Dreizehntes Kapitel.

[299] Ende eines Abenteuers und Anfang eines andern.


Indem sie diese Worte beendete, füllten sich ihre schönen Augen mit Thränen, und Zadis, der sie für aufrichtig hielt, konnte sich nicht enthalten mitzuweinen.

»Ja, ich hatte gewiss Unrecht gehabt,« sagte er zärtlich, »und so heiß meine Liebe für Sie auch sein mag, so fühle ich dennoch, dass Sie mir nicht zur Entschuldigung für mein Vergehen dienen kann.«

»Ach, Grausamer!« antwortete sie schluchzend; »seien Sie so eifersüchtig, als sie es nur wollen; geben Sie sich ganz ihrer Raserei[300] hin, ich gestatte es Ihnen, aber wenn Sie mich so wenig kennen, um an meiner treuen Liebe zu zweifeln, so verdächtigen sie mich[301] wenigstens nicht dessen, dass ich fähig wäre, Mazulhim zu lieben.«

»Ich will ja gerne daran glauben, dass Sie ihn nicht lieben, und ich habe niemals gedacht, dass er Ihnen gefallen könnte; aber ich konnte ihn dennoch nie ohne innern Beben herkommen sehen.«

»Und doch ist er,« antwortete sie, »von allen, die Sie herkommen sahen, der am wenigsten Gefährliche für mich. Und selbst wenn mein Herz nicht von Ihrem Bilde erfüllt wäre und ich nicht die innigste Zärtlichkeit für Sie fühlen würde, und wenn Mazulhim mich vergöttern würde und die Anzahl seiner Vorzüge, wenn dies möglich wäre, die Unzahl seiner Laster übersteigen würden, so bliebe er noch immer in meinen Augen der allerletzte unter den Männern. Wie könnte eine Frau, ich sage nicht, die sich selbst achtet, aber die noch nicht jedes Schamgefühles bar ist, Mazulhim angehören? ihm, der niemals geliebt hat, der es öffentlich sagt, dass er eines jeden edleren Gefühles unfähig ist und für den selbst die leiseste Zärtlichkeit ein lächerliches Hirngespinst ist; und schließlich er, der keine andere Freude kennt, als jene[302] Frauen, die er besitzt, zu entehren. Ich übergehe alle seine lächerlichen Eigenschaften, nicht darum, dass ich deren nicht genug wüsste, um mich darüber auszulassen; aber wahrlich ich musste ja vor Scham erröthen, wenn ich noch weiter mit Ihren darüber reden sollte. Aber schließlich, obzwar ich Ihren Verdacht eben so ungerecht als meiner unwürdig finde, so bin ich doch recht froh darüber, dass sie mir den Gegenstand Ihrer Unruhe anvertraut haben, und ich verpflichte mich feierlichst, dass sie Mazulhim nur so lange Zeit hier sehen werden, als nöthig sein wird, um ohne Aufsehen mit ihm zu brechen.«

Zadis sagte ihr, mit Begeisterung ihre Hände küssend, tausend Dank für das, was sie für ihn that.

»Wofür danken Sie mir denn?« fragte ihn »ich bringe Ihnen ja kein Opfer.«

»Aber Madame, ist es denn möglich, dass Mazulhim Ihnen niemals gesagt hat, dass Sie ihm liebenswert erschienen?«

»Das ist ein herrlicher Einfall!« rief sie lächelnd; »oh, nein, ich versichere Ihnen, dass Mazulhim mich besser kennt als Sie mich[303] kennen, und dass so übermüthig als er auch erscheinen will, er doch zu vorsichtig dazu ist, sich an Frauen einer gewissen Art heranzuwagen. Übrigens zum Übermaße seiner schlechten Eigenschaften werde ich mich gar nicht darüber wundern, dass er, ohne mich jemals verlangt zu haben, ja ohne mir jemals im Leben etwas Ähnliches gesagt zu haben, öffentlich zu behaupten wagt, und vielleichst schon in den nächsten Tagen, dass er es gewesen, oder dass er gegenwärtig mit mir in einem vertraulichen Verhältnis steht. Wahrhaftig,« fügte sie hinzu, »daran könnte nur ein so eifersüchtiger Mann, wie Sie sind, glauben; nicht wahr, theurer Freund?«

