Vierzehntes Kapitel.

[312] Worin fortgesetzt wird, wie sich Sancho Pansa in seiner Statthalterschaft betrug.


Die Geschichte erzählt, daß Sancho Pansa aus dem Gerichtssaale in einen prächtigen Palast geführt ward, wo in einem großen Saale eine herrliche und reiche Tafel zubereitet war, und indem Sancho hereintrat, ertönte eine Musik von Flöten, und vier Pagen traten herzu, um ihm Waschwasser zu reichen, welches Sancho mit vielem Anstande nahm. Die Musik hörte auf, Sancho setzte sich zu Tische obenan, denn es war nur für einen ein Sitz zubereitet und weiter kein Gedeck vorhanden. Ihm zur Seite stellte sich eine Figur, von der sich nachher zeigte, daß sie ein Arzt war, mit einem Stäbchen von Fischbein in der Hand. Man hob ein kostbares weißes Tuch ab, mit welchem die Früchte und sehr viele Schüsseln mit mannigfaltigen Gerichten zugedeckt waren. Einer, der wie ein Student aussah, sprach den Segen, und ein Page steckte dem Sancho eine Serviette, mit Spitzen besetzt, unter das Kinn; ein anderer, der das Amt eines Speisemeisters versah, setzte ihm eine Schüssel mit Früchten vor, aber kaum hatte er einen Mundvoll genommen, als der mit dem Stäbchen mit diesem die Schüssel berührte, die sogleich mit der größten Schnelligkeit weggenommen wurde; aber der Speisemeister setzte sogleich ein anderes Essen hin. Sancho wollte dieses versuchen; aber ehe er es noch berührte oder kostete, hatte das Stäbchen es schon berührt, und ein Page nahm es mit derselben Eile weg, wie es mit den Früchten geschehen war. Als Sancho dies sah, war er verwundert, schaute alle an und fragte, ob man hier aus dem Essen eine[313] Taschenspielerkunst mache. Worauf der mit dem Stabe antwortete: »Es darf nicht anders gegessen werden, Herr Statthalter, als wie es auf andern Inseln Sitte und Gebrauch ist, auf welchen sich Statthalter befinden. Ich, gnädiger Herr, bin Arzt und werde auf dieser Insel besoldet, um dieses Amt bei den Statthaltern derselben zu erfüllen, für deren Wohl ich mehr als für mein eigenes sorge, indem ich Tag und Nacht die Konstitution des Statthalters studiere und erwäge, um imstande zu sein, ihn zu kurieren, wenn er in eine Krankheit fallen sollte; worauf ich aber vorzüglich sehe, ist, mich bei seinen Mittags-und Abendmahlzeiten gegenwärtig zu befinden, damit er dasjenige essen könne, was ich ihm für zuträglich halte, und damit dasjenige entfernt werde, wovon ich glaube, daß es ihm Schaden tut und seinem Magen nachteilig ist, daher befahl ich, die Schüssel mit den Früchten wegzunehmen, weil sie gar zu feucht war, die Schüssel mit der andern Speise ließ ich ebenfalls entfernen, weil sie gar zu hitzig war und viele Gewürze enthielt, die den Durst vermehren, und wer viel trinkt, tötet und verzehrt die radikale Feuchtigkeit, in welcher das Leben besteht.«

»Auf die Art wird mir die Schüssel gebratener Rebhühner dort, die, wie es scheint, gut zubereitet sind, keinen Schaden tun.« Worauf der Arzt antwortete: »Diese soll der Herr Statthalter nicht essen, solange ich das Leben behalte.«

»Aber warum nicht?« fragte Sancho.

Und der Arzt antwortete: »Weil unser Meister Hippokrates, der Polarstern und das Licht der ganzen Arzneikunst, in einem von seinen Aphorismen sagt: ›Omnis saturatio mala, perdicis autem pessima‹, welches heißt: ›Alle Übersättigung ist schädlich, die aber von Rebhühnern die schädlichste.‹«

»Wenn dem so ist«, sagte Sancho, »so suche mir der Herr Doktor unter diesen Gerichten selber aus, was mir zuträglich und am wenigsten nachteilig ist, und lasse mich dies essen, ohne darauf zu klopfen: denn beim Leben des Statthalters, und so gewiß das Gott erhalten soll, ich sterbe vor Hunger, und mir das Essen verweigern, der Herr Doktor mag auch sagen und behaupten, was er will, hieße mir eher das Leben nehmen, als es mir erhalten.«

»Der gnädige Herr Statthalter hat recht«, antwortete der Arzt, »und daher bin ich auch der Meinung, daß Ihr nicht von den gebratenen Kaninchen essen dürft, die dort stehen, denn es ist Speise von einem langhaarigen Tier; von jenem Kalbfleische könntet Ihr wohl versuchen, wenn es nicht gebraten und gesäuert wäre, aber so auf keine Weise.«

Und Sancho sagte: »Jene große Schüssel, die dort unten dampft, scheint eine Olla potrida zu sein, und da diese Ollas potridas aus sehr mannigfaltigen Dingen zusammengesetzt sind, so werde ich gewiß etwas darunter finden, das mir schmackhaft und zuträglich sei.«

»Absit!« sagte der Arzt, »entferne sich von uns ein dergleichen böser Gedanke; es gibt in der Welt nichts so Unverdauliches als eine Olla potrida; fort mit allen Olla potridas zu den Canonicis oder den Schulrektoren oder zu Bauerhochzeiten, aber die Tische der Statthalter seien davon rein gehalten, denn hier müssen sich nur die frischesten und allereinfachsten Dinge befinden; die Ursache davon ist, weil von je an und zu allen Zeiten und von allen Leuten die einfachen Arzneimittel mehr geschätzt sind als die zusammengesetzten, denn bei den einfachen kann man nicht irren, wohl aber bei den zusammengesetzten, da die Quantität der Sachen, aus denen sie zusammengesetzt werden, leicht die Wirkung ändert; wovon ich aber gewiß weiß, daß es der Herr Statthalter jetzt essen darf, und was ihm gesund sein und ihn stärken wird, sind ein paar von diesen Geduldskügelchen und etliche ganz feine Schnittchen Quitte, denn dies bekömmt dem Magen und hilft zur Verdauung.«

Als Sancho dies hörte, lehnte er sich über den Rücken seines Stuhls, sah diesen Arzt von oben bis unten an und fragte ihn mit ernsthafter Stimme, wie er heiße und wo er studiert habe.[314]

Worauf jener antwortete: »Ich, Herr Statthalter, heiße der Doktor Pedro Recio de Agüero und bin in einem Orte geboren, der Tirteafuera heißt, er liegt zwischen Caraquel und Almodobar del Campo zur rechten Hand, und den Doktorgrad habe ich auf der Universität Ossuna empfangen.«

Worauf Sancho antwortete, ganz in Zorn entbrannt: »Nun denn, Herr Doktor Recio Pedro von Ach und Weh! gebürtig aus Tirteafuera, einem Orte, der zur rechten Hand liegenbleibt, wenn man von Caraquel nach Almodobar del Campo geht, graduiert zu Ossuna, geht mir augenblicklich aus den Augen, oder, ich schwör's Euch zu, ich nehme einen Strick und erdroßle, indem ich mit Euch den Anfang mache, alle Ärzte auf der ganzen Insel, wenigstens die, die ich für unwissend halte: denn den gelehrten, verständigen und klugen Ärzten bin ich mit ganzer Seele ergeben und verehre sie wie göttliche Personen; und ich sage noch einmal, daß sich Pedro Recio hier fortmache, wenn ich nicht den Stuhl nehmen soll, auf dem ich sitze, und ihm damit den Kopf entzweischmeißen; und man mag mir darüber nur Rechenschaft abfordern, denn ich werde mich damit verantworten, daß es ein Gottesdienst ist, einen elenden Arzt totzuschlagen, der nur ein Henkersknecht der Menschen ist. Und gebt mir jetzt zu essen oder nehmt die Statthalterschaft wieder hin, denn ein Amt, das seinem Herrn nicht zu essen gibt, ist keine Bohne wert.«

Der Doktor erschrak, als er den Statthalter so zornig sah; er drehte sich, um schnell den Saal zu verlassen, wenn man nicht in demselben Augenblicke ein Posthorn auf der Straße gehört hätte; der Speisemeister lief ans Fenster und sagte hierauf: »Es kommt ein Kurier vom durchlauchtigen Herzoge, er muß eine wichtige Depesche mit sich bringen.« Der Kurier kam schwitzend und keuchend herein und zog einen Brief aus dem Busen, den er den Händen des Statthalters überlieferte; Sancho aber gab ihn dem Haushofmeister und befahl ihm, die Aufschrift zu lesen, welche so lautete:


An Don Sancho Pansa, Statthalter der Insel Barataria, zu eigenen Händen oder denen seines Sekretärs


Als Sancho dies hörte, fragte er: »Wer ist denn hier mein Sekretär?«, und einer von den Umstehenden antwortete: »Ich, gnädiger Herr, denn ich kann lesen und schreiben und bin ein Biscayer.«

»Mit diesem Zusatz«, sagte Sancho, »könntet Ihr wohl der Sekretär des Kaisers werden; aber erbrecht das Siegel und seht, was das Schreiben enthält.«

Dies tat der eben erschaffene Sekretär, und nachdem er den Inhalt gelesen hatte, sagte er, es sei ein Geschäft, das man ohne Zeugen verhandeln müsse. Sancho befahl, den Saal zu räumen und daß niemand dableibe als der Haushofmeister und der Speisemeister, worauf sich die übrigen mit dem Arzte entfernten; sogleich las der Sekretär das Blatt, welches so lautete:


Ich habe erfahren, Herr Don Sancho Pansa, daß meine und dieser Insel Feinde auf diese in irgendeiner Nacht einen wütenden Angriff tun werden; man muß daher wachen und aufmerksam bleiben, damit sie Euch nicht unvorbereitet finden. Auch weiß ich von zuverlässigen Spionen, daß vier verkleidete Männer in Eure Stadt gekommen sind, um Euch das Leben zu nehmen, weil sie Euren Geist fürchten: Haltet die Augen auf und seht, mit wem Ihr sprecht, esset auch nichts von dem, was man Euch vorsetzt. Ich werde Sorge tragen, Euch zu Hülfe zu kommen, wenn Ihr Euch in Not befinden solltet; betragt Euch übrigens so, wie man es von Euren Einsichten erwarten darf.

Von hier, am sechszehnten Augustus, um vier Uhr morgens.


Euer Freund, der Herzog
[317]

Sancho war erstaunt, und alle Gegenwärtigen stellten sich nicht minder verwundert, und indem er sich zum Haushofmeister wandte, sagte er: »Was man hier, und zwar gleich in diesem Augenblicke, zu tun hat, ist, den Doktor Recio in ein unterirdisches Loch zu schmeißen, denn wenn mich einer umbringen will, so muß er es gewiß sein, und zwar hat er mir den schlimmsten und schmählichsten Tod zugedacht, mich nämlich verhungern zu lassen.«

»Dennoch«, sagte der Speisemeister, »scheint es mir gut getan, wenn Euer Gnaden nichts von alledem essen, was sich auf diesem Tisch befindet, denn es ist von Nonnen geschickt, und man pflegt zu sagen, hinter dem Kreuze stecke der Teufel.«

»Das kann ich nicht leugnen«, antwortete Sancho, »so gebt mir aber jetzt nur ein Stück Brot und dazu vier Pfund Weintrauben, denn in die kann doch kein Gift hineinkommen, weil ich es durchaus nicht, ohne zu essen, aushalten kann; wenn wir uns auch zu diesen Schlachten rüsten müssen, die uns bedrohen, so wird es nötig sein, sich tüchtig zu stärken, denn der Bauch trägt das Herz, nicht aber das Herz den Bauch; und Ihr, Sekretär, antwortet meinem gnädigen Herzoge und sagt ihm, daß es geschehen soll, was er befiehlt, so wie er es befiehlt, ohne einen Punkt auszulassen; und schreibt, daß ich meiner gnädigsten Herzogin die Hände küsse und sie bitte, daß sie es nicht vergessen möge, meinen Brief und meinen Bündel durch einen Expressen an meine Frau Therese Pansa zu schicken, denn sie wird mir dadurch eine große Gnade erzeigen, und ich werde mich bemühen, ihr in allen Dingen wieder zu dienen, soviel es nur immer meine Kräfte zulassen; nebenher könnt Ihr auch einen Handkuß an meinen Herrn Don Quixote von la Mancha schicken, damit er doch sieht, daß ich ein erkenntlicher Mann bin, wobei Ihr denn als guter Sekretär und guter Biscayer noch alles hinzufügen könnt, was Ihr nur wollt und was sich gut paßt; übrigens nehmt jetzt das Tischtuch ab und gebt mir etwas zu essen, und dann mögen Spione und Mörder und Zauberer, soviel nur wollen, über mich und meine Insel kommen.«

Indem kam ein Page herein und sagte: »Hier ist ein Bauer, der ein Geschäft hat, er wünscht wegen eines Geschäftes mit Euer Exzellenz zu sprechen, denn er sagt, es betreffe etwas Wichtiges.«

»Das ist doch wunderlich«, sagte Sancho, »mit diesen Geschäftsleuten; wie können sie nur so einfältig sein, nicht einzusehen, daß solche Stunden, wie die jetzigen, nicht dazu gemacht sind, Geschäfte zu treiben? Sind wir, die wir regieren, die wir Richter sind, denn nicht auch etwa Menschen von Fleisch und Blut, müssen wir nicht auch die Zeit zum Ausruhen haben, die die Notwendigkeit erfordert, denken sie denn, wir sind aus Marmorstein geschaffen? Bei Gott und meinem Gewissen, wenn meine Statthalterschaft dauert – die nicht dauern wird, soviel ich einsehe –, so will ich mehr als einen solchen Geschäftigen zur Ordnung verweisen. Jetzt sagt dem lieben Manne nur, daß er hereinkomme; aber seht auch zu, ob es nicht ein Spion oder einer von meinen Mördern ist.«

»Nein, gnädiger Herr«, antwortete der Page, »er scheint ein Einfaltspinsel zu sein, und ich müßte mich sehr irren, oder er ist so unschuldig wie ein Lamm.«

»Es ist nichts zu befürchten«, sagte der Haushofmeister, »denn wir sind hier alle zugegen.«

»Wäre es nicht möglich«, sagte Sancho, »Speisemeister, daß ich jetzt, da der Doktor Pedro Recio nicht zugegen ist, etwas Tüchtiges und Gewichtiges essen könnte, wenn es auch nur ein Stück Brot und eine Zwiebel wäre?«

»Heute abend soll die Mahlzeit das Mangelnde des Mittagsessens ersetzen, und Euer Gnaden soll zufriedengestellt und vergnügt sein«, sagte der Speisemeister.

»Das gebe Gott«, antwortete Sancho. Und zugleich trat der Bauer herein, der ein gutes Äußere hatte und dem man es auf tausend Meilen ansehen konnte, daß er es gut meine und eine gute Haut sei. Das erste, was er sagte, war: »Wer ist hier der Herr Statthalter?«[318]

»Wer wird es sein«, antwortete der Sekretär, »als der dort auf dem Stuhle sitzt?«

»So demütige ich mich vor ihm«, sagte der Bauer, wobei er sich auf die Knie legte und um die Hand bat, um sie zu küssen. Sancho verweigerte sie und befahl ihm, aufzustehen und das zu sagen, was er zu sagen habe. Der Bauer tat es und sprach zugleich: »Ich, gnädiger Herr, bin ein Bauer, aus Miguel Turra gebürtig, einem Orte, der zwei Meilen von Ciudad Real liegt.«

»Haben wir wieder ein neues Tirteafuera?« sagte Sancho; »sprecht, Freund, denn ich kann Euch sagen, daß ich sehr gut weiß, wo Miguel Turra liegt, denn es ist nicht sehr weit von meinem Dorfe.«

»Die Sache ist nun, gnädiger Herr«, fuhr der Bauer fort, »daß ich durch die Barmherzigkeit Gottes verheiratet bin, auf dem Wege und durch den Segen der heiligen katholischen Kirche; ich habe zwei studierte Söhne, der jüngste studiert auf den Baccalaureus und der älteste auf den Lizentiaten; ich bin Witwer, denn meine Frau ist gestorben, oder richtiger, ein schlechter Doktor hat sie umgebracht, denn er ließ sie purgieren, als sie schwanger war, und wenn uns Gott so gnädig gewesen wäre, daß die Geburt das Licht der Welt er blickt hätte und ein Sohn gewesen wäre, so hätte ich ihn auf den Doktor studieren lassen, damit er seine Brüder, den Baccalaureus und den Lizentiaten, nicht beneidet hätte.«

»Also«, sagte Sancho, »wenn Eure Frau nicht gestorben wäre oder andere sie nicht hätten sterben lassen, so würdet Ihr jetzt kein Witwer sein.«

»Nein, gnädiger Herr, auf keine Weise«, antwortete der Bauer.

»So sind wir schon weiter«, versetzte Sancho; »nun fort, guter Freund, denn es ist eher Zeit zum Schlafen als zum Verhandeln.«

»Ich sage also«, sagte der Bauer, »daß dieser mein Sohn, der Baccalaureus werden soll, sich in unserm Dorfe in ein Mädchen verliebte, mit Namen Clara Perlerina, die Tochter des Andres Perlerino, eines sehr reichen Bauern; und diesen Namen Perleriner führen sie nicht etwa von ihrer Familie, sondern weil sie alle paralytisch sind oder gichtisch, und um diesen Namen zu verbessern, heißen sie sich Perleriner, obgleich, die Wahrheit zu sagen, das Mädchen wie eine orientalische Perle ist, und von der rechten Seite angesehen, sieht sie aus wie eine Blume des Feldes, von der linken nicht ganz so, denn auf dieser fehlt ihr ein Auge, das sie in den Pocken verloren hat; und ob sie gleich im Gesichte viele und große Narben trägt, so sagen doch die, die ihr gut sind, es wären keine Narben, sondern Gräber, in welchen die Seelen ihrer Liebhaber begraben liegen. Sie ist so reinlich, daß, um das Gesicht nicht zu beschmutzen, sie die Nase in die Höhe gekrämpt trägt, so daß es läßt, als wenn sie vor dem Munde die Flucht nähme, doch sieht sie bei alledem sehr schön aus, denn sie hat einen großen Mund, und wenn ihr in diesem nicht zehn oder zwölf Zähne fehlten, so könnten diese es in der reizenden Bildung mit den vollkommensten aufnehmen. Von den Lippen ist nichts zu sagen, denn sie sind so fein und zart, daß, wenn es nur gebräuchlich wäre, Lippen zu flechten, man aus diesen einen schönen Zopf drehen könnte; da sie aber noch eine andere Farbe haben, als bei den Lippen meistens gebräuchlich ist, so sind sie gar wunderwürdig, denn sie sind himmelblau, grün und bräunlich marmoriert; der Herr Statthalter mag es mir nicht übelnehmen, wenn ich so genau und Stück für Stück die ausmale, die über lang oder kurz meine Tochter wird, denn ich bin ihr gut, und sie scheint mir nicht übel.«

»Malt, was Ihr wollt«, sagte Sancho, »denn ich ergötze mich an dieser Malerei, und wenn ich gegessen hätte, so gäbe es für mich keinen besseren Nachtisch als Euer Porträt da.«

»Diesen will ich eben auftragen«, antwortete der Bauer; »aber die Zeit wird kommen, in der wir das sind, was wir jetzt vielleicht noch nicht sind, und ich sage nur, gnädiger Herr, daß, wenn ich ihre Lieblichkeit und den Wuchs ihres Körpers malen könnte, das ganz etwas Erstaunliches sein würde; aber das kann nicht geschehen, weil sie eingekrümmt und zusammengerollt ist und die Knie am Munde hat, aber dessenungeachtet[319] kann man wohl sehen, daß, wenn sie sich nur aufrichten könnte, sie mit dem Kopf an die Decke stoßen würde, und sie hätte schon ihre Hand als Braut meinem braven Baccalaureus gegeben, wenn sie sie nur ausstrecken könnte, aber die ist zusammengeschrumpft, doch kann man an den breiten und gerieften Nägeln ihre Schönheit und treffliche Bildung erraten.«

»Nun genug«, sagte Sancho, »bedenkt, Freund, daß Ihr sie nun von dem Kopfe bis zu den Füßen gemalt habt, jetzt sagt, was wollt Ihr? Kommt endlich zur Sache, ohne Umwege und Winkelzüge, ohne Fetzen abzuschneiden noch anzunähen.«

