihn machen ließ; denn seine Angst nahm zu

Mit jeder See, die ihm entgegenrollte;

Juan dagegen dacht', auf Sturm folgt Ruh',

Und mutig trotz der Schicksalshudelein

Schifft' er den Lehrer sammt dem Pudel ein.
[97]

60.

Die Nacht war rauh, – es wehte steif aus West;

Zwischen den Wellen hing das Segel schlicht,

Und auf dem Kamm war es zu voll gepreßt;

Es einzuziehn getrauten sie sich nicht.

Die See brach ein, und hielt sie ganz durchnäßt

Und machte Schöpfen ohne Rast zur Pflicht;

Zu Wasser ward ihr Zeug und auch ihr Hoffen, –

Der arme kleine Kutter ist ersoffen.


61.

Neun Seelen mehr! Die Leut' im Boote halten

Sich über Wasser mit dem Rudermaste

Und mit den Laken, die als Segel galten,

Obwohl das Zeug zum Segeln wenig paßte.

Der neue Schrecken übertraf den alten,

Tod drohte jede See, die sie erfaßte;

Dennoch beklagten sie die Leut' im Kutter

Und auch die Zwiebacksfässer und die Butter.


62.

Aufging die Sonn' in feuerrotem Schein

Und zeigte an, es werde stürmisch bleiben;

Vorläufig mußten sie zufrieden sein,

Bis Bessrung komme, vor der See zu treiben;

Man gab dem Volk Theelöffel Rum und Wein,

(Denn Viele wurden matt) nebst ein'gen Laiben

Verdorbnen Brots; das Brot war ganz durchnetzt,

Und ihre Kleider waren meist zerfetzt.


63.

Im engen Raume waren's dreißig Mann;

Platz zur Bewegung war nicht viel gegeben,

Indessen hielt man sich, so gut man kann.

Die Hälft', obwohl vor Frost fast ohne Leben,

Saß auf, die andre Hälfte lag alsdann;

So Wach' um Wache, fröstelnd wie das Beben

Des Wechselfiebers, saß dies halbe Schock,

Nur mit dem Himmelszelt als Ueberrock.
[98]

64.

Der Wunsch zu leben macht das Leben fester,

Ein jeder Arzt bestätigt diese Lehre:

Ein Kranker ohne Hauskreuz ist sein Bester,

Der übersteht das Schlimmst' und macht ihm Ehre,

Bloß weil er hofft und weil die Schicksalschwester

Ihm nicht im Traum erscheint mit ihrer Schere.

Verzweiflung ist es, die das Leben schädigt

Und Menschennot bedenklich rasch erledigt.


65.

Ein Mensch, der eine Jahresrente zieht,

Lebt ungewöhnlich lang, Gott weiß warum,

Vielleicht, daß es zu unsrem Tort geschieht;

Ich kenne Kerle, die bringt gar nichts um.

Die Juden geben uns sehr gern Credit

Auf dieser Art, und Juden sind nicht dumm:

Sie borgten mir in jungen Jahren viel,

Was zu bezahlen mir recht lästig fiel.


66.

So machen's auch die Leut' in offnen Böten;

Sie leben von dem Trieb zu leben, tragen

Mehr, als man glaubt, und lassen sich nicht tödten

Und stehn wie Felsen wider Sturm und Plagen.

Des Seemans Loos war immer reich an Nöten,

Seit Noah's Arche ward durchs Meer verschlagen;

Sie hatte so curioses Volk und Cargo

Wie Hellas erstes Kaperschiff, die »Argo«.


67.

Indeß verliere man nicht aus den Augen,

Der Mensch zählt zu den carnivoren Thieren,

Und will nicht bloß, wie eine Schnepfe, saugen,

Nein, seinen Fraß, wie Wolf und Hai den ihren.

Sein Organismus mag für Pflanzen taugen,

Doch wird er sie nur knurrend toleriren,

Bei schwerer Arbeit findet jeder Esser

Rind-, Kalb- und Hammelfleisch bei weitem besser.
[99]

68.

So war es auch mit unsern Duldern wieder.

Der dritte Tag war still, die Luft war lau

Und lullt' in Schlaf die müden Augenlider,

Wie eine Schildkröt' auf dem Meeresblau.

Wie Balsam war es für die wunden Glieder;

Doch beim Erwachen fühlten sie so flau,

Daß sie wie Raben auf den Vorrat stürzten,

Statt daß sie klug die Rationen kürzten.


69.

Die Folge war, wie zu erwarten stand:

Sie aßen, und sie tranken ihren Wein,

Den ganzen Rest, – da half kein Widerstand.

Was wird nun morgen ihre Mahlzeit sein?

Sie hofften, daß der Wind sie wohl an Land

Wehn werd', – es war ein süßer Hoffnungsschein,

Da sie indeß ein Ruder nur besaßen,

So war es klüger, wenn sie wen'ger aßen.


70.

Der vierte Tag kam – ohne Wind; das Meer

Schlief wie ein Säugling, den die Mutter stillt;

Der fünfte Tag, – das Boot trieb hin und her,

Himmel und See war blau und klar und mild –

Mit einem Ruder (wenn's noch doppelt wär'!)

Was war zu thun? und Hunger wurde wild:

So ward der Hund Juans trotz seiner Bitten

Getödtet und servirt in magern Schnitten.


71.

Am sechsten Tag verzehrten sie die Haut;

Juan verschmäht' im Anfang seine Quote,

Ihm schien das Thier vom Vater anvertraut;

Doch als der Hungergeier grimm'ger drohte,

Nahm er, wovor er Anfangs sich gegraut,

Als große Gunst die eine Vorderpfote;

Er gab sie halb Pedrillo, der's verzehrte

Und dann auch nach der anderen begehrte.
[100]

72.

Der siebte Tag, – kein Wind! der Sonnenbrand

Verdörrt' und briet; sie lagen wie die Leichen

Verfaulend auf der See, die Hoffnung schwand,

Der Wind blieb aus, und drohend sahn die Bleichen

Einander an; – verzehrt der Proviant,

Wasser und Wein und Brot, – man sah die Zeichen

Der Gier des Kannibalen deutlich schon,

Wenn auch noch stumm, im wölf'schen Auge drohn.


73.

Jetzt raunt' es Einer in des Nachbarn Ohr,

Der in das Ohr des Dritten und so fort,

Und ein Gemurmel ward, ein dumpfer Chor,

Verzweifelt, wild, unheimlich wie ein Mord;

Und jedem, der es hörte, kam es vor,

Als komme sein geheimer Wunsch zu Wort;

Und Alle heischten Loos' um Tod und Leben,

Wer sterben soll' und ihnen Speise geben.


74.

Doch, eh' es dazu kam, vertheilte man

Die Ledermützen und den Rest von Schuhn;

Dann blickten sie umher, – ihr Blut gerann, –

Und keiner wollte Opfer sein. Und nun

Fing man die Loose zu zerreißen an,

Aus einem Stoff, – es wird euch wehe thun, –

Man nahm, indem man kein Papier besaß,

Gewaltsam jenes Schreiben Julia's.


75.

Man merkt und mischt die Loos' und theilt sie aus

In stummem Schauder, und es schlummert jetzt

Sogar der Hunger, der zu diesem Graus,

Wie der Prometheusgeier, sie gehetzt.

Kein Einzelner erfand und sann es aus;

Natur entrang es ihrer Qual zuletzt;

Neutral zu bleiben war hier nicht erlaubt;

So fiel das Loos denn auf Pedrillo's Haupt.
[101]

76.

Er bat um nichts als ruhig zu verbluten;

Der Arzt war da und that, wie er begehrte,

Und leis' erloschen seine Lebensgluten,

Man merkte kaum, wie sich ihr Rest verzehrte.

Er starb als Katholik, wie zu vermuten,

Gewöhnlich glaubt der Mensch, was man ihn lehrte;

Er küßt' ein kleines Crucifix und dann

Bot er dem Wundarzt Arm und Gurgel an.


77.

Der Wundarzt hatt', anstatt sein Honorar,

Die Wahl des besten Stücks; indeß der Bader

Nahm lieber, da er äußerst durstig war,

Den Trunk im vollen raschen Strom der Ader;

Den Leib vertheilte unter sich die Schar,

Das Innre ward die Mahlzeit und der Hader

Der Haie, die dem Boot schon lange nahten;

Die Mannschaft aß den Rest des Licenciaten.


78.

Die Mannschaft aß ihn, außer drei bis vier

Auf Fleischkost weniger erpichte Leute;

Zu diesen kam Juan; er, der ein Thier,

Den Pudel mein' ich, sich zu essen scheute,

Empfand jetzt schwerlich größre Eßbegier;

Man konnte nicht erwarten, daß er heute

Trotz aller Not und nagenden Beschwerde

Den eignen Freund und Lehrer speisen werde.


79.

Auf jeden Fall traf er die bessre Wahl,

Denn furchtbar rächte sich das Menschenblut;

Die meisten wurden, die geschwelgt beim Mahl,

Tobsüchtig toll! – Wie brüllten sie vor Wut

Und schäumten, wälzten sich in wilder Qual

Und tranken salz'ge See wie Alpenflut!

Knirschend und heulend, wie Hyänen kreischend

Und lachend starben sie, sich selbst zerfleischend.
[102]

80.

Vorfälle, die den Haufen dünner machten!

Dünn freilich war der Haufen ohnehin,

Und ein'ge waren, die schon nichts mehr dachten,

In solchen Lagen ist das ein Gewinn;

Und Andre sannen auf ein zweites Schlachten;

Sie schlugen sich die Warnung aus dem Sinn,

Den Tod der Andern, die in Wahnsinn endeten,

Weil sie den Appetit so schlecht verwendeten.


81.

Sie hatten schon den Steuermann erlesen,

Der fett war; doch entging er der Gefahr;

Theils wär' die Sach' ihm selbst nicht lieb gewesen,

Theils lagen andre Gründe vor, und zwar

Zunächst ein Leiden, das noch nicht genesen,

Und zweitens, was für ihn entscheidend war,

Er hatt' aus Cadiz etwas mitgenommen,

Was er von Damen zum Geschenk bekommen.


82.

Der Rest Pedrillo, der noch übrig blieb,

Ward sparsam aufgebraucht; der letzte Schrecken

Hielt sie im Zaum und bändigt' ihren Trieb,

Und selten wollt' ein Bissen ihnen schmecken;

Juan allein enthielt sich aus Princip;

Er kaut' ein Bleistück und 'nen Bambusstecken.

Zuletzt gelang's zwei Kraniche zu haschen,

Und niemand mochte mehr vom Todten naschen.


83.

Wem diese Scenen zu entsetzlich schienen,

Der möge Ugolino nicht vergessen,

Wie er am Schluß der höflichsten Terzinen

Sich anschickt seines Freundes Kopf zu fressen:

Wenn in der Hölle Feind' als Nahrung dienen,

So darf man auf der See wohl Freunde essen,

Wenn's aus ist mit dem Schiffbruch-Proviante, –

Man wird dadurch nicht gräßlicher als Dante.
[103]

84.

Denselben Abend fiel ein Schauer Regen,

Wonach sie lechzten wie im Sonnenbrand

Geborstnes Erdreich: Not erst lehrt den Segen

Des guten Wassers. Wer im Morgenland

Und Spanien war und wer zu Bett gelegen

In offnem Boot ohn' allen Proviant,

Wer in der Wüste Karawanenschellen

Vernimmt, der liebt den Sitz der Wahrheit, – Quellen.


85.

In Strömen kam's, doch war es nicht genug,

Bis sie ein Stückchen Leinewand gefunden,

Das ihnen diente wie ein schwamm'ger Krug,

Und wenn es voll war, ward es ausgewunden;

Wahrscheinlich würde einem Knecht am Pflug

Ein volles Maß Braunbier weit besser munden;

Doch ihnen war's, als seien sie der Lust

Des Trinkens sich zum ersten Mal bewußt.


86.

Die dürre Lippe mit zersprungner Wunde

Sog dieses Wasser ein wie Nektarfluß;

Die schwarze Zung' im ofenheißen Munde

Glich der des Reichen, der den Lazarus

Umsonst um Wasser bat im Höllenschlunde,

Als jeder Tropfen Thaus wie Vorgenuß

Des Himmels war; – wenn's wahr ist, dann auf Ehre,

Glaubt mancher Christ an eine heitre Lehre.


87.

Zwei Väter waren in dem Hungerboot

Mit zweien Söhnen; Einer stark und zähe

Von Aussehn, – der erlag gar bald der Not.

Sie kündigten, daß es zu Ende gehe,

Dem Vater an; der sah des Sohnes Tod

Und sagte: »Was der Himmel will, geschehe;

Ich kann nichts thun,« und sah ihn über Bord

Ins Wasser werfen ohne Thrän' und Wort.
[104]

88.

Des andern Vaters Kind war zart und weich,

Mit sanfter Wang' und feinem Angesicht;

Jedoch der Knabe that es Männern gleich

Mit milder, fester Kraft; viel sprach er nicht,

Und lächelte bisweilen still und bleich,

Als such' er wegzuschmeicheln das Gewicht,

Das seines Vaters Herz, ach, mit dem herben

Und bangen Wort erdrückte: er muß sterben.


89.

Sein Vater, bei ihm knieend, wandte nimmer

Die Augen von ihm ab und wusch den Schaum

Von seiner bleichen Lipp' und wachte immer,

Und als der Regen endlich kam, und kaum

Im halb verglasten Aug' ein heller Schimmer

Aufleuchtete wie flücht'ger Freudentraum,

Da preßt' er aus 'nem Tuch die Flut des Lebens

In seines Kindes Mund, – jedoch vergebens.


90.

Er starb, – der Vater hielt die Leich' umfaßt

Und schaut' ihr ins Gesicht, und als die Hand

Des Todes deutlich kam und starr die Last

An seinem Herzen lag und Hoffnung schwand,

Bewacht' er sie, bis sie die letzte Rast

Versinkend in den rauhen Wellen fand;

Dann sank auch er betäubt und fröstelnd nieder,

Reglos bis auf das Zittern seiner Glieder.


91.

Jetzt brach ein Regenbogen durch das Grau

Und überwölkte hell das dunkle Meer,

Der bunte Fuß gestützt auf zitternd Blau,

Und in der Wölbung schien des Lichtes mehr

Als draußen, und er wallt' am Wolkenbau

Schwellend und breit wie ein Panier daher,

Und schwankend, wie ein Bogen, den man spannt, –

Bis er dem dunklen Dulderblick entschwand.
[105]

92.

Das himmlische Chamäleon muß fliehn,

Das luft'ge Kind der Sonn' und feuchten Thaus,

Gewiegt in Purpurwindeln und Karmin,

Getauft in Gold, verbrämt von Wolkengraus,

Hell wie ein Mond auf türk'schem Baldachin:

Die Farben all in eins, – er nimmt sich aus,

Wie sich ein blau und braunes Auge ansieht

(Weil man nicht immer Boxerhandschuh' anzieht.)


93.

Die Aermsten glaubten, daß dies Glück bedeute, –

Ein Glaube, der mitunter nützen kann;

Er war in Rom gebräuchlich, und auch heute

Wirkt er noch vortheilhaft, zum Beispiel dann,

Wann einer mutlos wird: – na, unsre Leute

Bedurften mehr des Muts als mancher Mann;

So war die Iris denn, die sich erhob,

Hoffnung, ein himmlisches Kaleidoscop.


94.

Ein schöner Vogel flog in diesen Tagen,

Schwimmfüßig, taubenähnlich von Gefieder,

Als wär' auch er auf seiner Bahn verschlagen,

Vor ihren Augen häufig hin und wieder;

Er sah die Menschen, die im Boote lagen,

Und flatterte gleichwohl ganz nah hernieder

Und kam und ging und streifte das Gewässer

Bis in die Nacht, – dies Omen schien noch besser.


95.

Der Vogel freilich unterließ zu rasten,

Und besser war es auch dies nicht zu thun;

Die Taue der verschlagnen Barke paßten

Viel schlechter als ein Kirchendach zum Ruhn,

Und wäre selbst die Taub' aus Noah's Kasten,

Von ihrer Hoffnungsfahrt heimkehrend, nun

In dieses Boot gerathen, jeden Falles

Hätte man sie verspeist, Oelzweig und alles.
[106]

96.

Am Abend fing es mäßig an zu wehn,

Das Boot trieb fort, die Sterne schienen klar;

Sie ließen alles, wie es wollte, gehn,

Sie wußten nicht, woran und wo man war;

Und Ein'ge phantasirten Land zu sehn,

Getäuscht von Nebeln, – Andre hörten gar

Die Brandung schon, und einmal war es Allen,

Als hörten sie Kanonenschüsse fallen.


97.

Mit Morgendämmern war der Wind vorbei,

Da plötzlich schrie der Mann, der Wache stand,

Wenn das nicht Land im Sonnenlichte sei,

Dann woll' er selber niemals mehr an Land.

Und jeder rieb die Augen, – eine Bai

War's oder schien's, – sie hielten auf den Strand;

Denn wirklich war es Strand, und nah und näher,

Deutlich und hoch, erkannten ihn die Späher.


98.

Und Ein'ge brachen nun in Thränen aus,

Und Andre beteten – zum ersten Mal,

Und Andre schauten stier und stumpf hinaus;

Sie konnten noch nicht trennen Trost und Qual,

Oder sie machten sich nichts mehr daraus;

Und Ein'ge lagen schlafend, drei an Zahl;

Man schüttelte und gab sich viele Not

Sie aufzuwecken, aber fand sie todt.


99.

Man fand am Tag zuvor ein Schildkrötlein,

Fest eingeschlafen auf der Flut, und brachte

Still gleitend diese Beute glücklich ein,

Was vierundzwanzig Stunden Leben machte.

Auch Nahrung für die Seelen mocht' es sein,

Weil es den Mut im Herzen neu entfachte;

Sie meinten, mehr als Zufall hab' es ihnen

Gesandt, um ihrer Rettung mitzudienen.
[107]

100.

Die Küste, welche hoch und felsig ragte,

Stieg immer höher auf, als sie zum Strand

Die Strömung näher trieb, und jeder plagte

Mutmaßend sich, denn keinem war bekannt,

Zu welchem Erdtheil sie ihr Schicksal jagte,

So launisch hatte sich der Wind gewandt.

Die Einen sahn den Aetna, Andre kamen

Auf Rhodus, Cypern und noch manche Namen.


101.

Strömung und Briefe kamen jetzt zu Statten;

Sie trieben zum willkommnen Ufer hin,

Wie Charons Kahn mit leblos bleichen Schatten;

Lebend'ge waren jetzt noch vier darin

Und Todte drei, – weil sie die Kraft nicht hatten

Sie über Bord zu heben, wie vorhin;

Obwohl die Haie noch sich nahe hielten

Und sie bespritzten, wann sie plätschernd spielten.


102.

Sie hatte Furcht, Durst, Hunger, Frost und Brand

Zu solchen Wesen ausgedörrt, – es hätte

Die Mutter nicht den eignen Sohn erkannt

In dieser Schar vertrockneter Skelette.

Bei Nacht erfrierend und am Tag verbrannt,

So starben sie und ruhn im Wogenbette,

Durch Selbstmord ein'ge auch gewissermaßen,

Weil sie mit Seesalz Don Pedrillo aßen.


103.

Und als sie das Gestade näher hatten,

Das ungleich schien in mannichfacher Schau,

Da kam der frische Hauch der grünen Matten

Und Waldeswipfel wie ein kühler Thau

Und schirmt' ihr heißes Auge wie ein Schatten

Vor Wogenblitz und grellem Himmelblau, –

Lieblich schien alles, was hinweg sie riefe

Von wüster, salz'ger, düstrer, ew'ger Tiefe.
[108]

104.

Wild schien der Strand und ohne Dorf und Port,

Und rings umrauscht von schrecklichem Gewog,

Sie aber, toll auf Land, sie fuhren fort,

Obwohl die Brandung quer den Cours durchzog.

Und jetzt enthüllte noch ein Riff sich dort,

Die Strudel kochten und der Sprühschaum flog;

Indeß, kein Platz zum Landen war ringsum,

So jagten sie drauf los und – schlugen um.


105.

Juan indeß hatt' im Guadalquivir

Die jungen Glieder badend oft gesonnt,

Und hatt' im heimatlichen Stromrevier

Im Schwimmen sich geübt, bis er's gekonnt.

Kaum einen bessern Schwimmer fandet ihr;

Vielleicht durchschwämm' er gar den Hellespont,

Wie einst (ein Ruhm, der seines Gleichen nicht hat,)

Leander, Leutnant Ekenhead und ich that.


106.

So trotzte denn der Knab' in dieser Bai,

Obwohl erschöpft und steif, dem wilden Bade;

Er strebt an's Ufer, eh' es dunkel sei,

Das vor ihm lag, ein trocknes Felsgestade.

Die Hauptgefahr bestand in einem Hai,

Der seinen Nachbar fortnahm bei der Wade;

Die andern Beiden schwammen nicht, daher

Gelangte niemand an das Land als er.


107.

Er hatt' es nur dem Ruder zu verdanken,

Das ihm zum Glück die See entgegenspülte,

Gerad' als seine Arm' ermattet sanken

Und er vom Wogensturz erdrückt sich fühlte;

Er griff's, – das Wasser peischte seine Flanken,

Als er die Nägel tief ins Ruder wühlte;

Am Ende schwimmend, watend, strauchelnd kam

Er auf den Strand gerollt, halbtodt und lahm,
[109]

108.

Und grub die Fäuste keuchend in den Sand,

Damit nicht die zurückgekehrte Welle,

Aus deren Rachen er sich kaum entwand,

Ihn wieder aufsaug' und am Riff zerschelle;

Wo sie ihn hinwarf lag er platt am Strand

Am Eingang einer felsgehöhlten Zelle,

Mit so viel Leben noch, um sich des Lebens

Qualvoll bewußt zu sein, – vielleicht vergebens.


109.

Taumelnd erhob er sich, langsam und schwer,

Und sank zurück auf sein blutrünstig Knie

Und matte Hand. Er schaute nach dem Meer, –

Die Schiffsgenossen, ach, wo waren sie?

Da war kein Leidgefährte rings umher,

Ein Leichnam bloß, von jenen dreien, die

Vorgestern starben; dieser fand im Bette

Des fremden Sands die letzte Ruhestätte.


110.

Er späht, – da dreht sein Hirn sich wirbelhaft;

Er fällt, und wie er hinfällt, schwingt der Strand

Sich um und um, – und jeder Sinn erschlafft.

Er fällt zur Seit' und triefend senkt die Hand

Sich ausgestreckt auf jenen Ruderschaft.

Wie eine welke Lilie liegt im Sand

Sein schlanker Leib und blasses Angesicht, –

Ein schönres Werk aus Erde gab es nicht.


111.

Wie lang er so in dumpfer Ohnmacht lag,

Er wußt' es nicht; die Erde war verschwunden,

Sein blindes Auge sah nicht Nacht und Tag

Für sein erstarrtes Blut gab's keine Stunden, –

Bis schmerzhaft jedes Glied und jeder Schlag

Der Puls' und stechendes Gefühl der Wunden

Ins Leben sich zurückpocht, wie im Krampfe;

Der Tod entwich, doch erst nach hartem Kampfe.
[110]

112.

Abwechselnd blickt er, schließt sein Aug' und blickt;

Denn alles war noch Traum und Nacht; er dachte,

Er sei im Boot und habe bloß genickt,

Und daß er nun zu neuer Qual erwachte,

Und wünscht', es wäre Tod, was ihn erquickt.

Und dann, als das Bewußtsein kam, da lachte

Vor seinen Augen, dunkel wie sie waren,

Ein holder Mädchenkopf von siebzehn Jahren.


113.

Ihr Mündchen neigte sich zu ihm gewandt,

Als ob es seines Mundes Hauch erspüre,

Und streichelnd rief der Jugend warme Hand

Die Lebensgeister von des Todes Thüre,

Und wusch die kalte Stirn und hielt umspannt

Den Puls, damit sie ihn zum Leben schüre,

Und ihrem weichen Druck und sanftem Pflegen

Kam eines Seufzers leiser Dank entgegen.


114.

Ihr Mantel deckt die kaum verhüllten Glieder,

Sie sprengt Essenzen, und mit weißen Armen

Hebt sie sein Haupt, und kraftlos hängt es nieder;

Sie stützt die blasse Stirn an ihrer warmen,

Durchsicht'gen Wang' und drückt den Schaum dann wieder

Aus seinen nassen Locken, voll Erbarmen,

Und lauscht auf jeden Herzschlag, dem ein Hauch

Aus seiner Brust nachseuzft, – aus ihrer auch.


115.

Und sacht zur Grotte trugen ihn die Frauen,

Die Hold' und ihre Zofe – von Gesicht

Jung, aber älter, minder ernste Brauen

Und kräftiger gebaut; – sie säumten nicht

Und fingen an ein Feuer aufzubauen;

Die neue Flamme gab den Felsen Licht,

Und unsre Jungfrau, oder was sie immer

Sein mag, stand hoch und schön im hellen Schimmer.
[111]

116.

Die Stirn' ist überhängt mit goldnen Stücken;

Die funkeln im kastanienbraunen Haar,

Dem vollen Haar, das niederfällt im Rücken,

Gestrählt zu Zöpfen, und dies Zöpfepaar,

Obwohl das Mädchen groß ist, das sie schmücken,

Reicht bis zur Ferse fast; und etwas war

In ihrer Art, gebietend, sicher, frei,

Als ob sie Herrin in dem Lande sei.


117.

Das Haar war braun, die Augen aber schienen

Schwarz wie der Tod, und drüber schwarz und lang

Die Wimpern, seidne Schatten, und in ihnen

Lag tiefster Reiz; und triumphirend drang

Der Blick durch seine dunklen Sammtgardinen,

Mächt'ger als je ein Pfeil vom Bogen sprang;

Es war, als ob die Schlang' in voller Länge,

Ganz Gift und Macht, auf ihre Beute spränge.


118.

Die Stirn war weiß und klein, die Wangen rein

Wie Zwielicht, eh' sein Rosenglanz entflieht;

Kurz Oberlippchen, – süße Lippen! nein,

Der Mann muß ewig seufzen, der sie sieht!

Sie konnt' ein Vorbild für Bildhauer sein,

(Die doch nur pfuschen, ohne Unterschied, –

Ich kenne schön're Fraun von Fleisch und Blut

Als all ihr ideales Töpfergut.)


119.

Ich meine, was ich sage, ganz genau;

Ich schimpfe nie, daß ich den Grund nicht wüßte:

In Irland gab es eine schöne Frau,

Die oft Modell saß, aber ihrer Büste

Geschah noch nie ihr Recht, – wenn sie dem Grau

Und Runzeln der Natur erliegen müßte,

Dann welkt' ein Antlitz, wie es nie Poeten

Erträumen oder gar Bildhauer kneten.
[112]

120.

Und so war sie, die Grottenjungfrau, auch;

Ihr Anzug würd' in Spanien nicht bestehn,

Einfach, doch bunter als es dort Gebrauch,

Wo Damen nie in hellen Farben gehn;

Obwohl, wenn um sie her im Windeshauch

Mantilla und Basquina dunkel wehn,

(Die Mode, hoffentlich, geht niemals unter,)

Dann sehn sie reizend aus, mystisch und munter.


121.

Man sah, daß hier ganz andere Moden galten,

Vielfarbig war die Tracht, die Stoffe fein;

Die Locke flog, von keinem Kamm gehalten,

Doch sah man Perlen drin und goldnen Schein;

Ihr Gürtel blitzt', und reichste Spitzen wallten

In ihrem Schleier, und manch edler Stein

Glüht' an der Hand; – eins aber war zum Rümpfen:

Ihr Schneefuß stak in Schuhn, doch nicht in Strümpfen.


122.

Das andre Mädchen trug sich ziemlich gleich,

Doch sah man, daß der Stoff geringer sei;

Der Schmuck in ihrem Haar war minder reich,

Von Silber (und ihr Brautschatz nebenbei;)

Ihr Schleier, gleich an Schnitt, war nicht so weich,

Und ihr Benehmen fest, doch minder frei;

Ihr Haar war nicht so lang, dagegen dicker,

Ihr Auge ganz so schwarz, nur kleiner, quicker.


123.

Die beiden weihten ihm nun Pfleg' und Mühe

Mit Wärm' und Speis', – ein reizendes Talent,

Von dem man sagt, daß es nur weiblich blühe,

Das tausend kleine süße Künste kennt;

Sie kochten eine capitale Brühe,

Ein Ding, das selten nur die Muse nennt,

Doch bessre Speise gab es nie für Männer,

Seitdem Achill Fleisch aß, der mut'ge Renner.
[113]

124.

Ich meld' euch, wer sie waren, diese Zwei,

Sonst denkt ihr an verkleidete Prinzessen;

Auch hass' ich die Geheimnißkrämerei,

Von der die neusten Dichter sind besessen.

Daß eine Herrin, eine Zofe sei,

Habt ihr wahrscheinlich selbst bereits ermessen.

Der Vater jener war ein alter Mann,

Der seinen Unterhalt zur See gewann.


125.

In seiner Jugend war sein Handwerk Fischen;

Auch jetzt noch trieb er etwas Fischerei,

Mit diesem Leben pflegten sich inzwischen

Noch andere Geschäfte, (zwei bis drei,

Die minder ehrbar waren,) zu vermischen;

Ein bischen Seeraub, etwas Schmuggelei

Macht' ihn zum Herren einer, ach, durch Laster

Erworbnen runden Million Piaster.


126.

Er war ein Fischer, – freilich nur nach Seelen,

Wie Petrus der Apostel; denn er fischte

Nach Handelsschiffen lieber als Makrelen.

Die Wagenladungen, die er erwischte,

Die zog er ein, und pflegte nie zu fehlen

Auf größren Sklavenmärkten, sondern tischte

Den Türken manchen leckern Bissen auf;

(Ich glaub', es ist ein lohnender Verkauf.)


127.

Er war ein Griech' und hatt' auf seinem Riffe

(Auf einer von den wildesten Cycladen)

Ein hübsches Haus, die Frucht gestohlner Schiffe,

Und lebte wie ein Fürst von Gottes Gnaden.

Er war ein alter Schelm voll böser Kniffe,

Mit Gott weiß wie viel Geld und Blut beladen,

Indeß sein Haus war groß und voll Verzierung,

Barbar'schen Schnitzwerks, Goldes und Lackirung.
[114]

128.

Er hatt' ein einzig Kind, das hieß Haidi,

Die reichste Inselerbin der Levante,

Dabei so schön, daß nach der Mitgift nie

Gefragt ward, wenn man erst ihr Lächeln kannte.

Siebzehn, wie eine Palme, reifte sie

Zur Weiblichkeit, und hin und wieder sandte

Sie einen Freier heim, um sich bei Zeiten

Auf einen besseren vorzubereiten.


129.

Sie ging spazieren vor dem Abendrot

Am Klippensaum, – so ward Juan gefunden,

Bewußtlos, todt nicht, doch beinahe todt,

Und fast verhungert und gar arg geschunden;

Zwar daß er nackt war, macht' ihr ein'ge Not,

Doch hielt sie sich durch Menschenpflicht verbunden,

Ihn zu verpflegen mit dem größten Fleiß, –

Er war so hülflos und die Haut so weiß.


130.

Ihn mitzunehmen in ihr Vaterhaus,

War nicht die beste Art, um ihm zu dienen;

Das wär', als brächte man zur Katz' die Maus

Und grübe Leute ein, die todt nur schienen.

Der wackre Alte war ein feiner Kauz;

Ungleich den braven diebischen Beduinen,

Würd' er mit aller Gastfreundschaft den Knaben

Curirt und nach der Cur verschachert haben.


131.

Der Zofe schien es, daß es besser paßte,

(Was Zofe riet, hat Fräulein stets gethan,)

Wenn er zunächst in dieser Grotte raste;

Und als sie seine schwarzen Augen sahn,

Da stieg ihr Mitgefühl mit ihrem Gaste,

Die Nächstenliebe wuchs so riesig an,

Als ob es schon direct zum Himmel geh',

Denn Lieb' ist dort, wie Paulus sagt, Entrée.
[115]

132.

Sie machten Feuer an, – ein Feuer, wie

Es aus dem Stegreif eben wollte glücken,

Mit Brennholz, das die See ans Ufer spie,

Zerbrochnen Planken oder Ruderstücken,

Wie zunder morsch, – so lange lagen sie;

Mastbäume waren eingeschrumpft zu Krücken;

Doch Schiffe strandeten Gottlob so fleißig,

Daß reichlich Feuerung da war für dreißig.


133.

Er hatt' ein Lager, weich von Zobelrauch,

Den Haidi hergab, um sein Bett zu machen;

Und daß er ja vor jedem Windeshauch

Gesichert lieg' und ruhig beim Erwachen,

So gab Haidi und ihre Zofe auch

Noch einen Unterrock; und sie versprachen

Ihm einen Frühbesuch beim Morgenrot

Mit Frühstück, – Eier, Kaffee, Fisch und Brot.


134.

So ließen sie ihn liegen, wo er schlief,

Fest wie ein Seehund, oder wie die Todten,

Die endlich schlafen, – Gott nur weiß wie tief.

Und keine bangen Visionen drohten

Dem müden Haupt, kein finstres Traumbild rief

Die Qual zurück, der er die Stirn geboten;

Oft zeigt der Traum uns Dinge, die vergangen,

Bis man getäuscht erwacht mit nassen Wangen.


135.

Juan schlief traumlos, und am Felsenloch

Sah sie, die seinen Pfühl glatt strich, sich um,

Und blickt' auf ihn und stand ein Weilchen noch;

Sie meint', er rufe sie. Er ruhte stumm,

Sie aber glaubte oder sagte doch,

(Das Her ist wie die Zunge manchmal dumm,)

Daß er so eben ihren Namen nannte;

Denn sie vergaß, daß er den noch nicht kannte.
[116]

136.

Nachdenklich ging sie heim vom Meeresstrand

Und warnte Zoe, daß sie schweigsam sei;

Und Zoe merkte, wie die Sache stand,

Sie war ja ein Jahr weiser oder zwei;

Zwei Jahr' sind zehn, wenn richtig angewandt,

Und Zoe lernt' in diesen mancherlei

Brauchbare Kenntniss', in dem guten alten

Gymnasium der Natur, wie Fraun es halten.


137.

Die Morgenstunden kamen, aber trafen

Ihn schlummernd noch in seinem Felsgemach;

Kein junger Sonnenstrahl stört' ihn im Hafen

Der dunklen Kluft, und der geschwätz'ge Bach

Erweckt' ihn nicht; er mochte satt sich schlafen,

Und Schlafs bedurft' er noch, denn keiner, ach,

Litt mehr, – Drangsale, ohne Uebertreibung,

Wie die in meines Großpapa's »Beschreibung«.


138.

Nicht so Haidi; wie eine schwer Erkrankte

Warf sie sich hin und her und träumt' hernach

Von tausend Wracken, über die sie wankte,

Und hübschen Leichen unterm Grottendach,

Und weckte Zoe, so daß Zoe zankte,

Und rief des Vaters alte Sklaven wach,

Die über solche Einfäll' in verruchten

Armenisch-türkisch-griech'schen Phrasen fluchten.


139.

Indeß sie zwang die ärmsten aufzustehn;

Sie schützte vor, daß ja der Sonne Pracht

Am schönsten sei beim Auf- und Untergehen;

Und freilich ist es schön, wenn Phöbus Macht

Aufblitzt, und um die nassen Berge wehn

Die Nebel, und der Vögel Chor erwacht,

Die Nacht wird abgestreift, wie Trauerkleider

Um Gatten – oder sonst'ge Spielverleider.
[117]

140.

Die Sonne, sag' ich, ist ein Bild der Pracht:

Ich sah sie häufig aufgehn, und bisweilen

Hab' ich expreß die Nächte durchgewacht;

Dies werde, sagt mein Arzt, den Tod beeilen.

Darum beginnt den Tag gleich nach der Nacht;

Das wird den Beutel und die Nerven heilen,

Und sterbt ihr dann mit achtzig, schreiben wir

Auf euren Sarg: der Mann stand auf um vier!


141.

Haidi begegnete der Morgenglut

Mit frischrem Glühn, – ein Fieberhauch erhöhte

Der Waagen Purpur, wo des Herzens Blut

Im jähen Lauf stillstand als tiefe Röte,

Gleich einem Gießbach, dessen Alpenflut,

Als ob ein Felsdamm plötzlich Halt geböte,

Zu einem See gerinnt und strudelnd droht;

Dem roten Meer gleich, – doch das ist nicht rot.


142.

Und sieh, die Inseljungfrau naht der Zelle,

Mit leichtem Stritte steigt sie von der Klippe;

Der Tag grüßt sie mit seiner ersten Helle,

Aurora küßt sie thauig auf die Lippe,

Als ob sie Schwestern sei'n; an ihrer Stelle

Dächt' ich es auch; sie schienen gleicher Sippe;

Obwohl die holde Sterbliche allein

Den Vortheil hatte, nicht von Luft zu sein.


143.

Und als sie eintrat, schüchtern, doch voll Hast,

Sah sie Juan süß schlummern wie ein Kind;

Da stand sie stille wie von Graun erfaßt,

(Denn Schlaf ist heilig,) aber dann geschwind

Schlich sie auf leisen Zeh'n zu ihrem Gast

Und hüllt' ihn warm ein vor dem Morgenwind;

Dann beugte sie sich todesstill und trank

Sein Atmen, das sich leise hob und sank.
[118]

144.

So beugt ein Engel sich in ernster Feier,

Wann der Gerechte stirbt, und wie im Grabe,

So friedlich wie umher der Dämmrung Schleier,

Lag schlummernd da der sturmverschlagne Knabe.

Zoe inzwischen kochte weiche Eier,

Damit das Pärchen doch sein Frühstück habe;

Sie öffnete, um allem spätern Kritteln

Sich zu entziehn, den Korb mit Lebensmitteln.


145.

Sie wußt', ein Jüngling, der sein Schiff verlor,

Und wär's ein Engel, braucht ein Déjeuner;

Und da sie weniger verliebt war, fror

Und gähnte sie so nahe bei der See,

Und demgemäß nahm sie das Frühstück vor:

Ich räum' es ein, sie kochte keinen Thee,

Doch Eier gab's, Brot, Kaffee, Scioswein,

Honig und Fisch, – und gratis obendrein.


146.

Und als der Kaffee dampft' in ihrer Küche,

Da weckte Zoe gern den jungen Mann;

Jedoch Haidi legt' ohne viele Sprüche

Den Finger an den Mund und hielt sie an.

So ging das erste Frühstück in die Brüche,

Weshalb die Zof' ein anderes begann,

Da sie den Schlaf nicht unterbrechen sollte,

Der, wie es schien, niemals erwachen wollte.


147.

Noch lag er da; die bleichen hohlen Wangen

Umspielt' ein kranker Purpur, wie der Schein

Auf fernem Bergschnee, wann der Tag vergangen.

Auf seiner Stirne lag der Streif der Pein;

Die Adern blau und eingeschrumpft; die langen

Tiefschwarzen Locken schienen schwer zu sein

Vom salzigen und feuchten Meeresgischte,

Mit dem der Felsendunst der Kluft sich mischte.
[119]

148.

Sie beugt sich über ihm, er aber ruht

Still wie der Säugling auf der Mutter Schooße,

Matt wie die Weid' in schwüler Mittagsglut,

Weich wie der junge Schwan im Ufermoose,

Tief wie die eingelullte Meeresflut,

Schön wie des Kranzes königlichste Rose;

Kurzum, er war nichts weniger als häßlich,

Wenn auch von seinen Leiden etwas bläßlich.


149.

Er wacht und starrt und schliefe wieder ein,

Jedoch das Bild vor seinen Augen bannte

Den Schlaf aus diesem Aug', obwohl die Pein

Und Müdigkeit im Schlaf ihr Glück erkannte.

Jedoch die Schönheit war ihm ungemein

Anziehend, und sogar beim Beten wandte

Er sich von grauen bärt'gen Märtyrern

Zu der holdsel'gen Mutter unsres Herrn.


150.

So stützt' er sich denn auf den Ellenbogen

Und sah die Dame an, auf deren Wange

Die rot' und weiße Rose Fehde pflogen,

Als sie das Wort ergriff mit ein'gem Zwange.

Die Worte lahmten, doch die Augen flogen,

Als sie auf Griechisch mit Jon'schem Klange

Ihm leis' und lieblich sagte, daß er matt sei

Und nicht viel reden solle, bis er satt sei.


151.

Juan verstand zwar nichts von diesen Dingen,

Er war kein Griech', indeß er hatt' ein Ohr,

Und ihre Stimme war wie Vogelsingen,

So sanft, so süß, so zart und doch sonor;

Kein schlichtes Lied konnt' edler, trauter klingen, –

Die Art von Klang, die Thränen lockt hervor,

Man weiß nicht wie, – hinreißend mächt'ger Ton,

Von dem Musik schwebt wie von einem Thron.
[120]

152.

Juan indessen staunte wie ein Mann

Der fernen Orgelschall erwachend hört

Und meint, er träume, bis den Zauberbann

Der Wächter oder sonst'ge Prosa stört;

Gewöhnlich klopft dann just der Hausknecht an, –

Ein Schall, der mich persönlich stets empört;

Ich schlafe gern des Morgens, weil die Nacht

Die Weiber und die Sterne hübscher macht.


153.

Juan ward auch erlöst von seinem Traum,

Schlaf, oder was es war; denn er verspürte

Den wunderbarsten Appetit, als kaum

Der Dampf von Zoe's Kochwerk ihn berührte.

Und als das Feuer neu im Grottenraum

Aufloderte, das Zoe knieend schürte,

Da ward er völlig wach und unaussprechlich

Erpicht auf Speisen, – Rindfilet hauptsächlich.


154.

Doch diesem ochsenlosen Land versüßt

Rindfleisch das Dasein nicht, nur Geis und Hämmlein.

Und wenn ein Festtag lächelnd sie begrüßt,

Dann steckt man auf den rohen Spieß ein Lämmlein;

Auch dies nicht oft; da manches Eiland wüst

Und arm ist, ohne Hütt' und Herd und Flämmlein,

Doch andre schön und fruchtbar; unter diesen

War unsre zwar nicht groß, doch hoch gepriesen.


155.

Rindfleisch ist rar, – und ich kann nicht umhin

Zu glauben, daß die Minotaurus-Sage,

Die uns mit Recht empört, – die Königin

Als Kuh verlarvt! geschmacklos ohne Frage! –

Daß diese Sage, wenn man ihren Sinn

Historisch auslegt, einfach dies besage:

Daß einst Pasiphaë für die Viehzucht strebte

Und Kreta's Blutdurst für den Krieg belebte.
[121]

156.

Wir wissen all', ein ächter Britte ißt

Vornehmlich Beef, – ich sage nichts von Bier,

Weil dies nur ein Getränk und wertlos ist,

Ich meine wertlos für mein Thema hier.

Der Britte liebt den Krieg auch, wie ihr wißt,

Obwohl ein recht kostspieliges Pläsir,

Ganz wie die Kreter, – was mich darauf führt,

Daß Dank für Schlacht und Schlachtvieh ihr gebührt.


157.

Doch weiter. – Als Juan das Haupt, das schwere,

Auf seinen Arm gestützt, erblickt' er froh

Verschiednes, was er nicht sah auf dem Meere,

Denn dort verzehrt' er letzthin alles roh;

Verschiednes sah er und gab Gott die Ehre,

Und da der Hungerwolf noch nagte, so

Stürzt' er sich über alles her, als sei er

Hai oder Alderman, Pfaff oder Geier.


158.

Er aß und hatt' es gut; Haidi bewachte

Ihn mütterlich, und über alles Maß

Hätt' sie ihn gern gefüttert; denn sie lachte,

Wie er, der Todtgeglaubte, munter aß;

Zoe dagegen wußte und bedachte,

(Von Hörensagen, da sie niemals las,)

Man müsse Hungerleider langsam atzen,

Theelöffelweise, weil sie sonst zerplatzen.


159.

So war sie denn so frei, sich einzumischen,

Der Kürze wegen mehr durch That als Wort:

Der Herr, um dessen willen in der frischen

Frühstund' ihr Fräulein sitz' am Meeresbord,

Der thue wohl sich jetzt den Mund zu wischen,

Sonst geh' er todt; – sie riß den Teller fort

Und sagt', er habe reichlich von den Sachen

Verschlungen, um ein Kutschpferd krank zu machen.
[122]

160.

Dann, da er nackt war bis auf kaum decente

Zerfetzte Hosen, gab es gleich zu thun;

Ins Feuer flogen Lumpen und Fragmente,

Und türkisch oder griechisch ward er nun

Gekleidet, wenn auch nicht gleich im Momente

Mit Turban, mit Pistolen, Dolch und Schuhn,

So doch mit einem reinen makellosen,

Fast fert'gen Hemd und sehr geräum'gen Hosen.


161.

Und nun fing unsre Schöne an zu pred'gen;

Und Juan hörte seiner Inselfee

Andächtig zu, so daß das Griechenmädchen

Im Eifer meinte, daß er sie versteh';

Und ihre Zunge, wie ein fleißig Rädchen,

Spann Reden für den jungen Protégé,

Bis sie am Ende Atem holt' und fand,

Romaisch sei ihm gänzlich unbekannt.


162.

So half sie sich mit Zeichen und Signal

Und Lächeln und beredtem Augenspiel

Und las die Schrift (sie las zum ersten Mal)

Der schönen Züg' und fand in ihnen viel;

Antwortend leuchtete der Seele Strahl,

Da sprach ein einz'ger Blick im klarsten Stil,

Kurz, eine Welt von Worten fand sie da

Und Dinge, die sie mehr erriet, als sah.


163.

Und mit den Fingern, mit dem Aug' und Munde

Erhielt er nun im Griech'schen Unterricht;

Unzweifelhaft erwarb er seine Kunde

Viel wen'ger durch ihr Wort als ihr Gesicht;

Gleichwie der Astronom in nächt'ger Stunde

Von seinem Buch aufblickt zum Sternenlicht,

Lernt' er sein Alphabeta besser hier

Aus Haidi's Augen als von Druckpapier.
[123]

164.

Süß ist der Unterricht in fremden Zungen

Durch Frauenaug' und Mund, wenn Lehrerin

Und Schüler jung sind, das bleibt ausbedungen,

(So war es da, wo ich gewesen bin.)

Sie lächeln, wenn's gelingt, und wenn's mislungen,

So lachen sie, und dann kommt nebenhin

Ein Händedruck, wohl gar ein Kuß in Ehren, –

Ich lernte, was ich weiß, durch solche Lehren.


165.

Als Türkisch, Griechisch, Spanisch, ein'ge Worte,

Toscanisch nicht, da fehlt's an Präceptoren;

Mein Englisch ist von nicht besondrer Sorte,

Denn diese Sprache lernt' ich von Pastoren,

South, Tillotson, die ich zum Schatz und Horte

Für meine Sonntagsstudien mir erkoren,

In Frömmigkeit und Prosa große Lichter, –

Die Dichter les' ich nie, ich hasse Dichter.


166.

Von Englands Damen fehlt mir jede Kunde,

Denn Englands Fashion that mich in den Bann;

Einst »hatt' ich meinen Tag wie andre Hunde«,

Auch meine Fehler, wie ein andrer Mann;

Doch dies, wie andre Dinge, ging zu Grunde:

All ihre Narren, die ich geißeln kann,

Feind, Freund, Mann, Weib, sind mir zu dieser Frist

Ein Traum von dem, was war und nimmer ist.


167.

Zurück zu Don Juan. Er hört mit Wonne

Die neuen Wort' und spricht sie nach. Allein

Gefühle giebt's, gemeinsam wie die Sonne,

Die sperrten sich in seiner Brust nicht ein,

So wenig wie im Busen einer Nonne:

Er war verliebt, – das würde jeder sein, –

In seine junge Retterin, – sie auch;

Das ist auf dieser Welt ja einmal Brauch.
[124]

168.

Und jeden Morgen, – etwas frühe zwar

Für unsern Freund, denn Schlaf war ihm das Beste, –

Kam sie zur Grotte, wenn es auch nur war,

Um ihren Vogel ruhn zu sehn im Neste;

Und leise strich sie dann sein krauses Haar

Und stört' ihn nicht, und gleich dem süßen Weste,

Wann sanft er atmet über Rosenbeete,

War dann der Hauch, der seine Wang' umwehte.


169.

Und jeden Morgen ward die Wange runder

Und jeder Tag vermehrte seine Kraft,

Und das war gut, denn nur ein ganz Gesunder

Besitzt der Liebe ächten Lebenssaft;

Wohlsein und Müßiggang sind Oel und Zunder

Und Pulver für den Brand der Leidenschaft;

Auch Bacchus hat die Hand im Spiel, und Ceres,

Denn Venus Angriff ohne sie, – was wär' es?


170.

Wenn Venus unser Herz füllt, (Liebe schmeckt

Auch ohne Herz gut, doch nicht ganz so gut,)

Reicht Ceres uns Pasteten und Confect, –

Denn Liebe braucht Proviant wie Fleisch und Blut,

Und Bacchus schenkt uns Wein ein oder Sekt;

Auch Eier, Austern nähren Liebesglut,

Obwohl, was für ein Gott ihr Lieferant ist,

Neptun, Zeus oder Pan, mir unbekannt ist.


171.

Juan fand immer gleich, wann er erwachte,

Ein Bad, ein Frühstück und in Augenpaar,

So hübsch, wie je eins junge Glut entfachte,

Und Zoe's Auge auch noch, das fürwahr

Für seine Größe sich recht niedlich machte;

Bei Gott, ich wiederhole mich wohl gar!

Ich sagte, daß Juan sein Seebad nahm

Und dann zum Kaffee und zu Haidi kam.
[125]

172.

Das Paar war noch so jung, und sie so rein,

Daß diese Bäder kaum anstößig waren;

Ihr schien Juan ganz das Geschöpf zu sein,

Von dem sie nächtlich träumte seit zwei Jahren,

Ein Etwas, was man liebt, ein zweites Sein,

Bestimmt zum Glück und Glück zu offenbaren;

Denn theilen muß, wer was auf Freude hält,

Das Glück kömmt nur als Zwilling auf die Welt.


173.

Es war so süß, zu ihm den Blick zu heben,

Ein Etwas, was das Dasein weiter machte,

Bei der Berührung seiner Hand zu beben,

Ihn anzublicken, wann er schlief und wachte.

Es war zu viel, stets so mit ihm zu leben,

Doch sie erschrak, wenn sie an Trennung dachte;

Er war ihr Strandgut, war ihr zugetrieben

Wie reiches Wrack, ihr erstes, letztes Lieben.


174.

Der Mond verging, doch Haidi, wie bisher,

Besuchte ihren Knaben jeden Morgen –

Und wandte solche Vorsicht an, daß er

In seinem Felsverstecke blieb verborgen.

Am Ende fuhr ihr Vater über Meer,

Um einige Geschäfte zu besorgen;

Entführen wollt' er, wenn auch keine Jo,

Doch drei Raguser auf der Fahrt nach Scio.


175.

Nun kamen Tage, wo sie Freiheit hatten;

Haidi war (denn ein Witwer war Papa,)

Frei wie ein Weib mit oder ohne Gatten,

Die nach Belieben Nein sagt oder Ja,

Selbst ohne eines Bruders läst'gen Schatten –

Kein frei'res Weib je in den Spiegel sah, –

Ich rede hier bloß von der Christenwelt,

Wo man die Fraun nicht in Kasernen hält.
[126]

176.

Nun konnte sie ihn länger sehn und sprechen,

(Denn sprechen müssen sie,) und er verstand

Das Wort »spazieren gehn« zu radebrechen, –

Denn dies Vergnügen hatt' er kaum gekannt,

Seit, wie die Blume, welche Stürme brechen,

Er thauig lag und triefend auf dem Strand;

Und also gingen sie zur See hinunter, –

Der Mond ging eben auf, die Sonne unter.


177.

Die Küste wild, gepeitscht von Meeresbranden,

Ein Felsendamm und breiter sand'ger Saum,

Vor welchem Klippen wie Trabanten standen,

Und hier und da ein schmaler Hafenraum,

Wo Sturmverschlagne bessren Willkomm fanden;

Da schwieg der trotz'gen Woge Brüllen kaum

Am stillsten Sommertag, wann eingewiegt

Das Weltmeer glitzernd wie ein Landsee liegt.


178.

Der leise Wellenschlag zerstob am Sande

Beinah so fein, wie der Champagner sprüht,

Wann er emporschäumt am krystallnen Rande, –

Maithau der Seele! Regen fürs Gemüt!

Ach, alter Wein! – Ihr Prediger im Lande,

Ja, predigt, wenn ihr gern umsonst euch müht! –

Gebt heut uns Wein und Weiber, Scherz und Mahl

Und morgen Sodawasser und Moral.


179.

Vernünft'ge Wesen müssen sich betrinken;

Rausch ist ja doch im Leben alles Beste;

Ruhm, Reben, Liebe, Gold, darein versinken

Die Wünsche aller Welt im Ost und Weste.

Des Lebens Wunderbaum, wie würd' er winken

Ohn' ihren Saft? wo blieben Frücht' und Aeste?

Drum einmal noch: betrinkt euch sehr! und wann

Mit Kopfweh ihr erwacht, so hört, was dann.
[127]

180.

Ihr schellt dem Diener und bestellt geschwind

Rheinwein und Sodawasser; dann erblühn

Euch Freuden, die des Xerxes würdig sind;

Denn nicht des Wüstenquelles erstes Sprühn,

Scherbet nicht, der durch Schnee veredelt rinnt,

Nicht des Burgunders Abendsonnenglühn

Labt euch nach Reisen, Lieben, Schlachten, blasser

Langweile wie Rheinwein und Sodawasser.


181.

Der Strand – mich dünkt, ich war ja wohl dabei

Den Strand zu schildern? – ja, es war der Strand –

Lag heute ruhig wie die Luft und Bai,

Das Wasser glatt, unaufgewühlt der Sand,

Rings alles still, bis auf der Möwe Schrei,

Sprung des Delphins, und hie und da am Rand

Der Felsen eine kleine trotz'ge Welle,

Die schäumt' und netzte kaum die Uferschwelle.


182.

Und sie ergingen sich, da Haidi's Vater

Auf einem Streifzug war, wie schon gesagt,

Und weder Mutter, Bruder noch Berater

Da war als Zoe, die die treuste Magd

Bei Tage war, – kein Mensch war accurater, –

Doch Abends schlief sie; sie war sehr geplagt,

Sie trug warm Wasser, mußte Locken strählen

Und dann und wann um alte Kleider quälen.


183.

Die kühle Stunde war's, wo hinterm Blau

Des Bergs die Sonne rot und rund sich neigt,

Und dann erscheint die bergumschlossne Au

Die ganze Welt und schläft und träumt und schweigt;

Zur Rechten liegt kalt, still und dämmrig grau

Die tiefe See, und links mondförmig steigt

Der ferne Bergkamm, und der Himmel glüht,

In welchem wie ein Aug' ein Sternchen sprüht.
[128]

184.

Und so ergingen sie sich, Hand in Hand,

Ueber die blanken Stein' und Muschelschnecken,

Und glitten über festen, glatten Sand,

Und in den wilden, hohlen Felsverstecken,

Planvoll, so schien's vom Sturme ausgespannt

Zu weiten Hallen mit Gebälk und Decken,

Da ruhten beide, Arm in Arm geschlungen,

Von Abends Purpurzauber sanft bezwungen.


185.

Sie sahn zum Himmel, dessen flüss'ge Gluten

Hinwallten wie ein ros'ger Ocean;

Sie sahn die Wogen, wie sie schimmernd ruhten,

Und wie der Mond auftaucht' am Himmelsplan;

Sie hörten leise Wind' und müde Fluten,

Und wenn sie dann sich Aug' in Auge sahn,

Den dunklen Blitz, – dann flogen wie zwei Flammen

Die Lippen fest in einen Kuß zusammen.


186.

Ein langer, langer Kuß, ein Kuß der Wonnen,

Der Lieb' und Schönheit, der in eine Glut

Zusammenfaßt die Strahlen aller Sonnen;

Derartige Küsse sind der Jugend Gut,

Wann Seel' und Sinn und Herz ein voller Bronnen,

Die Pulse Feuer, Lavastrom das Blut,

Herzbeben jeder Kuß; – denn, wenn ich merke,

Wie lang ein Kuß ist, kenn' ich seine Stärke.


187.

Mit Länge mein' ich Dauer; – ihre dauern

Gott weiß wie lang', – sie maßen nicht die Länge;

Und mit der Uhr dem Herzschlag aufzulauern,

Ich glaube kaum, daß der Versuch gelänge.

Sie fühlten stumm, als ob in Wonneschauern

Sich Brust zur Brust und Lipp' an Lippe dränge,

Und dann, vereint, sich hielten wie die Bienen, –

Die Honigblume war das Herz in ihnen.
[129]

188.

Sie sind allein, doch nicht allein wie der,

Der einsam sich verschließt in seinem Zimmer;

Die sternenhelle Bucht, das stille Meer,

Der Abendröte sanft verglüh'nder Schimmer,

Der stumme Sand, die dunklen Klüft' umher,

Dies zieht sie zu einander, wie für immer,

Als ob ihr Leben auf der weiten Erde

Das einz'ge sei und niemals sterben werde.


189.

Kein Lauscher droht' in diesen Felsenspalten,

Nicht schreckte sie die Nacht; sie lebten nur

Eins ganz im Andern; ihre Lippen lallten,

Doch ihre Seele sprach, – kein glüh'nder Schwur,

Wie Leidenschaft ihn lehrt, nur Seufzer galten

Als Deuter des Orakels der Natur,

Der ersten Liebe! – Eva hinterließ

Von Eden ihren Töchtern nichts als dies.


190.

Wer dacht' an Eid' und Skrupel? nicht Haidi!

Von Ehepacten und Verlöbniß hatten

Die Leut' ihr nie gesagt, sie kannte nie

Die Wolken, die der Mädchen Weg beschatten.

Unwissend, arglos flog und eilte sie,

Ein junger Vogel, zu dem jungen Gatten,

Und da sie nie geträumt von Treuebrechen,

Fiel's ihr nicht ein, ihm Treue zu versprechen.


191.

Sie liebt' und ward geliebt, – sie betet' an

Und ward vergöttert, – nach uralter Mode;

Nur gut, daß nichts die Seelen tödten kann,

Sonst stürmten ihre Seelen sich zu Tode;

Allmählich kam die Ruh' zurück und dann

Von neuem eine stürm'sche Periode,

Und Haidi's Herz, an seinem pochend, wußte,

Daß es, getrennt von jenem, brechen mußte.
[130]

192.

Sie waren, ach, so jung, schön und verliebt,

Einsam und hülflos, und es war die Stunde,

Wo sich das volle Herz so leicht ergiebt,

Wo Thaten reift die flüchtige Secunde,

Die keine Ewigkeit zurechte schiebt,

Vielmehr bezahlt mit ew'gem Feuerschlunde;

Denn höllisch Feuer ist für den entfacht,

Wer Andren Kummer oder Freude macht.


193.

Ach, Haidi und Juan! – ein solches Paar,

So liebend und so lieblich, lief noch nie

(Seit unsern ersten Eltern) die Gefahr

Der ewigen Verdammniß: und Haidi,

Da sie nicht minder fromm als reizend war,

So wußte sie vom Styx, auch kannte sie

Das Fegefeuer, – nur vergaß sie diese

Gerad' in der verhängnißvollen Krise.


194.

Sie schaun einander an, die Augen blinken

Im Mondlicht, und ihr weißer Arm umschmiegt

Sein Haupt, und ihre langen Locken sinken

Auf seinen, der um ihren Nacken liegt;

Sie sitzt auf seinem Knie, und Beide trinken

Die Glut der Seufzer, bis sie matt versiegt,

Und bilden eine Gruppe unwillkürlich,

Antik, halbnackt, hold, griechisch und natürlich.


195.

Und als der tiefe Rausch vorüber wallt

Und als Juan entschläft in süßer Lust, –

Sie schläft nicht; zärtlich, doch mit festem Halt,

Stützt sie sein Haupt an ihrer jungen Brust;

Und bald den Himmel schaut sie an und bald

Das blasse Antlitz, das nun unbewußt

An einem Busen ruht, der selig liebt

Und wogt von allem, was er gab und giebt.
[131]

196.

Ein Kind, wenn man ihm bunte Lichter zeigt,

Ein Säugling, den man an die Brust gelegt,

Ein Pilger, wann empor die Hostie steigt,

Ein Araber, der einen Gast verpflegt,

Ein Seemann, wann der Feind die Flagge neigt,

Ein Geizhals, der an seinem Gold sich hegt,

Ist hochbeglückt, doch ächtre Freude lacht

Dem, der ein theures Haupt im Schlaf bewacht.


197.

Da liegt es, still und lieblich hingeschmiegt,

Ein Leben, das in uns nur lebt und klingt,

So sanft, so hülflos, reglos, eingewiegt,

Und unbewußt der Freuden, die es bringt;

Und alles, Leid, Lust, Gut und Böses liegt

In Tiefen schlummernd, die kein Blick durchdringt;

Da liegt es, alle Reize, alle Mängel,

Das theure Wesen, wie der Tod als Engel.


198.

Sie wacht bei dem Geliebten, und die Stunde

Der Lieb' und Nacht durchwogt die Seele ihr,

Mit tiefer Meereseinsamkeit im Bunde;

Auf ödem Sand, in wildem Felsrevier

Ruht sie mit ihrem theuren Meeresfunde,

Und niemand stört das Fest der Liebe hier:

Die Stern' im blauen Aether sahen nicht

So Sel'ges wie ihr glühend Angesicht.


199.

O Weibes Liebe! Seligkeit und Pein!

Du schöner, aber unheilschwangrer Schatz!

Sie setzt auf einen Wurf ihr Alles ein,

Und wenn der fehlschlägt, giebt es nie Ersatz:

Dann beut die Welt ihr nichts als leeren Schein,

Und ihre Rach' ist wie des Tigers Satz,

Schnell, tödtlich und zermalmend, – dennoch wühlt sie

Im eignen Fleisch: was sie verhängt, das fühlt sie.
[132]

200.

Sie haben Recht! – der Mann kränkt oft den Mann,

Die Weiber stets; ein einz'ges Band und Joch

Erwartet sie, ihr Zutraun führt sie an;

Dressirt zu lächeln, grämt ihr Herz sich doch

Um ihr Idol, – bis reichre Wollust dann

Sie kauft zur Ehe; – was bleibt schließlich noch?

Ein roher Mann, ein Freund, der sie verläßt,

Putz, Säugen, Beten, – und der Tod als Rest.


201.

Die Eine liebelt, jene poculirt,

Die Dritte näht und strickt, die Vierte flieht

Und tauscht nur ihre Not, denn sie verliert

Der Tugend und des guten Rufs Profit:

Mit Tausch wird ihre Lage nicht curirt,

Die unnatürlich ist, dasselbe Lied

Vom faden Prunksaal bis zur Dreckcabane; –

Die Fünfte rast und schreibt hernach Romane.


202.

Haidi war der Natur Braut, Tochter reiner

Und tiefer Glut; der Sonnengott entflammt

In ihrer Heimat selbst die Küsse seiner

Gasellenäugigen Töchter; – und ihr Amt

War den zu lieben, außer welchem keiner

Ihr Herr sein sollte; – was die Welt verdammt,

Ihr war es nichts; – Furcht, Hoffnung, Liebe, Schmerz

Lag draußen, – jenseits nicht, hier schlug ihr Herz.


203.

Und o, der Pulsschlag, der das Herz erweckt!

Was kostet er! – und doch ist jeder Schlag

So wonnevoll durch Ursach' und Effect,

Daß Weisheit, die doch nimmer rasten mag,

Bis sie die Alchymie des Glücks verschreckt, ...

Auch das Gewissen plagt uns Tag für Tag

Mit Lehren, die so gut sind, so viel wert,

Daß Castlereagh sie noch mit Zoll beschwert.
[133]

204.

Nun ist's geschehn! – an stiller Bucht der Schwur,

Der Herzen eint! und bräutlich strahlt der Braut

Von tausend Hochzeitsfackeln der Azur

Des Sternenhimmels, und als Zeuge schaut

Der Ocean zu, ihr Priester ist Natur,

Ihr Bett die Felskluft, und sie sind getraut

Und glücklich, – denn die Augen eines jeden

Der Zwei sehn einen Engel und ein Eden.


205.

O Liebe! Cäsar selbst war dein Verehrer,

Titus dein Herr, Antonius dein Satrap,

Horaz dein Schüler und Ovid dein Lehrer,

Sappho dein Blaustrumpf, – (springt in Sappho's Grab,

Ihr schüchternen Neutralitätserklärer,

Noch aus den Fluten ragt Leucadia's Cap,) –

O Liebe! schlimmste Gottheit, die wir kennen,

(Denn Teufel kann man dich doch nicht wohl nennen,)


206.

Du machst das Glück der Ehe wandelbar

Und treibst mit höchsten Stirnen selbst dein Spiel;

Pompejus, Cäsar, Mahmud, Belisar

Beschäftigten die Feder Clio's viel;

Dergleichen Männer sind und bleiben rar;

Obwohl ihr Loos gar sehr verschieden fiel,

So stimmt es in drei Punkten, die ich anreih', –

Ein jeder war Erobrer, Held und Hahnrei.


207.

Auch Philosophen machst du, Epicur

Und Aristipp, Volk ohne Scham und Scheu,

Die gern uns lockten auf die falsche Spur,

Und deren Theorie auch, meiner Treu,

(Versicherten sie gegen Hölle nur,)

Ganz leidlich wäre, wenn auch nicht ganz neu:

»Eßt, trinkt und liebt, – der Rest ist doch nur schal,«

Sprach schon der weise Fürst Sardanapal.
[134]

208.

Jedoch Juan? hat er in wenig Wochen

In seinem Herzen Julia ganz entthront?

Ich habe mir schon selbst den Kopf zerbrochen;

Doch Rätsel raten bin ich nicht gewohnt;

Wahrscheinlich kommt dies immer neue Pochen

Des Herzens von dem wandelbaren Mond:

Was Teufel sonst behext uns arme Wichte

Bei jedem neuen niedlichen Gesichte?


209.

Die Unbeständigkeit ist mir verhaßt;

Ich hasse, schelte, schmäh', verdamme alle

Quecksilbermenschen, deren Blut nicht paßt

Zum Mörtel einer dauerhaften Halle;

Nur treue Liebe war mein treuer Gast,

Und doch, noch gestern auf dem Maskenballe,

Wo eine Dam' aus Mailand zum Besuch war,

Empfand ich allerlei, was ganz verrucht war.


210.

Zu meinem Glück war mir die Weisheit gnädig

Und raunte warnend: »Denk' an die Moral!«

»Ja,« sagt' ich, »liebe Weisheit, ich versteh' dich, –

Ach, was für Zähne! welch ein Augenstrahl!

Ob sie wohl schon vermählt ist oder ledig,

Ob keins von beidem? – wart', ich frag' einmal.«

»Halt!« rief die Weisheit, strenge, ganz spartanisch,

(Die Maske war indeß venezianisch.)


211.

»Halt!« – und ich hielt. – Doch was ich sagen wollte, –

Man nannte manchen treulos, höchst verkehrt,

Wo man nur Schönheitssinn erkennen sollte,

Bloß weil er Reizen, die Natur beschert

In reichster Fülle, schuld'ge Achtung zollte;

Und wie man holde Statuen göttlich ehrt,

So ist auch dieser Cultus des Realen

Bloß ein erhöhter Drang zum Idealen;
[135]

212.

Es ist Empfänglichkeit fürs Ideal,

Mehr als die Sinne, die zur Notdurft taugen,

Platonisch, wunderbar, universal,

Die wir aus Sternenlicht und Aether saugen,

Und ohne sie wär' alles äußerst schal: –

Kurzum, 's ist der Gebrauch der eignen Augen

Und ein'ger kleiner Sinne mehr, – ein neuer

Beweis, daß unser Fleisch Staub ist und Feuer.


213.

Doch ist's ein böser Drang, ein recht fataler;

Denn wahrlich, wenn uns stets dasselbe Bild

So schön erschien', und würde niemals fahler,

Wie im Beginn, gleich Eva hold und mild, –

Es sparte manches Herzweh, manchen Thaler,

(Denn haben muß man sie, sonst wird man wild;)

Treu sei der Mensch, mit einer Dame leb' er,

Das ist gesund fürs Herz und für die Leber.


214.

Das Herz ist, wie die Atmosphär', ein Theil

Des Himmels, und es hat auch Tag und Nacht;

Da droht Gewölk, da fliegt der Donnerkeil,

Da stürmt es, ganz wie es der Himmel macht:

Der Sturm zerreißt und sengt es eine Weil',

Dann stirbt in Wassertropfen seine Macht;

Das Herzblut wird zur Thrän' und strömt, – es ist

Das englische Klima unsrer Lebensfrist.


215.

Die Leber ist das Lazareth der Galle,

Doch selten heilt sie, sondern beut Asyl

Der ersten Leidenschaft so lang, bis alle,

Der ganze Rest, hereinkriecht, ein Gewühl,

Als ob sich Vipernbrut zum Knäuel balle,

Wut, Angst, Haß, Eifersucht und Reugefühl, –

Kurz, alles Unheil kömmt von dem Organe

Wie Erdstöß' aus verborgenem Vulkane.
[136]

216.

So, ohne mehr Anatomie zu treiben,

Sind wieder gut zweihundert Stanzen voll;

Bei dieser Durchschnittsziffer mag es bleiben

Für jeden Canto, der noch folgen soll,

Und zwölf bis vierundzwanzig werd' ich schreiben.

Und somit Punctum und Hochachtungsvoll;

Den Leser zu gewinnen, mögen nun

Juan und Haidi selbst das Ihre thun.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 5, S. 75-76,83-137.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Juan
The Poetic Works Including His Don Juan, All His Minor Poems, and the Suppressed Pieces of Cain, and the Vision of Judgment, All Complete Volume 1 (Paperback) - Common
DON JUAN (PENGUIN CLASSICS)
Sämtliche Werke, Bd. 2: Don Juan - Gedichte

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon