[Es scheint, daß eine schillerreiche]

[9] Es scheint, daß eine schillerreiche

Nachnebelbrunst dem Meer entschwebt:

Und alles schweigt in dieser Bleiche,

Aus Mondlicht und aus Dunst verwebt!


Die fahlen Silbersträhne dehnen

Sich schleierhaft hervor im Raum.

Den Mond umblinzeln Iristhränen,

Als wie ein feuchter Trauersaum.


Die Sterne starren wie die Blicke

Der Sterbenden im Todeskrampf,

Verlöschend, durch die wolkendicke,

Dunstschwere Wand aus Licht und Dampf.
[9]

Sie glitzern und sie flimmern nimmer.

Du siehst wie ihre Kraft gebricht.

Der Mond vergraut im Eigenschimmer:

Und bald verblaßt auch dieses Licht.


Es will das Meer den Sturm gebären,

So plötzlich wogt es grollend auf,

Es brüstet sich, die Welt zu nähren,

Und schwellt die Wellen schon zu Hauf.


Die Sterne und der Mond verblassen.

Das Wasser aber sprudelt hell:

Nun huschen Aale aus dem nassen,

Unsagbar tiefen Lebensquell.


Sie ringeln sich und sie entwischen

Dem Salzgischt, den die Welle spritzt,

Und stehlen sich mit Silberfischen

Ins Leben, das jetzt ringsum blitzt.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 9-10.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht