Marie Louise

[119] Du fragst, was mir so herbe, tiefe Falten

In meine junge Stirne gräbt?

Was mich so plötzlich macht erkalten?

Was mich durchbebt,

Daß ich dich an mich reißen will –

In heißer Leidenschaft dich an mich pressen?


Geliebte! O sei still! ...

O laß mich schweigen! ... Frage nicht! ...

Zeig mir dein holdes, liebes Angesicht –

Der Augen Goldbraun und der Lippen Blüten –

Mich aber laß mein ernst Geheimnis hüten! ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Und lache wieder! ... Denn du weißt, es liegt

In deines Lachens reiner Töneflut

Ein Zauber, der mich stets besiegt,

Der stets gebändigt mein Rebellenblut ...
[119]

Mir aber will ich tiefbeschämt gestehn –

Will Wort für Wort aussprechen, was durchzittert

Mich jäh wie eine ernste, dunkle Ahnung –

Was mich erschüttert

Bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Ja, ja! mein Lieb! – Ich wag's dir nicht zu sagen –

Laß mich dich fest an meine Brust nur pressen – –

Und doch – ich weiß: Es wird die Stunde schlagen –

Da habe ich auch – dich vergessen!

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 119-120.
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