Fünfzehntes Kapitel

[358] Welches Diejenigen nicht unterhalten wird, die sich in dem vorhergehenden gelangweilt haben.


»Nach dem Stillschweigen, welches auf den Augenblick folgte, der Euer Majestät gestern so sehr befriedigte,« sagte Amanzei am anderen Tage, »schloss ich, dass Nasses Zulika zu sprechen hinderte, und dass sie ihn verhinderte fortzusetzen.«

»Ach, Nasses,« rief sie aus, sobald sie konnte; »Nasses! Denken Sie auch daran, was Sie thun? Wenn Sie mich liebten –«

Je mehr Nasses die Vorwürfe Zulika's fürchtete, desto weniger ließ er ihr die Freiheit, welche zu machen. Nie begriff ich es besser als in diesem Augenblicke, wie sehr[359] vortheilhaft es sei, den Frauen gegenüber hartnäckig zu sein.

»Aber hören Sie mich doch,« sagte Zulika, »Nasses! Hören Sie mich! Wollen Sie denn, dass ich Sie verabscheue?«

Alle diese Worte, welche unterbrochen und schwach ausgedrückt waren, verloren an Kraft und wirkten gar nicht. Zulika sah bald ein, dass es nutzlos sei, noch mehr zu einen Manne zu sprechen, der von seiner Leidenschaft beherrscht war.

Was thun? Nachdem sie sich gegen die Angriffe gesichert hatte, welche Nasses in seinem Entzücken mit aller möglichen Kühnheit versuchte, wartete sie geduldig, bis er im Stande sei, ihre Zurechtweisungen anzuhören, die er für sein Vorgehen verdiente.

Jedoch Nasses, sei es um ihre Verzeihung leichter zu erlangen oder hatte Zulika in der That einen tieferen Eindruck auf ihn gemacht, sank auf ihren Busen und befand sich in einer Niedergeschlagenheit, in der er nichts empfand, als den Zustand, der ihn beherrschte.

Neue Verlegenheit für Zulika, denn was[360] nützt es zu jemanden zu sprechen, der nicht zuhört?

Sie versuchte es aber dennoch, sich ganz aus seinen Armen zu befreien, aber es gelang ihr nicht.[361]

Als er aus seinem Sinnesrausch erwachte, nahm er eine zärtliche Miene an. Er sah sie so schmachtend an, stieß so tiefe Seufzer aus, dass sie, weit davon entfernt, ihm so viel Groll zu zeigen, als sie beabsichtigte, trotz ihrer Gefühllosigkeit sein Entzücken theilte.

Diese tugendhafte Person wäre verloren gewesen, wenn Nasses die Regungen, die sich ihrer bemächtigten, wahrgenommen hätte.

Nachdem Nasses aus diesem Taumel erwachte, ergriff er die Land Zulika's.

»Nasses,« sagte sie in ärgerlichem Tone, »glauben Sie sich auf diese Weise meine Liebe zu erringen?«

Nasses entschuldigte sich wegen seiner Heftigkeit. – Zulika aber behauptete, dass die Liebe, wenn sie aufrichtig ist, immer von Achtung begleitet sei, und dass man so rücksichtslos nur gegen Frauen sei, die man verachtet. Er seinerseits behauptete, dass er ihr durch nichts die Kraft seiner Achtung beweisen könne, als durch heiße Liebe, die sie in ihm so sehr verdammte.

»Wenn ich Sie geringer geschätzt hätte, so hätte ich von Ihnen das verlangt, was ich Ihnen soeben geraubt habe.«[362]

»Ich glaube kein Wort davon,« antwortete Zulika, »aber wenn das, was Sie mir soeben gesagt haben, auch wahr wäre, so bleibt es noch immer eine festgestellte Regel, dass man das Geständnis seiner Gefühle nicht auf eine so eigenthümliche Art ausdrückt, wie Sie es gethan haben.«

»Setzen wir den Fall, ich hätte mich so ungestüm benommen, wie Sie sagen,« erwiderte er, »so wäre es nur eine Aufmerksamkeit für Sie, wofür Sie mir danken sollten.«

»Nein,« versetzte sie mit Ungeduld, »Sie haben ganz eigenthümliche Meinungen, denen nichts gleich kommt!«

