Achtes Kapitel.

[152] Als ich von Phenime fortging, trat ich in ein Haus, wo ich nur Dinge sah, welche, da sie ganz gewöhnlich sind, weder anzusehen, noch erzählt zu werden der Mühe wert sind, und so blieb ich nicht lange. Ich war noch einige Tage umgewandert, ohne an den Orten, wohin mich meine Unruhe oder meine Neugierde führten, etwas zu finden, das mich unterhielt, oder mir neu erschienen wäre. Hier gab man sich aus Eitelkeit hin,[153] da war es die Laune, der Eigennutz, die Gewohnheit, selbst die Gleichgiltigkeit, waren die einzigen Beweggründe der Schwächen, deren Zeuge ich war.

Ich traf oft genug diesen lebhaften und vergänglichen Hang, den man mit dem Namen Geschmack zu bezeichnen beehrt, aber ich fand nirgend diese Liebe, diese Zartheit, die süße Wollust, welche so lange an Phenime meine Bewunderung und mein Vergnügen bildeten.

Müde endlich des herumirrenden Lebens, das ich führte, überzeugt, dass jenes Gefühl, von dem man immer erfüllt zu sein scheinen will, dennoch das ist, welches man am wenigsten empfindet, fing ich an, mich über mein Geschick zu langweilen, und lebhaft zu wünschen, endlich jene Gelegenheit zu finden, die der Strafe, zu der ich verurtheilt war, ein Ende ma chen sollte.«

»Was für Sitten!« rief ich manchmal aus; »nein, Brama, der sie kennt, schmeichelte mir mit einer eitlen Hoffnung, er glaubte nicht, dass mit diesem so zügellosen Geschmack für Vergnügen, welcher in Agra herrscht, und der Verachtung aller Grundsätze, die daselbst[154] allgemein verbreitet ist, ich jemals zwei Personen finden könne, so wie Brama sie verlangt, um mich zu einem andern Leben zu berufen.

Ganz diesem kummervollen Nachdenken hingegeben, versetzte ich mich in ein Haus, wo alles ein friedliches Aussehen hatte. Ein ungefähr vierzig Jahre altes Mädchen wohnte darin allein. Obzwar sie noch genug gut aussah, um sich, ohne lächerlich zu scheinen, der Liebe hinzugeben, war sie dennoch klug genug, sie floh die lärmenden Vergnügungen, empfing wenig Leute bei sich, und schien es selbst weniger gesucht zu haben, sich eine angenehme Gesellschaft zu schaffen, als mit Leuten zu leben, welche, sei es durch ihr Alter, sei es durch die Art ihrer Ämter, sie vor jedem Verdacht behüten konnten. Auch gab es in Agra wenig traurigere Häuser als das ihrige. Unter den Männern, die zu ihr gingen, war einer, den sie mit dem meisten Vergnügen zu sehen schien, und der sie auch am wenigsten verließ, ein Mann in gesetztem Alter, ernst, kalt, zurückhaltend, mehr noch aus Temperament, als durch seinen Stand, obzwar e: das Oberhaupteines Braminen-Collegiums war. Er war hart, hasste die Vergnügungen und glaubte auch, dass es keines gäbe, wodurch die Seele eines wahren Weisen nicht erniedrigt wäre. Nach dieser schlechten Laune, nach diesem düstern Äußern hielt ich ihn zuerst für eine jener Persönlichkeiten, die wilder als tugendhaft, unerbittlich für Andere, nachsichtig für sich selbst waren. Im Öffentlichen tadeln sie mit Schärfe die Laster Anderer, welchen sie sich selbst im Geheimen ergeben; ich hielt ihn endlich für einen gleißnerischen Frömmler.

Fatmé hatte mir den Gefallen an den Leuten verdorben, deren Ärßeres klug und geregelt erschien.

Obzwar ich mich selten täuschte, indem ich schlechtes von ihnen dachte, so täuschte ich mich doch in Mocles; und als ich ihn erkannte, verdiente er, dass ich anders von ihm dachte. Seine Seele war gerade und von einer aufrichtigen Tugend. Ganz Agra hielt ihn für weiser, als er es scheinen wollte; Niemand zweifelte, dass seine Abneigung für die Vergnügungen nicht aufrichtig wären, und dass, wie hart auch seine Grundsätze[157] seien, er sie nicht immer befolgt hätte. Man hatte für Almaide, das ist der Name des Mädchens, bei dem ich war, eben so günstige Gedanken. Das vertraute Verhältnis, welches zwischen ihr und Mocles bestand, gab zu keinem Verdacht Grund, der ihnen nachtheilig gewesen wäre. Wie böse auch die Meinung des Publikums über die vertrauten Verhältnisse sei, gab es doch Niemanden, der das ihre nicht geachtet und in der Vorliebe, welche sie für die Tugend fühlten, nicht begründet gefunden hätte. Mocles kam jeden Abend zu Almaide, und ob sie in Gesellschaft oder allein waren, blieben ihre Handlungen stets tadellos, ihre Gespräche klug und gemessen.

Im Allgemeinen behandelten sie irgend welche moralische Punkte; Mocles ließ in seinen Abhandlungen seine Gelehrtheit und seinen geraden Sinn glänzen. – Nur eine Sache missfiel mir; und die war, dass zwei so über die andern erhabene Personen und die alle ihre Leidenschaften in engen Grenzen hielten, nicht über den Hochmuth triumphierten.

Oft ließen sie es außer Acht, die gegenseitige[158] Achtung zu erwägen; ein Jeder lobte sich mit einem Gefallen, einem Eifer, einer Eitelkeit, womit ihre Tugend gewiss nicht zufrieden gewesen war.

Obgleich mich ein so trauriges Haus sehr langweilte, so entschloss ich mich dennoch einige Zeit darin zu wohnen. Nicht dass ich hoffte, mich dort eines Tages zu unterhalten, oder meine Erlösung da zu finden. Je mehr ich Almaide und Mocles für vollkommen hielt, desto weniger wagte ich von ihnen eine solche Schwäche zu erwarten; aber müde noch von meinen Wegen, angewidert von der Welt und wohl fühlend, bis zu welchem Punkte sie mich verdorben hatte, war ich nicht böse von Moral reden zu hören; mag sein, dass die Neuheit, welche sie für mich hatte, mir dieselbe so angenehm machte, oder sah ich sie in der Stimmung, worin ich war, für eine Sache an, die mir heilbringend sein könnte.«

»Ach, wahrlich,« rief der Sultan aus, »ich bin nicht mehr erstaunt darüber, dass Du mich so ermüdet hast, ich sehe schon, wo Du das hergenommen hast, aber dass Du nicht versucht seist, mit Deiner Beredsamkeit oder vielleicht mit Deinem Gedächtnis zu[159] prahlen, so wiederhole ich die Drohungen, welche ich Dir mit so viel Vorsicht im Anfange Deiner Erzählung gemacht habe.«

»Wenn ich weniger gnädig wäre, würde ich Dich gewähren lassen, ohne Zweifel würdest Du mit dem Vergnügen, welches Du am Sprechen nimmst, sehr weit gehen, aber ich liebe die Hinterlist nicht, und ich will es Dir noch einmal sagen, dass Dir nichts weniger heilbringend ist als die Moral.«

»Trotz der seltenen Tugend, womit Almaide und Mocles begabt waren,« versetzte Amanzei, »mischten sie manchmal in die Moral, ein wenig zu sehr in Einzelnem dargestellt, das Laster. Ohne Zweifel war ihre Absicht gut, aber es war nicht klug von ihnen, sich bei Gedanken aufzuhalten, die man aus seiner Einbildungskraft nicht so leicht verbannen kann, will man den Unruhen entgehen, welche sich gewöhnlich in ihrem Sinne bergen.«

Almaide und Mocles, welche darin keine Gefahr sahen, oder sich darüber erhaben dünkten, fürchteten nicht genug über die Wollust abzuhandeln. Wohl ist es wahr, dass nachdem sie alle Reize dargestellt hatten,[160] übertrieben sie auch ihre Schmach und die Gefahren. Sie kamen selbst darin überein, dass die wahre Glückseligkeit nur im Schoße der Tugend zu finden sei; aber sie kamen darin sehr trocken überein und wie über eine Wahrheit, die zu sehr allgemein anerkannt, um nöthig zu haben, noch überhaupt besprochen zu werden. Es geschah nicht mit derselben Raschheit, dass sie das Vergnügen prüften; sie ergingen sich über einen so interessanten Stoff und vertieften sich in die gefährlichsten Einzelnheiten, mit einem Vertrauen, wo ich endlich hoffen konnte, dass sie sich als betrogen sehen könnten. Es war wenigstens einen Monat lang, dass sie sich über diese lebhaften Darstellungen unterhielten, welche ich so wenig für sie geeignet fand; und was immer für einen Gegenstand sie auch immer früher behandelten, verfielen sie doch immer auf diesen, den sie hätten vermeiden sollen.