»Nein,« entgegnete er, »ich konnte wohl die lächerliche Einbildung gehabt haben, es manchmal zu fürchten, aber ich schwöre Ihnen, dass ich niemals so thöricht sein werde, daran zu glauben.«

»Aber ich würde nicht darauf schwören,« meinte sie, »bei Ihrem misstrauischen Charakter mag es wohl eine köstliche Sache für Sie sein, schlecht von Ihrer Geliebten reden zu hören und dann mit ihr den größten Streit anzufangen, der unbegründet[304] bloß auf dem albernen Gespräch des ersten besten Dummkopfes beruht, welcher Ihren misstrauischen Charakter kennt und sich einen Spass daraus machen will, sie zu beunruhigen.«

»Verschonen Sie mich gnädigst,« sagte er zu ihr, »und bedenken Sie, dass die Eifersucht, welche Sie mir schon verzeihen wollten ...«

»Vielleicht heute nicht die letzte sein wird,« unterbrach sie ihn. »Um Sie in Ihren alten Kummer verfallen zu sehen, bedürfte es bloß, dass Mazulhim den Einfall hätte wiederzukommen.«

»Sprechen wir nicht mehr von ihm,« antwortete er, »da Sie mir ja verziehen haben; denn bis auf meine Ungerechtigkeit, beweist Ihnen ja Alles, wie sehr ich Sie anbete, verlieren wir daher nicht diese kostbaren Augenblicke, und geruhen Sie mir gnädigst Ihre Verzeihung mit einigen Gunstbezeugungen zu bestätigen.«

Nach diesen Worten, die Zulika sehr wohl begriff, nahm sie eine sehr betrübte Miene an.

»Wie unbequem sind Sie doch mit Ihren[305] ewigen Wünschen,« sagte sie ihm; »werden Sie mir denn dieselben niemals erlassen? wenn Sie es nur wüssten, wie sehr ich Sie lieben würde, wenn Sie vernünftiger wären ... Ich sage die Wahrheit,« fügte sie hinzu, als sie ihn ungläubig lächeln sah, »gewiss ich würde Sie deshalb noch tausendmal mehr lieben, wenn ich von Ihnen in einer Sache, welche ich hasse, nichts zu befürchten hätte.« Indem sie diese gehaltvollen Worte aussprach, ließ sie sich schmachtend nach der Seite, wo ich stand, hingleiten. »Ich schwöre es Ihnen,« sagte sie zu Zadis, als sie sich anmuthig auf mich niederglassen hatte, »dass ich in meinem ganzen Leben nicht mehr mit Ihnen streiten werde.«

»Das wollten die Götter,« antwortete er, »aber ich hoffe es nicht.«

»Und ich,« erwiderte sie, »fange nach dem, was mich die Wiederverständigung kostet, daran zu glauben an.« Trotz ihres Widerstrebens ergab sich Zulika endlich den Wünschen des Zadis, aber es geschah dabei Alles mit vollkommenem Anstande, einer gewissen Würde und solcher Schamhaftigkeit, wie man in ähnlichen Fällen kaum ein Beispiel hat.[306] Ein anderer Mann als Zadis würde sich vielleicht darüber beklagt haben, ihn aber, der gar zu streng an den Formen des Anstandes hielt, erfüllte diese übel angebrachte Tugendheuchelei Zulikas mit höchsten Entzücken, und er selbst ahmte, so gut er es vermochte, ihre großartige Miene und ihr würdevolles Benehmen nach, und war umsomehr zufrieden, je weniger Liebe sie ihm bewies.

