Brief an Andres

[367] Guten Tag, lieber Andres, und fröhliche Ostern.

Es ist mir sehr lieb, daß Du mich über Johannes den Täufer zu Hülfe rufst. Nicht zwar, weil ich eben sonderlich helfen kann; sondern weil ich so gerne von ihm spreche und sprechen höre.

Du schreibst, daß er Dir so groß vorkömmt, und Du kannst Dir doch nicht recht sagen warum. Das ist recht gut. Andres. Man weiß oft grade denn am meisten, wenn man nicht recht sagen kann warum.

Daß nun Johannes der Täufer uns groß vorkömmt, ist kein Wunder. Seine ganze Geschichte von der Stunde des Räucherns an, bis an das »Haupt auf einer Schüssel« ist sehr sonderbar; und es ist uns im Sinn, was von sicherer Hand von ihm gesagt ist. Und die Stelle sonderlich, wo er steht, trägt zu seiner Glorie bei. Denn je mehr Zusammenhang mit Christus und je näher um und an Ihn, desto größer. Nun hängen freilich alle wahre Weise und Männer Gottes seit der Welt Anfang mit Christus zusammen, wie die Ströme und Flüsse mit dem Meer. Petrus und Paulus sagen das mit klaren Worten, und die große Unterredung auf dem heiligen Berge »über den Ausgang zu Jerusalem« gibt es wohl zu verstehen. Aber Johannes der Täufer steht in der sichtbaren Welt zunächst und unmittelbar vor Ihm, und[367] zieht also natürlich zunächst den Blick auf sich. Also groß vorkommen muß er. Die Außen- und Um-Werke, wenn ich so sagen darf, fallen sehr in die Augen. Seine innerliche eigne Größe aber fällt nicht sehr in die Augen, und deswegen will es mit dem Warum nicht fort. Sie ist aber darum nicht weniger groß.

Schon das mit dem König Herodes, daß er den nicht sich selbst von dem nahen Heil ausschließen und verkommen lassen wollte und lieber seinen Hals daranwagte, schon das spricht für ihn. Es ist eine leichte und schlechte Kunst, Andres, den Königen und Fürsten zu trotzen, und ihrem verkehrten Willen, wenn sie einen haben, einen andern verkehrten Willen entgegenzusetzen. Aber, wenn ein Mann, der sich besserer Dinge und des göttlichen Willens bewußt ist, wenn der nicht das Seine sondern das des Königs sucht, und ihn auf seinem Thron und mitten unter seinen Gewaltigen straft und schilt wenn er so unglücklich ist Übels zu tun – das ist ein ander Ding.

Du weißt, was Johannes der Täufer für Vorteil davon gehabt, und wie er sich des nicht gewegert hat. Dies nun aber will ich ihm so hoch nicht anrechnen. Ich kann es nicht so groß und schwer finden, daß er, und alle die Leute, die das Glück gehabt haben Christus näher zu kennen, daß die sich für Ihn haben köpfen und sengen und brennen lassen können. Das könnte man für Ihn wohl hinterm Berge tun, und wenn man nur die Evangelisten gelesen hat. Aber, daß Johannes der Täufer auf ebnem Wege so treu sein; daß er so durch die Menschen hingehen und sich nichts als die gute Sache treiben lassen; daß er die Wahrheit immer so über alles achten und so fest im Auge behalten; daß er so demütig sein und unter allen Umständen bleiben konnte etc.; kurz, daß er so klein war, und daß die menschliche Natur sich in ihm gar nicht rührte – das ist schwer! Andres. Das ist groß!

Und von dieser Seite kann man die Gestalt Johannes des Täufers nicht lange und andächtig genug ansehen, in allem was die Schrift von ihm sagt.

Er sollte vor dem Herrn hergehen, daß er seinen Weg bereite. Mehr sollte, und mehr konnte er freilich nicht. Wer Sonnenstrahlen machen will, der ist ein Quacksalber und kennt weder sich noch die Sonne; wer aber die Berge und Hügel, die ihr im Wege stehen, abträgt und erniedrigt, der treibt ein wahres Werk und ein sehr großes. Aber er faßt auch ein heißes Eisen an, denn er wird Vater und Mutter und seine eigne Hausgenossen wider sich erregen, wenn er Gott zum Freunde haben will.[368] Es ist kein Heil außer dem Heil, und die Götzenbilder müssen umgestoßen und weggetan werden. Andres, schlage an Dein Herz! Da steckt das Geheimnis, und da muß das nichts ist etwas werden, und zunichte werden was etwas ist. Denn die Wahrheit hat alles, und es fehlt ihr nichts als eine Herberge, als Platz und Raum für ihre Herrlichkeit.

Aber wir wollten die Gestalt des Vorgängers der Wahrheit ansehen.

Als die Nachricht von ihm, als dem Boten des Heils, aus der Wüsten nach Jerusalem und der Gegend umher gelangte; gingen sie hinaus: brillante Dinge und einen Mann in weichen Kleidern zu sehen. Du kannst denken, daß Johannes wohl gewußt habe, wie sie ihn erwarteten und lieber gehabt hätten – Aber er stand da in seinem Rock von Kamelhaaren und predigte Buße.

Das Volk war in dem Wahn und dachten alle in ihren Herzen von Johannes ob er vielleicht Christus wäre; er war würklich Elias, und wohl mehr als ein Prophet. Und als die Deputierte von Jerusalem, Priester und Leviten, zu ihm kamen und ihn fragten: ›Wer bist du?‹ – bekannte und leugnete er nicht, und er bekannte: ›Ich bin nicht Christus.‹ ›Bist du Elias?‹ – Und er sprach: ›Ich bin's nicht.‹ ›Bist du ein Prophet?‹ – Und er antwortete: ›Nein.‹ etc.

Die Stadt Jerusalem ging zu ihm hinaus, und das ganze jüdische Land und alle Länder am Jordan, und ließen sich täufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden. Und nun kamen vollends die Lichter und Angesehene im Volk, viele Pharisäer und Sadduzäer, öffentlich dazu. – »Und als er sie kommen sah, sprach er zu ihnen: ›Ihr Ottergezüchte, wer hat denn euch geweiset, daß ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Sehet zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße.‹« etc.

Die um ihn standen, sahen ihn an und hielten ihn für einen Mann vom Himmel der alles wisse und in Händen habe; hielten seine Predigt für lauter himmlische Gesichte und Offenbarung, und seine Taufe für eine Geistes- und Wundertaufe. – Und er sagte: »Ein Mensch kann nichts nehmen es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Wer vom Himmel kommt, der ist über alle. Ich taufe mit Wasser; aber nach mir kömmt einer, der wird euch mit Feuer und dem Heiligen Geist taufen, des ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse.«

Lebe wohl, Du lieber Andres etc.[369]

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 367-370.
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