Sechstes Kapitel.

[403] Höchst seltsame Weise, auf welche Don Quixote von la Mancha bezaubert war, nebst andern wundervollen Begebenheiten.


Als Don Quixote sich nun im Bauer und auf dem Karren sah, sprach er: »Viele und denkwürdige Geschichten von irrenden Rittern hab ich gelesen, aber niemals habe ich gelesen noch gesehen oder gehört, daß man bezauberte Ritter auf solche Weise fortführte und in so langsamer Bewegung, als man von diesen faulen und zögernden Tieren erwarten darf; denn sie pflegen sonst immer mit unbegreiflicher Schnelligkeit durch die Lüfte geholt zu werden, entweder in einer dunkeln und finstern Wolke oder auf einem feurigen Wagen, oder auch auf einem Hippogryphen oder einem andern, dem ähnlichen Getier; daß man mich aber jetzt auf einem Ochsenkarren abholt, bei Gott, das erregt meine Verwunderung! Vielleicht aber, daß die Ritterschaft und die Bezauberungen in unserer Zeit sich anders erzeigen, als sie in vorigen Zeitaltern taten, und darum ist es wohl möglich, daß, weil ich ein neuer Ritter bin und der erste, der die Übung der schon vergessenen abenteuernden Ritterschaft wieder auferweckt, auch mit mir neue Arten der Bezauberungen erfunden werden, so wie neue Weisen, die Bezauberten fortzuführen. Was meinst du hierüber, Sohn Sancho?«

»Ich weiß nicht, was ich hierüber meinen soll«, antwortete Sancho, »weil ich nicht so wie Ihr in der Irrenden Schriften bewandert bin; aber doch wollte ich mich nicht unterstehen, zu behaupten und zu beschwören, daß diese Gespenster, die hier mit uns gehen, nicht so ganz rechtgläubig sind.«[404]

»Rechtgläubig, mein himmlischer Vater!« rief Don Quixote aus, »wie sollten sie denn rechtgläubig sein, da sie Teufel sind, die diese phantastischen Leiber an sich genommen haben, um dies zu verrichten und mich in diese Lage zu versetzen? Und wenn du dich von dieser Wahrheit überzeugen willst, so darfst du sie nur berühren oder angreifen, und du wirst sehen, daß ihre Körper nur aus Luft sind und keinen Bestand, sondern nur den Anschein haben.«

»Meiner Seele«, antwortete Sancho, »ich habe sie angerührt, und dieser Teufel, der hier so emsig ist, hat ein derbes, gutes Fleisch und dabei noch eine andere Eigenschaft, die sehr von der unterschieden ist, wie ich mir immer die Teufel habe beschreiben lassen, denn man hat mir gesagt, daß alle nach Schwefelstein und nach anderen bösen Dingen stinken, der riecht aber auf eine halbe Meile weit nach Ambra.«

Sancho meinte hiermit den Don Fernando, der als ein vornehmer Herr so roch, wie ihn Sancho beschrieb.

»Wundere dich deshalb nicht, Freund Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn du mußt wissen, daß die Teufel mancherlei können, und wenn sie auch Gerüche annehmen, so riechen sie doch selber nach nichts, denn sie sind Geister, und wenn sie riechen, können sie unmöglich angenehm, sondern nur widerlich und stinkend riechen, weil sie nämlich ihren Aufenthalt, die Hölle, allenthalben mit sich führen und in ihren Qualen für keine Art von Erquickung empfänglich sind; und da der angenehme Geruch etwas Erfreuliches und Liebliches ist, so können sie ihn auch unmöglich riechen; kömmt es dir also vor, als wenn dieser Teufel, von welchem du sprichst, nach Ambra röche, so täuschest du dich entweder, oder er will dich täuschen, damit du ihn für keinen Teufel halten sollst.«

Diese Gespräche fielen zwischen dem Herrn und dem Diener vor, und da Don Fernando und Cardenio fürchteten, daß Sancho am Ende die ganze Verstellung entdecken möchte, da er ihr schon so sehr auf der Spur war, so beschlossen sie, die Abreise zu beschleunigen, und riefen den Wirt beiseit, dem sie befahlen, den Rozinante zu satteln und den Esel des Sancho aufzuzäumen, welches dieser auch in größter Schnelligkeit tat. Der Pfarrer war indes mit den Häschern schon einig geworden, daß sie ihn bis nach seinem Dorfe begleiten sollten, wofür er ihnen jeden Tag etwas Bestimmtes gab. An den Sattelknopf des Rozinante hing Cardenio auf der einen Seite den Schild und auf der andern das Bartbecken; hierauf befahl er dem Sancho durch Zeichen, auf seinen Esel zu steigen und die Zügel des Rozinante zu fassen, zu beiden Seiten des Karren ließ er die beiden Häscher sich mit ihren Flinten verfügen. Ehe der Karren aber wegfuhr, kamen die Wirtin, ihre Tochter und Maritorne herbei, um von Don Quixote Abschied zu nehmen, die sich stellten, als wenn sie seinen Unfall sehr bejammerten. Don Quixote sprach zu ihnen: »Weinet nicht, meine edlen Damen, denn allen solchen Unglücksfällen sind diejenigen unterworfen, welche das Handwerk treiben, zu dem ich mich bekenne, und wenn mir dergleichen Trübsal nicht zustieße, so würde ich mich für keinen berühmten irrenden Ritter halten, denn solche Ritter, die wenig Namen und Ruhm genießen, sind dergleichen Sachen niemals ausgesetzt, weil keiner in der Welt sich sonderlich um sie kümmert. Mit den Tapfern aber ist es anders, denn es gibt viele Fürsten und andere Ritter, die ihnen ihre Tugend und Tapferkeit neiden und diese Edlen auf ungeziemlichen Wegen zu vernichten suchen. Dennoch aber ist die Tugend immer so gewaltig, daß sie durch sich selbst, aller Zauberei zum Trotze, die nur je ihr erster Erfinder Zoroaster hervorbringen konnte, als Siegerin aus jeglichem Drangsal hervorgeht und ihr Licht über die Welt verbreitet, wie es die Sonne durch den Himmel strahlt. Vergebt mir, schöne Damen, wenn ich Euch durch meine Unachtsamkeit Beschwer verursacht, denn vorsätzlich und mit meinem Wissen verursache ich niemandem eine, und bittet Gott, daß er mich aus dieser Gefangenschaft erlöse, in die mich irgendein schlecht denkender Zauberer versetzt hat; denn wenn ich mich daraus befreit sehe, so wird die Güte, die Ihr mir in diesem Kastell erzeigt, niemals meinem[405] Gedächtnisse entweichen, so daß ich suchen werde, sie zu erkennen, mich ihrer zu erinnern und sie zu vergelten, wie sie es wert ist.«

Indes dieses zwischen den Damen des Kastells und Don Quixote vorfiel, nahmen der Pfarrer und Barbier von Don Fernando und seinen Gefährten Abschied, vom Kapitän und seinem Bruder und von allen sehr vergnügten Damen, vorzüglich von Dorothea und Luzinde. Alle umarten sich und versprachen, einander von ihren Begebenheiten Nachricht zu geben; Don Fernando sagte dem Pfarrer, wohin er schreiben könne, um ihm mitzuteilen, wie es mit Don Quixote würde, indem er versicherte, daß ihm nichts so viel Vergnügen machen werde, als dies zu erfahren; er wolle ihm im Gegenteil von allem Nachricht erteilen, was ihm einiges Vergnügen gewähren könne, von seiner Verheiratung, von der Taufe der Zoraida und dem Erfolge des Don Luis und der Rückkehr der Luzinde in ihre Heimat. Der Pfarrer sagte, daß er alle Befehle mit der größten Pünktlichkeit ausrichten würde. Sie umarmten sich hierauf von neuem, und von neuem wurden die freundschaftlichen Anerbietungen wiederholt.

Der Wirt ging auf den Pfarrer zu und gab ihm einige Blätter, von denen er sagte, daß er sie in einer Falte des Mantelsacks gefunden habe, in welchem die »Novelle von der ungeziemlichen Neugier« lag; der Herr, dem es angehörte, würde wohl niemals wiederkommen, er möchte diese Papiere also nur mitnehmen, da er überdies nicht lesen könne, wären sie ihm nichts wert. Der Pfarrer dankte ihm, schlug sie auf und sah, daß vorn geschrieben stand: »Novelle von Rinconete und Cortadillo«, woraus er sah, daß es eine Novelle war, und den Schluß zog, daß, da diejenige »Von der unziemlichen Neugier« gut gewesen sei, es auch diese wohl sein könne, weil sie wahrscheinlich von dem nämlichen Verfasser herrühre; er verwahrte sie also und nahm sich vor, sie bei der ersten Gelegenheit zu lesen.

Er stieg zu Pferde, und dies tat auch sein Freund, der Barbier, indem sie beide ihre Masken vornahmen, damit sie von Don Quixote nicht sogleich erkannt würden, und so fingen sie an, hinter dem Karren herzureiten; die Ordnung des Zuges war folgende: Voran ging der Karren, von seinem Herren geführt, zu beiden Seiten die Häscher, wie oben beschrieben, mit ihren Flinten bewaffnet, dann folgte Sancho Pansa, der auf seinem Esel saß und den Rozinante am Zügel hinter sich führte, hinter diesem kamen der Pfarrer und Barbier auf ihren starken Maultieren, mit maskierten Gesichtern und ernstem und feierlichem Anstande, indem sie nicht schneller ritten, als es ihnen der langsame Gang der Ochsen erlaubte; Don Quixote saß in einem Käfig, die Hände gebunden, die Beine ausgestreckt, an die Stangen gelehnt, so still und so geduldig, daß er mehr ein Bild aus Stein als ein Mensch von Fleisch zu sein schien. In diesem langsamen feierlichen Zuge reisten sie wohl zwei Meilen, als sie in ein Tal kamen, wo es dem Ochsentreiber gut dünkte, auszuruhen und die Ochsen weiden zu lassen; als er dies dem Pfarrer sagte, schlug der Barbier vor, daß man noch etwas weiter ziehen sollte, denn er wisse, daß hinter einem Abhange, den sie nahe vor sich sahen, ein Tal liege, in welchem das Gras noch häufiger und schöner sei als in dem, in welchem sie haltmachen wollten. Der Vorschlag des Barbiers wurde angenommen, und sie setzten also ihre Reise weiter fort.

Indem wandte der Pfarrer das Gesicht und sah, daß sechs oder sieben wohlberittene und gutgekleidete Leute hinter ihnen kamen, von denen sie bald eingeholt waren, weil sie nicht mit der Langsamkeit und Trägheit der Ochsen reisten, sondern wie Leute, die Maultiere eines Canonicus unter sich haben und gern noch um Mittag die Schenke erreichen wollen, die noch eine ganze Meile von dort entfernt war.

Die Fleißigen holten die Trägen bald ein, man begrüßte sich höflich, und einer von den Angekommenen, der wirklich ein Canonicus aus Toledo und der Herr der übrigen war, die ihn begleiteten, da er diese feierliche Prozession mit dem Karren, den Häschern, Sancho, Rozinante, Pfarrer und Barbier sah und den Don Quixote eingebauert und gefangen, wurde neugierig genug, zu fragen, warum man diesenMann auf solche Weise fortführe; denn er glaubte, da er die Häscher an ihren Zeichen kannte, daß er irgendein großer Straßenräuber oder anderer Delinquent sei, den die Heilige Brüderschaft ergriffen habe, um ihn zu strafen. Einer von den Häschern, an den die Frage gerichtet war, antwortete: »Warum dieser Ritter so fortgeführt wird, mag er selber sagen, denn wir wissen es nicht.«

Als Don Quixote das Gespräch vernahm, fragte er: »Seid Ihr vielleicht, meine Herren Ritter, in dem erfahren und bewandert, was man die irrende Ritterschaft nennt? Seid Ihr es nicht, so mag ich mir auch nicht die Mühe geben, es Euch auseinanderzusetzen.« Der Pfarrer und Barbier waren jetzt schon hinzugekommen, da sie sahen, daß sich die Reisenden mit Don Quixote von la Mancha in ein Gespräch einließen, um, wenn es nötig wäre, so zu antworten, daß ihre List nicht entdeckt würde.

Der Canonicus antwortete hierauf: »Wahrlich, guter Freund, mir sind die Ritterbücher bekannter als die Kompendien der Logik, so daß, wenn uns weiter nichts im Wege steht, Ihr mir alles sagen könnt, was Ihr nur immer wollt.«

»In Gottes Namen dann«, versetzte Don Quixote; »Ihr müßt also erfahren, Herr Ritter, daß ich in diesem Käfig verzaubert bin, und zwar durch den Neid und die Bosheit der bösen Zauberer, denn die Tugend wird von den Bösen immer mehr verfolgt, als sie von den Guten geliebt wird. Ich bin ein irrender Ritter, und zwar nicht von jenen, deren der Ruhm niemals gedenkt und ihr Andenken nicht der Unsterblichkeit übergibt, sondern von denen, die, dem Neide zum Trotz und trotz aller Magier in Persien, der Brachmanen in Indien und Gymnosophisten in Äthiopien, ihren Namen im Tempel der Unsterblichkeit aufstellen werden, damit er den künftigen Zeitaltern zum Beispiel und Musterbilde diene und die irrenden Ritter dann die Fußstapfen vor sich haben, denen sie folgen müssen, wenn sie den höchsten, ehrenvollsten Gipfel des Waffenhandwerks erklimmen wollen.«

»Der Herr Don Quixote von la Mancha spricht die Wahrheit«, sagte der Pfarrer, »denn er liegt nicht wegen seiner Schuld und seiner Sünden auf diesem Karren verzaubert, sondern durch die Bosheit derjenigen, welche die Tapferkeit hassen und denen die Tugend ein Greuel ist. Dieses, mein edler Herr, ist der Ritter von der traurigen Gestalt, wenn Ihr diesen Namen vielleicht schon habt nennen hören, dessen tapfere Taten und gewaltige Unternehmungen auf hartem Erze und unvergänglichem Marmor werden geschrieben werden, wenn sich der Neid auch noch so sehr bemüht, sie zu verdunkeln, oder die Bosheit, sie zu verhüllen.«

Als der Canonicus hörte, wie der Gefangene mit dem Freien eine gleiche Sprache führte, schlug er ein Kreuz vor Verwunderung und konnte durchaus nicht begreifen, was es zu bedeuten habe; so ging es auch denen, die ihn begleiteten. Sancho Pansa, der herbeigekommen war, um das Gespräch mit anzuhören, krönte nun noch das Werk, indem er sagte: »Ihr mögt nun, mein Herr, das, was ich sprechen will, gut oder übel nehmen, so ist es doch wahr, mein Herr Don Quixote ist sowenig verzaubert wie meine Mutter; er hat seinen vollkommenen Verstand, er ißt und trinkt und verrichtet seine Notdurft wie die übrigen Menschen, und wie er es gestern tat, ehe er in dem Vogelbauer saß. Wenn das nun ist, wie wollt Ihr mir denn weismachen, er wäre verzaubert? denn ich habe mir von allen Leuten sagen lassen, daß die Verzauberten weder essen noch schlafen, noch sprechen, und mein Herr, wenn es ihm gerät, wird gleich mehr als dreißig Sachwalter reden.« Er wandte sich hierauf um, sah den Pfarrer an und fuhr so fort: »Ei, Herr Pfarrer, Herr Pfarrer! Denkt Ihr denn, daß ich Euch nicht kenne? Denkt Ihr denn, daß ich das nicht einsehe und begreife, wohinaus Ihr mit diesen Euren Verzauberungen wollt? Ja, ja, ich kenne Euch, wenn Ihr das Gesicht auch noch so sehr verdeckt, denn ich weiß, was Ihr wollt, wenn Ihr das Ding auch noch so fein anfangt. Denn mit einem Worte, wo der Neid herrscht, da kann die Tugend nicht leben, und wo ein Geizhals Herr ist, da ist keine Freigebigkeit zu finden. Der Teufel hat sich dazwischengegeben,[409] denn wenn Euer Ehrwürden nicht gewesen wären, so wäre schon in dieser Stunde mein Herr mit der Mikomikonischen Infantin verheiratet, und ich wäre zum wenigsten Graf, denn was Geringeres konnte ich nicht von meinem gütigen Herrn Traurige Gestalt und von der Größe meiner geleisteten Dienste erwarten; aber jetzt sehe ich, daß das wahr ist, was man wohl zu sagen pflegt, daß das Glücksrad schneller läuft als ein Mühlenrad und daß das, was gestern oben in den Lüften war, heute unten auf der Erde ist. Es ärgert mich nur wegen meiner Kinder und meiner Frau, denn wenn sie nun mit vollem Rechte erwarten können, daß ihr Vater durch die Tür als Statthalter hereintritt oder als Vizekönig von einer Insel oder einem Reiche, so kömmt er dafür als Pferdeknecht wieder. Was ich gesagt habe, Herr Pfarrer, soll nur dazu dienen, Euer Ehrwürden das Gewissen ein bißchen zu schärfen, weil Ihr meinem Herrn so schlecht begegnet und Euch Gott auch einmal in jenem Leben wegen der Gefangennehmung meines Herrn zur Rechenschaft ziehen kann, da Ihr jetzt alle edle Taten und Hülfeleistungen vereitelt, die mein Herr Don Quixote in der Zeit seiner Gefangenschaft vollbringen könnte.«

»Hier gäb es noch eine Nase zu putzen«, sagte hierauf der Barbier, »so seid Ihr denn auch, Sancho, von der Brüderschaft Eures Herrn? Beim Himmel, es täte not, daß Ihr ihm im Käfige Gesellschaft leistetet und bezaubert würdet wie er, weil Euch seine Ritterschaft ebenfalls angesteckt hat. Ihr geht zu Eurem Unglück mit seinen Versprechungen schwanger, und zu Eurem Unglück ist Euch die Insel in den Kopf gestiegen, nach der Ihr so gierig seid.«

»Ich bin von niemandem schwanger«, antwortete Sancho, »und ich bin nicht der Mann darnach, daß ich mich schwängern ließe, und wenn es der König wäre; und wenn ich auch arm bin, so bin ich doch ein alter Christ und keinem was schuldig, und wenn ich Inseln haben will, so wollen andere Leute wohl noch was Schlimmeres haben; jeder hat seine Taten zu verantworten, und wenn ich nur ein Mensch bin, so kann ich wohl Papst werden, wieviel mehr Statthalter einer Insel, vollends wenn mein Herr so viele gewinnt, daß er nicht weiß, wo er damit hin soll. Überlegt Eure Reden ins künftige, Herr Barbier, denn das ist noch nicht alle Kunst in der Welt, den Bart zu putzen, Ihr habt noch manches zu lernen, denn es ist noch nicht aller Tage Abend. Ich sage das nur, weil wir uns alle kennen, und daß ich mich auf kein falsches Spiel einlasse, in Ansehung der Verzauberung meines Herrn, so weiß Gott die Wahrheit, und dabei wollen wir's bewenden lassen, denn es stinkt noch mehr, wenn wir's umrühren.«

Der Barbier mochte Sancho nichts antworten, damit er mit seinen närrischen Reden nicht das herausbrächte, was der Pfarrer und Barbier gern verborgen halten wollten; und aus dieser nämlichen Furcht hatte der Pfarrer dem Canonicus auch vorgeschlagen, etwas vorauszureiten, weil er ihm das Geheimnis mit dem Eingekerkerten, nebst andern Dingen, die ihn vergnügen würden, sagen wollte. Der Canonicus tat so und ritt mit ihm und seinen Dienern voran. Er hörte alles aufmerksam an, was ihm jener von dem Stande, dem Leben, der Wahrheit und den Sitten des Don Quixote sagte, indem jener ihm kürzlich den Ursprung und die Veranlassung seiner Ausschweifung, nebst dem Fortgange seiner Begebenheiten, erzählte, bis er endlich in diesen Käfig gesperrt sei, und wie man nunmehr die Absicht habe, ihn nach seiner Heimat zu bringen, um ein Mittel ausfindig zu machen, ihn von seinem Wahnsinn wiederherzustellen.

Die Diener und der Canonicus verwunderten sich über die seltsame Geschichte des Don Quixote, und als er sie bis zu Ende gehört hatte, sagte er: »Wahrlich, Herr Pfarrer, ich bin der Meinung, daß diese sogenannten Ritterbücher dem Staate durchaus schädlich sind, und ob ich gleich aus Müßiggang und falschem Geschmack den Anfang fast von allen gelesen habe, die nur im Druck erschienen sind, so habe ich mich doch nie überwinden können, irgendeins vom Anfang bis zum Ende hindurchzulesen, denn es schien mir, daß alle mehr oder weniger dieselbe Sache enthalten und daß in dem einen nichts[410] steht, was nicht auch im andern zu finden ist. Nach meinem Urteile steht diese Art von Büchern und Erfindungen noch unter jenen sogenannten Milesischen Märchen, welches unzusammenhängende Erzählungen sind, die bloß die Absicht haben zu vergnügen, ohne zu belehren, im Gegensatz der moralischen Fabeln, die zugleich vergnügen und auch belehren. Wenn es aber auch die vorzüglichste Absicht dieser Bücher ist, zu vergnügen, so finde ich doch nicht, daß sie diesen Zweck erreichen, da sie voll von unzusammenhängenden Tollheiten sind; denn das Vergnügen, welches die Seele empfängt, entspringt aus der Schönheit und Übereinkunft, die sie betrachtet oder erwägt, in Dingen, die sie sieht oder die ihr die Phantasie vorführt, und alles, was an sich häßlich und ohne Verhältnis ist, kann uns keine Art des Wohlgefallens erregen. Denn welche Schönheit oder welches Verhältnis der Teile zum Ganzen und des Ganzen zu seinen Teilen läßt sich doch wohl in einer Geschichte erwarten, in welcher ein Bursche von sechzehn Jahren auf einen turmhohen Riesen einbaut und ihn in zwei Hälften schneidet, als wäre er aus Pfefferkuchen gebacken? und wenn man uns eine Schlacht malen will, nachdem vorher gesagt wird, daß auf der feindlichen Partei mehr als eine Million Menschen gewesen ist? Der Held des Buches macht sich nun an diese, und so schwer es uns auch ankömmt, so müssen wir es doch glauben, daß ein solcher Ritter bloß durch die Tapferkeit seines starken Armes den Sieg erfochten hat. Was soll man zu der Leichtigkeit sagen, mit der sich eine Königin oder die Erbin eines Kaiserthrones in die Arme eines irrenden und unbekannten Ritters wirft? Welcher Sinn, wenn er nicht durchaus barbarisch und ungebildet ist, kann sich doch daran ergötzen, wenn er lieset, wie ein großer Turm voller Ritter über das Meer hinwegschwimmt, gleich einem Schiffe mit günstigem Winde, wie sie heute abend in der Lombardei und morgen früh mit Tagesanbruch in den Ländern des Priesters Johann von Indien ankommen, oder in andern, die Ptolemaeus nie entdeckt und Marco Polo nie gesehen hat? Will man hierauf antworten, daß diejenigen, die dergleichen Bücher schreiben, sie für nichts als leere Erdichtungen ausgeben, wodurch sie nicht gezwungen sind, auf Kleinigkeiten oder auf die Wahrheit achtzugeben, so antworte ich ihnen darauf, daß die Erdichtung um so besser ist, je näher sie der Wahrheit kommt, und um so angenehmer, je inniger sie das Zweifelhafte mit dem Möglichen verbindet. Man muß die Erdichtungen mit dem Verstande der Leser zu vermählen suchen und so schreiben, daß das Unmögliche näher gerückt, das Hohe vertrauter gemacht ist, so daß die Gemüter in Spannung bleiben, wodurch denn zu gleicher Zeit Bewunderung, Spannung, Erschütterung und Unterhaltung so entsteht, daß Erstaunen und Ergötzen immer ineinander sind; alles dieses vermag aber derjenige gar nicht auszurichten, der sich von der Wahrscheinlichkeit und der Nachahmung entfernt, in denen nur allein die Vollkommenheit der Darstellung besteht. Ich habe noch kein Ritterbuch gesehen, dessen Fabel ein zusammenhängender Körper mit allen seinen Gliedern wäre, so daß die Mitte zum Anfange und das Ende zum Anfange und die Mitte stimmte, sondern diejenigen, die sie mit so vielen Gliedern zusammensetzen, scheinen mehr die Absicht zu haben, eine Chimäre oder ein Ungeheuer hervorzubringen als eine verhältnisvolle Gestalt zu bilden; außerdem sind sie im Stile hart, in den Taten unmöglich, in der Liebe unzüchtig, in den Artigkeiten ungezogen, in den Schlachten weitläufig, in den Reden töricht, in den Reisen unsinnig, und kurz, durchaus einem verständigen Kunstwerke entgegengesetzt und deshalb würdig, als heilloses Gesindel aus einem christlichen Staate verbannt zu werden.«

Der Pfarrer hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit zu und sah, daß er ein Mann von feinem Verstande war, auch daß er in dem, was er behauptete, recht habe; er sagte ihm also, daß er derselben Meinung sei, und da er ebenfalls die Ritterbücher hasse, habe er alle die des Don Quixote verbrannt, deren nicht wenige gewesen. Er erzählte ihm hierauf das Gericht, welches er über sie gehalten, und nannte ihm die, welche er verdammt, und diejenigen, denen er das Leben geschenkt hatte, worüber der Canonicus[411] sehr lachte und sagte, daß, soviel Böses sich von diesen Büchern sagen ließe, sie doch etwas Gutes an sich hätten, nämlich den Gegenstand, den sie bearbeiteten; denn ein guter Kopf könne sich in ihnen in seinem ganzen Vermögen zeigen, weil sie einen weiten und geräumigen Plan anböten, auf welchem sich ohne alles Hindernis die Feder herumtummeln könnte und bald Schiffbrüche beschreiben, Unglück, Zweikämpfe und Schlachten, dann wieder einen großen Feldherrn in seinem ganzen Charakter darstellen, der seine Klugheit zeigt und der List des Feindes zuvorkömmt, der als geübter Redner seine Soldaten überredet oder abredet, der langsam in Ratschlüssen, schnell in der Entscheidung ist, ebenso mutig, wenn er den Feind erwartet, als wenn er ihn angreift; hier kann ein kläglicher und trauriger Vorfall geschildert werden, dort eine unerwartete, fröhliche Begebenheit; bald eine schöne, keusche, tugendhafte und edle Dame; dann ein christlicher Ritter, der ebenso tapfer als menschlich ist; dort wieder ein wilder, prahlerischer Barbar; hier ein vortrefflicher Fürst, der sich großmütig und verständig darstellt; die treue Ergebenheit seiner Untertanen, die Größe und die Belohnung seiner Günstlinge; ja, der Verfasser kann sich als Astrologen zeigen, als kundigen Kosmographen, als Musiker, als einen Staatsverständigen und, wenn es die Gelegenheit erfordert und er sonst Lust hat, selbst als Nekromanten; er kann uns die Schlauheit des Ulysses darstellen, die Frömmigkeit des Aeneas, den Mut des Achilles, das Unglück des Hektor, die Verräterei des Sinon, die Freundschaft des Eurialus, die Freigebigkeit Alexanders, die Seelengröße des Caesars, die Güte und Wahrhaftigkeit Trajans, die Treue des Zopyrus, die Weisheit des Cato, kurz, alle die Vollkommenheiten, durch welche ein großer Mann besteht, bald in einem Helden vereinigt, bald unter verschiedene verteilt. Dies in einem anmutigen Stile vorgetragen und von einer sinnreichen Erfindung begleitet, die so nahe als möglich an die Wahrheit grenzt, würde gewiß ein Gewebe von buntfarbigen und schön verschlungenen Fäden darstellen, welches vollendet und eine so große Vollkommenheit und Schönheit zeigte, daß eine solche Erfindung den Zweck, zugleich zu ergötzen und zu belehren, besser als alle übrigen Schriften erfüllen würde; denn der mannigfaltige Inhalt gäbe dem Verfasser Gelegenheit, sich bald als epischen, lyrischen, tragischen oder komischen Dichter zu zeigen, in Verbindung aller jener Dinge, aus denen die höchst lieblichen und anmutigen Künste der Poesie und der Rede bestehen; denn die epische Dichtkunst darf ebensowohl in Prosa als in Versen vorgetragen werden.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 403-407,409-412.
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