Weihnacht-Kantilene

Coro

[363] Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.


Rezitativ

Maria war zu Bethlehem,

Wo sie sich schätzen lassen wollte;

Da kam die Zeit daß sie gebären sollte,

Und sie gebar ihn –

Und als sie ihn geboren hatte


Und sah den Knaben, nackt und bloß;

Fühlt sie sich selig, fühlt sich groß,

Und nahm voll Demut ihn auf ihren Schoß,

Und freuet sich in ihrem Herzen sein,

Berührt den Knaben zart und klein

Mit Zittern und mit Benedein,

Und wickelt ihn in Windeln ein ...

Und bettete ihn sanft in eine Krippe hin.

Sonst war kein Raum für ihn.
[363]

Choral

Den aller Weltkreis nie beschloß,

Der liegt in Marien Schoß.

Er ist ein Kindlein worden klein,

Der alle Ding erhält allein. Kyrieleis!


Grave

Vor Gott geht's göttlich her,

Und nicht nach Stand und Würden.

Herodem läßt er leer

Mit seinem ganzen Heer;

Und Hirten auf dem Felde bei den Hürden

Erwählet er.


Rezitativ

Sie saßen da und hüteten im Dunkeln ihrer Herde

Mit unbefangnem frommen Sinn;

Da stand vor ihnen, an der Erde,

Ein Engel Gottes ... und trat zu ihnen hin,

Und sie umleuchtete des Herren Klarheit,

Und er sagte ihnen die Wahrheit.


Choral

Kyrie – – Eleison!


Rezitativ

Und eilend auf sie standen

Gen Bethlehem zu gehn;

Und kamen hin und fanden,

Ohn weiters zu verstehn,

Mirjam und Joseph beide,

Und in der Krippen lag, zu ihrer großen Freude,

In seinem Windelkleide

Auf Grummet von der Weide

Der Knabe wunderschön.


Coro 1

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.


Coro 2

Und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns.


Choral

[364] Ein Kindelein so löbelich

Ist uns geboren heute,

Von einer Jungfrau säuberlich,

Zu Trost uns armen Leuten.

Wär uns das Kindlein nicht geborn,

So wärn wir allzumal verlorn,

Das Heil ist unser aller.


Coro

Das Heil ist unser aller.


Rezitativ

Die Väter hoffeten auf ihn mit Tränen und mit Flehn,

Und sehnten sich, den Tag des Herrn zu sehn;

Und sahn ihn nicht.

Was Gott bereitete,

Und von der Welt her heimlich und verborgen war,

Ward in der Zeiten Fülle offenbar.

»Und in der Krippen lag, zu ihrer großen Freude,

In seinem Windelkleide

Auf Grummet von der Weide

Der Knabe wunderschön.«


Coro

Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet.


Rezitativ

Die Weisen fielen vor ihm nieder,

Und gaben ihre Schätze gern;

Und gaben Weihrauch, Gold und Myrrhen.

Sie sahen seinen Stern,

Und kannten ihren Heiland, ihren Herrn,

Und ließen sich das Heu und Stroh nicht irren.


Choral

Er ist auf Erden kommen arm,

Daß er unser sich erbarm,

Und in dem Himmel mache reich,

Und seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis!


Affettuoso

[365] Da liegt und schlummert er,

Die Äuglein zugetan!

– O du Barmherziger! –

Komm alles um ihn her,

Und dien und bet ihn an.


Choral

Willkommen in dem Jammertal,

O bis willkommen tausendmal,

Bis tausendmal gesegnet!

Du teures, liebes, holdes Kind,

Es weht bei uns ein kalter Wind,

Und schneiet hier und regnet.

Wir gingen trostlos und verzagt,

Im fremden Lande viel geplagt,

Gefangen alle auf den Tod;

Da kömmst du zu uns in der Not,

Zu bringen uns

Heim zu des Vaters Haus und Herd ...

Wir sind's nicht wert, wir sind's nicht wert.


Eine Stimme

Holdseliger, gebenedeiter Knabe!

Ich bet von Herzen an.

Du weißt, daß ich nichts habe,

Und dir nichts geben kann.

– Ich bet von Herzen an.


Zwo Stimmen

Ich danke dir auf meinen Knien,

Gebenedeiter Knabe!

Und will, solang ich bin und dieses Leben habe,

Dir danken, Herr! Und wenn ich nicht mehr bin,

Dankt dir, will's Gott! mein Schatten noch im Grabe.


Ein Chor Kinder

Wir wollen seine Krippe schmücken

Und bei ihm bleiben die ganze Nacht,

Die Hände ihm küssen und drücken;

Denn er hat uns so oft was gebracht.


Ein Chor Väter und Mütter

[366] Und wir mit euch sie schmücken

Und mit euch Tag und Nacht,

Die Hände ihm küssen und drücken;

Er hat uns selig gemacht!


Tutti

Du bist würdig zu nehmen Lob und Preis und Dank und Kraft und Macht und Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Dem Menschen dünkt es wunderbar,

Und mag es nicht verstehn;

Doch ist's wahrhaftig wahr!

Und selig sind die Augen, die ihn sehn.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 363-367.
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