Mocles, dessen Laune diese Gespräche unmerklich gemildert hatten, kam nun zu Almaide früher als gewöhnlich, unterhielt sich dort mehr und ging später fort.

Almaide ihrerseits erwartete ihn mit[161] mehr Ungeduld, sah ihn mit mehr Vergnügen und hörte ihn mit weniger Zerstreutheit zu. Wenn Mocles zu ihr kam und Besuch dort fand, sah er verwirrt und verlegen aus, und sie schien auch nicht zufriedener zu sein. Endlich ließ man sie allein; ich bemerkte auf ihrem Gesichte die Freude, welche zwei Liebende empfinden, die lange durch einen lästigen Besuch gestört waren, endlich das Glück haben, sich ihren Zärtlichkeiten hingeben zu können. Almaide und Mocles näherten sich einander mit Eifer und beklagten sich, dass man sie nicht genug sich selbst überließ; sie schauten sich gegenseitig mit größtem Wohlgefallen an.

Es war ungefähr dieselbe Sprache, die sie führten, aber es war nicht mehr derselbe Ton. Sie lebten endlich in einer Vertrautheit, die sie viel weiter führen musste, als sie in ihrer Unachtsamkeit es ahnten. Eines Tages lobte Mocles außerordentlich Almaide ihrer Tugend halber. »Bei mir,« sagte er »ist es nichts sonderbares, dass ich klug gewesen war; bei einer Frau helfen die Vorurtheile der Tugend, aber einen Mann verderben sie. Bei Euch ist es eine Art von Dummheit nicht[162] verliebt zu sein, bei uns aber ist es ein Laster, es zu sein. Dann mussten Sie zum Beispiel, die mich lobt und nicht anders als ich darüber denkt, dennoch mehr Achtung verdienen. Indem man die Dinge so prüfen würde, könnte man denken, dass ich schätzenswerter bin als Sie, und darin würde man sich irren.«

»Einem Manne ist es eicht der Liebe zu widerstehen, aber alles liefert die Frauen ihr aus. Wenn nicht die Zärtlichkeit, so sind es die Sinne, die sie der Liebe zuführen. In Ermanglung dieser beider Triebe, welche jeden Tag so viel Aufregung bereiten, haben sie die Eitelkeit, die um die Quelle ihrer Schwächen zu sein, man am wenigsten entschuldigen soll, deshalb nicht die gewöhnlichste ist, und,« fügte er hinzu die Augen gegen Himmel richtend, »noch viel schrecklicher für sie ist jedoch der beständige Mangel an Beschäftigung, worin sie beständig schmachten. Diese verhängnisvolle Nachlässigkeit liefert den Geist den gefährlichsten Gedanken aus; die von Natur aus lasterhafte Einbildung nimmt sie an und verbreitet sie. Die schon entstandene Leidenschaft nimmt mehr Herrschaft[163] über das Herz, oder wenn dasselbe noch frei von Verlangen ist, so neigt es dies Gespenst von Wollust, das man sich so gern vorstellt, der Schwäche zu.«

»Wenn ein Weib allein ist, und sich ganz der Lebendigkeit ihrer Einbildung hingibt, und eine Chimäre verfolgt, die sie ihre Unthätigkeit zu erzeugen zwang, um in diesem eingebildeten Genuss nicht gestört zu sein, beseitigt sie alle Gedanken der Tugend, welche sie über die Illusionen, die sie sich bildet, erröthen ließen; je weniger der Gegenstand, der sie verführt, wirklich ist, desto weniger glaubt sie ihm widerstehen zu müssen; es ist ja in der Verborgenheit, und sich selbst gegenüber ist sie schwach, was hat sie zu fürchten. Aber wird dies Herz, das sie in Zärtlichkeit wiegt, diese Sinne, die sie der wollüstigen Gewohnheit fügt, werden sie sich immer mit der Illusion begnügen?«

»Ach, Mocles,« rief Almaide erröthend »wie schwer ist es doch die Tugend zu üben!«»Du bist weniger als eine andere dazu angethan, um es zu glauben,« antwortete er, »Du, die Du mit allen möglichen Annehmlichkeiten geboren bist, um inmitten der[164] Vergnügungen zu leben, Du hast alles dieser Tugend geopfert, die man heute Dingen opfert, die am wenigsten den Sieg über sie davon tragen sollten.«

»Ich schmeichle mir nicht es zur Vollkommenheit gebracht zu haben,« antwortete sie bescheiden »aber es ist wahr, dass ich alles gefürchtet, besonders die Unthätigkeit, von der Du eben gesprochen hast, und diese Bücher, diese verderblichen Schauspiele, welche die Seele nur verweichlichen können.«»Ja, ich weiß es,« erwiderte er, »und dieser beständigen Sorge, Dich zu beschäftigen, verdankst Du hauptsächlich Deine Weisheit, denn ich sehe es bei uns selbst, nichts liefert uns so sehr den Leidenschaften, als die Müßigkeit, und wenn sie dennoch über uns den Sieg davonträgt, die wir weniger schwach geboren sind, urtheile, was sie dann über Euch vermag.«

»Es ist wahr,« antwortete sie, »dass wir alles zu bekämpfen haben.«

»Unendlich mehr, als Du denkst,« antwortete er »und das war es, was ich Dir sagte.«

»Übrigens musst Du noch bedenken, dass[165] die Frauen immer angegriffen sind, und wenn. Du deren auch einige ohne Scham und ohne Grundsätze ausnimmst, welche selbst ohne zu lieben die ersten sagen, dass sie lieben, so geschieht es nicht, dass, wie man auch heute sittenverderbt sei, man dieses Bedenken, diese Thränen und diese Beharrlichkeit, womit wir alle Tage mit so viel Erfolg gegen die Frauen vorgehen, zu bekämpfen hätten.«

»Wenn Du übrigens den Huldigungen, die man ihnen darbringt, noch das Beispiel hinzufügst.«

»Dem zu Folge,« unterbrach sie »haben wir über Euch keinen Vortheil. Das Beispiel soll Euch um so mehr hinreißen, da Ihr durch Eueren Stand galant seid.«

»Dieses ist nicht für alle Männer genau genommen wahr,« antwortete er, »da es deren viele gibt, welchen ihr Stand selbst diese Frenesie der Seele verbietet, die man das Vergnügen zu lieben nennt! Ich bin zum Beispiel in diesem Falle.«

»Wenn dies nicht wäre,« erwiderte sie; »genug glücklich geboren, um für die Leidenschaften[166] unzugänglich zu sein, hättest Du immer ...«

Hier hob Mocles die Augen gegen Himmel und seufzte.

»Was,« rief Almaide »solltest Du Dir etwas vorwerfen? Ach, Mocles! Wenn Du nicht mit Dir zufrieden bist, wer kann es dann wagen, mit sich zufrieden zu sein? Was, Du hättest die Liebe erkennen wollen?«

»Ja,« antwortete er traurig, »dieses Geständnis demüthigt mich, aber ich bin es der Wahrheit schuldig.«

»Es ist auch wahr, dass ich dieser verhängnisvollen Versuchung widerstand. Indem ich Dir gestehe, dass ich manchmal genöthigt war zu kämpfen, zeige ich mich ohne Zweifel in Deinen Augen mit solchen Schwächen, deren, ich sehe es wohl an Deinem Erstaunen, Du mich nicht für fähig gehalten, aber indem ich Dich von einem Irrthum befreie, der mir stets vortheilhaft war, fürchte ich, dass Du zu vortheilhaft von mir denkest.«

»Weniger demüthigend ist es in Versuchung geführt zu werden, aber glorreicher ist es der Versuchung zu widerstehen. Indem ich Dir meine Schwächen anvertraue, bin[167] ich gezwungen von meinen Triumphen mit Dir zu sprechen; das, was ich von einer Seite verliere, scheint, als wollte ich es von der andern Seite wieder erlangen und ich weiß nicht, ob ich nicht fürchten soll, dass Du dem Stolz ein Geständnis zuschreibst, welches ich Dir mache, nur um die Lüge zu vermeiden.«

Indem er dieses bescheidene Gespräch beendigte, schlug Mocles die Augen nieder.

