Einfältiger Hausvater-Bericht über die christliche Religion

[573] an seine Kinder Caroline, Anne, Auguste, Trinette, Johannes, Rebekke, Fritz, Ernst und Franz


Nach der Heiligen Schrift


Lieben Kinder, »die Welt vergehet mit ihrer Lust. Wir fahren dahin wie ein Traum, und sind wie ein Schlaf: gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird, das frühe blühet und bald welk wird, und des Abends abgehauen wird und verdorret. Unser Leben währet siebenzig Jahr, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig«. Dann müssen wir sterben, müssen alles, was uns hier nahe und lieb ist, zurücklassen, und allein weitergehen. Und was es im Grabe mit uns sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen sowenig, wo wir herkommen, als wo wir hingehen, noch was wir hier eigentlich sollen und sind; und wir haben nichts in Händen, darauf wir uns verlassen, und damit wir uns trösten und unser Herz stillen könnten.

Aber Gott hat uns unser Herz gestillet durch eine Schrift, die er selbst frommen und heiligen Männern eingegeben hat, und die darum die Heilige Schrift, die Offenbarung, oder die Bibel, das Buch aller Bücher, genannt wird.

In diesem Buch finden wir Nachrichten und Worte die kein Mensch sagen kann, Aufschlüsse über unser Wesen und über unsern Zustand, und den ganzen Rat Gottes von unsrer Seligkeit in dieser und jener Welt.

So hoch der Himmel ist über der Erde, ist dieser Rat über alles, was in eines Menschen Sinn kommen kann; und Ihr könnet diese Schrift nicht hoch und wert genug haben und halten. Doch ist sie, versteht sich, immer nicht die Sache, sondern nur die Nachricht von der Sache.

Die Heilige Schrift fängt mit einem Stand der Unschuld an, oder mit dem, was der Mensch im Anfang war, und lehret uns, daß wir von Gott gemacht sind: gut und weise und heilig wie er; daß wir gemacht sind: über die Erde zu herrschen und sie vor dem Bösen zu bewahren, seines Heiligen Geistes zu leben und ewig vor ihm aus und ein zu gehen wie die lieben Kinder um den lieben Vater; sie lehret uns, daß die Menschen sich selbst freiwillig von Gott, dem Urquell alles Guten und aller Seligkeit, getrennt, und mit dem Bösen Gemeinschaft gemacht haben; daß ihnen bei dieser Trennung ihr Wesen geblieben, aber das Leben[573] desselben, sein Heiliger Geist, von ihnen gewichen sei, als der mit dem Bösen nicht Gemeinschaft haben kann.

»Und Gott sprach«, so erzählt die Heilige Schrift, »lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei; die da herrschen über die Fische im Meer, und über die Vögel unter dem Himmel, und über das Vieh und über die ganze Erde, und über alles Gewürm das auf Erden kreucht. Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein.

Und Gott pflanzte einen Garten gegen den Morgen, mit allerlei Bäumen lustig anzusehen und gut zu essen, und einen Strom, ihn zu wässern, der sich daselbst in vier Hauptströme teilete, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses; und setzte den Menschen in den Garten, daß er ihn bauete und bewahrete, und gebot dem Menschen und sprach: ›Du sollt essen von allerlei Bäumen, aber von dem Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses sollt du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.‹ Und die ersten Menschen ließen sich die Schlange verführen, den Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses anzurühren und von seiner Frucht zu essen; und wurden, nachdem ihnen Gott Röcke von Fellen gemacht und angezogen hatte, aus dem Paradies von dem Baum des Lebens hinausgetrieben auf den, um ihretwillen, verfluchten Dorn- und Distelacker, im Schweiß ihres Angesichts ihr Brot zu essen, und sich darauf zu nähren mit Kummer ihr Leben lang.«85

So gingen sie nun zwischen den Dornen und den Disteln mit Kummer, und mit Scham und Reue, untröstlich über ihren Verlust, und ohne Ende elend und unglückselig; und war für sie und alle ihre Kinder kein Rat, oder ihr Wesen mußte wieder durch den Geist Gottes belebt und mit Gott vereiniget werden. Das aber konnte nicht sein, sintemal Himmel und Erde sich nicht vereinigen können.

Aber Gott ist die Liebe, und die Liebe ruhet nicht; sie kann in ihren Wirkungen und in ihrem Wohltun gestöret und gehindert werden; aber sie hört nicht auf zu lieben, wie die Sonne nicht aufhört zu scheinen. Gott hatte den Menschen geliebt ehe der Welt Grund gelegt ward86, und er hatte ihn auch in seiner Not und in seinem Elende nicht aus den Augen verloren. Er hatte[574] sich ihre Scham und Reue rühren lassen, sich erbarmt, und ein Mittel versprochen.

Und dies Mittel war, daß das Leben das da ewig und bei Gott war, erscheinen87; daß das Wort, das bei Gott und das Gott war, Fleisch werden sollte88. Und das ist in Christo geschehen.

Diese hohe göttliche, all menschlich Wissen, Verstand und Hoffen übersteigende, Veranstaltung ist gleich den ersten Menschen zu ihrem Trost verkündiget, und diese Verkündigung und Verheißung und die darauf gegründete Hoffnung und Erwartung der Herstellung und des Herstellers, als ein heiliges Geheimnis, von Vater auf Sohn, auf die Nachkommenschaft fortgepflanzet worden.

Vor der Sündflut, und die ersten tausend Jahre nachher, war dies Geheimnis bei den Hausvätern und Häuptern einzelner Familien von Gerechten, und wurde dann, als die Welt voll Menschen war, einem ganzen Volk anvertrauet.

Über die Art und Weise wie jene Familienväter davon Gebrauch gemacht haben, und über ihren Gottesdienst, ist uns in der Heiligen Schrift wenig Umständliches aufgezeichnet; nur daß von ihrer nähern Verbindung und ihrem nähern Umgang mit Gott, und von weitern Eröffnungen, die einigen von ihnen, dem Noah und sonderlich dem Abraham, geschehen; und, gleich von Anfang an, von Altar und Opfer darin die Rede ist. Ohne Zweifel aber werden sie, wie auch von einigen ausdrücklich erzählt wird, als Gerechte unter dem unschlachtigen Geschlecht, und als Leute, die eines höhern und außerordentlichen Schutzes und Segens genossen, in der Welt geleuchtet, und die Achtung und Aufmerksamkeit ihrer Zeitgenossen auf sich gezogen, und sie nach der Erkenntnis ihres Gottes und Gottesdienstes lüstern und begierig gemacht haben. Und, aus den Spuren die man bei allen andern alten Völkern antrifft zu urteilen, scheinen nicht alle, die sich in der Absicht an sie gewandt haben mögen, ganz unbefriedigt wieder weggegangen zu sein.

Indes konnte doch bei jenen Familienvätern das Exempel und der Eindruck nicht so auffallend und allgemein sein, als bei dem ganzen Volk, wo es zum Schauspiel aller Völker der Erde ward, als dessen großer Heerführer öffentlich und vor aller Welt Augen ein Wunder nach dem andern tat, und durch den unerwarteten Auszug aus dem mächtigen Ägyptenlande allen[575] Völkern umher Furcht und Schrecken einjagte; er auch, auf die erhabne und majestätische Art89, das Gesetz von Gott empfing, und nach Gottes Weisung einen öffentlichen Gottesdienst einrichtete, der zuerst im kleinen in der Stiftshütte, und hernach, fünfhundert Jahre später, im großen in dem weltberühmten Tempel zu Jerusalem gefeiert wurde.

So herrlich dieser Gottesdienst in sich selbst war, so war er doch sonderlich figürlich, und sollte mit seinen Reinigungen und Opfern etc. auf das wahrhaftige Opfer und die wahrhaftige Reinigung etc. die zukünftig waren, hindeuten und durch seine Figuren und äußere Zeremonien, die Mose alle nach dem was der Herr geboten, und nach den Bildern, die ihm auf dem Berge gezeigt waren90, gemacht und eingerichtet hatte, als ein heiliger Fingerzeig, und als die vollkommenste Weissagung von dem Erlöser und dem Erlösungswerk, den Sinn und Verstand der Menschen beschäftigen und gängeln, und die Idee des großen Heils in ihren Herzen, bis die Verheißung den Vätern geschehen erfüllet würde, lebendig erhalten.

Mose hatte ihnen zwar den Segen und den Fluch, der mit der Beobachtung oder Nichtbeobachtung dieses Gottesdienstes und der Wege des Herrn verbunden sei, nicht verhalten, und bei seinem Abschied Himmel und Erde über sie zu Zeugen genommen: daß er ihnen Leben und Tod vorgelegt habe, damit sie das Leben wählten und sie und ihr Same leben möchten91; aber, was sind wir Menschen, sie erkannten diese Erweisung göttlicher Liebe und Barmherzigkeit, und ihre hohe Erwählung: daß ihnen das lebendige Wort anvertrauet war92, und sie sein Eigentum vor allen Völkern, und ihm ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein93 sollten, nicht wie sich's gebühret, und hingen sich, ungeachtet der Warnungen ihres treuen Mose, und ungeachtet der reichen Fülle und der abgesonderten Lage des ihnen beschiedenen Landes, doch an die andern Völker, und wurden gleich in den ersten fünfhundert Jahren nach ihrem Einzug ein weltlich Königreich, und wandten ihr Herz mehr oder weniger von ihrem Gottesdienst zu den Torheiten und Weisen jener Völker und wurden mehr oder weniger hülflos und elend, bis zur Zeit[576] ihres Tempels, den ihnen Salomo dreitausend Jahr nach Erschaffung der Welt und tausend Jahr vor Christi Zukunft zu Jerusalem erbaute, und darin die Bundeslade samt der ganzen Stiftshütte aufbewahrte.

Aber auch dieser herrliche Tempel schaffte das nicht lange, wozu er erbaut war, und es ging die folgenden fünfhundert Jahre noch übler als vorhin. Sie trennten sich untereinander, verachteten und verließen den Herrn ihren Gott und seine Wege, und liefen den Greueln der Heiden nach; und erfuhren auf eine schreckliche Art, was das für Herzeleid bringet.

Gott hatte ihnen Samen übrigbleiben lassen94, die das Geheimnis von dem Erretter heilig bewahrten, seinen Tag zu sehen wünschten und auf seine Erscheinung hofften; und durch einige von diesen ließ Gott, während dieser Periode, die davon »die Zeit der Propheten« genannt wird, von Zeit zu Zeit das abtrünnige Volk nachdrücklich warnen und an den Erretter erinnern und von seiner Erscheinung weissagen. Und, als auch diese Langmut vergebens war, stieß er ihren Tempel um und warf sie unter die Heiden nach Ninive und Babylon. Von Babylon kamen sie zwar, durch Vermittelung des damaligen Weltbeherrschers, der einen von ihren Propheten hatte kennen lernen, nach Jerusalem zurück, und bauten ihren Tempel wieder; aber das Böse hatte einmal die Überhand gewonnen und das Gute war geflohen. Sie sanken die letzten fünfhundert Jahre tiefer und tiefer, und blieb ihnen am Ende nichts übrig als ein selbstkluger blinder Stolz auf dürre Gebeine, aus denen der Geist gewichen war. Ihr Herz war ganz ins Äußere gewandt; sie suchten nur von außen und im Äußern Hülfe, und der Sinn für die rechte Hülfe und den rechten Helfer war verloren.


