[Gott du hast unser gnug begehrt]

[492] Gott du hast unser gnug begehrt,

Uns gnug zu dir gelocket.

Wer hat sich groß zu dir bekehrt?

Wer nicht sein Hertz verstocket?

Nun ist dein Zorn auch angebrandt,

Wie wird es uns ergehen!

Dann deiner außgereckten Hand

Taug nichts zu widerstehen.


Die Pestilentze dein Gericht,

Greifft umb sich hin und wieder,

Der Glocken Klang-Lied feyret nicht,

Wir fallen häuffig nieder

Und tragen für einander Scheu.

Wir müssen einsam leben

Und uns der alten Lieb und Treu

Aus Todes-Furcht begeben.


Wir fliehen unsre Stadt und Hauß,

Und keiner seine Sünden,

Der schauet hie, der dort hinauß,

Gesunde Lufft zu finden.

Wo aber ist dem Leben Raht,

Wolt ich die Welt auch fliehen,

Wann ich nicht meiner Missethat

Werd auß dem Wege ziehen?


Ein Hirsch, dem schon des Jägers-Pfeil,

Das Hertz hat eingenommen,

Es lauff in Windgeschwinder Eil,

Wird es dem Todt entkommen!

Wol dem, der von der Sünden läst,

Kein Gifft wird den erschleichen,

Ja er wird beydes hie der Pest,

Der Höllen dort entweichen.


Hilff, Vater, uns in diesem Lauff,

Dein Sohn, das wahre Leben,

Thu seine Seit und Händ uns auff,

Dareinn wir uns begeben,

Und weil wir deines Eiffers Glut

(Wie recht) empfinden müssen,

Lehr uns die wolverdiente Ruht

In tieffster Demuht küssen.


Laß uns auß großer Bangigkeit

Des Todes nicht verzagen,

Dann wer hat nicht zu seiner Zeit

Die Schuld dir abzutragen?

Und wol uns, daß dein Krieges-Schwerdt

Nicht eindringt zu uns allen,

Und wir geschätzt sind noch so werth,

In deine Hand zu fallen.
[492]

Breit über uns in der Gefahr

Die Flügel deiner Gnaden,

Nimm unser Tritt und Wege war,

So wird kein Gifft uns schaden,

Trett' auch die Höll in einen Sinn,

Uns feindlich zu bestreiten,

Und fielen tausend Scharen hin

Umb uns auff allen Seiten.


Geriethen wir dann in den Todt,

So hilff uns ihn bezwingen,

Bleib bey uns in der letzten Noht

Und lehr uns sieghafft ringen,

Nimm unsre Seel in Abrams Schoß,

Die sich umb dich bewerben,

Die Pest sey zehenmal so groß,

Sie können selig sterben.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 492-493.
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