Die Sache musste sich zum Schluss doch recht gut und zur Zufriedenheit beider gewendet haben, da Zulika den Einfall hatte ihm vorzuschlagen, den übrigen Theil des Tages mit ihr zu verbringen. Damit es niemand erfahre, dass sie zusammen waren, und wie lange sie mit einander verweilten, mit einem Worte, um unnützes Gerede zu vermeiden, befahl sie ihrem Diener jedem zu sagen, dass sie nicht zu Hause sei. Zadis, den seine rasende Eifersucht, wie dies gewöhnlich der Fall ist, nur noch verliebter gemacht hatte, stimmte sehr mit der besonderen Güte Zulikas überein. Er verließ sie erst gegen Mitternacht, und ging mit der festen Überzeugung, dass sie die vernünftigste[307] und zärtlichste Frau von ganz Agra war, nach Hause.

Ich habe es bereits erwähnt, dass ich nach der Miene, mit der Zulika Mazulhim verlassen hatte, und noch mehr nach der Art ihrer Denkungweise nicht daran glaubte, dass sie ein für eine Frau ihres Charakters so wenig anziehendes Verhältnis fortsetzen wollte, worin weder die Liebe noch das Vergnügen sie interessierten; doch trug die Neugier, über alle Vernunftsgründe, die sie haben konnte, den Sieg davon. Sie sagte zu Zadis, als sie ihn verließ, dass eine sehr wichtige Angelegenheit sie den nächsten Tag daran hindere, ihn wiederzusehen; und kaum war der für das Rendezvous bestimmte Abend herangekommen, als sie auch schon ihren Palankin bestieg und in Gesellschaft meiner Seele, die ihr folgte, die Richtung nach dem kleinen Häuschen einschlug, wo wir bloß einen Sklaven fanden, der sie und Mazulhim erwartete.

»Wie kommt denn das?« sagte sie zu dem Sklaven im barschen Tone, »ist er denn noch nicht hier? Ich finde es nicht sehr artig,[308] dass er mich auf sich warten lässt! Es ist sehr schön, dass ich die erste hier bin.«

Der Sklave versicherte ihr, dass Mazulhim sofort erscheinen werde.

»Aber,« erwiderte sie, »das ist eine ganz eigenthümliche Art, die er jetzt annimmt.« Der Sklave ging hinaus und Zulika kam in zorniger Laune sich auf mich zu setzen. Da sie von Natur heftig war, so blieb sie auch hier nicht still, und sich laut eines beispiellosen Leichtsinnes beschuldigend, schwur sie, Mazulhim nie mehr wiederzusehen.

Endlich hörte man unten einen Wagen halten; sie war bereit Mazulhim alles zu sagen, was ihr der Zorn eingab, stand lebhaft auf und rasch die Thüre öffnend, sagte sie:

»In der That, mein Herr, Sie haben eben so eigenthümliche als seltene Eigenschaften.«

»Oh, Himmel!« rief sie aus, als sie den Mann eintreten sah, der angekommen war. Ich war fast ebenso erschrocken beim Anblick eines reden Mannes, den ich nie gesehen.[309]

»Was!« fragte der Sultan, »war denn das nicht Mazulhim?«

»Nein, Sire,« antwortete Amanzei.

»Das war nicht er,« staunte der Sultan, »das ist wirklich sehr eigenthümlich! Und warum war er es nicht?«

»Sire,« antwortete Amanzei, »Euer Majestät werden es sofort erfahren.«

»Wissen Sie wohl,« erwiderte der Sultan, »dass es nichts komischeres geben kann als das? Dieser fremde Mann irrte sich wahrscheinlich. Ah, ohne Zweifel, er irrte sich, das merkt man sogleich. Aber, sage mir doch, Amanzei, was bedeutet denn ein solches kleines Haus? Seitdem Du davon erzählest, habe ich mich so gestellt, als ob ich es wüsste, was es bedeutet, aber ich kann meine Neugier nicht mehr bezähmen.«

»Sire,« erwiderte Amanzei, »das ist ein entlegenes heimliches Haus, wohin man sich allein, ohne Gefolge und ohne Zeugen begibt, um zu ...«

