Urians Nachricht von der neuen Aufklärung, oder Urian und die Dänen

[459] URIAN:

Ein neues Licht ist aufgegangen,

Ein Licht, schier, wie Karfunkelstein!

Wo Hohlheit ist, es aufzufangen,

Da fährt's mit Ungestüm hinein.

Es ist ein sonderliches Licht;

Wer es nicht weiß, der glaubt es nicht.


DIE DÄNEN:

Erzähl Er doch von diesem Licht!

Was kann es? Und was kann es nicht?


URIAN:

Erst lehrt es euch die Menschenrechte.

Seht, wie die Sache euch gefällt!

Bis jetzo waren Herr und Knechte,

Und Knecht und Herren in der Welt;

Von nun an sind nicht Knechte mehr,

Sind lauter Herren hin und her.


DIE DÄNEN:

Sind also keine Knechte mehr!

Sind alles Herren hin und her!


URIAN:

Sonst war Verschiedenheit im Schwange,

Und Menschen waren klug und dumm;

Es waren kurze, waren lange,

Und dick und dünne, grad und krumm.[459]

Doch nun, nun sind sie allzumal

Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal.


DIE DÄNEN:

Nun aber sind sie allzumal

Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal!


URIAN:

Man nannte Freiheit bei den Alten,

Wo Kopf und Kragen sicher war,

Wo Ordnung und Gesetze galten,

Und niemand krümmete kein Haar.

Doch nun ist frei, wo jedermann

Radschlagen und rumoren kann.


DIE DÄNEN:

Doch nun ist frei, wo jedermann

Radschlagen und rumoren kann!


URIAN:

Vernunft, was man nie leugnen mußte,

War je und je ein nützlich Licht.

Indes was sonsten sie nicht wußte,

Das wußte sie doch sonsten nicht.

Nun sitzt sie breit auf ihrem Steiß,

Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!


DIE DÄNEN:

Das macht sie gut! ... auf ihrem Steiß –

Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!


URIAN:

Religion war hehre Gabe

Für uns bisher, war Himmelbrot;

Und Menschen gingen drauf zu Grabe:

Sie sei, und komme her, von Gott.

Nun kommt sie her, weiß selbst nicht wie? –

Man saugt nun aus dem Finger sie.


DIE DÄNEN:

Nun kommt sie her, wir wissen, wie?

Sie saugen aus dem Finger sie.
[460]

URIAN:

Auch wißt ihr wohl vom Potentaten,

Wie der großmächtiglich regiert,

Und wie, ohn Streit und Advokaten,

Dem Szepter Ehr und Furcht gebührt.

Doch nun ist Szepter gar nicht viel,

Nicht besser, als ein -stiel.


DIE DÄNEN:

Uns ist und bleibt der Szepter viel!

Euch lassen wir den – andern Stiel.

Wir fürchten Gott, wie Petrus schreibet,

Und ehren unsern König hoch.

Was Wahrheit ist, und Wahrheit bleibet

Im Leben und im Tode noch;

Das ist uns heilig, ist uns hehr!

Ihr Fasler, faselt morgen mehr.


SCHLUSSCHOR:

Was himmelan die Menschen treibet;

Sie besser macht; was Probe hält;

Was Wahrheit ist und Wahrheit bleibet

Für diese und für jene Welt;

Das ist uns heilig, ist uns hehr!

Ihr Fasler, faselt morgen mehr.


Asmus.


Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 459-461.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Asmus omnia sua secum portans
Asmus Omnia Sua Secum Portans: Oder, Sämmtliche Werke Des Wandsbecker Bothen (German Edition)
Asmus Omnia Sua Secum Portans: Oder, Sämmtliche Werke Des Wandsbecker Bothen, Volume 6 (German Edition)
Asmus Omnia Sua Secum Portans Oder Sämmtliche Werke Des Wandsbecker Bothen, Volume 7 (German Edition)
Asmus Omnia Sua Secum Portans Oder Sämmtliche Werke Des Wandsbecker Bothen, Volume 4 (German Edition)
Asmus Omnia Sua Secum Portans Oder Sämmtliche Werke Des Wandsbecker Bothen, Volume 5 (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon