An das Publikum.

Billige und freundschaftliche Leser!


Von der einen Seite beweiset mir der geschwinde Abgang dieser kleinen Schrift, von deren ersten Abschnitten ich seit Neujahr schon die vierte Auflage zu besorgen genöthiget gewesen bin, daß ein großer Theil des Publikums in allen Gegenden Teutschlands mit dieser[3] hingeworfenen Lektüre nicht mißvergnügt gewesen ist, von der andern Seite ist es mir freylich nicht unbekannt, daß viele darüber in frommer Wuth gerathen und gegen diese Schrift wie gegen deren Verfasser in dem Grade sind aufgebracht worden – wie es sich von Eiferern mit Unverstand, und von Leuten die von Religion und Sentiment ein groß Geschrey machen, ohne sich eben mit den Geist und mit den Gesinnungen der wahren Gottes-Religion zu befaßen, erwarten läßt.

Das wird mir heilig versichert, daß ich mir besonders durch diese Charlatanerien, ausnehmend viel Feinde gemacht[4] hätte, daß Männer von Wichtigkeit und Einfluß sich ganz ernstlich auf die Lauer legten mich zu verderben, mich selbst bey der ersten Gelegenheit um der von Sr. Königl. Majestät Allerhöchst verliehenen Censurfreyheit zu bringen, bedacht nähmen; daß Männer, die mit Christenthum und Wohldenkenheit viel Parade machen, mir Gruben bereiteten – – – und ihre Schleuder mit Steinen lüden, um mir solche an den Kopf zu werfen. In Berlin solte man dergleichen nicht erwarten, und nicht unter einer so glänzenden Regierungs-Epoke des menschlichen Verstandes und der Duldung, wo in[5] einer der ersten Buchhandlungen ein mit unbeschränkter Geistesfreyheit geschriebener Abregé de l'histoire ecclesiastique par Fleuri verlegt worden und der Prüfung Geschichtskundiger Köpfe vorgelegt ist, wo das Dictionair von Baile nicht verbrannt wird, wo alle Schriften von Voltaire frey verkauft werden, und wo man mit der Vorstellung der dramatisirten Geschichte von Saul und David nicht fremd ist – In Berlin, wo die Akten der Verfolgung gegen den gelehrten Schullehrer Damm sich mit einer vom Thron bestimmten ruhigen Besoldung beschloßen, wo ohne Amtsentsetzung und ohne Exilium[6] zu erwarten, die öffentlichen auf Reichspackta sich gründenden simbolischen Bücher, nach den Uberzeugungen einzelner Männer in gar wichtigen, als Glaubensartikel angenommenen Punkten; so ausserordentliche Abänderungen und Motifikationen erlitten haben – in einem Lande wo der erste Lehrer der christlichen Gottesgelahrheit unter welchen sich seit verschiedenen Jahren Kirchenlehrer bilden, wo Semmler öffentlich behauptet:

»daß Christus-Religion in ihrem Grunde bestehen bliebe, wenn gleich dessen Auferstehung nicht erweißlich wäre.«1[7]

in einem Lande wo Barth, der durch Reichsschlüße verketzerte, verwiesene Barth, Schutz und Duldung findet – In so einem Lande solte man wirklich nichts vom Geist spanischer Inquisition erwarten, sich nicht im Sinn kommen lassen, daß es da unbestellte Eiferer gäbe, die sich nicht begnügeten ihre eigene Meinungen zu behalten, oder allenfalls – ihre Kräfte zugebrauchen, um anderer Meinungen die ihnen mißfallen, übern Haufen zu werfen; sondern wirklich spekuliren über einen Verfasser selbst herzufallen;[8] der nichts thut – als was Tausende vor ihm thaten, was ein jeder thut, der nicht durch anderer Leute Brillen, sondern mit seinen eigenen Augen siehet, und dasjenige was? oder wie? er es siehet, mit der Freyheit des zum Selbstdenken geschaffenen Geistes saget – es jedem zu gleichfreyem Urtheil preis giebt, ohne es einem einzigen aufzudrengen.

So ists aber, so wars zu allen Zeiten, so wird's auch wohl ferner bleiben; so lange Menschen von Religion mehr schwatzen als nach Religion handeln; so lange mit Schaalen und Charlatanerien gespielet, und der wahre Kern der Religion[9] der nur in That besteht, vergessen wird; so lange werden die Eiferer für ihre eigene Systeme, immer andere Systeme, und die Personen selbst, mit einer Bitterkeit die gerade das Widerspiel von Christus sanftmüthigen Sinn ist, verfolgen so weit ihre Macht reicht.

Ich wiederhole was ich schon anderweitig gesagt habe – Man erlaubt sich freye Urtheile über Handlungen unerreichbarer Monarchen – und man divertirte sich zu seiner Zeit über den wirklich gemißbrauchten Witz der in der famösen Piece Partage de Pologne, Gift der Lästerung über die schönste Diademe der Europäischen[10] Staaten ausgeifferte – dagegen that Niemand den Mund auf, als zum Lachen, welches den Nichtpatrioten mit Schande bezeichnete. Diese dürften allenfalls die Lautesten seyn welche über meine Charlatanerien sprechen – und über meine Gemählde von Abraham oder neuer patriarchalischen Gestalten sich unnütz machen.

In so fern diese Eiferer – oder wie ich sie so nennen darf, die sich so viel erlauben, uns andern nicht erlauben wollen, Wahrheiten zu sagen, welche denen Freunden praktischer Charlatanerien zu wider sind, – ein Schicksal was die Wahrheit[11] überall hat, daß sie selbst mit lachender Miene gesagt vielen, die für ihre Thorheiten Respekt fordern – unleidlich ist; in so fern sage ich diese Eiferer bloß gegen mich Feuer sprühen – deklamiren, schimpfen, in Journalen versichern daß sie mich nicht lesen nicht lesen wollen – – kann ich mich bey dem allen sehr gut beruhigen, werde mich durch kein Gepelffer stöhren lassen. Die Stimme des Publikums ist mein Richter, der mich alleinig determinirt fortzufahren, oder aufzuhören, nicht Rezensenten Geplärr, darauf achte ich nicht, frage nicht, was unberufene Aristarchen sagen. So lange die Zahl meiner[12] Leser in tausende geht, nicht aus der Klaße des gemeinen Mannes, sondern aus solchen besteht deren Extraktion und Erziehung ausgebildete Vernunft voraussetzen läßt, so lange werde ich fortfahren, dem Geschmack dieses Publikums zu genügen und die andern können davon bleiben. –

Vor der Hand wird mit diesem 4ten Abschnitt der Charlatanerien geschloßen – der damit beäugte Zweck Vorurtheile wirkliche Charlatanerien in mehr als einem Fach anzugreifen – oft bloß von der lächerlichen Seite anzugreifen und es andern zu überlassen, den Grund des Angrifs näher und mit Ernst zu prüfen – der Zweck[13] hie und da eine treffende Wahrheit zu sagen, welche sich ad notam zu nehmen bisweilen nicht undienlich seyn dürfte – oft nur Winke zu geben, um Wahrheit nach dem Fingerzeig zu geben, dieser Zweck war selbst bey diesen kleinen Schriften mein unveränderliches Augenmerk und er wird es überall seyn. Nach der Regel, ridende dicere veritatem, oder in einem scherzhaften launigten Ton zu reden, hatte bloß zur Absicht meinen Lesern zugleich ein gewiß unschuldiges Vergnügen zu verschaffen, indem ich sie zum Nachdenken über Sachen auf einem blumigten Wege, leiten wolte. – Denn der Weg über harten[14] steinigten Boden in den dürren Gegenden des bloß deklamatorischen Reichs, finstere Moralisten ist ermüdent und langweilig.

Daß übrigens meine Absicht nicht seyn konnte Unheil zu stiften, sondern Nutzen, daß brauche ich nicht zu sagen. Der größte Theil meiner Leser glaubt das ohnedem und den widriggesinnten Schreyern würde ich es nicht überreden, wenn ich selbst den alten Demostenes aus dem Staube hervorrufen könnte, um mit der ganzen hinreissenden Gewalt der Beredsamkeit mein Vertheidiger zu seyn. Was diese Klasse also anbetrift; ists das beste wir lassen einander laufen. Ein jeder mit seinen eigenen[15] Gang, der eine zur Rechten der andere zur Linken. – Es geht ja ein jeder für seine eigene Rechnung.

Nachrichtlich habe ich meinen Lesern nur noch dieses bekannt zu machen. Bisher habe ich durch meine kleine Schriften nur erst das Terrein sondirt – was ich mit größern durchgedachten Werken darauf bauen will, daß dürfte noch zu frühzeitig kommen, so sehr ich mich nach der Erscheinung des Zeitpuncts sehne, wo ich Realiteten geben kann, welche das Publikum aus der leichten Manier mich mit ihm zu unterreden vielleicht nicht erwarten wird, welche aber nothwendig seyn dürften, um[16] dererwillen, welche mein vorläufiges leichtes Harzeliren mit einer so mächtiglichen Verachtung anzusehen belieben tragen. Es bedarf aber noch einer vorläufigen Preparation. Mein Terrein, welches ich jetzt zu kennen glaube verlangt noch mehr Zubereitung. Es ist noch mit Vorurtheilen, mit alten eingewurzelten Thorheiten durchwachsen, wie ein ungebauter Acker mit wilden Graspeden. Zuvörderst muß ihn die Egge der ächten Satire noch mehr durcharbeiten, um noch ein Haufen eingenistelte Wurzeln, verjährter Narrheiten auszureuten.[17]

Dieserhalb verkündigte ich schon bey der Erscheinung des vorigen 3ten Abschnitts dieser Charlatanerien, die Eröfnung eines Narrensaals, worin Meister Sirach seine Operationen vornehmen sollte um die Thoren zu kuriren. Ich habe das Ding jetzt noch anders überlegt:

Vor einigen Jahren meldeten sich verschiedene gelehrte Zeitungsschreiber in gedruckten Rezensionen über meine Gallerie der Teufel etc. und auch bloß schriftlich, andere meiner damaligen Leser, mit der Anzeige; daß besagte Gallerie etc. nicht von männiglich verstanden würde, und mit dem Wunsch; daß der Verfasser sich aus dem[18] höhern Sphären der Höfe und Staaten herniederlassen und Satyren schreiben möchte, die auf das gemeine Leben Einfluß hätten.

Das ging nun nicht gut an, jedermann in der Gallerie der Teufel auf- und anzunehmen. Auf dem Blocksberge wo in der berühmten Walpurgis Nacht Satan, dieser mächtige Fürst der Welt, sein Hoflager hält; herrscht überaus viel Etiqvette. Nicht ein jeder kann dort Cour machen – bey diesem großen Reichstage wo die wichtigsten Welthändel vorgenommen und entschieden werden, erscheinen nur Prinzen von Geblüte, die Ministres welche das[19] Geheime Conseil und den Staatsrath ausmachen, die auswärtigen Gesandten, die Pairs des Reichs und der hohe Adel. Personen vom zweiten Range, und so weiter herunter, alle Grade der Gesellschaft durch, bis auf den Narren im bunten Jäckchen, der vor Kost und Lohn aus pudelnärrischen Streichen Metier macht; alle diese Leute zu versorgen dazu ist indessen ja sonst noch wohl in der Welt Gelegenheit – es braucht nicht alles bey Hofe emploirt zu werden, und Se. Majestät auf dem Blocksberge haben ohne dem genug zu thun, und können sich unmöglich mit jedes Narren seinen Angelegenheiten abgeben.[20]

Ich machte also schon damals einen anderweitigen kleinen Plan, auch die übrigen guten Leute unterzubringen, mit welchen ich eben den Herrn Satan nicht beschwerlich fallen wollte, und die überhaupt ihrer Geburt nach, ganz und gar nicht bey Hofe presentable waren. Um dem Dinge ein Ansehn zu geben, sahe ich mich nach einen würdigen Chef für das Departement der übrigen Narren umher. Aus dem alten Fabelreiche mußte ich so ein vergöttertes Subjekt aussuchen, denn das ist nun einmal so in der Welt: Je mehr Fabel je mehr Würde und Ansehn! die heidnische auch[21] von uns adoptirte Fabel vom Teufel, und die ächte teutsche Fabel vom Blocksberge, hatte meiner Gallerie nicht geringe Reputation gebracht – Ich beschloß nach dem Beyspiel anderer periodischen Schriftsteller, die den Olimp in Pacht genommen haben, und uns mit Produkten aus der griechischen Fabellehre regaliren, dieses Reich der griechischen Fabel ebenmäßig einmal zu nutzen, und dieses alte verbrauchte Ding nach meiner Manier mit einem neuen Kleide nach der Mode auszustaffiren.

Wieland handelt mit dem Götterboten Merkur durch die Welt, der als geübter Mäckler mit allerhand Klinkaillerie-Waare[22] sehr gut umzugehen versteht, und solche treflich an Mann zu bringen weiß – Jakobi hat das Cammermädchen Iris in seinen Diensten genommen, um mit weiblichen Galanterien durch die Welt zu trödlen – – Bey mir kömmts darauf an – wie oben gesagt, Thorheiten aus der Welt zu lachen; und dazu fand ich im ganzen Olimp keinen brauchbarern Kerl, als den bon Vivant Silen mit seinem Esel, Hofspaßmacher seiner Olimpischen Majestät, gewesenen Instrucktor des Prinzen Bachus, der mit der Laune des Comus begabt, und mit lachendem Munde mehr[23] gutes in der Welt ausrichten soll, als selbst mit seinem alt grämlichen Moralisten Gesicht Saturn, mit welchem man Kinder jagen kann, weil wie die Geschichte sagt, er solche fressen soll.

Wie gesagt zur Befriedigung der von verschiedenen Seiten an mich ergangenen Aufforderung; Satiren in derjenigen Spähre zu schreiben, welche unmittelbar auf diejenige folget, die in der Gallerie der Teufel repräsentirt worden ist; und zur Erreichung meiner besonderen Absicht; in verschiedenen Fächern gegen die Narren zu Felde zu ziehen, welche ein Haufen Unkraut[24] auf Aecker bauen, welche bessere Früchte zu tragen fähig sind; soll mir Silen und sein Esel gar keine üble Dienste leisten.

Diese schon vor etlichen Jahren bearbeitete periodische Schrift, will ich jetzt geben – als alte Schuld welche das Publikum längst erwartet, nur noch nicht ganz die Bedingungen erfüllt hat, unter welchen allein ich vordem diese Schrift herausgeben wollte. Damals wünschte ich durch eine Subscription für 1000 Exemplarien völlig gesichert zu seyn – Nunmehr zufrieden mit der noch nicht so hoch sich belauffenden[25] Anzahl mag alle vierzehn Tage ein Stück von diesem, in der launigsten Periode meines Lebens, geschriebenen Werk erscheinen – in der Mitte dieses Monats das erste Stück, welches ich hierdurch habe anmelden und dem Publikum empfehlen wollen. Berlin den 1 ten August 1781.

Der Verfasser.

Quelle:
[Cranz, August Friedrich]: Charlatanerien in alphabetischer Ordnung als Beyträge zur Abbildung und zu den Meynungen des Jahrhunderts, 1–4, Berlin: 41781, 21781, 1781, 1781 [Nachdruck Dortmund 1978], S. 3-26.
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