[»Barbaren!« war der Warnungsruf]

[147] »Barbaren!« war der Warnungsruf,

»Die Feinde!« der Verzweiflungsschrei,

Dann traf mich schon ein Pferdehuf,

Und rings begann die Metzelei!

Nun bin ich wach und seh genau:

Ein feindlicher Volksstamm, mit Rossen und Wagen,

Durchplündert und brandschatzt den Usgau,

Da kommt er mit Pferden, auch Menschen zu jagen:

Die Hyksos erscheinen, Ägypten zu plagen!

Sie fahren im Karren, zertrümmern, zerschlagen,

Was immer sich aufreckt und aufthürmt,

Wo Reiter und Roß wild dahinstürmt.

Es schnalzen die Hyksos, es wiehern die Rosse!

Es blinken die Lanzen, es schwirren Geschosse!

Es pfeifen die Lenker, es grinsen die Weiber!

Gewimmer entschnarrt einem rauchenden Haufen

Verreckender Menschen, verzuckender Leiber,

Die röchelnd sich bäumen, zuletzt noch zu raufen!

Bewußtlose Menschen empfinden die Hiebe

Der Hufe, verscheidend, beinahe als Lust:

Zerquetscht durch die Räder im Karrengetriebe,

Verschnarcht mancher Rumpf mit zerschlagener Brust.

Nun rasen die Wagen bergauf über Leichen,

Es macht erst der Ansturm die Insassen munter,

Doch weiche Kadaver belasten die Speichen,

Drum stürzt Roß auf Roß katarakthaft herunter:

Ein irdisches Fiebern durchschüttelt Ägypten.

Ein Lichtbraus, der hurtige Hyksos beflügelt,

Durchschauert das Land, wo die Bauern versippten

Und menschlicher Starrsinn ein Hiersein erklügelt.

Die Lichtwucht will liebreich Erdkinder durchdringen,

Doch kann Mann an Mann nur im Kampfdrang heran:[148]

Ganz anders, gelingt es dem Mann durch das Ringen

Zu fassen, was haßvoll ihm zustürmt im Mann!

Es wälzt sich ein Wüstengetümmel herüber,

Ein wildes Gewimmel verirrt sich zum Nil:

Nie färbte der Fluthschlamm die Flußwässer trüber,

Als da die Sahara das Thal überfiel.

Ein rasender Reitertroß würgt und verstümmelt,

Mit Wagen und Waffen, was rastete, praßte;

Ich selbst habe, nackt, unter Nackten gelümmelt,

Bis Angst mich vor kalten Kadavern erfaßte.

Ein Roß überstürzt sich, jetzt muß ich ersticken!

Es wiehert, ich beiß ihm mit Lust in die Nüstern,

Es wird mich erdrücken, ich fühl mich zerknicken,

Doch hört mein Bewußtsein noch weltwirres Flüstern.

Ich blute bestimmt, bin verwundet, zerschunden,

Gewahre im Mondlichte Rümpfe und Fratzen,

Ich schleiche durch Leichen, mit triefenden Wunden,

Um gierig das Fleisch von den Schädeln zu kratzen.

Nun packt mich ein Grauen, verkrampft mich in Mähnen:

Ein Pferd, das verreckte, versteckt meine Glieder,

Denn überall lecken und schnuppern Hyänen:

Nie ward mir ein Eindruck so schrecklich zuwider.

Es dürsten am Schlachtfeld wohl Tausende weilen,

Ich merk es am Lecken und hörbarem Trinken,

Drum such ich zum Schutze nach Lanzen und Pfeilen,

Die müssen im Mondlichte irgendwo blinken.

Und immer noch rasen Saharabarbaren,

Wie Schatten des Wahnes empor aus der Nacht:

Ich kann ihre Wagen am Schlachtfeld gewahren,

Da nirgends ein Tempel mich steil überdacht.

Vermag die Sahara das Thal zu verscharren?

Versandet das Land und zerfallen die Hallen?[149]

Denn Schaaren von Hyksos, auf Rossen, in Karren,

Entfahren der Ferne, sich hier einzustallen.

Sie jagen durch Tempel und Tempelruinen:

Da wenden sich ihnen rings Menschen entgegen:

Vom sterbenden Mondscheine gelblich beschienen,

Beginnen sich etliche Gegner zu regen.

Verwesendes Theben, entstehn Dir denn Helden?

Vermag es die Schlachtenwucht Muth zu gebähren!

Beginnt sich die Schmerzbrunst Geschlagener zu melden?

Die Wurmlust der Ohnmacht sich stumpf zu verzehren?

Was Ehren, was Trotz, was Gefasel von Thaten,

Zum Schluß hilft die Geilheit beim muthvollen Sterben!

Mag plötzlich den Feigling Beherztheit berathen!

Ich seh ihn, verderbend, um Lustjucken werben,

Drum greif ich zum Scheine nach Pfeilen und Lanze

Und hoffe, es wird mich der Tod nicht verschonen!

Dem Feind winkt der Speer mit erbebendem Glanze,

Der Opfertod möge mein Großthun belohnen.

Komm Hyksos, erfreu dich beim Stechen und Schnüren,

Ich trachte Dir katzenhaftfahl zu entweichen,

Dann kann ich mein nahendes Ende verspüren

Und langsam erkalten wie andere Leichen.

Verzagtheit und Keuschheit, Ihr Ehrfurcht und Grauen,

Stets habt Ihr mir Thatkraft und Werblust versauert,

Nun laßt Euch, als Ohnmachtsgauch, kauernd, durchschauen,

So seid noch mein Lustwurm, von Abscheu durchschauert!

Erblickt mich der Krieger, der einsam dort reitet!

Ach, käm er herüber, ich wags nicht zu winken.

Wie werd ich gering, wenn der Angstkrampf sich weitet,

Bald muß ich in schrecklicher Schmerzlust versinken!

Unheimliches Kommen, angstschwangerstes Nahen,

Ich kann Dich erwartungsstumpf, einsam ertragen.[150]

Mir ist es, als ob wir uns kannten und sahen,

Nun komm, Mann, mich Wehrlosen roh zu erschlagen! –

Halb Unding, halb menschlich empfundener Schatten,

So springt jener Klotzgnom vom zottigen Rosse:

Ach, bald kann ich schlafschlaff erblassen, ermatten,

Wie groß wird doch plötzlich mein Schlußlustgenosse!

Mein Henker, mein Richter, ergötz Dich beim Köpfen,

Die Freude wirft ewig quallüsterne Schatten:

Nur Du magst das größte Glück, tödtend, erschöpfen:

Da bist Du, nun geht die Vernichtung von Statten.

Ich fühl alles Zagen, voll Wollust, verrunzelt,

Jetzt kann ich die ganze Verachtung ertragen:

Nun seh ich den Henker, ganz blitzrasch, geil schmunzeln,

Und lüstern, als Jüngling, mich kühn überragen!

Sind Kopf jetzt und Wesen, gefällt und zerspalten!

Mir ist es, als sauste der Henker selbst nieder:

Fast wach ich, verkrampft unter Schattengewalten:

Und Dunkel und Ruhe belasten die Glieder.

Ein Sturmbraus durchwuchtet mein schluchtiges Wesen,

Mein Henker ist selbst in mein Inneres gefahren,

Nur so kann die Seele der Schmachlust genesen:

Ich reiß mich empor, um mich selbst zu gewahren!

Da kommen die Hyksos, von Raublust gepeinigt!

Oh, könnt ich ein Pferd ohne Reiter erspähn,

Oh, wär meine Seele von Feigheit gereinigt,

Ich würde nicht Raub und nicht Todtschlag verschmähn!

Jetzt schnell ich empor, um ein Roß zu erfassen,

Schon schnüre ich Nüstern und würg einen Reiter,

Ich schlag ihn zu Boden, ich seh ihn erblassen,

Ich saus auf den Gaul und schon brausen wir weiter.

Das war nun ein angstfreier, klarer Gedanke!

Ihr eigenstes Glück hat sich Kühnheit errungen,[151]

Nun fall ich dem Feinde, zu Pferd, in die Flanke,

Und streite als Reiter: mein Streich ist gelungen!

Jetzt hetz ich mein Pferd ins Gemetzel von Schlemmern.

Bewußtlose Menschen zertritts mit den Hufen,

Und Halbtodter Schlafen beginnen zu hämmern

Und wollusttoll hör ich Verendende rufen!

Verächzen, Gestöhne, den Schrei der Hyäne,

Vernehm ich beim Ritt, über Rümpfe und Stummeln,

Es ist, als ob Erbschmerz der Dumpfheit entgähne,

Nun will ich, zu Roß, auf dem Schlachtfelde tummeln.

Hier bin ich der Meister, der Held und der Sieger,

Ich kann Dich, Saharanacht, qualbaar, verachten,

Ich bin kein Verreckender, bin auch kein Tiger,

Ich bin das Ereigniß nach brunstwuchtigen Schlachten.

Ich werde der Lebensrausch krampfstarrer Reste:

Geschwellt von der Sprudelbrunst sterbender Welten,

Erhält sich der Geist, als urewige Veste,

Die leidlos empfängt, was die Sinne vergelten! –

Gedanken, als klare, krystallkalte Drachen,

Ereignen sich tief, ich durchschau sie mit Muße!

Sie flattern wie Banner. Allflammen erwachen.

Und leibhafte Sieger thun schmerzverkrampft Buße.

Sahara, Du hast Deine Rasse geboren!

Schon schwängern die Schatten der Todten die Leiber:

Im Weib wird der Feindesschleim fertiggegoren,

Der Hyksossohn sei einst der Hyksosvertreiber.

Im Weibesleib treffen sich feindliche Rassen,

Dort keimen dumpf, unerfüllt, männliche Seelen:

Im Weib kann die Eigenheit stets sich erfassen,

Aus breiter Eintönigkeit Formen entschälen.

Die Frau ist das Traumesgraun schlummernder Lenze,

Die Ahnung, den Urbrunstdurst selbstlos zu schöpfen,[152]

Die Nacht aller Möglichkeit, weit ohne Grenze,

Das Staunen vor Höhen ergrübelnden Köpfen.

Den Mann hat die RaGewalt sonnhoch erhoben:

Der Drang und das tiefste Ding bleiben das Gleiche,

Doch schufen die Sinne, die lustbunt vertoben,

Den Trieb, der die Einsicht persönlich erreiche! –

Die Kette der Liebe ist nirgends zerrissen:

Zwar hat die Sahara uns zahllos gespalten,

Doch bildet das Weib die verschiedenen Gewissen,

Und drum wurden Wesen geschlechtlich erhalten.

Der Urgrund der Seele ist wesensuranisch

Und soll sich, verkörpert, geschlechtlich empfinden:

Oft opfert der Sonnkern sich heldisch, titanisch,

Daß alles, was Weib wird, tief innen verschwinde.

So faß ich ratapfer Saharagedanken:

Kein Weib kann das Weib meines Wesens erwecken,

Die Reinheit des Einblicks gebiert ihre Schranken,

Und schrecklos läßt Klarheit in mir sich erstrecken.

Ihr zwinkert, Ihr Sterne, auch Ihr seid nur Sünder!

Ists Licht auch naiv, das Ihr selbstwesend spendet,

So seid Ihr Entzünder des Lebens auch Gründer

Verdunkelnder Schollen, wos Wollen verendet.

Ihr weckt die Planeten, die selbst sich verdichten,

Die furchtlos vom Tag in die Dunkelheit tollen,

Die Finsterniß lieben, verschließen, verkneten

Und, ewig vertrieben, enttollen, verrollen!

Heut gleicht Euch mein Geist, an Gewalt und an Würde,

Er selbst ist ein Stern und ein Tag aller Klarheit:

Er ruht und erträgt seine kosmische Bürde,

Sein Wesen, ein Ganzes, ist sonnhohe Wahrheit.

Er strahlt aus sich selbst, wenn die Erde verdunkelt,

Er kennt seine Macht, wie einst Simson die Kräfte.[153]

Dich, Tempel der Welt, der als Raum mich umfunkelt,

Verklammert mein Urgrund jetzt blindlings, wie Schäfte

Versänk ich und wollt ich das Sein überwinden,

So würdet Ihr, zitternde Sterne, zertrümmert,

Ihr müßtet im finstersten Nichts mitverschwinden:

Das All wäre leer, um sich selbst unbekümmert!


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 147-154.
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