[»Chuenaten,« rief Ti, dessen Mutter: Chuenaten]

[158] »Chuenaten,« rief Ti, dessen Mutter: »Chuenaten,

Dein Morgengebet ist fürwahr unbesonnen,

Oh laß Dich, Du thörichter Schwärmer, berathen!

Das Werk, das Dein herrlicher Vater begonnen,[158]

Zerstöre es nicht durch verzweifelte Thaten:

Chuenaten, Chuenaten, die stolzen Kolonnen

Der Kämpfer für Ra, Deine bravsten Soldaten

Sind ringend gefallen, und wer hat gewonnen!

Es stehen die Vesten und Tempel von Theben.

Und mag Deine Würde auch ruhmvoll erstrahlen,

So weißt Du, was Anbeter Amons erstreben.

Die Priester der Hauptstadt verstehn mit Kabalen

Bestimmt noch den Aufruhr im Land zu beleben!

Du fahndest fanatisch nach RaIdealen,

Du wandelst auf einsamer Bahn und daneben

Vergißt Du der andern Gedanken und Qualen.

Ich warne Dich. Sage, was bringt Dich zum Rasen!

Ein Wahn ist in Dich, mein Chuenaten, gefahren.

Was wallt in Dir auf? Ach, laß die Ekstasen

Den Armen, den Kranken, die das offenbaren,

Was lange RaPriester vor Priestern verlasen.

Begrab die Gefallenen und laß die Fanfaren,

Die Frieden verkünden, zum Todtenfest blasen!

Das Ahnenverscharren bewahrt vor Gefahren:

Zur Zeit als mein Mann Amenemhotep lebte,

Befand sich, wo immer man Kriegsruhm erstrebte,

Im Heere des Landes ein Kadaververpacker,

Der sorgsam die Mumien der Helden verklebte,

Und sieh, auch Dein Vater war tapfer und wacker!

Doch weiß ich von Unheil, das einst uns umschwebte:

Es warf die Sahara waghalsige Racker,

Bis Theben, zu Pferd, daß die Erde erbebte,

Und damals, nur damals, verwesten die Leichen.

Chuenaten! So banne die schwankenden Schatten

Und laß uns nickt wieder von Ahnen umschleichen;

Sie kamen zuerst als verhungernde Ratten[159]

Hervor aus den dumpfen, verdunkelten Reichen,

Und als wir für sie keine Nahrung mehr hatten,

Da mußten die Lebenden selber erbleichen:

Drum sollst Du, mein Sohn, Deine Todten bestatten,

Um nimmer den bösen Barbaren zu gleichen!

Ja, Zeichen erscheinen am Himmel, auf Erden,

Die gleichen, die einstens auf Elend gewiesen;

Die Priester erzählen mit Schauergeberden,

Von Tempelgespenstern und Schattenrißriesen.

Chuenaten, was soll aus den Nilländern werden,

Die Äcker sind brach, kein Vieh auf den Wiesen;

Sieh, niemand bekümmert sich mehr um die Heerden,

Die Steuern sind höher, geringer die Priesen,

Und Bauern vertummeln ihr Gut mit den Pferden!

Fürwahr, mein Chuenaten, Du gleichst den Barbaren,

Ratrunken zerbrachst Du Altare und Städte,

Doch sag, kann Dein Ra Dich vor Schaden bewahren!

Ich seh in den Tempeln, in Theben, Skelette,

Rings Menschen im Elend, statt rastarken Schaaren.

Man raschelt den Namen von Ra um die Wette

Und ahmt Dich auch nach, mit verwandtem Gebahren,

Doch Ra, wenn er Allkraft und Dankbarkeit hatte,

So könnt er Ägypten den RaKrieg ersparen!

Oh, glaube dem Weib, das mit Leid Dich geboren,

Dem Amon und Ptah bleibt die Kraft für die Rache,

Schon jetzt ist Dein Werk und Dein Welttraum verloren,

Schon ahn ich der RaFeinde gräßliche Lache.

Die RaMacht zerprallt vor den Amonstadtthoren:

Es spiegelt der Mond sich im Blutsprudelbache,

Der aufschäumt aus Mündern, aus Wunden und Ohren:

Mir ists, als ob Ras Tempel berste und krache,

Als hatte das Land gegen Dich sich verschworen![160]

Chuenaten, Chuenaten, Du hast keine Söhne,

Es konnte Dir Ra keine Knaben bescheeren,

Dies bleibt Deine Schuld, – drum hör mich: versöhne

Dich rasch mit den Feinden, die allseits sich mehren.

Chuenaten, oh hör auf das Völkergestöhne

Und laß uns nicht länger den Frieden entbehren!

Vermahle die schönste der Töchter und kröne

Den Freier zum König, bestürm ihn mit Ehren,

Daß niemand dereinst Dein Gedenken verpöne.«

»Ach Mutter«, rief plötzlich fanatisch Chuenaten,

»Kein Weib wird mein Streben und Wirken verhindern,

Das Dasein von Ra kannst Du nimmer errathen,

Da giebts keine Milde, da läßt sich nichts lindern.

Das da ist das Drama aus Ras Manngewalten,

Die allseits erwachen, den RaKampf entfachen,

Beim Dreinschlagen lachen, die Maße zerspalten,

Die Staaten gestalten, die Sklaven bewachen!

Ra selbst ist der mannbare Daseinsgedanke,

Der geisterhaft wachst und den Leib überwindet:

Er selbst der RaSehnsucht asketische Ranke,

Ist das, was im Menschen das Lichtall verbindet!

Er kehrt von der Erde den Blick hin zum Lichte,

Er kennt seine Ewigkeit zwischen den Welten,

Er wirkt, daß das Zeitliche selbst sich vernichte,

Und liebt was fanatisch bleibt, raumfrei und selten.

Ra selbst ist das Dasein von Menschen und Thieren,

Ra tödtet was schwach wird beim Sichselbsterringen,

Ra will, daß wir Männer den Erdtrieb verlieren,

Ist Ra doch das Schicksal: wer mag es bezwingen?

Die RaFlamme stirbt nicht, denn Licht ist ihr Wirken,

Ihr Anfang, ihr Aufschwall und zielloses Ende:

Sie will sich entzirkeln, entstrebt den Bezirken[161]

Und schafft drum den Urschein von Raum und Zeitwende.

Chuenaten, oh Mutter, wird nimmermehr sterben:

Ihm konnte kein Weib seine Söhne bescheeren,

Ich werde einst selber mein Wirken ererben,

Die Flamme in mir kann sich nimmer verzehren.

Bald wird die Sahara das Nilthal verscharren,

Das reiche und üppige Leben verwesen,

Das Schwache erstarren, die RaKraft beharren,

Drum trennt sich was Mann ward vom weiblichen Wesen.

Bei Fischen, bei Fröschen, bei Kröten und Schlangen

Sind Männchen und Weibchen von nämlicher Gattung,

Die Tigerin hat noch das Raubthierverlangen

Des Tigers und zeigt keine Weibheitsermattung.

Die Löwin ist tapfer, doch fehlt ihr die Mahne,

Schon konnte der Löwe den Königstopf krönen.

Bei Vögeln, bei denen es ist, als ob sich Erhöhung ersehne,

Ist schön nur das Männchen, an Formen, an Tönen!

Der Stier ist das reifste der männlichen Thiere,

Die Kuh ist verschrumpft und sie gleicht einer Mutter:

Für uns ist es gut, daß sie Wildheit verliere,

Sie sucht nur ihr Futter, sie kalbt und giebt Butter:

So mag sich im Weib alle Weiblichkeit sammeln,

Der Mann muß, was schwach ist, von Anfang an, bannen,

Es darf das Geschlecht keine RaBahn verrammeln:

Und wird man ganz Mann, kann man fast sich entmannen!«


»Chuenaten, erscheine beim Fest der Kastraten!«

Rief plötzlich ein Priester mit zitternder Stimme.

Chuenaten ist fast außer Fassung gerathen,

Doch sieh, er ging hin mit verbissenem Grimme.

Rings standen des Tages Altarkandidaten,

Meist Kinder, bestimmt, daß ihr Urtrieb verglimme.[162]

Es brachten die Eltern die Knaben nach Theben,

Sie sollten geschlechtslos dem Staatswesen nützen.

Es freute die Kinder, ein Fest zu erleben,

Sie suchten sich kaum vor den Schmerzen zu schützen,

Denn Neugier und Angst ließ sie gleichstark erbeben,

Dann schauten sie lüstern auf blutrothe Pfützen.


Es waren die Weiber nicht langer zu halten,

Es graute sie garnicht, das Schauspiel zu schauen,

Man sah wie sie keiften, wie Fauste sich ballten:

Es wollten sich alle am Blutstuß erbauen,

Und schrie säh ein Knabe, verkrallten sich, prallten

Und stauten sich Haufen von grausamen Frauen.

Die Männer im Harnisch, die rings sie vertrieben,

Beachteten kaum, mit verlorenen Blicken,

Die blutigen Szenen und stießen mit Hieben

Die Weiber zurück, um nicht selbst zu ersticken;

Gar viele verreckten, doch mehr noch verblieben,

Sich wirklich in Theben, beim Fest, zu erquicken.


Oft warfen sich Männer orgiastisch zu Boden,

Gar manche begannen sich selbst zu entmannen,

Und schrien dann vor Schmerz, mit verstümmelten Hoden.

Und Weiber, die wild ihren Wachen entrannen,

Begrinsten, begafften die Krampfepisoden,

Die rings sich, beim Fest der Kastraten, entspannen.

Die Hallen begannen sich langsam zu ädern:

Ein Scharlachbach sprang über Marmorterrassen:

Die Weiber, gereizt zum Beschaun von Blutbädern,

Bekamen die Jünglinge blasserer Raffen

Zu lüsternem Spiel, zum Verstümmeln, zum Rädern

Und kalten Betrachten von Martergrimassen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 158-163.
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