Sechstes Kapitel.

Nicht mehr außergewöhnlich, als unterhaltend.


»Der verhängnisvolle Augenblick, wo alle Diamanten und Reichthümer, die sie besaß, verschwinden sollten, war für Amine gekommen. Als einzige Trost war ihr wenigstens die Erinnerung an einen schönen Traum geblieben, der für Abdalathif, vorausgesetzt, dass er auch geträumt hätte, gewiss kein so angenehmer, wie für sie war.

Seit mehreren Tagen hatte ich die Bemerkung gemacht, dass Amine trauriger als gewöhnlich war, nachts war ihr Haus geschlossen und tagsüber sah sie bloß Abdalathif. Man hatte ihr viele Briefe geschrieben und alle waren kränkend für sie. Ich[111] erschöpfte mich in tausend Vermuthungen, um zu errathen, was ihr fehlte, und da ich nichts erforschen konnte, war ich genug albern zu glauben, dass Reue die alleinige Ursache ihres Kummers war.

Obzwar die Kenntnis ihres schlechten Karakters mir diese Vermuthung hatte untersagen sollen, so ließ sie bloß die Schwierigkeit, ihre Ursache zu erforschen, bei mir entstehen.

Eines Morgens saß Amine nachdenklich finster und verlegen bei ihrem Putztisch. Abdalathilf trat ein. Sie erröthete bei seinem Anblick, denn sie war nicht daran gewöhnt, ihn des Morgens bei sich zu sehen, und dieser unerwartete Besuch missfiel ihr sehr. Verwirrt und furchtsam, wagte sie es kaum, ihre Blicke zu ihm aufzuschlagen. Nach der verdrießlichen finstern Miene Abdalathifs, nach den drohenden Blicken, welche er von Zeit zu Zeit auf sie heftete, war es nicht schwer zu errathen, dass er von bösen Gedanken erfüllt war, zu welchen sie vermuthlich die Veranlassung gegeben hatte. Amine ahnte es ohne Zweifel, denn sie hatte nicht den Muth, ihn nach der Ursache seines[112] Zornes zu fragen. Einige Augenblicke verharrte er in unheimlichem Stillschweigen.«

»Sie sind hübsch,« sagte er endlich mit spöttischer Wuth, »Sie sind schön! Ja, und sehr treu! Oh! wahrhaftig, meine Holde. Man könnte Sie es wohl noch lehren, vernünftig zu sein, und sie an einen Ort bringen, wo sie gezwungen wären, es zu sein, wenigstens für einige Zeit.«

»Welche Sprache führen Sie da, mein Herr?« antwortete ihm Amine mit hochmüthiger Miene, »ist es denn erlaubt, eine Dame, wie ich bin, so rauh anzureden? Erwägen Sie ein wenig Ihrer Worte, ich bitte Sie.«

Amines Trotz in der gegenwärtigen Lage schien Abdalathif so befremdend, dass er ihn augenblicklich beirrte; aber schließlich packte ihn wieder die Wuth und er überhäufte sie mit allem Schimpf und aller Verachtung, die er ihr zu schulden glaubte; Amine wollte sich rechtfertigen, aber Abdalathif, der ohne Zweifel über alles das, wessen man sie anklagte, gute Zeugen hatte, befahl ihr hart, zu schweigen. Amine gestand es in diesem Augenblicke, dass Abdalathif das Recht hatte,[113] sich zu beklagen; aber es schien ihr so unmöglich, dass es über sie wäre, dass sie es kaum fasste. Sie glaubte auch ihrerseits berechtigt zu sein, ihn mit Vorwürfen wegen seiner Treulosigkeit zu überhäufen, ja sogar einige Einwendungen über die schlechten Wahlen, die er getroffen, zu machen; alle diese Dinge sagte sie ihm bloß, fügte sie hinzu, aus dem innigsten Antheil, den sie an allem, was ihn betraf, zu nehmen wagte.

Eine so beharrliche Unklugheit machte Abdalathif endlich so ungeduldig, dass er nahe daran war, sich vollkommen zu vergessen.

Als Amine es bemerkte, dass er sich weder von ihren Vorwürfen, noch von ihrem Trotze zum Besten halten ließ, fürchtete sie bei dem maßlosen Zorne, in welchem sie ihn sah, dass diese Scene für sie höchst tragisch werden könnte, sie versuchte es daher, noch ihre Zuflucht zu bittern Thränen und ruhiger Ergebung zu nehmen.

Es war umsonst: nichts beruhigte Abdalathif mehr; ich weiß es nicht, was ihn so erregte, aber niemals habe ich einen Mann[114] so aufgebracht wie ihn gesehen. Von Zeit zu Zeit befielen ihn derartige Wuthanfälle, in denen er ohne Zweifel alles, was ihm in den Weg kam, zertrümmert hätte, wenn das Haus und alles, was darin war, nicht zufällig sein Eigenthum gewesen wäre. Diese kluge Überlegung hielt ihn auch von einem unanständigen Lärm zurück, der ihm vielleicht[115] das Herz erleichtert hätte. Die Gewalt, womit er sich bezwang, sein Toben zu unterdrücken, steigerte seinen Zorn gegen Amine noch mehr. In die größte Wuth versetzte ihn der Gedanke, dass man es gewagt hatte, auf eine so freche Weise den Respekt, den man ihm schuldete, außer Acht zu lassen und dass dies einem so vornehmen Manne, wie er war, geschehen konnte, war ihm unbegreiflich.

Nachdem er Aminen alle Grobheiten, die ihm seine Wuth und seine verletzte Aufgeblasenheit eingab, nach und nach hergesagt hatte, bemächtigte er sich vor Allem sämmtlichen Gegenständen, die er Aminen gegeben hatte. Sie erwartete, dass sie hiemit abgefertigt werden sollte, und tröstete sich damit, dass von Zeit zu Zeit ihre Augen verlangend auf die kostbaren Dinge und Diamanten heftete, welche, wie sie glaubte, ihr bleiben würden; als sie aber sah, dass der unbarmherzige Abdalathif sich anschickte, alles zurückzunehmen, stieß sie ein lautes, schmerzliches und jammervolles Wehklagen aus.

Hierauf kam ihre Mutter hereingestürzt, warf sich unzähligemale zu Abdalathifs[116] Füßen und hoffte ihn damit zu beruhigen, indem sie ihm versicherte, dass es bloß ein verdammter Bonze war, der an Allem, was geschehen ist, die Schuld trug.

Weit entfernt davon, dass die alberne Geschichte, welche man von dem Bonzen erzählte, Abdalathif zu besänftigen vermochte, schien es eher, dass sie ihn noch mehr dazu bestimmte, alle mögliche Strenge gegen Amine anzuwenden.

»Wohlan!« sagte Amines Mutter betrübt, »wir sind recht hart dafür bestraft, dass wir uns so sorglos einem Treulosen anvertraut haben. Meine Tochter weiß es wohl, wie ich darüber dachte, und sie erinnert sich auch, dass ich es ihr stets gesagt habe, dass ihr diese Verbindung bloß Unglück bringen wird.«

Während dieser Klagereden ließ sich Abdalathif, ruhig eine Liste von allen Gegenständen, die er Amine gegeben, in der Hand haltend, alles der Reihe nach zurückzugeben. Als dies geschehen war, sagte er zu ihr: »Was das Geld, welches ich Euch gegeben habe, betrifft, so schenke ich es Dir; es ist nicht meine Schuld, kleine Königin, dass Du[117] nicht glücklicher gewesen bist; diese Demüthigungen werden Dich in Zukunft vorsichtiger machen, ich wünsche es aufrichtig; gehe, ich brauche Dich nicht mehr. Danke dem Himmel, dass ich meinen Zorn nicht weitertrage.«.

Nach diesen letzten Worten befahl er seinen Sklaven, die beiden Frauen hinauszuführen, wobei er ebenso kalt und theilnahmslos bei den abscheulichsten Schimpfworten der Mutter blieb, als er es bei den schmerzlichsten Thränen, die er Amine vergießen sah, gewesen. Trotz meines Abscheues, den mir ihre schlechte Sitten einflößten, ließ mich die Neugier doch den Entschluss fassen, Amine in ihren finstern Versteck, aus welchem sie Abdalathif hervorgezogen hatte, zu folgen, um zu erfahren, welchen Nutzen sie aus ihren Demüthigungen ziehen würde, und wohin sie sich grollend zurückzog, um ihre Niederlage, ihren Kummer, dass es nicht gelungen war, Abdalathif zu ruinieren, zu verbergen.

In diesem traurigen Orte war es nun auch, wo ich Zeuge ihrer Reue und der schrecklichen Verwünschungen ihrer lügenstrengen Mutter war.[118]

Schließlich trösteten sie die Trümmer ihres Vermögens, welche noch ziemlich beträchtlich waren, über den Verlust, den sie erlitten hatten.[119]

»Nun wohl! meine Tochter,« sagte eines Tages die Mutter Amines, »ist es denn ein gar so großes Unglück, das Dir widerfahren ist? Ich gestehe, dass das Ungeheuer, welches Du hattest, die Freigiebigkeit selber war, aber ist er denn der einzige, dem Du gefallen kannst? Außerdem, wenn Du auch nicht einen so reichen finden würdest, glaubtest Du deshalb unglücklicher zu sein? Nein, meine Tochter, denn wo die Qualität mangelt, muss man sich durch die Quantität zu entschädigen suchen. Wenn vier Männer nicht hinreichen, um den einen an Reichthum zu ersetzen, so nehme deren zehne, ja noch mehr, wenn es nöthig ist. Du wirst vielleicht einwenden, dass dies dem Zufalle unterliegt, das ist wohl wahr, aber, wenn man sich unterschätzt und alles fürchtet, so bleibt man im Unglück und der Verborgenheit.

Welche Lust Amine auch verspürte, die weisen Rathschläge ihrer Mutter sofort zu ihren Gunsten auszunützen, so erlaubte es ihr die Liederlichkeit, in der sie früher gelebt hatte, durchaus nicht, sich sobald sie es gewünscht hätte, darnach zu richten.

Ihr bekanntes Abenteuer mit Abdalathif[120] bereitete ihr in Agra den schlechten Ruf einer in Geschäftssachen unverlässlichen Person, so dass ich in letzter Zeit außer dem getreuen Massond, dessen Zärtlichkeit jede Probe aushielt, bei ihr bloß einige ihrer Kolleginnen sah, welche sie aber ohne Zweifel eher deshalb besuchten, um sich über ihr Unglück zu freuen, als um sie über ihren Verlust zu trösten.

Die Zeit, welche Alles ausgleicht, ließ endlich die Gesellschaft von Agra auch die schlechte Meinung, welche man von Amine hatte, vergessen. Man hielt sie für gebessert, man dachte, dass die Zeit, die man ihr zur Überlegung gelassen, sie von dem Hange, treulos zu sein, geheilt hatte. Die Liebhaber kehrten zurück. Ein persischer Edelmann, welcher derzeit nach Agra gekommen war, und der nur unbestimmte Anekdoten dieser Stadt kannte, sah Amine, fand sie hübsch und kaprizierte sich umsomehr auf sie; da einer jener gefälligen Männer, die sich mit der noblen Sorge beschäftigen, Andern seine Vergnügungen zu verschaffen, ihn versicherte, dass, wenn er das Glück haben würde, Amine zu gefallen, er ihm sehr dankbar[121] dafür sein müsse, weil es gewiss die erste Schwäche wäre, welche sie sich vorzuwerfen hatte.

Jeder andere Mann würde diese Behauptung für lächerlich gehalten haben, der gute Perser fand sie bloß für außergewöhnlich. Die Neuheit reizte ihn, und im Vertrauen auf den unfehlbaren Zeugen von Amines Tugend, kaufte er zu dem höchsten Preise die Gunstbeweise, welche man in Agra am niedrigsten anschlug, und die noch lange nicht so verachtet wurden, als sie es hätten sein sollen.

Das traurige Haus, welches Amine bewohnte, wurde noch einmal für einen prächtigen Palast, in dem alle Pracht Indiens herrschte, verlassen.

Ich weiß es nicht mehr, ob Amine klug ihr neues Glück genoss, denn meine Seele war ermüdet und angewidert, die ihrige zu studieren, sie ging hinweg, um andere Gegenstände zu suchen, die würdiger waren, sich mit ihnen zu beschäftigen, obzwar im Grunde ebenso verächtlich, doch anständiger, die sie weniger aufregten und mehr unterhielten.[122]

Ich flog daher in ein anderes Haus, das ich sofort nach dem auserlesenen Geschmack, der darin von allen Seiten herrschte, als eines jener, in welchen ich mich sehr gerne aufhielt, erkannte, nämlich ein Haus nach meinem Geschmack, worin man immer Vergnügungen und Höflichkeit findet, wo selbst das Laster unter dem Anscheine der Liebe verborgen, verschönert durch alle Zärtlichkeit und alle mögliche Feinheit sich dem Auge nur in der verführerischesten Gestalt darbietet.

Die Herrin dieses Palastes war reizend, und nach der Zärtlichkeit, die aus ihren schönen Augen strahlte, ebensowohl als nach ihrer seltenen Schönheit, schloss ich gleich, dass meine Seele bei ihr gewiss Vergnügen finden werde. Eine geraume Zeit verweilte ich indes schon in dem Sopha, ohne dass die Schöne es auch nur der Mühe wert fand, sich darauf zu setzen. Und dennoch liebte sie und wurde wieder zärtlich geliebt. Bestürmt von ihren Geliebten und gedrängt von ihren eigenen Gefühlen, hatte es daher den Anschein, dass ich ihr nicht immer so gleichgiltig bleiben sollte, als es ihr jetzigesBetragen zu versprechen schien. Gerade, als meine Seele zu ihr kam hatte ihr Liebhaber bereits die Erlaubnis, ihr von seiner Liebe sprechen zu dürfen, erhalten, aber, obzwar er sehr liebenswürdig, leidenschaftlich und etwas ungestüm war und selbst schon von ihrer Neigung überzeugt, war er doch noch weit entfernt, davon zu siegen.

Phenime (so hieß sie nämlich) entsagte nur nach langem Kampfe ihrer Tugend, und Zulma zu ehrerbietig, um zu kühn zu sein, wartete mit Geduld von der Zukunft und von dem Antheile, den sie an ihm nahm, ebensoviel Liebe von ihr, als er für sie fühlte. Da ich besser unterrichtet von der Meinung Phenimes als er war, so begriff ich es nicht, dass er sein Glück so wenig kannte.

Mit Worten hatte ihm Phenime zwar nicht gesagt, dass sie ihn liebe, aber ihre Augen sagten es ihm immer. Selbst wenn sie mit Zulma ganz gleichgiltige Dinge sprach, nahm ihre Stimme eine gewisse Innigkeit an, ihre Rede wurde immer lebhafter und ausdrucksvoller. Je mehr sie sich ihm gegenüber zur Zurückhaltung zwang, umsomehr verräth sie[125] ihm ihre Liebe. Nichts an ihrem Geliebten erschien ihr gleichgiltig, sie fürchtete Alles, und selbst jene Leute, die sie am wenigsten liebte, behandelte sie scheinbar besser als ihn. Manchmal befahl sie ihm rauh, still zu schweigen, aber in demselben Augenblicke vergaß sie sich auch schon und führte ihr Gespräch, welches sie beenden wollte, im zärtlichen Tone fort. Jedesmal, wenn es ihm gelang sie allein zu finden, gab sie ihm, ohne es selbst zu ahnen, tausend Gelegenheiten dazu, ihr seine Liebe zu beweisen und es erfasste sie dann stets die zärtlichste und beredteste Erregung. Wagte es dann Zulma, während eines langen und belebten Gespräches ihr feurig die Hand zu küssen, oder vor ihr niederzuknien, erschrak Phenime stets, aber sie zürnte nicht und sie beklagte sich bloß in unendlich zärtlichem Tone über sein Wagnis.«

»Und dennoch,« unterbrach der Sultan, »setzte er mit seinen Liebeswerbungen nicht fort?«

»Nein, wahrhaftig nicht, Sire,« antwortete Amanzei. »Je verliebter er war, umso dümmer benahm er sich,« sagte der Sultan,[126] »das merke ich wohl. Die Liebe ist niemals scheuer, als wenn es daran kommt ...«

»Ja scheu, das ist eine saubere Erzählung. War er denn wirklich so dumm, es nicht zu sehen, dass er die Darme ungeduldig machte? Wäre ich an der Stelle dieser Frau gewesen, ich hätte ihn gewiss für immer fortgeschickt, ich, so wahr ich rede.«

»Es ist außer Zweifel,« antwortete Amanzei »dass mit einer Kokette Zulma nicht verloren gewesen wäre; da al er Phenime es aufrichtig wünschte, nicht besiegt zu sein, so wusste sie ihres Geliebten zarte Bescheidenheit sehr hoch anzurechnen. Überdies, je mehr er die Bedenken Phenimes achtete, desto mehr versicherte er sich den Sieg. Ein süßer Augenblick, der von der Laune der Liebe gespendet ist, kehrt, wenn er nicht erhascht wird, vielleicht niemals wieder, aber wenn es wahre Liebe ist, die ihm gewährt, so scheint es mir, dass, je weniger man ihn zu erhaschen strebt, es destomehr drängt, den süßen Augenblick wieder zu gewähren.« »Ich habe aber sagen gehört, dass die Frauen es durchaus nicht lieben, wenn man sie nicht erräth,« erwiederte Schach Baham.[127]

»Das mag wohl manchmal der Fall sein,« antwortete Amanzei, »aber Phenime dacht hierin ganz anders und liebte Zulma niemals so innig, als wenn er sich noch achtungsvoller, als sie es im Stillen gewünscht hatte, gegen sie benahm.«

»Und,« fragte der Sultan, »noch geschah es denn häufig, dass er sich darin irrte?«

»Ja, Sire, und manchmal sogar so gröblich, dass er damit fast lächerlich war. Eines Tages zum Beispiel kam er zu Phenime; es dauerte bereits eine Stunde, dass sie sich von ihrer Zärtlichkeit beherrscht, sich bloß mit ihm beschäftigte; sie begann ihn bereits lebhaft zu begehren, und ihre Fantasie war auf das Höchste erglüht, sie ergab sich wollüstig ihrer Verwirrung, welche den Höhepunkt erreicht hatte, als Zulma vor ihren Augen erschien. Ihre Erregung steigerte sich und sie erröthete lebhaft, als sie ihn sah! Ach! wenn er es nur begriffen hatte, was damals Phenime erröthend machte! wenn er es auch nur gewagt hätte, sie an sich zu drücken, aber er glaubte, dass sie ihn noch wegen einigen sehr unschuldigen Freiheiten, die er sich Tags vorher zu nehmen[128] erlaubt hatte, zürne. Er benützte die Zeit, zu welcher sie sich über nichts beleidigt haben würde, bloß dazu, um sie um Verzeihung zu bitten.«

»Ah, der Tölpel!« rief der Sultan, »es ist unglaublich, dass man so dumm sein kann!«

»Wundern Sie sich nicht darüber, Sire,« erwiderte Amanzei; »die ganze Zeit lang, als ich Sopha war, habe ich Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie man vielmehr günstige Augenblicke versäumt hatte, als ich deren kühn benutzen sah. Da die Frauen daran gewöhnt sind, uns stets zu verbergen, was sie denken, so verwenden sie auch ihre größte Aufmerksamkeit darauf, uns gerne Regungen zu verhehlen, die sie zur Zärtlichkeit hinreißen und allein eine solche Frau kann sich vielleicht dessen rühmen, niemals unterlegen zu sein, die diesen Vortheil weniger ihrer Tugend, als vielmehr der öffentlichen Meinung, die sie sich zu geben verstanden hat, verdankt.

Ich erinnere mich genau daran, dass ich bei einer wegen ihrer seltenen Tugend berühmten Frau war und längere Zeit bei[129] ihr zubrachte, ohne etwas gesehen zu haben, was der Meinung, welche man von ihr hatte, widersprochen haben würde. Sie war nicht schön, und man muss es auch zugeben, dass es keine Frauen in der Welt gibt, denen es leichter wäre, tugendhaft zu bleiben, als die hässlichen, oder jene, denen es an Anmuth fehlt.

Die Frau besaß neben ihrer Hässlichkeit einen harten und strengen Karakter, der ebenso abstoßend war wie ihr Äußeres und der ebenso abschreckte, als ihr Gesicht. Obzwar es bisher Niemand gewagt hatte, sie gefühlvoll zu stimmen, so glaubte man ebenso wenig daran, dass es möglich war, dass sie der Liebe fähig sei. Durch ich weiß nicht welchen Zufall wagte es ein vornehmer Mann, der kühner und launenhafter als die Andere war, oder an die Tugend der Frauen im Allgemeinen nicht glaubte, eines Tages, als er sich allein mit ihr befand, ihr gleich zu gestehen, dass er sie sehr liebenswürdig finde. Obzwar er es ihr in so kühlem Tone sagte, dass es ihm Niemand geglaubt hätte, machte eine für sie so neue Sprache einen überwältigenden Eindruck auf sie. Sie antwortete[130] bescheiden, aber mit tiefer Erregung, dass sie dazu nicht geschaffen sei, ähnliche Gefühle zu erwecken; er küsste ihr zärtlich die Hand, sie erbebte leise, ihre verlegene[131] Miene, ihr Erröthen, das Feuer, welches plötzlich ihre Augen belebte, waren sichere Bürgen der Unruhe, die ihre Seele erfüllte. Er wiederholte ihr stürmisch, sie mit Feuer umarmend, dass sie auf ihn den tiefsten Eindruck gemacht hatte. Ich weiß nicht, wie er es anstellte, dass er, während sie mehr darüber staunte, ihr bewies, wie sehr er die Wahrheit sprach, aber gewiss war, dass die Bescheidenheit, mit welcher sie sich gewappnet hatte, der Gewissheit seiner Neigung wich. Welcher Art auch die Probe war, auf welche er sie stellte, indem er sie von seiner Liebe überzeugte, sie endete damit, dieselbe zu überschätzen. Es war wohl möglich, dass für sie so neue Dinge sie blendeten, oder dass sie sich von der Last ihrer starren Tugend ermüdet fühlte, denn sie erinnerte sich kaum daran, dass es ihr der Anstand gebot, zuwiderstehen, und sie ergab sich viel schneller als selbst jene Frauen, die es gewöhnt sind, sich am wenigsten zu sträuben.

Dieses, und unzählige andere Beispiele überzeugten mich davon, dass es sehr wenige so tugendhafte Frauen gibt, die man ohne Erfolg angreifen kann, und dass alle jenen[132] Frauen, welche am wenigsten an die Liebe gewöhnt sind, immer am leichtesten zu besiegen sind; aber ich kehre jetzt zu den beiden Liebenden zurück, deren Geschichte ich Euer Majestät soeben erzählte.

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 109-133.
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