Endlich, als die Zeit erfüllet war, vor tausendachthundert Jahren, erschien das Leben hier bei uns auf Erden; das Wort ward Fleisch und wohnete unter den Menschen die damals lebten, und sie sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohns vom Vater voller Gnade und Wahrheit.

Ihr Kinder, schlägt Euch nicht das Herz? ... Man wünscht sich die zween Flügel der Seraphim des Jesaias, mit denen sie ihr Antlitz bedeckten95, und kann doch zu gleicher Zeit nicht umhin, die Menschen seligzupreisen und zu beneiden, denen es von Gott[577] beschieden war, seine Herrlichkeit zu sehen und Augenzeugen dieser hochheiligen Erscheinung zu sein.

Wir sind so glücklich, von seinem Wandel auf Erden in der Heiligen Schrift von vier verschiedenen Leuten Nachrichten zu haben, die, wie Ihr wohl denken könnt, nicht allein für uns die wichtigsten, sondern auch die merkwürdigsten Nachrichten sind, die je durch Menschen gegeben worden, und von Menschen gelesen werden können.

Er ist in menschlicher Gestalt umhergegangen und hat wohlgetan und gesund gemacht alle die vom Teufel überwältiget waren96; er hat Blinde sehend, Taube hörend, Sprachlose redend, Aussätzige rein, Kranke gesund und Tote lebendig gemacht, durch bloßes Anrühren, durch ein Wort und Blick etc.

Zwar waren diese Wunder und Wohltaten die Absicht seiner Zukunft nicht; aber er war natürlich lauter Liebe und Hülfe; es ging eine Kraft von ihm aus, die da heilete und jedermann half97; und er wollte sie nicht zurückhalten, wo Hülfe nötig war. Auch sollten die Juden sehen, daß Gott nicht lüge, und der ihren Vätern versprochene, und von Mose gedeutete Erretter und Helfer gekommen sei.

Er war aber nicht zu solchem Dienst und allein für die Menschen, die damals lebten, in die Welt gekommen, sondern auch für uns, und für alle Menschen von dem ersten bis auf den letzten.

»Denn es ist je gewißlich wahr, und ein teures wertes Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.«98

Damit Ihr aber von diesem Seligmachen den wahren Begriff haben, und den Seligmacher desto tiefer und inniger hochachten und lieben könnet, müsset Ihr recht und eigentlich berichtet werden, was Sünder und Sünde sei; denn wenn Worte oft und viel ohne Sinn gebraucht werden, so kommen sie endlich in den Verdacht, daß sie auch keinen hätten.

Und so bin ich etwas umständlicher über die Sünde, oder was das natürliche Verderben des Men schen, oder über das was wir ohne den Erretter sind.

Wie es in Hinsicht des Körperlichen um uns stehe, habt Ihr zum Teil gehört. Wir sind wie des Grases Blume, sind guten und[578] bösen Eindrücken und Einflüssen preisgegeben, und tragen den Keim des Todes und unzähliger Not und Gebrechen in und mit uns um, bis sie, früher oder später, ausbrechen, und unserer körperlichen Existenz ein Ende machen.

Und mit unserm unsterblichen Geist steht es noch übler. Zwei Kräfte hat ein Geist, erkennen und wollen; und die sind beide in uns so zerrüttet, daß sie fast unkenntlich sind.

Was erkannt werden kann, ist natürlich das Gebiet und Feld des Erkennens, und die Gegenstände in diesem Felde sind die unsichtbaren und ewigen, und die sichtbaren und zeitlichen Dinge.

Von jenen, die ohne Zweifel die hauptsächlichsten sind, erkennen wir nichts. Wir wissen wohl, wenn wir die sichtbaren vergänglichen Geschöpfe ansehen, daß ein unsichtbarer unvergänglicher Schöpfer sein müsse; wir wissen wohl, wenn wir milde wohlwollende Bewegungen und Gesinnungen in unserm Herzen fühlen, daß irgendwo eine Urquelle der Liebe, ein wesentliches Wohlwollen, ein lieber Vater, sein müsse; aber wir sehen ihn nicht und hören ihn nicht, und erkennen ihn nicht.

Und von den sichtbaren und zeitlichen Dingen ist unser Wissen zerrissen und Stückwerk, und unsere Augen sehen was wir wollen.

Eigentlich wissen wir nur, daß wir erkennen sollten; und es ist, als ob uns mit der einen Hand gegeben und mit der andern wieder genommen würde.

Und so ist es auch mit unserm Wollen. Wir wissen, daß wir rein wollen sollten; aber das Unrein hängt sich allenthalben an. Wir fühlen in unserm Gemüt, daß gut gut ist; wir lieben das Gute, und wollen gerne gut sein und das Gute tun; aber wir können nicht. Das Fleisch hindert den Geist und beherrscht ihn, und doch ist er sich seines Vorzugs bewußt und daß er mehr ist und herrschen sollte.

»Fleisch und Geist«, sagt Lutherus, »mußt du nicht also verstehen, daß Fleisch alleine sei, was die Unkeuschheit betrifft, und Geist, was das Innerliche im Herzen betrifft, sondern Fleisch heißet St. Paulus, wie Christus Joh. 3, 6 alles was aus Fleisch geboren ist, den ganzen Menschen mit Leib und Seele, mit Vernunft und allen Sinnen, darum daß alles an ihm nach dem Fleisch trachtet. Also, daß du auch den wissest fleischlich zu heißen, der ohne Gnade von hohen geistlichen Sachen viel dichtet, lehret und schwätzet, wie du das aus den Werken des Fleisches etc.«99[579]

Über dies alles brauchen wir weiter kein Zeugnis, da einem jeden die Erfahrung und sein eigenes Herz selbst zeuget; doch sollt Ihr das offene freie Bekenntnis hören, das ein Apostel darüber ablegt:

»Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist: Ich aber bin fleischlich unter die Sünde verkauft.

Denn ich weiß nicht was ich tue: denn ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich.

So ich aber tue, das ich nicht will: so willige ich, daß das Gesetz gut sei.

So tue ich nun dasselbige nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnet.

Denn ich weiß, daß in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnet nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht.

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

So ich aber tue, das ich nicht will: so tue ich dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnet.

So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, daß mir das Böse anhanget.

Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz, nach dem inwendigen Menschen.

Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.

Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?« etc.100

Seht nun, lieben Kinder, das Gesetz, das wir uns, die wir wollen das Gute tun, finden: daß uns das Böse anhanget; das Gesetz in unsern Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in unserm Gemüt, und uns gefangennimmt, und uns täglich und stündlich zu Fall bringt groß oder klein und uns hinreißt von einer Ungerechtigkeit zu der andern, und das Ende derselbigen ist der Tod101; das Nicht-Gute, das in unserm Fleisch wohnet, und das durch Lüste sich in Irrtum verderbet und unsern Verstand verfinstert; das Gelüsten des Fleisches wider den Geist102 etc. – Dies und daß das so in uns ist, dies nebst der Gebrechlichkeit[580] unsers Körpers, ist die Sünde, nämlich die Erbsünde, das natürliche Verderben des Menschen, der alte Mensch, das Fleisch, der alte Adam, der Schlangensame, der geistliche Tod der zu allen Menschen hindurchgedrungen ist usw.

Die Heilige Schrift hat uns zwar dies Rätsel unserer Natur, dies Für und Wider zugleich in einem Wesen, aufgelöst; denn die göttliche Natur ist das Gute, die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Liebe, das Erkenntnis und alle Vollkommenheiten auf einmal und in eins und sie kann, wo sie auch ist, sich nicht verleugnen. Aber dadurch wird unser Unglück, wenn's möglich ist, nur noch größer. Und kann es einen Jammer geben, der dem Jammer gleich wäre: mit dem Bedürfnis und Drang zu Erkenntnis und Licht, im Dunkeln; mit dem Bedürfnis und Drang zum Guten, im Bösen; mit dem Bewußtsein eines Herrscherwerts und -be-rufs in einer schmählichen Knechtschaft, in ewigem innerlichen Unfrieden und Furcht des Todes zu sein; und nun dazu noch zu wissen: daß wir selbst an unserm Unglück schuld sind und es so ganz anders hätten haben können, daß wir den Zorn eines gerechten und allmächtigen Herrn auf uns geladen, einen liebreichen Vater beleidigt haben, und keine Hoffnung haben, sein Angesicht wiederzusehen.

Und das ist der Abgrund, darein der Mensch durch den Fall gestürzt ward, und daraus ihn nichts erretten konnte, keine menschliche Kraft und Weisheit, kein Gesetz noch Lehre etc.

Er kann sich zwar, wenn er weiß was gut ist, in den Streit: da »das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch und diese beiden widereinander sind«; er kann sich zwar in diesen Streit mischen; er kann, und das ist sein höchstes und edelstes Geschäft auf Erden, er kann es, wenn er über alle Bewegungen seines Herzens sorgfältig wacht und männlich und beharrlich kämpft, mit der Zeit dahin bringen, daß dies Gelüsten des Fleisches nicht in Tätlichkeiten ausbricht, d.i. er kann tugendhaft werden; aber er kann der Schlange nicht den Kopf zertreten, er kann seine Seele nicht lösen103 und wieder lebendig machen, kann die Sünde nicht vergeben.

Aus dem Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde104; aber auf Erkenntnis der Sünde kommt es nicht an, sondern auf die Sünde, auf den Widerwillen des Fleisches wider den Geist; denn dieser Widerwille ist grade das was ihn von Gott scheidet und seiner[581] Gerechtigkeit und Seligkeit im Wege steht – und den kann das Gesetz nicht nehmen. Und so richtet das Gesetz, oder Mose und das Alte Testament, nur Zorn an.105

Und darum bedurfte es eines Neuen Testamentes, eines Mittels das diesen Widerwillen nehmen, das dem Streit zwischen Fleisch und Geist im Menschen ein Ende machen und Frieden stiften könnte; eines Mittels, das sich mit dem Geist des gefallenen Menschen, oder der göttlichen Natur in uns, vereinigen106 und sie wieder frei machen könnte; es bedurfte eines Brots vom Himmel das der Welt das Leben gebe – – es bedurfte der Gnade und Wahrheit; ... Und die ist durch Jesum Christum worden.107

Christus ist der Weg, und niemand kommt zum Vater als durch ihn.108

»Denn das dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward, das tat Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde« –

Oder deutlicher: und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und um der Sünde willen, und vernichtete die Sünde im Fleisch –

»auf daß die Gerechtigkeit vom Gesetz erfordert in uns erfüllet würde.«109

Dies Mittel konnte nur dem armen verlornen Menschengeschlecht der eingeborne Sohn Gottes bringen.

Und dazu »ist er vom Vater ausgegangen und kommen in die Welt, hat die Welt wieder verlassen und ist zum Vater gegangen«, wie er selbst sein großes Werk in einer Summe beschreibt110; dazu hat er hier in der Welt die menschliche Natur rein und sündlos angenommen und mit der göttlichen in sich vereiniget; und ist Gott und Mensch in einer Person von der Jungfrau Maria geboren worden. – Und dazu hat er hier in der Welt, und ehe er wieder zum Vater ging, leiden und sterben und so zu seiner Herrlichkeit eingehen müssen.111

Er sagt im Gleichnis: »Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibet es alleine; wo es aber erstirbet, so bringet es viel Früchte«112; und zu seinen Jüngern gradeheraus: »So ich nicht hingehe so kommt der Tröster nicht zu euch, so ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.«113 Und Petrus, voll des[582] eben über sie ausgegossenen Heiligen Geistes, predigte der verstürzten und irregewordenen Menge: »Christus habe die Verheißung des Geistes«, der vor seiner Vollendung und Verherr lichung noch nicht da war114, »als er durch die Rechte Gottes erhöhet worden, vom Vater empfangen, und ausgegossen dies das ihr sehet und höret.«115

In der Heiligen Schrift wird die Geschichte dieser Leiden und dieses Todes umständlich erzählt.

Er hat zu Jerusalem, nachdem er in einem großen gepflasterten Saal mit seinen Jüngern das mosaische Osterlamm zum letztenmal gegessen hatte, das christliche Osterlamm, nämlich das Essen und Trinken seines Leibes und Blutes unter Brot und Wein, dessen Symbol Mose schon auf Gottes Befehl in die Bundeslade neben den Gesetztafeln hatte legen lassen, in der Nacht da er verraten ward eingesetzt, und ist darauf in einen Garten am Ölberg gegangen, und seine eilf Jünger sind ihm nachgefolget; im Garten hat er von den Jüngern drei besonders zu sich genommen, hat angefangen zu zittern und zu zagen, hat sich auch von diesen gerissen auf einen Steinwurf, und ist dreimal auf sein Angesicht niedergefallen und hat dreimal gebetet und gesagt: »Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir, doch nicht wie ich will, sondern wie du willt«, hat mit dem Tode gerungen und »sein Schweiß ist gewesen wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde«; er ist darauf vom Gebet aufgestanden, und einer, von den Hohenpriestern abgeschickten, Schar mit Schwertern und mit Stangen, entgegengegangen, von ihr gegriffen und zu den Hohenpriestern, Schrift gelehrten und Ältesten gebracht und von ihnen zum Tode verdammt und dem römischen Landpfleger Pontius Pilatus überantwortet worden; der hat ihn verhört, keine Schuld an ihm gefunden, aber ihn doch verurteilt, und er ist wie ein Lamm das vor seinem Scherer verstummet – verspottet, gegeißelt und verspeiet – auf Golgatha in einer Dornenkrone ans Kreuz geheftet worden, und, als er es vollbracht hatte, und sein Blut vergossen war, am Kreuz gestorben – begraben und am dritten Tage wiederauferstanden, und hat sich vierzig Tage lang auf Erden unter den Seinen sehen lassen und sich ihnen lebendig erzeiget, und ist am vierzigsten, nachdem er seine Jünger versammlet und gesegnet und ihnen in alle Welt zu gehen und alle Völker zu lehren und im Namen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen geboten[583] hatte, sichtbarlich vor ihren Augen gen Himmel gefahren; und zehn Tage darauf ist der Heilige Geist über sie ausgegossen worden.

Und man muß nicht meinen, daß in diesem allen irgend etwas zufällig gewesen sei, und daß es auch nicht so hätte geschehen können; denn die Heilige Schrift lehret es ganz anders.

»Das unschuldige und unbefleckte Lamm«, sagt Petrus, »mit dessen teurem Blut die Menschen erlöset sind, war zuvor versehen, ehe der Welt Grund geleget ward.«116

»Er war aus bedachtem Rat und Versehung Gottes übergeben.«117 Und darum konnten die Propheten, die Gottes Rat wußten, von ihm und seinem Leiden und Sterben weissagen, und Mose im Osterlamm, in der in der Wüsten erhöheten Schlange, und in allen seinen Einrichtungen, den Ausgang, den er zu Jerusalem erfüllen sollte, funfzehnhundert Jahre vorher abbilden und konterfeien.

So sprach Christus selbst oft vorher von seinem Kreuzestode und seinen Leiden, und sagte nicht allein seinen Jüngern, was ihm zu Jerusalem widerfahren würde, voraus: »Sehet wir gehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn verdammen zum Tode, und überantworten den Heiden, die werden ihn verspotten und geißeln und verspeien und töten, und am dritten Tage wird er auferstehen118«; sondern er berief sich auch auf Mosen und die Propheten, und sagte bei mehr als einer Gelegenheit, daß es also geschehen müsse, auf daß die Schrift erfüllet würde.119

»Also ist es geschrieben, und also mußte Christus leiden, und auferstehen am dritten Tage«;120

»Denn es muß alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist in dem Gesetz, in den Propheten und in den Psalmen.«121

Es mußte denn alles so ergehen und geschehen, wie es ergangen und geschehen ist.