»Ah, so,« unterbrach der Sultan, »jetzt errathe ich es, das ist wahrhaftig sehr bequem, fahre fort.«

Die Wuth und Überraschung, welche[310] Zulika bei dem Anblicke des fremden Mannes ergriff, hinderte sie daran zu sprechen. »Ich weiß es, Madame,« sagte ihr der Inder mit galanter Miene, »wie sehr Sie erstaunt sein müssen, mich hier zu sehen. Mir sind die Ursachen, welche Sie hier einen andern Anblick als den meinen wünschen lassen, nicht genug bekannt. Aber wenn meine Gegenwart Sie überrascht, so verursacht mir die Ihrige eine nicht geringere, sehr angenehme Überraschung. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass die Person, welcher Mazulhim mich bat seine Entschuldigungen zu überbringen, diejenige von allen sein würde (wenn ich das Glück hätte an seiner Stelle zu sein), der ich am liebsten meine Huldigungen darbringen wollte. Aber Mazulhim ist deshalb nicht schuldig; nein, Madame, er weiß es sehr wohl, was er alles Ihrer Güte verdankt, er verzehrte sich vor Verlangen darnach, sich Ihnen zu Füßen werfen zu können, Ihnen von seiner unbegrenzten Dankbarkeit sprechen zu dürfen; grausame Befehle, denen er zwar nicht zu gehorchen beabsichtigte, so heilig sie ihm auch sein sollten, haben ihm so süßer Freuden beraubt. Er[311] glaubte daher mehr meiner Ehrenhaftigkeit als der Verschwiegenheit eines Sklaven vertrauen zu können und hat es dabei nicht bedacht, dass er dem Zufall ein Geheimnis preisgibt, worin eine so reizende Persönlichkeit wie Sie ganz besonders betheiligt ist.«

Zulika war so verblüfft über das, was ihr begegnet war, dass der Inder wohl noch viel länger hätte reden können, ohne dass sie die Kraft gehabt hätte ihn zu unterbrechen. Die Verlegenheit, in der sie sich befand, ließ es sie wünschen, dass er wo möglich noch mehr Dinge ihr zu sagen gehabt hätte. Fassunglos und starr vor sich hinsehend, und fast ohne Bewegung, schlug sie die Augen zu Boden, wagte es nicht ihn anzusehen, erröthete vor Scham und fing schließlich zu weinen an.

»Der Inder nahm sie theilnahmsvoll und höflich bei der Hand und führte sie zu mir, wo sie ohne ein einziges Wort auszusprechen sich auf mich warf.«

»Ich sehe es wohl, Madame, dass sie darauf beharren, Mazulhim für schuldig zu halten, und ich bemühe mich vergebens, denn alles, was ich Ihnen sage, um ihn zu rechtfertigen,[312] scheint Ihren Unwillen gegen ihn noch zu vermehren.«

»Wie glücklich ist er! Wie glücklich ist er! So sehr er auch mein guter Freund ist, wie sehr beneide ich ihn um diese kostbaren Thränen, die seinetwegen vergossen werden! ah, welches Übermaß von Liebe! ...« »Wer sagte Ihnen, dass ich ihn liebe, mein Herr?« unterbrach ihn Zulika, die unterdessen Zeit gewonnen hatte sich zu erholen, sich stolz aufrichtend. »Ist es denn nicht möglich, dass ich wegen andern Dingen herkam, woran die Liebe keinen Theil hat? Kann man denn Mazulhim nicht sehen, ohne für ihn jene Gefühle zu hegen, die Sie mir zu zuschreiben scheinen? Wonach wollen Sie denn schließen, dass Sie mein Herz getroffen?«

»Ich wage es aber,« antwortete der Inder lächelnd, »daran zu glauben, dass wenn meine Folgerungen nicht richtig sind, sie wenigstens wahrscheinlich sind, die bitteren Thränen, die Sie vergießen, Ihr Zorn, die gewisse Stunde, um welche Sie sich an einem Ort befinden, der stets nur der Liebe geweiht war, kurz Alles macht mich daran glauben, dass[313] nur Mazulhim das Recht hatte, Sie hierherzuführen.«

