Liebreiches Schreiben Chur-Printzl. Durchl. Hr. Hr. Carol Aemilius, gleich eben auch an demselben Ihrem Geburts-Tag an die Fr. Mutter Unsere Gnädigste Churfürstin und Fraw

[246] Wofern ich, süsse Mutter, Dir

Nicht gäntzlich bin entfallen,

So nimm doch diesen Gruß von mir,

Und laß dein Hertz Dir wallen,

Daß ich ihn Dir entbieten muß,

Nicht selber bin zugegen,

O daß schon Unmuht und Verdruß

Bey mir sich hierumb regen!
[246]

Schreibt mein Gestirn mir diesen Zwang,

Daß ich muß dein entbehren?

Was Frommen oder Lieb' und Danck

Mag Dir es doch gewehren?

Was die Natur zusammenhält

Sol dieß ein Vortheil scheiden?

Kein Thier ist, glaub' ich, in der Welt,

Das seine Zucht kan meiden.


Wie thut ein wilder Löw' und Beer,

Entstehn ihm seine Jungen,

Ein Tieger läuffet hin und her

Durch Liebe bloß bezwungen,

Wenn ihr die Kleinen sind entführt,

Bey Dir wird das Verlangen

Gar wenig oder nichts gespürt,

Dein Kind, mich, zu umbfangen.


Befind' ich mich gleich hie auch wol,

Hab' alle Gnüg und Pflege,

Die meines gleichen haben sol,

Doch mein' ich allewege,

Ein Kind bey seinen Eltern müss'

Am besten doch gedeyen,

Hie schmeckt ihm alles Honig-süß,

Auch wär es Brod aus Spreyen.


Mein Vater, hör' ich, liebt den Streit,

Das mich nicht wenig kräncket,

Dieweil er immer solcher Zeit

Nicht groß an mich gedencket,

Auch fürcht' ich die Gefahr und List,

Daß die ihn nicht beleide,

In dem er aber aussen ist,

Was hast dann Du für Freude?


Womit stillt dein Verlangen sich?

Was trucknet deine Zehren?

Du hättest aber dann nur Mich,

Du köntest ihnen wehren:

Es hätte mein Geschwätz und Spiel

Dich mancher Noht entnommen,

Anitzt bist Du umb dessen viel

Durch deine Schuld gekommen.


Jetzt dringt sich mein Geburts-tag ein,

Du wirst mich wollen binden,

Bin ich Dir lieb, als ich sol seyn,

Such' eine Schnur zu winden

Von aller Erden Diamant,

Es stillt nicht mein Verlangen,

Ohn wenn mich deiner Armen Band

Nur einmal möcht' umbfangen.


Gönn' dieses, liebste Mutter, mir.

Kom' ich zu meinen Jahren,

So hast Du mich nicht lang bey Dir,

Ich werde bald entfahren,

Die Frembde wil in kurtzem mein,

Da soll ich Tugend fassen,

Gewitzt und tapffer lernen seyn,

Und was nicht wol steht hassen.


Wer kennet sein Verhängniß auch,

Gott wolle Dich erhalten.

Was sind wir Menschen? Dampff und Rauch,

Wir können leicht erkalten,

Und kriegt' hie dann die Satzung stat,

Wo fände man den Zehren

Alsdann, wo allem Kummer Raht,

Wenn wir getrennet wären.


Wolan, Ich hoff', es kömpt die Zeit,

O wäre sie schon morgen!

Die uns entladet beyderseit

Der Bürde dieser Sorgen.

Leb wol, hab' alle Gnüg und Zier,

Sey fern von Noht und Schmertzen!

Ich bin indessen stets bey Dir,

O Mutter, mit dem Hertzen.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 2, Halle a.d.S. 1937, S. 246-247.
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