Der Pfad

[511] Du sollst Dich unterwegs zur Duelle bücken,

Es wird Dich oft nach holder Labung dürsten,

Dann träume hingestreckt auf Deinen Rücken!


Die Olbäume sind gute Friedensfürsten!

In ihrem Schatten blicke auf Zypressen,

Die sind die strengsten Bäume und die dürrsten.


Willst Du wie sie für Dich die Welt vergessen!

So denke nach. Ein Baum ist ernst und heilig.

Er hat sein Wesen ewigtief ermessen.


Du glaubst an Bilder, denn Du sagst: Ach freilich!

Die Bäume, Bäche, ja Du selbst sind Zeichen,

Wer hat es nicht so wie die Wolken eilig?


Oh glaube nur: Du kannst Dich ganz erreichen!

Es ist die Welt das Wunder vieler Welten:

Nun wird sie just und hat nicht ihresgleichen!


Gewiß, die heitern Lehrer kennt man selten!

Wer weiß, wie oft zu Dir die Eichen rauschten,

Um plötzlich jetzt für Dich etwas zu gelten.


Wie viele Menschen, die den Pfad vertauschten,

Vermochten niemals Heimlichkeit zu finden!

Wer weiß, wohin sie ohne Glauben lauschten?


Ja freilich! Eben kennst Du Dein Empfinden!

Die Sonne hat mit Dir von Euch gesprochen,

Und Selbstentzücken spricht für Dich aus Linden.
[512]

Oh Herz der Sonne, alle Herzen pochen!

Wir wandern, Herz der Herzen, Dir entgegen!

Wir sind im Geist und seine Nacht ist angebrochen.


Ja freilich kommen wir, im Zukunftsregen!

Die Zeiten übergießen uns mit Pflichten:

Die Wissensspinne harrt auf allen Wegen.


Der Abend aber kann den Baum beschwichten.

Das Wunder spricht aus allen Eigendingen.

Und jedes Herz erzählt seine Geschichten.


Liegt doch die Sonne selbst in Herzensringen,

Und alle Lichter, alle Blätter beben.

Oh Nacht, Du magst die Angst zu Ruhe bringen!


Du Sonnenherz, läßt alle Pulse leben.

Dein Abendflackern zeugt in mir das Fieber.

Und auch die Kühle wird sich rasch erheben.


Schon blaut dort unten das Gefild am Tiber.

Der Abend singt, wahrscheinlich aus dem Walde.

Ich spüre sein Geschehn in jeder Fiber.


Es dampft und athmet jetzt die ganze Halde.

Die Sonne sank. Die Sterne möchten zittern,

Denn alle Seelen sagen einfach »balde!«


Oh Mensch, jetzt mußt Du Dein Ereigniß wittern:

Du hast so viel am Tagespfad erfahren!

Ob sich die Blätter Deinethalb zerknittern!


Ja freilich! Die Nacht will sich still offenbaren!

Was singt? Ein Wasserfall! Wie, eine Wespe!

Was sagt der Wald! Was huscht in meinen Haaren!


Mein panisches Geschick merkt eine Espe!


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 511-513.
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