»Vertheidigen Sie sich nicht so sehr, Madame,« fügte er hinzu, »Sie lieben; machen Sie, wenn es Ihnen beliebt, ein Verbrechen aus dem Gegenstande und nicht aus Ihrer Leidenschaft.«

»Was!« rief Zulika, die ihrer Falschheit nicht entsagen konnte, »Mazulhim hatte es gewagt, Ihnen zu sagen, dass ich ihn liebe!«

»Ja, Madame.«

»Und sie glauben das?« fragte sie ihn mit Erstaunen.

»Sie erlauben mir wohl, zu sagen,« antwortete er, »dass diese Sache so klar ist, dass es lächerlich wäre daran zu zweifeln.«

»Nun wohl, ja, mein Herr,« erwiderte sie, »ja, ich liebte ihn, ich habe es ihm auch gesagt, und ich kam her es ihm zu beweisen, dem Undankbaren gelang es endlich mich bis hierher zu führen. Ich erröthe nicht es Ihnen zu gestehen, aber der Rücksichtslose soll nie mehr andere Beweise meiner Schwäche haben, als das Geständnis, das ich ihm davon[314] gemacht habe. Nur einen einzigen Tag später! Himmel! Was wäre aus mir geworden!«

»Aber Madame!« sagte der Inder kühl, »glauben sie denn, dass Mazulhim eine so[315] üble Meinung von mir und kein Vertrauen zu mir habe, um mir bloß die Hälfte Ihres Geheimnisses anzuvertrauen?«

»Was hat er Ihnen denn sagen können?« fragte sie spitz. »Hat er zu seiner Verleumdung noch die grobe Beschimpfung hinzugefügt, und wäre er genug rücksichtslos zu sagen, dass ...«

»Mazulhim mag verwegen und rücksichtslos sein, aber es ist mir unmöglich ihn für einen Lügner zu halten.«

»Ah! der Schurke!« rief sie aus »es ist bei meiner Ehre das erstemal, dass ich hierher gekommen bin.«

»Ich muss es wohl glauben, da Sie es wollen,« erwiderte er, »und ich glaube viel lieber, dass Mazulhim mich betrogen hat, als ich daran, was Sie mir sagen, zweifle. Aber Madame, vor wem vertheidigen Sie sich dessen? Wenn Sie gegen mich gerecht sein wollten, so wage ich es, mir zu schmeicheln, dass sie gewiss weniger Angst haben würden, mich als den Mitwisser Ihrer Geheimnisses zu haben. Sie weinen! Ah! damit erweisen Sie dem Undankbaren zu viele Ehre! Wenn man so schön wie Sie ist,[316] so ist es viel vortheilhafter daran zu denken, wie man sich rächen könnte? Ja, Madame, ja, Mazulhim hat mir allesmitgetheilt; es ist mir nicht unbekannt, dass Sie seine kühnsten Wünsche erhört haben, ja, ich kenne selbst genaue Einzelnheiten seines süßen Glückes, über die Sie in das größte Erstaunen gerathen würden.«

»Beleidigen Sie sich nicht darüber,« fuhr er fort, »aber sein Entzücken war zu groß, als dass er es in seinen Busen verschließen konnte; wäre er weniger glückselig, weniger entzückt gewesen, so würde er ohne Zweifel viel kühler und rücksichtsvoller gehandelt haben. Denn es war nicht seine Eitelkeit, sondern sein Glück, das ihn nicht schweigen ließ.«

»Mazulhim,« unterbrach sie ihn schmerzlich. »Ach, der Verräther! Was, Mazulhim opfert mich! Mazulhim hat ihnen Alles gesagt? Indes, er hat wohl daran gethan,« fuhr sie im mäßigeren Tone fort, »ich kannte ja die Männer noch nicht; und Dank seiner Mühe, werde ich für meine Schwäche bestraft und jeder Verpflichtung gegen ihn ledig sein.«[317]

»Ach! Madame,« antwortete der Inder kühl, indem er sich so stellte, als ob er ihr glauben würde, »das heißt nicht sich rächen, das heißt sich selbst bestrafen.«

»Nein,« antwortete sie, »alle Männer sind schlecht; ich habe darin eine zu empfindliche Erfahrung gemacht, um daran zu zweifeln, sie gleichen alle Mazulhim.«

»Oh! glauben Sie das nicht,« rief er aus, »ich schwöre Ihnen, dass wenn Sie mich statt seiner geliebt hätten, Sie ihn niemals an meiner Stelle gesehen haben würden.« »Aber,« erwiderte sie, »ich weiß es nun, dass jene Pflichten, die ihn zurückgehalten haben sollen, bloß leere Ausflüchte sind und ohne Zweifel will er mich verlassen.«

»Ach, scheuen Sie sich nicht mich davon in Kenntnis zu setzen.«

»Leider ja, Madame,« erwiderte der Inder, »es wäre nutzlos es Ihnen verbergen zu wollen. Mazulhim liebt Sie nicht mehr.«

»Er liebt mich nicht mehr,« stöhnte sie schmerzlich. »Ach! dieser Schlag tödtet mich; der Undankbare! das ist der Lohn, den er für meine Liebe bestimmt hat!« Nach diesen Worten erleichterte sie ihren Kummer noch[318] mit einigen Schmerzensausbrüchen und Klagen, worin der Reihe nach Thränen, Wuth und Niedergeschlagenheit abwechselten. Der Inder, der sie kannte, ließ sie ruhig gewähren und stellte sich ganz durchdrungen von glühender Bewunderung für sie.

»Ich fühle, dass ich sterben werde, mein Herr,« sagte sie zu ihm, nachdem sie lange geweint hatte, »denn einem so gefühlvollen und zarten Herzen, wie dem meinigen, darf man nicht ungestraft so harte Schläge versetzen; aber was würde denn er gethan haben, wenn ich ihn hintergangen hätte?« »Er würde Sie dann vielleicht noch mehr angebetet haben,« antwortete der Inder.

»Ich kann ein solches Betragen nicht begreifen,« erwiderte sie, »ich werde ganz irre daran. Wenn der Undankbare mich nicht mehr liebte, und er nicht mehr den Muth dazu gehabt hat, es mir zu sagen, konnte er es mir denn nicht schreiben? Ist es denn möglich unwürdiger mit dem verachtenswertesten Gegenstande zu brechen? Und weshalb wählte er gerade Sie, es mir zu sagen?«

»Ich sehe leider nur zu deutlich, dass[319] die Wahl seines Vertrauten Ihnen noch mehr missfällt als das Anvertraute selbst, und ich schwöre Ihnen, dass wenn ich Ihre ungerechte Abneigung gegen mich geahnt hätte, Sie mich jetzt nicht hier sehen würden, und wenn Mazulhim nur die Dame, der er mich bat seine Entschuldigung zu bringen, genannt hatte. Ich zweifle selbst (dass wenn ich Ihnen in einer für mich günstigeren Stimmung als ich das Unglück habe, Sie jetzt zu sehen, gegenüber stehen würde), dass ich daran geglaubt hätte, wenn er mir die schöne Zulika genannt haben würde. Ich würde es nie vermocht haben zu denken, dass es jemanden in der Welt gäbe, der nicht sein höchstes Glück darin finden würde, von ihr geliebt zu werden.«

»Das ist doch sehr harmlos,« fügte er hinzu, »dass ich es übernahm, Ihnen den empfindlichsten Kummer zu machen, der Sie treffen konnte, und dass ich mich in Geheimnisse verflochten finde, welche Sie lieber in andern als in meinen Händen wissen würden.«

»Ich weiß nicht, was Sie bestimmt daran zu glauben,« erwiderte sie mit verlegener[320] Miene; »Geheimnisse dieser Art, in deren Besitze Sie heute sind, vertraut man gewöhnlich niemanden an; aber ich habe wahrhaftig keine besonderen Gründe ...«

»Entschuldigen Sie, Madame,« unterbrach er lebhaft, »Sie hassen mich. Es ist mir nicht unbekannt, dass bei jeder Gelegenheit mein Verstand, mein Antlitz, meine Gewohnheiten, meine Sitten der Gegenstand Ihres beißenden Spottes und Ihrer strengen Kritik gewesen sind. Ich würde es selbst gestehen, dass wenn ich einige Tugenden habe, ich sie bloß dem innigen Verlangen verdanke, ihres Lobes würdig zu sein, oder Sie wenigste as zu verpflichten mir diese bitteren Bemerkungen zu erlassen, mit denen Sie mich, seit wir uns in der vornehmen Welt begegnen, überhäufen.«

»Ich! mein Herr,« sagte sie erröthend, »ich habe niemals etwas über Sie gesprochen, worüber Sie mir böse sein könnten; übrigens wir kannten uns ja kaum, Sie haben mir ja niemals Veranlassung dazu gegeben, mich über Sie zu beklagen und ich halte mich nicht für genug lächerlich, um ...«

»Brechen wir das Gespräch hier ab, ich bitte sie inständigst,« unterbrach er, »eine[321] längere Auseinandersetzung würde Ihnen lästig sein. Aber da wir einmal bei diesem Kapitel angelangt sind, so erlauben Sie mir Ihnen nur noch zu sagen, dass ich bei den zärtlichen Gefühlen, die ich immer für Sie hegte, bei den Gefühlen, die selbst Ihre Ungerechtigkeit gegen mich nicht einen Augenblick zu trüben vermochte, gewiss allein derjenige Mann in der Welt bin, der am meisten Ihr Mitgefühl und am wenigsten Ihren Hass und ihre Verachtung verdient hat. Ja, Madame,« fügte er hinzu, »ich gestehe Ihnen, dass nichts im Stande war, die unglückliche Liebe, die Sie mir einflößten, zu ersticken, ihre Missachtung, ihr Hass, ihre Erbitterung gegen mich haben mir großen Jammer verursacht, aber sie haben mich nicht geheilt. Ich kenne Ihr Herz zu genau, als dass ich mir einbilden könnte, dass es eines Tages auch für mich jene zärtlichen Gefühle hegen könnte, die ich so sehnlich verlange, aber ich hoffe, dass mein Zartgefühl in Allem, was Sie betrifft, Sie doch von manchem Vorurtheil gegen mich heilen wird, und welches, wenn es so groß ist, dass Sie mir Ihre Freundschaft niemals gewähren[322] können, Sie mir doch Ihre Achtung nicht zu entziehen vermögen.«

Zulika war von seiner ehrfurchtsvollen Sprache gewonnen, zögernd gestand sie ihm, dass sie in der That aus irgend einer Laune, deren Quelle sie zwar nicht zu entdecken vermag, sich öffentlich als seine erbitterte Feindin erklärt hatte, dass sie es nun wohl einsah, Unrecht gehabt zu haben, welches, wie sie hoffte, wohl bald gut zu machen wäre; sie bat ihn, dass davon zwischen ihnen keine Rede mehr sei, und versicherte ihm ihrer nunmehrigen Freundschaft, Achtung, ja selbst inniger Dankbarkeit. Nachdem sie ihn inständigst gebeten hatte, ihr Geheimnis unverbrüchlich zu bewahren und zu respektieren, stand sie auf und wollte sich entfernen.

