Sommerrosen

[118] Ich wollte dich mit Rosen überschütten,

Mit roten Rosen dein goldbraunes Haar

Und deines Mieders Knospenrundung schmücken ...


Als noch der Lenz mit süßem Veilchenodem,

Ein milder Sieger, durch die Lande schritt,

Sprach ich zu dir: Geliebte! Hat sein Mund

Mit letztem heißen Abschiedskuß die Rose,

Die rote Sommerrose, aufgebrochen,

Dann will ich zu dir kommen und mit Rosen,

Mit roten Rosen deine Schönheit krönen ...


Nun kam der Sommer ... Und der Rosen Fülle

Seh' ich allorts und alle Stunde blühen ...

Die ganze Welt scheint ihrer Macht verfallen,

Und ihre Keusche wirbt Vasallen um Vasallen ...


Selbst einen Bettler sah ich heute lächeln,

Als sein vertränter Blick von ungefähr

Auf einen Korb mit roten Rosen fiel ...


Ich kauf' sie in der ganzen Stadt zusammen

Und schütte sie auf tote Liebesflammen ...

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Nun schmückt ein andrer wohl dein Knospenmieder,

Und morgen wohl begegne ich euch beiden ...

Ich blick' euch lächelnd nach ...

Und denke ganz aus Zufall

Bei der Gelegenheit an einen Frühlingstag,

Da wir uns sahn ... Am Abend dann

Schlug uns die Nachtigall in ihren Bann,

Umduftete uns süß der Flieder ...


Wir aber liebten uns ...

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Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 118-119.
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