Wie und was Weise er nun aber dadurch dem Teufel die Macht genommen und die Welt überwunden hat; wie er dadurch die Sünde der Welt getragen, für uns genuggetan und Gottes Zorn gestillet hat; wie dadurch der Geist Tröster, mit dem wir getauft werden sollen, zuwege gebracht, und sein Leib und Blut die rechte Speise und der rechte Trank geworden – das ist das[584] kündlich große und anbetungswürdige Geheimnis122, das von der Welt her verborgen gewesen ist123, und das die Engel gelüstet zu schauen124, und nur seinen Heiligen offenbart wird125. Wir nehmen es mit gebeugter Stirne an, wie es uns von Christo und seinen Aposteln gegeben wird:

»Er hat durch seinen Tod die Macht genommen dem der des Todes Gewalt hat, das ist dem Teufel.«126

»Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.«127

»Ich habe die Welt überwunden.«128

»Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde träget.«129

»Derselbige ist die Versöhnung für unsre Sünde, nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt.«130

»Wer dem Sohn nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihn.«131

»Durch seinen Tod sind wir Gott versöhnt.«132

»Durch seinen Gehorsam sind wir gerecht worden.«133

»Er hat unsre Sünde selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holz.«134

»Er ist um unsrer Sünde willen dahingegeben.«135

»Er ist um unsrer Missetat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet.«136

»Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohns, und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben – denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank.«137

»Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.«138

»Durch ihn haben wir Friede mit Gott.«139

»Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem teuren Blut sind wir erlöset.«140 Und so auf allen Blättern der Heiligen Schrift.

Das sind klare Worte, die er und seine Apostel gesagt haben; darauf leben und sterben wir. Und wir fragen nur, wie wir einer[585] so großen, überschwenglichen und unverdienten Gnade und Wohltat wert sein, und wie wir ihrer teilhaftig werden können?

Denn damit, daß Christus die Werke des Teufels zerstöret, die Welt überwunden und des Vaters Zorn gestillet hat; damit ist nur die Tür des Paradieses wieder geöffnet; aber wir sind noch nicht hinein, und es müssen noch im Menschen die Werke des Teufels zerstöret,141 die Welt überwunden,142 und der Zorn Gottes, die Unverträglichkeit der heiligen Natur mit dem was ihr zuwider ist, gestillet143 werden.

»Christi Werk und Geschichte wissen«, sagt Lutherus, »ist noch nicht das rechte Evangelium wissen, denn damit weißt du noch nicht, daß er Sünde, Tod und Teufel überwunden hat.«

Durch das Erlösungswerk Christi ist das Reich Gottes nahe herbei kommen; aber das Reich Gottes soll inwendig im Menschen sein144, und der Geist Gottes soll ihn treiben145.

Nun aber ist, wie wir gesehen haben, in dem natürlichen Menschen ein ander Reich, und ihn treibt ein anderer Geist, nämlich der irdische fleischliche Sinn, der eine Feindschaft ist wider Gott146, der nichts vernimmt vom Geiste Gottes und dem dies eine Torheit ist147.

Dieser Sinn also muß im Menschen untergehen, die Geschäfte des Fleisches müssen getötet werden148, der Leib der Sünden149 der alte Adam muß sterben und mit Christo begraben werden in den Tod150. Und aus diesem Tode muß ein neues Leben hervor kommen und neugeschaffen werden, so daß, gleich wie Christus ist von den Toten auferwecket durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch der gefallene und in Sünden tote Geist151 des Menschen auferstehe und eine Neue Kreatur152 sei, die, wie vormals, frei wieder um sich sehe und frei und mit Lust das Gute wolle.

Diese Veränderung im Menschen heißt die Wiedergeburt; die Heilige Schrift nennt es auch: »neu geboren werden«153; »aus unvergänglichem Samen«154 »vom Geist«155 »aus Wasser und Geist«156 »aus Gott«157 geboren werden etc. Und das muß in einem jeden einzelnen Menschen geschehen, oder er bleibt was er ist.158 »Denn, es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.«159[586]

Diese Veränderung und Tötung des alten Adams geschieht durch den Geist Tröster den Christus uns vom Vater gesandt hat160, durch den Leib Christi161, und kann ohne ihn nicht geschehen162. Sie kann aber auch durch ihn allein und ohne Zutun des Menschen nicht geschehen, und der Mensch hat gewisse Bedingungen zu erfüllen, wenn der Geist Tröster nicht für ihn umsonst gekommen sein soll. Tun und die Gerechtigkeit und Seligkeit verdienen kann der Mensch nicht; sie ist und bleibt eine freie unverdiente pur lautre Gnade; aber er kann den Weg des Herrn bereiten und seine Steige richtig machen.

Und das geschieht durch Buße und Glauben.

»Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei kommen.«163

Nach dem Bericht der Evangelisten ging vor dem, der mit Feuer und dem Heiligen Geist taufte164, der Vorläufer und Wassertäufer her, und predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünde.165

»Ich taufe mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt ist stärker als ich.«166

»›Tut rechtschaffene Früchte der Buße.‹ Und sie gingen zu ihm hinaus und bekannten ihre Sünde.«167

Wie im allgemeinen, so im besondern. Der einzelne Mensch muß Buße tun, das heißt: Sinn ändern.

Nun können wir, wie Ihr gehört habt, uns aus eigner Kraft den fleischlichen Sinn nicht nehmen; aber wir können wollen und Entschließung fassen. Dies ist der einzige Akt, den der gefallene Mensch von seiner vorigen Herrlichkeit noch in seiner Gewalt hat, die einzige Saite auf der heiligen Harfe, daran er noch rühren kann, und das Wahrzeichen seiner Größe. Er kann noch, trotz Kerker und Ketten, in sich schlagen, und in seinem innersten Herzen dem fleischlichen Sinn den Rücken wenden und die Hände nach Gott ausstrecken.

Aber dieser Entschluß ist keine leichte und geringe Sache, wie ein jeder erfährt, der ihn in Ernst fassen will. Er ist der schmale Weg und die enge Pforte, die das Christentum so unbeliebt, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit macht. Wer ihn fassen will, der muß einen bekannten Genuß, für einen unbekannten aufgeben, der muß sein eigen Leben hassen und die Schmach der Welt tragen können. Aber er muß gefaßt werden,[587] und ist das Opfer, das die Wahrheit fordert und daran sie ihre Gnade gehängt hat, und ohne das sie ihrer Majestät etwas vergeben würde.

»Wer Vater und Mutter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht wert. Und wer Sohn und Tochter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folget mir nach, der ist mein nicht wert.«168

Die himmlischen Güter können einer irdischen Gesinnung nicht mitgeteilet werden. Und darum dürfen auch die heiligen Sakramente, die Taufe und das Abendmahl, von den Menschen nicht als nach einem vorgegangenen Bekenntnis gespendet werden. Und, seitdem die Kindertaufe eingeführt ist, müssen die Taufzeugen verbürgen, daß der Täufling dem Teufel und allen seinen Werken und alle seinem Wesen etc. entsage und an den dreieinigen Gott glaube.

Und da der Mensch Gott den Rücken wandte und ihm nicht die Ehre geben und vertrauen wollte, als er ihn sahe; so ist es billig, wenn er wieder Gnade finden und geholfen sein will, daß er sich selbst den Rücken wende, und Gott vertraue und die Ehre gebe, nun er ihn nicht siehet.

Gott könnte auch diese Bedingung nicht nachlassen und seine Ehre einem andern geben, oder er müßte aufhören, die Wahrheit und die Liebe zu sein; denn es ist nur ein Gott und alles außer ihm ist Verlust.

Aber sie ist und bleibt schwer für den gefallenen Menschen; und, ungeachtet seiner bessern Einsicht und der täglichen und stündlichen Veranlassungen, steht ihm, die äußerlichen Bußübungen zwar wohl, aber die Buße nicht immer zu Gebot. Wer sich die Liebe Gottes bewegen lassen kann, Sinn zu ändern, der geht den köstlichsten Weg. Sonst muß er sich die Gerechtigkeit und die Allgegenwart Gottes, und das Exempel anderer warnen lassen; denn es werden uns nicht umsonst in der heiligen Geschichte Exempel veränderter Denkart und Gesinnung, und lebendiger Reue und Leid über die Sünde, aufgestellt; es wird uns nicht umsonst erzählt, daß Davids »Gebeine erschrocken und sein Herz sehr erschrocken gewesen und er sein Lager mit Tränen genetzet«; daß »Petrus hinausging und bitterlich weinete«; daß »Abraham gehorsam ward und ausging und nicht wußte wo er hinkäme«; daß »Mose, da er groß ward, nicht mehr ein Sohn der Tochter Pharao heißen wollte und viel lieber erwählete, mit dem Volk[588] Gottes, Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, und daß er die Schmach Christi für größer Reichtum hielt als alle Schätze Ägypti etc.« Durch diese alle redet Gott noch zu uns, wiewohl sie gestorben sind.

Oft tragen auch die Umstände des Lebens zu dieser Sinnesänderung bei, und es hat einen sehr wahren und einen sehr vernünftigen Sinn, wenn die Heilige Schrift sagt, daß das Kreuz zu Gott führe.

Sonderlich aber dienet das Gesetz, die Sünde überaus sündig169 und mächtig zu machen, damit die Gnade noch viel mächtiger werde170; wenn nämlich der Mensch in diesem Spiegel die Gestalt, die er haben soll, fleißig ansiehet und sie mit der vergleicht, die er hat. Als Ihr wisset, lieben Kinder, daß Gott ein starker eifriger Gott ist, der über die so ihn hassen, die Sünde der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimsucht, aber denen so ihn lieben und seine zehen Gebote halten bis ins tausendste Glied wohltut; und daß Ihr nach seinem ersten Gebot keine andre Götter neben ihm haben, ihn über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollet. Wenn Ihr nun in Euch hineinsehet, und da die andern Götter, die Ihr neben ihm habt, und die vielen andern Dinge, die Ihr über ihn fürchtet, liebet und vertrauet, gewahr werdet; so erfüllet dies das Herz mit Scham und Reue und ängstiget und zerschlägt es »daß wir lernen erschrecken«, sagt Lutherus, »vor unserer Sünde, und dieselben lernen groß achten und uns Sein allein freuen«.

Das zweite von seiten des Menschen ist der Glaube.

»Und wie Mose in der Wüsten eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden sondern das ewige Leben haben.«171

»Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.«172

Wie also die leiblich kranken Israeliten, wenn sie leben bleiben wollten, die von Mose in der Wüsten erhöhete Schlange ansehen mußten173; so müssen die geistlich Kranken den erhöheten Menschensohn ansehen und an ihn gläuben.

Aber dies Gläuben ist ein göttlich Werk.

Glauben überhaupt ist edler und höher als Sehen. Wie aber die sichtbaren Dinge, die wir sehen sollen, uns auf eine gewisse[589] Entfernung nahe kommen müssen, und, wenn wir sie sehen, uns wirklich nahe sind; so müssen uns auch die unsichtbaren Dinge, die wir glauben sollen, auf eine gewisse Weise nahe kommen, und sind, wenn wir sie glauben, uns wirklich nahe. Einem nachdenkenden Manne, der aus den sichtbaren wundervollen Geschöpfen auf einen unsichtbaren allmächtigen und allweisen Schöpfer mit Sicherheit und Gewißheit schließt, ist Gott ohne Zweifel näher als einem rohen Spötter; und dieser Glaube seiner Gedanken, der ihm Gott näher bringt, ist allerdings etwas Edleres und Tätigeres als das Sehen. Aber gar viel ein ander und kräftiger Ding ist der Glaube des ganzen Menschen, wenn sein bewegtes und arbeitendes Herz und alle seine Kräfte den Gegenstand des Glaubens mit Zuversicht und Zueignung ergreifen, herbeiziehen und sich gleichsam einverleiben – und dieser Gegenstand des Glaubens der vollendete und verherrlichte Gott-Mensch ist.

»Glaube«, sagt Lutherus, »ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten. – Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt. – O es ist ein lebendig, schäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, daß unmöglich ist, daß er nicht ohn Unterlaß sollte Gutes wirken. – Darum siehe dich für für deinen eignen falschen Gedanken und unnützen Schwätzen vom Glauben. – Bitte Gott, daß er den Glauben in dir wirke, sonst bleibst du wohl ewiglich ohne Glauben, du dichtest und tust was du willst oder kannst.«

Wenn der Mensch nun mit einem solchen Glauben zu dem erhöheten Menschensohn aufsieht, und mühselig und beladen an seine Brust schlägt; so hat er das Seinige getan, und der Geist Tröster tut das übrige.

Wenn er so sich selbst aufgegeben und alle eigne Stützen von sich geworfen hat und nun zu versinken und in die Leere und Öde zu fallen glaubt; so fällt er wieder in die Arme des, der aller Wesen Stütze ist und der ihn nur fahrenließ weil er sich selbst stützen wollte, dessen Arme aber ewig für jeden reuigen und wiederkehrenden Sünder offenstehen.

Höret das holdselige Gleichnis vom verlornen Sohn aus dem Munde Christi:

»Er, der verlorne Sohn, schlug in sich und sprach: ›Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: »Vater ich habe gesündiget im Himmel und vor dir und bin fort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße, mache mich als einen deiner Taglöhner.«‹ Und er machte sich auf und kam zu seinem[590] Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sahe ihn sein Vater und jammerte ihn, lief und fiel ihm um den Hals und küssete ihn.«174

Seht, lieben Kinder, so fängt die Wiedergeburt an, und der das gute Werk angefangen hat, der setzt es, wenn ihn der Mensch nicht hindert, auch fort und vollführt es; denn es hat, wie alles Werk, seine Zeiten und Stufen.175

Nach unserm Glauben berufet der Heilige Geist, erleuchtet und heiliget. Aber der Mensch kann auf mancherlei Weise im Wege und hinderlich sein; auch, da er das Sausen des Windes nur hört und nicht weiß von wannen er kommt und wohin er fähret, sehr leicht in Abwege geraten und das armselige Feuer seines Herdes für Feuer vom Himmel halten. Und das schadet ihm und andern. Aber die Sache hat darum nicht weniger in sich ihren sichern und gewissen Gang; und die guten Geistlichen kennen diesen Gang und können Rat geben, denn dies ist ihre eigentliche Wissenschaft und ihr eigentliches Feld176, und werden deswegen mit Recht Ehrwürdig genennet.

Dieser alte einfältige Weg der Buße und des Glaubens heißt die Ordnung des Heils, lieben Kinder, und ist der Weg zum Leben und zur Wiederherstellung des Menschen. Sie haben auch andere Wege; die aber führen da nicht hin, dahin dieser am Ende führt.

Denn Ihr müßt nicht meinen, daß es ein Geringes sei, wenn an einem Menschen erfüllet ist, was Christus kurz vor seinem Tode von seinem Vater bat: »daß sie alle eines sein, gleich wie du, Vater, in mir, und ich in dir, daß auch sie in uns eines sein – gleich wie wir eines sind.«177

Die Heilige Schrift weiß sich über diesen Zustand nicht zurückhaltend und erhaben genug auszudrücken, nennt ihn etwas, das die Welt nicht empfahen kann178; ein wunderbares Licht179; die Herrlichkeit des Vaters180 etc. Johannes saget: »Das ist die Freudigkeit die wir haben zu ihm: daß so wir etwas bitten nach seinem Willen, so höret er uns. Und so wir wissen, daß er uns höret, was wir bitten: so wissen wir, daß wir die Bitte haben, die wir von ihm gebeten haben.«181 Und Christus selbst sagt: »Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen.«182

Es stehet dem Menschen nicht zu, davon zu reden, und man[591] sieht ein, daß der Mensch auch davon nicht reden könnte, und daß ein solcher eine Seligkeit und einen Frieden habe, die über alle Welt und alle Vernunft gehen183; und daß niemand seine Freude von ihm nehmen könne184. Auch der Tod nicht; denn ein solcher wird leben ob er gleich stürbe185. Er stirbet nimmermehr186; denn er verliert durch den Tod nur, was er nicht hatte, und was er hat das bleibet bei ihm in Ewigkeit187.

Das, lieben Kinder, ist die christliche Religion nach der Heiligen Schrift.

Es ist nichts Erhabners und Größers und keine fröhlichere Botschaft. Haltet fest daran, und achtet darauf als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in Eurem Herzen188.


Der selige Lutherus hat diese Lehre in seinem sogenannten Kleinen Katechismus unter fünf Hauptstücken gefaßt, und sich bei dieser Abteilung die Sache vermutlich so vorgestellt: daß der Mensch zuerst wissen müsse was er sein soll, und denn wie und wo durch er das werden könne, und daß von seiten des Menschen ein brünstiges Verlangen und Wünschen des Herzens, und von seiten Gottes eine Annäherung und Mitteilung der unsichtbaren Güter erfordert werde; und hat also im ersten Hauptstück vom Gesetz, im andern vom Glauben, im dritten vom Gebet, und im vierten und fünften von den heiligen Sakramenten der Taufe und des Abendmahls gehandelt. Diese Einteilung ist auch sehr gut, und seine Hauptstücke sind kräftig und schön gestellt, und präget sie Eurem Gedächtnis und Eurem Herzen fest und tief ein.

Andre haben andre Ab- und Einteilungen gemacht. An der Form ist am Ende so sehr nicht gelegen, die ist willkürlich; aber die Sachen sind nicht willkürlich, und daran ist alles gelegen.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 573-592.
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