»Wohin wollen Sie jetzt gehen. Madame?« sagte der Inder sie zurückhaltend, zu ihr. »Sie haben niemanden zu Ihren Diensten hier; ich habe meine Leute weggeschickt, und die Stunde, zu welcher sie wiederkommen werden, ist noch sehr fern.«

»Gleichviel,« erwiderte sie, »ich kann an[323] einem Orte, wo mich Alles an meine Schwachheit erinnert, nicht länger verweilen.«

»Vergessen Sie den undankbaren Mazulhim,« erwiderte er; »dieses Haus gehört von heut an nicht mehr ihm, er hat es mir überlassen, und erlauben Sie dem Weltmanne, der sich für Sie interessiert, Sie zu bitten, hier zu befehlen. Oder überlegen Sie[324] wenigstens, was Sie zu thun beabsichtigen. Sie können um diese Stunde nicht mehr ausgehen, ohne sich dem auszusetzen, begegnet zu werden. Möge Ihre gerechte Entrüstung Sie nicht darauf vergessen lassen, was Sie ihrem Rufe schulden. Denken Sie an das ungeheuere Aufsehen, das Sie erregen würden, denken Sie daran, dass Sie vielleicht schon morgen das Stadtgespräch von Agra bilden möchten, und man trotz Ihrer Vorzüge, Tugenden und edlen Gefühle, die man wirklich hochschätzen muss, glauben würde, dass Sie eine jener gemeinen Personen sind, denen solche Abenteuer ganz gewöhnlich sind.«

Zulika widerstand lange diesen ernsten Vernunftsgründen Nasses, das war der Name des Inders, die er vorbrachte, um sie zum Bleiben zu bewegen.

»Alles ist hier vorbereitet, um Sie würdig zu empfangen,« fügte er hinzu, »dulden Sie es nur, dass ich mit Ihnen einen Abend verbringen darf, das, was Sie sind, und der Rang, den ich einnehme, muss Ihnen für meine Achtung bürgen. Ich stütze mich durchaus nicht auf meine Gefühle für[325] Sie; denn wenn ich es wage, Ihnen davon zu sprechen, so geschieht es bloß, um Ihnen zu beweisen, wie sehr ich mich für Sie interessiere, denn ich bemühe mich bloß den traurigen Eindruck, den Mazulhims unwürdiges Benehmen und Rücksichtslosigkeit bei Ihnen zurückließ, zu verscheuchen.«

Nach kurzem Sträuben willigte Zulika ein zu bleiben, von der Wahrheit dessen überzeugt, was Nasses ihr gesagt.

»Bei Ihrer Ansicht, Madame, bin ich sehr erstaunt, Sie so empfindlich zu finden ...«

»Wohl!« unterbrach der Sultan, »er weiß nicht, was er sagt, denn so weit ich mich dessen erinnere, so ist es immer dieselbe Dame, die so sehr aufgebracht darüber war, dass Mazulhim nicht genug artig gegen sie gewesen.«

»Ohne Zweifel,« sagte die Sultanin »das ist immer dieselbe.«

»Einen Augenblick gefälligst,« erwiderte der Sultan, »finden wir uns darin zu recht. Wenn es dieselbe ist, warum sagt er ihr ... das, was er ihr sagt? Sie sehen doch wohl ein, dass er sich irrt. Diese Dame[326] da ist doch gewohnt daran, viele Liebhaber zu haben, in Folge dessen ist es sehr lächerlich, wenn er ihr sagt, dass sie darüber sehr erstaunt sein muss.«

»Sehen Sie denn nicht, dass er sie lächerlich machen will?« antwortete die Sultanin.

»Ach, das ist eine andere Geschichte!« erwiderte der Sultan »Aber weshalb hat man mich nicht darauf aufmerksam gemacht? oder will man, dass ich es errathen soll? Ah! er verspottet sie, dass sehe ich wohl; aber weshalb spottet er über sie? das möchte ich gerne wissen.«

»Das wird Ihnen Amanzei gewiss mittheilen, wenn Sie ihm fortzufahren erlauben.«

»Mag sein,« sagte der Sultan; »das, was ich darüber sage, wie Sie es wohl begreifen werden, ist nicht, dass es mir gleichgiltig wäre: man redet nur um zu sprechen, und was meine Person betrifft, ich hasse eine gute Unterhaltung durchaus nicht.«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 299-327.
Lizenz:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon