|
[138] Mir träumte nun, uns allen träumte,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Daß, was da zuckte, vorwärtsglitt
Und so die Welt zusammenräumte,
Denn jeder Abfall hupfte mit.
Das Blut, das noch aus Schrammen schäumte,
Ward abermals zum Daseinskitt,
Was krampfhaft sich zusammen bäumte,
Verschrumpfte rasch beim Übertritt
Zum Jungwurf, der sich kraus umsäumte,
Denn kleinlich war der neue Schnitt.
Was Menschen stündlich wüst verwuchern
Verkrüppelte und wurde starr.
Das Lumpige in Weltdurchsuchern,
Verschrumpfter Seelen Brunstkatarrh,
Das Schamlose in Fleischverfluchern,
Was zynisch bleibt und urbizarr,
Der Zunftdruck in Geschichtsverbuchern,
Eunuchenlust, Berufsgeknarr,
Der Muth in dummen Weibsversuchern,
Verbeugte sich als Zwerg und Narr.
Des Kloben schwammige Substanzen,
Durch Zwergtracht in Betracht gebracht,
Die Bauchfracht und der Buckelranzen,
Verdrehten sich ganz ungeschlacht.
Er wirbelte, begann zu tanzen.
Er hat lebendig aufgelacht.
Er kreiste zwischen Firlefanzen
Und riß sie mit als Wirbelmacht:
Was schimmelnd anfing anzuranzen,
Ist, rasch gewandt, als Wicht erwacht.
[139]
»Zwerg, Wirbelknirbs« rief ich: »belustig
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Dich frisch, verdirbs dem Tod, beim Tanz,
Was stiegt erwirbs und werde fett und wustig:
Des Nichtsgezirbs Urdissonanz
Sei laut in Dir, sei eigenbrustig!
Tanz, tanz, die Welt entlaus, entwanz,
Hei Negerzwerg, pechspeckig, rußdick
Bedeckt von schwarzem Kohlenglanz,
Dein Kopf schrumpft ein, der Rumpf wird krustig,
Und um Dich walzt ein Mummenschanz!«
Falls alle schwarzen Larven fallen,
So grinsen mich nur Schädel an:
Gerippe sinds mit Fingerkrallen,
Im Kaftan, wie ein Muselmann.
Die Mäntel, die sie lang umwallen,
Sind Schatten nur, die Truglust spann:
So dacht ich und mit Wohlgefallen,
Bemerkt ich wie der Spuk zerrann:
Durchschaut zerstoß wie Gallenquallen
Der Schwarm in meinem Geisterbann.
Statt Masken, dunklen Spukhalunken
Umgab mich jetzt ein Tschungelteich;
Umkrochen fühlt ich mich von Unken,
Und was ich abgriff wurde weich:
Ich selber bin somit gesunken.
Ich schwamm und watete zugleich,
Mir wars, als ob in Seegrundtunken
Mich eine Leiche bleich umschleich,
Und lauter grüne Fischblickfunken
Erleuchteten ihr Nebelreich.
[140]
Mein Sinken mocht ich nur vermuthen,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Denn schon entschlüpfte ich dem Schlamm,
Und meine starren Glieder ruhten
Bereits auf einem Sammtsanddamm.
Tief unter mir, in dunklen Fluthen,
Erglühte mancher blutige Schwamm:
Am Ufer wuchsen Binsenruhten
Und blühten Blut, das leuchtend schwamm.
Die Leiche fing sich an zu sputen
Und regte sich gar wundersam.
Schon tauchten ihre schwarzen Flechten
Empor aus tiefem Tintenteich,
Dann schlug sie plötzlich mit der Rechten
Ein Halbrad und versank sogleich.
Die allzuschweren Haare schwächten
Zu stark das Weib, das leichenbleich
Und eingezwängt von Schilfgeflechten,
Versuchte, daß es einen Deich,
Halbangeschwemmt und halb mit rechten
Schwimmregungen, bewußt, erreich.
Kaum war das Weib ans Land geschwommen,
So wich der Teich hinweg und sank.
Sie aber blickte angstbeklommen
Zurück auf Binsenkraut und Tang.
Vom Sumpf, dem sie zur Noth entklommen,
Blieb fast nur das Morastgerank,
Doch ist kein Gluthschwamm drin verglommen,
Blutblühten sprühten auf der Bank,
Und ganze Funkenschwärme klommen
Empor am nahen Uferhang.
[141]
Des magern Weibes starre Glieder
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Vermochten kaum noch gradzustehn,
Sie standen auf und fielen nieder,
Sie mußten sich aus Schwache drehn.
Nun schlossen sie sogar die Lider.
Das Weib war noch zu matt zum Sehn.
Die Binsen lagen rings danieder
Und schienen plötzlich einzugehn,
Doch ihre Kraft gab ihr ein Mieder:
Ein Gluthhauch schien sie anzuwehn.
Zu Muskeln wurden Marterknuten.
Das Fleisch ward straff und fasersteif.
Das Blut sing an mit Hast zu fluten.
Die Brüste wurden schwer und reif.
Es war, als ob der Binsenruthen
Urdasein in die Schenkel kneif,
Die Striemen, die am schlaffsten ruhten,
Erhärteten zum Knorpelreif:
Es schien, in kurzen Kraftminuten,
Als ob, was schafft, zusammengreif.
Die Seele fing an aufzuwachen.
Nie war sie so empfindungsreich.
Brunstjagden, die die Lust entfachen,
Des Mannes Sieg, sein Züchtigungsstreich,
Das Willkürbangen aller Schwachen,
Verschmolzen Furcht und Lust zugleich:
Drum mußten beide hier verflachen,
Und, sieh, das Weib ward wesensweich!
Kaum sah es auf, vernahms das Lachen
Von Menschen und ward schreckensbleich.
[142]
Scheingreise grinsten rings im Kreise,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Und da empfand das Weib die Scham,
Da kams, daß sie auf grause Weise
Ein wilder Ekel überkam.
Angstfieber schüttelten sie leise
Und ihr Gehaben wurde zahm.
Es staunten selbst die lüstern Greise,
Wie seltsam sich das Weib benahm,
Ihr wars, als stak sie tief im Eise,
Und ihre Glieder wurden lahm.
Die Schaulustunken, Lasterkröten,
Die Fische geiler Grausamkeit
Durchfröstelten das Weib, erhöhten
Ihr Junggefühl als nackte Maid.
Es war, als ob sie Schamkraft böten,
Zum Ruckstoß der Urwesenheit.
Sie wurden Fleisch, und Fleisch zu töten
Und haben dicht die Brunst beschneit:
Doch Ahnungen von Morgenröthen,
Die Wallung der Verborgenheit,
Quoll hoch empor in Weibeswangen.
Es sprang die Ruthengluth herbei,
Die Blühten, die am Schilfrohr schwangen,
Durchfieberten sie frisch und frei.
Es trug sie dort ein mutvoll Bangen,
Dem, vollbewußt, das Weib sich weih!
Zum Jungfrauschauspiel zu gelangen
Umstaute eine Greisenreih
Das Weib, und ihre Blicke drangen
Mitschöpfend, daß die Zuckt gedeih,
[143]
Tief ein ins fremde Weibeswesen.
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Und dieses, schamdurchschauert, scheu,
Versuchte Ranken aufzulesen.
Doch, was es angriff, ward zu Spreu.
Die Ruthen, selbst die Binsenbesen,
Zerstoben wie verdürrtes Heu.
Sie alle mußten rasch verwesen
Und trugen schon, im Weib, aufs Neu:
Sie sind der Zuchtkraft selbst genesen,
Und sieh, das Weib ward keusch und treu.
Es mochte nun zum Wasser langen,
Daß plätschernd es die Scham bedeck,
Doch nutzlos war das Unterfangen,
Längst leckte es ein Fiebern weg.
Durchs Bücken und Sichbeugen drangen
Die Flechten zum geheimsten Fleck
Und dienten so dem Weibsverlangen,
Durch Zufall, zum Versteckungszweck.
So blieb es denn, die Haare schlangen
Sich breit ums tiefe Schenkeleck.
Zuerst erstarrten Hand und Sohle.
Dann ward das Becken festgebannt.
Die Jungfrau ward zum Steinsymbole,
Durch sie bekam die Scham Bestand.
Das Greisengeile, Urfrivole
Erhärtete und blieb frappant.
Ein Mohr, verschrumpft zur Fußkonsole,
Entwuchs der dunkeln Unterwand:
Dann ward das Schauspiel rasch zu Kohle,
Da alles schwarz in schwarz verschwand.
[144]
Lauter winzige Silberwische
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Wurden ringsum immermehr,
Keimgefunkel, schwärmerische
Flitterblühten, wie im Meer,
Liebesblicke ewiger Frische,
Wohl ein ganzes Traumlustheer,
Wirbelten als gleisnerische
Sehnsuchtsfibern, voll Begehr,
Daß sich Gleiches geil erwische,
Sich verwickelnd, um mich her.
Waren das die Brunstgedanken?
Wars der Sinne Feuerbrand,
Jener Menschen, die versanken,
Als die Jungfrau keusch verschwand?
Wurden gar die schwachen Ranken,
Die ich zart um mich empfand,
Die ich leuchten sah und schwanken
Einer Jungform Urbestand?
Wurzeln, die das Fieber tranken,
Das die Leiber hold verband?
Eine Lothosblume ragte
Nun verduftend in die Nacht:
Als die Gluth der Liebe tagte,
Ist die Blume hold erwacht:
Und vor solcher Pracht verzagte
Mein Begehr, der brunstentfacht
Jede tolle Frage wagte,
Um zu wissen, was, vollbracht,
Jede Antwort kühl versagte:
Und ich hab nur nachgedacht!
[145]
Denn der Blüthe blasse Blätter
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Wiegten sich gar wollustbleich,
Blutdurchglüht und leicht violetter
Schmiegten sie sich weiblichweich,
Immer fleischlicher und fetter,
Endlich weißen Leibern gleich,
Eins ans andre, als erkletter
Jede Wallung aus dem Teich,
Fiebernd, wie ein fernes Wetter,
Leiblich schon und wollustreich,
Ein erzuckendes Empfinden,
Das als Buhlin sich ergiebt:
Und ich ahnte, hier verbinden
Viele was sich rings verschiebt.
Wenn wir selbst in Lust uns winden,
Wenn die Brunst als Glück zerstiebt,
Sucht das Weib vom Weib zu finden,
Was im Rausch dem Mann entsiebt,
Und der Mann will sich entrinden,
Der den Mann im Weibe liebt!
Welturanisch, unerklärlich
Liebt sich selbst das tiefste Ding,
Ewig still und unversehrlich
Schließt sich der UräusRing!
Die Geschlechter sind begehrlich,
Doch das Übel ist gering,
Für sich selber nur gefährlich,
Weil sich drin der Schmerz verfing,
Bleibt ihr Dasein unentbehrlich,
Daß die Liebe sich entschwing!
[146]
In den letzten Brunstgewittern,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Die ganz kraftlos sind und satt,
Sprüht die Liebe noch aus Zwittern,
Fast affektlos schon und matt;
Ohne Fernen zu durchwittern,
Ist die Liebe satt und platt,
Kaum geschlechtlich mehr, erzittern
Leib an Leib verlegen, glatt;
Und hier zucken und verwittern
Weib an Weib als Lothosblatt. –
Nächtlich keimen und entrollen
Blätter, zart und wundersam,
Den Bestand der weibertollen
Weibchen aus dem Mutterstamm
In den Kelch der wesensvollen
Liebe mit dem Blüthenkamm:
Lustgefühle, jäh erquollen,
Sind sich Braut und Bräutigam.
Und, statt goldenen Sonnenpollen,
Schnellt die Liebe, unduldsam,
Ohne leiblos auszurasten,
Aus dem tiefsten Werdenskern
Knaben vor, die sich betasten
Und sich haßvoll und doch gern
Ansehn und beim Schwelgen hasten:
Denn bald sind sie feind und fern!
Viele sah ich, die verblaßten,
Doch der Liebe ewiger Stern
Gab sich andern, die erfaßten,
Das Geschlecht erst zu ersperrn!
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
|
Buchempfehlung
Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.
358 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro