Ra

[154] Oh Sonne, Dein Wesen ist ewiges Siegen!

Dein Wollen ist Licht, Deine mystischen Flügel

Erstrahlende Wärme, Dein Siegen ist Fliegen

Und hoch überblickst Du die Thäler und Hügel.


Dein Anblick ist herrlich, erscheinende Scheibe,

Und schön was Du ansiehst, oh Gottheit der Milde:

Du weist auf den Reichthum im menschlichen Leibe

Und schaffst den Gedanken zum stilstrengen Bilde.


Fast athemlos starr ich Dich an, gutes Feuer,

Ich bete und strebe zu Dir wie die Saaten:

Doch weilte kein Geist je beständiger und treuer

Bei Ra, seiner Gottheit, als ich Dein Chuenaten.


Erwachen die Strahlen des Tages, am Morgen,

So lachen wir alle Dir kindlich entgegen

Und können vom Sonnengold sorglos erborgen,

Was dann zu gebrauchen, wir frei überlegen.


Doch kann die Sahara Dick Abends verscharren,

So muß sich die Erde im Dunkel vergraben.

Sie gleicht dann den Todten, die tagfern erstarren

Und wahllos mit Gaben von andern sich laben.


Was da ist, ist da, weil es nachahmt und trachtet

Wie Du, heiliger RaBall, im Glanz zu erscheinen,

Vom Tage gebändigt, geschwängert, betrachtet

Das Erdkind sein allgemein eigenstes Meinen.


Wir wollen uns formen, wie Du es beorderst,

Und wünschen den Lichtpriestern schlechtwegs zu gleichen,[155]

Wir hoffen und streben zu sein, was Du forderst,

Und loben Dich, wo wir Dein Wollen erreichen.


Es hüpft unser Herz, wenn wir folgsam Geheiße

Der Urgluth in uns, Dir zum Danke, erfüllen:

Da singt unsere Seele, als blende und gleiße

Ein RaTag in Tiefen, die stumm sich verhüllen.


Dir zwitschern frühmorgens die Vögel entgegen,

Die Fische entschlüpfen den Tiefen des Niles,

Die Schiffe beginnen sich munter zu regen,

Mich selbst fühlt ein Ich tiefverinnigsten Spieles.


Du, mannbarer Ra, hast das All erst erschaffen,

Das höchste der Werke mit Lust zu empfinden,

Doch laßt Du die Schlünde vom Werdesturz klaffen,

Um ewig das Größte, besiegt, zu verwinden.


Du blickst in die Tiefe erschreckender Meere,

Die fürchten, daß Sturmwuth die Weltfluth erschöpfe:

Es ist, als obs Weib sich, gebährend, verzehre:

Du tödtest die Schöpfung durch ihre Geschöpfe!


Doch Du dauerst fort. Von Räthseln durchschauert,

Erwartet das Erdweib das Sonnfruchterwachen.

Es horcht, ob das Leben, das tief im Leib kauert,

Durch Hüpfen es anstachelt, sonnauf zu lachen.


Ra, Allmacht Ägptens, Du Weltfelsenthürmer,

Du Herrgott der Hyksos, Du Urgrund der Meere,

Du Königserschöpfer und Schützer der Würmer,

Du Ungeduld aller, Du ewige Lehre,


Dich rufe ich an, als Dein Diener Chuenaten!

Ich will aller Welt Deine Macht offenbaren,[156]

Drum gieb mir die Kraft zu rarühmlichen Thaten,

Dann ziehn wir gar bald zum Altar mit Fanfaren.


Du, Ra, gabst der Menschheit das Recht auf Gebieter,

Drum darf sie auch fordern, daß ich sie bezwinge:

Oh, sieh Deinen Diener Chuenaten, hier kniet er,

Hier fleht er, oh laß, daß das RaWerk gelinge!


Das Weib hat das Recht einem Mann zu behagen,

Die Dirne, als Kind, daß ein Knabe sie schände,

Es haben die Beine das Recht, uns zu tragen,

Die Palmen und Staaten aus plündernde Hände,


Die Lüfte der Wüste, aufs Meer sich zu stürzen,

Die Nebel, daß hitzige Winde sie hetzen,

Die Düfte der Blüthen, die Lüfte zu würzen,

Der Neid den Besitz seines Nächsten zu schätzen,


Verstorbene auf Ruhe und Murmelgebete,

Die Urgluth, durch Brunstwucht, die Lücken zu füllen,

Auf Angst und auf Kampf, die Allarmtrompete,

Die Luft und das Leid auf der Hungernden Brüllen,


Die Dummen, daß Gauner sie oftmals belehren,

Der Krieg auf die Städte, die prassen und rasten,

Das Feuer auf Zyklen, aufs Stetswiederkehren

Des Tags, das vermag, allen Glast zu entlasten.


Du, Ra, hast ein Recht auf die Werbegebete,

Da Du uns erleuchtest, was leuchtet, zu nehmen;

Du schufst uns, daß jeder Dein Wollen vertrete,

Drum preist Dich, wer aufhört, vor Dir sich zu schämen.


Du bist ja der Reichthum der alles verschwendet!

Wer einseitig handelt, mag gut sich verhalten[157]

Und wäre gar thöricht und maaßlos verblendet,

Versuchte er selbst, sein Gesetz zu gestalten.


Doch Ra, ich, der König, verkünde Dein Wollen,

Da Du, Ra, mein Vater, ob unserer ergrimmtest:

Mein Wort gleicht des Lothos sonngoldenem Pollen,

Der alles befruchtet, was Du ihm bestimmtest.


Ein Urtrieb der Menschheit, gehorsam zu dienen,

Verschafft uns die Lust, uns nach Numen zu sehnen;

Was feig sonst, in mir ists heroisch erschienen,

Auch ich mag die Nacht meiner Gottheit entlehnen!


Ich bin wie des Niles belebende Fluthen,

In denen die Menschen sich spiegelnd erkennen,

Du selbst schufst die Fluthen und Ursprungsbrunstgluthen,

Damit Deine Räthsel in mir erst erbrennen.


Du siehst und erkennst Dich in Meeren und Seelen

Und suchst sie Dir ewig, aus Liebe, zu nähern,

Drum willst Du Gebete und Nilnebel schweelen,

Erfreust Dich, zur Fluthzeit, an Lichtheilerflehern!


Das alles, oh Ra, will ich folgsam erringen,

Ich will Nilfluthspeicher mit Spiegeln erschaffen,

Das Wasser, das abfällt, verriegeln, bezwingen,

Der RaWallfahrt alle Altare erraffen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 154-158.
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