»Es ist spasshaft,« erwiderte er, »dass diese Meinungen, welche Sie so eigenthümlich finden, alle auf Vernunft gegründet sind. Diese, welche Sie mir gegenwärtig vorhalten, ist von solcher Wahrheit, die ich Ihnen gewiss fühlen lassen werde; denn nicht nur dass Sie Geist haben, aber Sie haben noch das richtige Verständnis, ein Verdienst, das bei Ihrem Geschlechte genug selten ist, um Ihnen dazu gratulieren zu können.«

»Dieses Kompliment verführt mich nicht,«[363] sagte sie im barschen Tone, »und ich versichere Ihnen, dass ich mir gar nichts daraus mache.«

»Cs ist sehr unangenehm für mich,« antwortete er, »Sie so wenig geneigt für meine verbindliche Rede zu finden.«

»Mit einem Worte, mein Herr,« unterbrach sie, »um gewisse Dinge zu unternehmen, muss man zuvor das Vertrauen haben. Finden Sie es in Ordnung, dass ich Ihnen es sage?«

»Ich begreife Sie, Madame,« erwiderte er, »Sie wollen, dass ich Sie in der Gesellschaft bloßstelle. Nun wohl! Ich werde Sie bloßstellen; ich wollte Sie dahin bringen, mich zu lieben, ohne dass es jemand ahne, da Ihnen aber diese Schonung meinerseits missfällt, so will ich mich darum bekümmern, Madame, man wird es erfahren, dass ich Sie liebe, und ich werde keine dieser zärtlichen Thorheiten sparen, die dem Publikum deutlich zeigen, welcher Art die Gefühle sind, die ich für Sie hege.«

»Aber was wollen Sie damit sagen?« fragte sie ihn, »Sie sind ein sonderbarer Mann. Ist es vielleicht aus Achtung für[364] mich, dass Sie mir diese Ungezogenheit anthun, die ich Ihnen niemals verzeihen sollte, oder ist es vielleicht die unendliche Aufmerksamkeit in Betreff dessen, was mich angeht, dass Sie mich so drängen, wie man es nur einer Frau thut, welche die geringste Berücksichtigung verdient? Sie begehen tausend abscheuliche Dinge, und doch bin ich es die Unrecht hat. Sagen Sie mir doch gütigst, wie geht das alles zu?«

»Wenn Sie weniger unerfahren in der Liebe wären,« erwiderte er, »so würden Sie mir diese Erklärungen ersparen.«

»Ich will Ihnen dennoch sagen, wie lästig sie mir auch sind, dass es mir tausendmal lieber ist Sie in diesem Punkte belehren zu können, als zu sehen, dass Sie hierin genug bewandert sind, um dessen zu bedürfen. Wissen Sie es noch nicht, dass es weniger die Gunstbezeugung ist, welche die Frau einem Geliebten gewährt, die sie bloßstellt, als die Zeit, in der sie ihn auf deren Erfüllung warten lässt?«

»Glauben Sie denn,« fuhr er fort, »dass ich Sie lieben könne und unglücklich sein werde, ohne dass mein eifriges Werben um[365] Sie und mein eifriges Streben, Sie zu rühren, dem Publikum entgehen werde?«

Zulika schien staunend und stillschweigend alles, was Nasses sagte, gutzuheißen.

»Sie sehen wohl,« sagte er, »dass, wenn ich Sie bestürme, mich rasch zu beglücken, es weniger für mich als für Sie ist, dass ich es von Ihnen verlange. Indem Sie meinem Rath folgen, werden Sie mir Qualen ersparen, Sie werden das Aufsehen vermeiden, welches immer der Anfang einer Leidenschaft macht, übrigens in der Lage, in der wir uns zusammen befanden, könnte ich nicht, ohne zuvor alles zu entdecken, Liebe für Sie zur Schau tragen. Wenn wir aber beide einig sein werden, so werden wir Publikum unsere Angelegenheit bloß so viel, als es uns gutdünken wird, durchblicken lassen.«

»Bei Hofe oder bei der ersten Fürstin, woselbst wir zusammentreffen werden, müssen Sie die erste Gelegenheit ergreifen, die sich Ihnen bieten wird, um mir eine Höflichkeit zu erweisen; kümmern Sie sich nicht um die Situation; ich werde Sorge tragen, dass sie entstehe. Ich werde Ihnen sogar[366] von einem unserer bekannten Freunde den Vorschlag machen lassen, Sie mögen es gütigst erlauben, dass ich Sie besuche; Sie werden sagen, dass es Ihnen angenehm ist, ich werde mich Ihnen vorstellen lassen: ich werde die Annehmlichkeit, die Ihr Umgang bietet, schildern, und über das Unglück klagen, dessen so lange beraubt gewesen zu sein.«

»Mehr wird nicht nöthig sein, um meinen Eifer zu rechtfertigen: Er wird einfach und natürlich erscheinen und wir werden es nicht nöthig haben, unsere Liebe vor jemanden zu verheimlichen.«

»Nein,« erwiderte sie träumerisch, »wenn ich Ihren Wunsch so rasch erhören möchte, so müsste ich Ihre Unbeständigkeit fürchten. Ich gestehe, dass ich nicht böse darüber wäre, mit Ihnen einen Umgang zu haben, der auf mehr Achtung, Freundschaft und Vertrauen gegründet ist, ein so schönes Verhältnis, wie man dasselbe in der Welt nicht so leicht findet; ich will Ihnen noch mehr sagen, ich würde die Liebe nicht verabscheuen, wenn ein Liebhaber von einer Frau nichts[367] mehr als das Geständnis ihrer Zärtlichkeit verlangen würde.«

»Das, was Sie von mir verlangen,« versetzte er zärtlich, »ist bei Ihnen eine weit schwerere Sache als bei irgend einer anderen Frau. Ich gestehe auch, dass man auf das Wenige, was man von Ihnen erhaltet, weit stolzer sein kann, als wenn eine andere Frau alles gewährt hat. Aber Zulika, glauben Sie mir, ich bete Sie an, Sie lieben mich, machen Sie den Mann, der für Sie die glühendste Leidenschaft empfindet, zum glücklichsten der Welt.«

»Wenn Ihre Wünsche bescheidener wären,« erwiderte sie bewegt, »und wenn das, was man Ihnen gewähren könnte, nicht ein Recht für Sie wäre, noch mehr zu verlangen, so könnte man es versuchen, Sie weniger unglücklich zu sehen.«

»Nein, Zulika, Sie sollen mit meinem Gehorsam zufrieden sein.«

Auf diese Antwort, deren Gefahr Zulika wohl fühlte, beugte sie sich nachlässig über Nasses, welcher über sie herfiel, und ohne Schonung die Gunst ausnützte, die ihm gewährt wurde.[368]

»Ach! Zulika!« sagte er zärtlich, »soll ich diese wonnigen Augenblicke nur Ihrer Gefälligkeit verdanken, wollen Sie denn nicht, dass dieselben für Sie ebenso süß, als sie es für mich sind?«

Zulika antwortete nichts, aber Nasses beklagte sich nicht mehr. Bald theilte er Zulika's[369] Seele all das Feuer mit, welches die seinige verzehrte. Er vergaß bald das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, und sie selbst erinnerte sich nicht mehr daran, was sie von ihm gefordert hatte.

Sie beklagte sich wirklich, aber so sanft, dass es weniger einem Vorwurf, sondern eher einem zärtlichen Seufzer glich. Da Nasses es fühlte, bis zu welchem Grade er sie aufregte, so glaubte er, es sei an der Zeit sich so köstliche Augenblicke nicht entgehen zu lassen.

»Ach, Nasses,« sagte sie zu ihm mit erstickter Stimme, »wenn Sie mich nicht lieben, wie unglücklich werden Sie mich machen!«

Wenn der Zweifel Zulika's an der Liebe Nasses so lebhaft und wahrhaftig gewesen wäre, wie es schien, so war es wahrscheinlich, dass die Leidenschaft Nasses diese Furcht verscheucht hätte.

Auch war er nun sicher, dass sie an seiner Liebesglut nicht mehr zweifeln könne, er hielt es daher nicht für angemessen, ihr darauf zu antworten, um seine Zeit nicht zu verlieren, die er anwenden musste, um sie besser von seiner Liebe zu überzeugen,[370] als es die rührendsten Reden gemacht hätten. Zulika beleidigte sich nicht über sein Stillschweigen; bald jedoch (denn es bedarf oft nur einer Kleinigkeit, um die wichtigsten Dinge außer Acht zu lassen) schien sie sich nicht mehr mit einer gewissen Furcht zu quälen, die sie ohne Nasses nahe zutreten nicht länger zu haben brauchte.

Sie wollte sprechen, konnte aber nur einige unzusammenhängenden Worte finden, die nichts weiter als die Unruhe ihrer Seele ausdrückten. Als er aufgehört hatte, warf sich Nasses ihr zu füßen.

»Ah! Lassen Sie mich,« sagte sie mit schwacher Stimme.

»Was!« antwortete er mit erstaunter Miene, »sollte ich das Unglück gehabt haben, Ihnen zu missfallen, wäre es möglich, dass Sie sich über mich zu beklagen hätten?«

»Wenn ich mich nicht beklage,« erwiderte sie, »so ist es nicht deshalb, weil ich keinen Grund dazu habe.«

»Ei, worüber könnten Sie sich denn beklagen?« er widerte er, »sollten Sie denn nicht von einem so schrecklichen Widerstand müde sein?«[371]

»Ich gestehe,« antwortete sie, »dass es viele Frauen gibt, die sich schneller ergeben hätten, ich fühle aber nichtsdestoweniger, dass ich Ihnen noch länger hätte widerstehen sollen!«

Dann schaute sie ihn mit so schmachtenden Augen an, welche das Verlangen verrathen und zugleich erregen.

»Lieben Sie mich?« fragte sie Nasses so zärtlich, als ob er sie wirklich geliebt hätte.

»Ah! Nasses,« rief sie aus, »welche Freude kann Ihnen ein Geständnis bereiten, das ihr Ungestüm mir schon entrissen hat; blieb mir darüber noch etwas zu sagen übrig?«

»Ja, Zulika,« antwortete er, »ohne dieses reizende Geständnis, welches ich von Ihnen verlange, kann ich niemals glücklich sein; ohne dasselbe kann ich mich nur als einen Räuber betrachten. Ah! Wollen Sie, dass ich mir einen so grausamen Vorwurf machen muss?«

»Ja, Nasses,« sagte sie seufzend zu ihm »ich liebe Sie!«

»Nasses wollte Zulika soeben danken, als[372] ein Sklave Mazulhims hereinkam, um das Nachtessen aufzutragen; er seufzte darüber.«

»Verwünscht! Ich glaube es wohl,« unterbrach der Sultan, »aber so sind alle Diener! Man sieht sie nur dann, wenn man ihre Gegenwart am wenigsten wünscht. Ob er nicht früher kommen konnte, als Nasses und Zulika sich so sehr langweilten! Nein, er muss gerade dann kommen, um sie zu unterbrechen, und dann, wenn es mir das meiste Vergnügen bereitet zuzuhören.«

»Ich war ohne dies sehr erstaunt darüber,« sagte die Sultanin, »dass Sie nichts gesagt haben.«

»Wahrhaftig,« rief er aus, »ich habe mich gehütet sie zu stören, ich wir neugierig darauf zu erfahren, wie dies alles enden wird. Ich bin sehr zufrieden damit,« fügte er hinzu, indem er sich zu Amanzei wandte; »das kann man in der That eine rührende Szene nennen, ich habe darüber Thränen in den Augen.«

»Was,« sagte die Sultanin zu ihm, »Sie weinen über dieses?«

»Warum denn nicht?« antwortete er »es ist ja sehr interessant, wenigstens für[373] mich, es ist wie ein Trauerspiel, und wenn Sie nicht darüber weinen, so ist es nur deshalb, weil Sie kein gutes Herz haben.« Indem er diese Worte sprach, befahl er mit befriedigter Miene Amanzei fortzufahren.

»Nasses seufzte vor Ungeduld, da er sich unterbrochen sah, nicht weil er so sehr verliebt war, aber er fühlte jene Glut, die, ohne dass man verliebt sei, in uns Empfindungen wachruft, die der Liebe gleichen, und die viele Frauen für Symptome einer wahren Leidenschaft halten. Es sei, dass sie fühlen, wie sehr es ihnen nöthig ist, sich uns gegenüber zu verstellen, oder dass sie in der That nichts besseres kennen.

Zulika, welche die Ungeduld, die sie bei Nasses wahrnahm, bloß ihren Reizen zuschrieb, war dafür so dankbar als möglich, aber um den Charakter einer zurückhaltenden Person, den sie zu haben vorgab, zu behaupten, gab sie ihm ein Zeichen, indem sie ihm die Hand drückte, und gab ihm so zu verstehen, mehr Vorsicht vor dem Sklaven Mazulhims zu beobachten. Sie setzten sich zu Tische.«[374]

»Nach dem Nachtmahl ...«

»Langsam, wenn's beliebt,« unterbrach Schah-Baham, »ich möchte, wenn es Ihnen nicht missfällt, die beiden zu Nacht speisen sehen. Ich liebe vor allen Dingen die Tischgespräche.«

»Sie haben eine eigenthümliche Beständigkeit in Ihren Ansichten!« sagte die Sultanin; »bei Gesprächen, die nothwendig waren, haben Sie unzähligemal die Geduld verloren, und nun verlangen Sie solche, die ganz außer der Geschichte sind und dieselbe nur unnöthig verlängern.«

»Nun gut!« antwortete der Sultan, »wenn ich unbeständig sein will, so ist hier niemand, der mich daran hindern darf! Lasst sehen! Ich will jedermann beweisen, dass ein Sultan sprechen kann, wie es ihm beliebt; denn alle meine Vorfahren haben dasselbe Recht gehabt, welches man mir streitig machen will, und dass nie ein Weib, wenngleich ein Schöngeist, das Vorrecht gehabt, ihnen vorzuschreiben, wie sie reden sollen, und dass selbst meine Großmutter, mit der sich zu vergleichen Sie nie die Kühnheit haben werden, es doch niemals wagte[375] Schah-Riar, meinem Ahnen, zu widersprechen.«

»Das, was ich übrigens darüber sage, ist nur um zu beweisen, dass ich meine Genealogie genau kenne,« fuhr er mit gemäßigterem Tone fort, »und nicht um jemanden zu ärgern; nun kannst Du fortfahren, Amanzei.«

»Es ist,« sagte Zulika einen Augenblick nachher, als sie sich zu Tische gesetzt hatten, »eine ganz eigenthümliche Sache, wie die Ereignisse oft herbeigeführt werden, die am entscheidensten in unserem Leben sind! Wer zum Beispiel würde einer Frau sagen: Du wirst noch diesen Abend einen Mann mit ganzer Hingebung lieben, an den Du nicht nur niemals gedacht hast, aber den Du sogar hassest; sie würde es gewiss nicht glauben, und doch ist es nicht ohne Beispiel und geschieht manchmal.«

»Ich stehe dafür,« entgegnete Nasses, »und wäre sehr erzürnt, wenn es nicht geschähe. Übrigens ist nichts so allgemein, als dass Frauen jemanden lieben, den sie zum erstenmal sehen, oder den sie früher[376] gehasst haben. Auf diese Weise entstehen die heftigsten Leidenschaften.«

»Und dennoch,« versetzte sie, »gibt es viele Leute, welche behaupten, dass es keine plötzlichen Sympathien gäbe.«

»Wissen Sie,« erwiderte Nasses, »wer die Leute sind, die das behaupten? Entweder sind es junge Leute, welche die Welt noch nicht kennen, oder Frauen, deren Geist theilnamslos und deren Herz kalt ist, indolente Frauen, die eine Leidenschaft mit aller möglichen Vorsicht nehmen und sich nur gradeweis entflammen.«

»Nun gut,« antwortete sie, »wie lächerlich sie auch sein mögen, so haben sie dennoch ihre Anhänger, und ich, die mit Ihnen spreche, dachte noch vor kurzem gerade so wie sie.«

»Sie?« antwortete er, »wissen Sie denn, dass Sie alle diese Vorurtheile haben?«

»Das ist möglich,« antwortete sie, »aber gegenwärtig habe ich um eines weniger, denn ich glaube an die plötzlichen Sympathien.«

»Was mich betrifft,« sagte er, »so bin ich überzeugt, dass sie sehr allgemein sind,[377] ich kenne sogar eine Frau, die denselben so unterworfen ist, dass sie deren drei bis vier täglich findet.«

»Ah! Nasses,« rief sie aus, »das ist unmöglich! Wenn Sie wenigstens sagen möchten, dass es nicht alltäglich ist.«

»Wissen Sie wohl,« erwiderte er, »dass Sie sich noch täuschen würden, und dass eine Frau, die das Unglück hat, verliebter Natur zu sein, keinen Augenblick für sich selbst stehen kann? Nehmen wir an, Sie wären gezwungen mich zu lieben, was würden Sie thun?«

»Ich würde Sie lieben,« erwiderte sie.

»Nun gut; setzen Sie jetzt den Fall,« fuhr er fort, »es sei eine Frau in der Nothwendigkeit drei bis vier Männer täglich zu lieben.«

»Ich fände sie sehr zu beklagen,« antwortete sie.

»Es sei, ich stimme bei, aber was wollen Sie, dass sie thue? –«

»Aber,« antwortete sie träumerisch, »viere zu lieben!«

»Da Sie die Zahl verletzt,« antwortete er, »so nehme ich zwei davon weg.«[378]

»Ah,« sagte sie, »das ist wahrscheinlicher und selbst möglich.«

»Ah, was für Umstände haben Sie nicht gemacht,« rief er aus, »um nur einen davon zu lieben!«

»Schweigen Sie,« sagte sie lächelnd zu ihm, »ich weiß nicht, woher Sie die Reden nehmen, die Sie mir da halten, und ich die Antworten, die ich für Sie bereit habe.« »Von Natur aus,« antwortete er, »sind Sie aufrichtig und ohne Verstellung, Sie lieben mich genug, um mir nichts von dem, was Sie denken, zu verheimlichen, und ich schätze Sie umsomehr, da es sehr wenige Frauen gibt, die einen so ehrlichen Charakter haben.«

Unter diesen Gesprächen und anderen, die nicht viel interessanter waren, gelangte man endlich zu Dessert.

Kaum war es aufgetragen, und sie ohne Zeugen waren, stand Nasses auf und warf sich zu Zulika's Füßen.

»Sie lieben mich?« fragte er sie.

»Habe ich es Ihnen denn noch nicht genug gesagt?« antwortete sie schmachtend.

»Himmel,« rief er aus, indem er aufstand[379] und sie umarmte, »kann ich es denn genug oft von Ihnen hören, und können Sie es mir genug beweisen?«

»Ach, Nasses!« erwiderte sie, indem sie sich in seine Arme schmiegte und auf mich niederließ, »welchen Gebrauch machen Sie von meiner Schwäche!«

»Ei!« sagte der Sultan, »was beim Teufel wollte sie denn, dass er mache? Das ist nicht schlecht! Sie wäre, wie ich glaube, sehr unzufrieden gewesen, wenn er sie nachher in Ruhe gelassen hätte. Nein, wie die Frauen so sonderbar sind! Sehr sonderbar! Sie wissen niemals, was sie eigentlich wollen, und man weiß niemals, woran man bei Ihnen ist ...«

»Welch ein Zorn,« unterbrach die Sultanin, »welch eine Flut von Epigrammen! Was haben wir Ihnen denn gethan?«

»Nein,« sagte der Sultan, »es ist ohne Zorn, dass ich dies alles sage. Man muss durchaus nicht böse auf die Frauen sein, um sie lächerlich zu finden.«

»Sie sind von einer beispiellosen Kaustik,« sagte die Sultanin, »ich fürchte sehr,[380] dass Sie, der die Schöngeister so hasst, nicht selbst unverzüglich einer werden.«

»Das ist nur diese Zulika, die mich erzürnt hat, denn ich liebe solche unzeitige Zierereien nicht.«

»Mögen Euer Majestät sich gegen sie weniger erzürnen, sie hat sich ja nicht lange gesträubt.«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 358-381.
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