»Ah, bei mir läufst Du keine Gefahr,« sagte ihm lebhaft Almaide, »ich kenne Dich. Nun, Du warst also auch manchmal versucht zu unterliegen, das wundert mich nicht an Dir; man kann wohl mit beständigem Schritt der Vollkommenheit entgegengehen, aber erlangt sie dennoch nie.«

»Was Du sagst, ist unglücklicherweise nur zu sehr bewiesen,« erwiderte er.

»Ach!« rief sie schmerzlich aus, »denkst Du denn, ich hätte mich so sehr zu loben, und ich sei frei von jenen Schwächen, die Du Dir vorwirfst?«

»Was?« sagte er ihr, »auch Du, Almaide?«

»Ich habe zu viel Vertrauen in Dich, um Dir etwas zu verbergen,« erwiderte[168] sie »ich will Dir nur gestehen, dass ich grausam zu kämpfen hatte. Was mich lange schon gewundert, und was ich heute noch nicht begreife, ist, dass diese Unruhe, die sich der Sinne bemächtigt und sie verwirrt, mich hundertmal bei den ernsthaftesten Beschäftigungen überrascht, die meine Seele natürlich weniger empfänglich hätte lassen: sollen. Manchmal bekämpfte ich sie mit genug Erfolg, in andern Zeiten weniger stark gegen dieselbe, trotzdem unterjochte sie mich, riss meine Einbildung mit sich fort, unterwarf sich alle meine Fähigkeiten.«

»Das, was man Klugheit nennt,« antwortete Mocles, »besteht weniger darin, nicht versucht zu sein, als über die Versuchung gesiegt zu haben, und es wäre zu wenig Verdienst dabei, tugendhaft zu sein, wenn man kein Hindernis zu überwinden hätte, um es zu werden.«

»Aber da wir einmal bei diesem Kapitel sind, sage mir gütigst, seitdem Du in dem Alter bist, wo das Blut mit weniger Ungestüm durch die Adern fließt, und Dich dem Verlangen weniger unterwirft; fühlst Du noch diese schrecklichen Regungen?«[169]

»Sie sind weniger häufig,« erwiderte sie, »aber ich bin ihnen noch unterworfen.«

»Auch ich bin in demselben Zustande,« antwortete er seufzend.

»Aber wir sind Thoren so zu sprechen, wie wir es thun,« sagte Almaide erröthend, »und diese Unterredung ist nicht für uns geschaffen.«

»Mir scheint,« sagte Mocles, »dass wir Grund haben dieselbe sehr zu fürchten,« er lächelte dabei mit eitler Miene; »es ist gut, wenn man sich selbst misstraut, aber es wäre doch eine zu schlechte Meinung, die wir von uns selbst hätten, uns für so schwach zu halten. Ich gebe zu, dass der Gegenstand, den wir behandeln, uns nothwendig auf sinnliche Gedanken bringt; aber es ist sehr verschieden, ihn in der Absicht, sich zu belehren, oder in der, sich zu verführen zu besprechen, und wir können, so glaube ich, ohne uns zu täuschen, unsere Beweggründe verantworten, und uns mit unserer Ruhe uns auf dieselben stützen. Übrigens musst Du nicht glauben, dass diese Art von Gegenständen, so gefährlich sie auch für Leute sind, die ein ungeordnetes Leben führen, denselben Eindruck[170] auf uns ausüben können, an und für sich bedeuten sie nichts; Personen von der reinsten Tugend sind manchmal gezwungen, sich bei derselben aufzuhalten, ohne dass die genaueste Besprechung dieser Gefühle auf die Unschuld ihrer Sitten einwirke. Alles ist Übel und Verderbtheit bei sittenverdorbenen Herzen, so wie die der Weisheit am meisten zuwidern Dinge über sie nichts vermögen, da sie keinen Gefallen an ihnen finden.«

»Daran ist nicht zu zweifeln, da Du es glaubst,« antwortete sie; »und ich hüte mich mir Bedenken zu machen, wenn es Dir scheint, dass ich mir keine machen soll.«

»Du solltest es auch niemals,« sagte er ihr, »die Neugierde, die mich beherrscht, kann ich Dir nicht entdecken, weil ich dieselbe unbescheiden glaube, und dennoch kann ich ihr nicht widerstehen; ich möchte wissen, ob man Dir jemals Anträge in einer gewissen Art gemacht; um Dir endlich meine Neugierde ganz zu zeigen, möchte ich wissen, ob Du nicht das Entzücken bei einem Manne empfunden, sei es freiwillig, oder gegen Deinen Willen.«

Bei dieser Frage, welche Almaide nicht[171] vorhersah, blieb sie ganz erstaunt, erröthete, und schien zu träumen, endlich entschloss sie sich. »Nun ja,« antwortete sie mit Verlegenheit, »und da Du es wissen willst, so will ich Dir gestehen, dass eines Tages ein junger Wildfang, der, denn ich will Dir nichts verhehlen, trotz meiner Abneigung gegen die Männer, mir genug liebenswürdig schien; da er mich allein fand, sagte er mir manche Artigkeit, welche die Männer uns schuldig zu sein glauben, wenn wir noch nicht jenes glückliche Alter erreicht haben, welches ihnen nur Achtung für uns einflößt, und wo wir genug zu beklagen sind, eine Gestalt zu haben, welche uns ihrem Begehen aussetzt. Wir waren allein; ich antwortete ihm nach den Grundsätzen, die ich mir gemacht. Weit entfernt, dass meine Antwort ihm imponiere, glaubte er vielmehr, ich suche ihm weniger seine Erroberung streitig zu machen, als deren Preis zu erhöhen, und er wagte es selbst mich zu versichern, dass ich ihn lieben würde; Du kannst Dir wohl denken, dass ich das Gegentheil behauptete.«

»Ich weiß nicht, mit was für Frauen dieser Wildfang gewöhnlich lebte; aber sie[172] hatten ihn gewiss nicht an Achtung gewöhnt. Er näherte sich mir, und mich in seine Arme schließend, legte er mich gewaltsam auf ein Sopha.«[173]

»Erlasse mir gütigst das Übrige einer Erzählung, die meine Schamgefühl verletzen würde, und die vielleicht noch gar meine Sinne verwirren möchte. Es genüge Dir zu wissen ...«

»Nein,« unterbrach Mocles, »Du wirst mir alles sagen: es ist weniger, ich sehe es und sehe es nicht ohne Beben für Dich, die Furcht Deine Sinne zu bewegen, oder die Scham zu verletzen, die Dir den Mund schließt, als die zu gestehen, dass Du zu empfindlich warst, und dieser Beweggrund, fern davon lobenswerth zu sein, kann deshalb nicht genug getadelt werden. Ich kann, ja ich glaube zu dem, was ich Dir sage, hinzufügen zu müssen, dass wenn es wahr ist, und Du fürchtest, dass die Erzählung, welche ich von Dir fordere, Dich in eine gefährliche Aufregung versetzen möchte, so kannst Du sie nicht beschönigen oder mildern, ohne schuldig zu sein.«

»Almaide, glaube mir, man fürchtet nie eine Gefahr genug, die man nicht kennt, und man fällt nur deshalb, weil man gewöhnlich zu sehr auf sich selbst gerechnet hat. Du kannst nicht Gewicht genug auf[174] alle Umstände Deiner Erzählung legen, nur durch den Eindruck, den sie heute auf Dich machen werden, kannst Du erkennen, welchen Fortschritt Du auf dem Wege der Tugend gemacht hast, oder was noch wesentlicher ist, was Dir noch übrig bleibt abzunehmen, um zu dieser gänzlichen Verabscheuung des Vergnügens zu gelangen, welche allein die Tugendhaften macht.«

Dieser Rath überraschte mich im Munde des Mocles, ich kannte ihn als wahrheitsliebend und gelehrt, ich begriff nicht, was ihn in diesem Augenblicke seinen Grundsätzen so zuwider reden machen konnte.

»Was,« sagte ich mir mit Erstaunen; »es ist Mocles, welcher Almaide räth, Gewicht auf Einzelnheiten zu legen, welche die Scham verletzen können, und zu der Verderbtheit führen können?« Das Verlangen, welches ich hatte, über die Beweggründe des Mocles aufgeklärt zu werden, ließ mich ihn mit Aufmerksamkeit betrachten, ich fand in seinen Augen so viel Verirrung, dass ich zu glauben anfing, meine Erlösung an dem Orte finden zu können, wo ich sie am wenigsten in der Welt erwartet hätte. –[175]

Während ich meine süße Hoffnung auf die Tugend Almaides und Mocles und auf ihre Verwirrung baute, fuhr Almaide ihre Erzählung fort.

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 152-176.
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