»Ich wünschte, gnädiger Herr«, antwortete der Bauer, »daß Ihr von der Gnade wäret, mir ein Empfehlungsschreiben für meinen Schwäher zu geben, worin er gebeten würde, daß er es sich gefallen ließe, die Heirat zu beschleunigen, denn wir sind uns einander ungleich, sowohl was die Glücksgüter als die Naturgaben betrifft; denn um die Wahrheit zu sagen, Herr Statthalter, so ist mein Sohn besessen, und es gibt keinen Tag, an dem ihn nicht die bösen Geister drei- bis viermal peinigten; und davon, daß er einmal ins Feuer gefallen ist, hat er ein Gesicht, so zusammengeschrumpft wie Pergament, und die Augen sind ihm wässerig und etwas triefend; aber er hat ein Wesen wie ein Engel, und wenn er nicht hinstürzte und er sich selber mit den Fäusten schlüge, so wäre er ein Kind des Himmels.«

»Wollt Ihr noch etwas anderes, lieber Mann?« versetzte Sancho.

»Ich wollte wohl noch etwas anderes«, sagte der Bauer, »ich scheue mich nur, es zu sagen; aber frisch auf, es soll mir doch nicht im Leibe verderben, mag es mir etwas helfen oder nichts helfen. Ich sage, gnädiger Herr, daß ich wünschte, Ihr wäret so gut, mir dreihundert oder sechshundert Dukaten als Zubuße zur Aussteuer meines Baccalaureus zu geben; ich meine als Zubuße, um seine Wirtschaft einzurichten, denn er muß doch nun für sich selber leben, daß die Eheleute nicht den Dummheiten der Schwiegereltern ausgesetzt sind.«

»Bedenkt Euch, ob Ihr noch etwas anderes haben wollt«, sagte Sancho, »und verschweigt es nicht aus Scham oder Furchtsamkeit.«

»Gewiß nichts weiter«, antwortete der Bauer; und kaum hatte er dieses gesagt, als der Statthalter aufsprang, den Stuhl faßte, auf welchem er gesessen hatte, und rief: »Ich schwöre dir, Herr Lümmel, Bauerflegel und unverschämter Kerl, daß, wenn Ihr mir nicht augenblicks aus den Augen geht, ich Euch mit diesem Stuhl den Kopf zerbrechen und zerschmettern will. Nichtswürdiger Hurensohn, du Maler des leibhaftigen Teufels, du unterstehst dich, zu dieser Stunde zu kommen und sechshundert Dukaten von mir zu verlangen? Wo soll ich sie denn hernehmen, Rindskopf? Und warum sollte ich sie dir denn geben, wenn ich sie auch hätte, du Schelm und Spitzbube? Was geht mich denn Miguel Turra an und die ganze Sippschaft der Perleriner? Mir aus den Augen, sag ich, sonst, beim Leben des Herzogs, meines Herrn, tu ich dir, wie ich gesagt habe! Gewiß bist du nicht aus Miguel Turra, sondern ein Spitzbube, den die Hölle hierher geschickt hat, mich in Versuchung zu führen. Sage mir doch, du unverschämter Kerl, ich habe noch keine anderthalb Tage die Statthalterschaft, und du willst, daß ich schon sechshundert Dukaten haben soll?« Der Speisemeister gab dem Bauer ein Zeichen, daß er den Saal verlassen sollte, der es auch mit hängendem Kopfe tat und sich sehr zu fürchten schien, der Statthalter möchte seinen Zorn an ihm auslassen, denn der Schelm wußte seine Rolle sehr gut zu spielen.

Wir wollen aber Sancho mit seinem Zorne, der sich wieder legen wird, allein lassen und uns zu Don Quixote wenden, den wir verließen mit verbundenem Gesicht und an seinen Katzenwunden heilend, von denen er in acht Tagen nicht wiederhergestellt wurde; an einem Tage begegnete ihm das, was Cide Hamete mit aller Genauigkeit und Wahrheit zu erzählen verspricht, mit denen er alle Dinge in dieser Historie zu erzählen pflegt, wenn sie auch noch so unbedeutend sein sollten.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 312-315,317-320.
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