Alß ich Anno 1650 d. 25. Augstm. in der Nacht für grosser Engbrüstigkeit nicht schlaffen kunte

[251] Die Nacht, die vnsre Sorgen

Durch süssen Schlaff bezwingt,

Rufft schon dem lichten Morgen,

Der sachtlich zu vnß dringt,

Der Sternen Glantz muß weichen

Vnd macht dem Tage Bahn:

Ich habe noch für Keichen

Kein Auge zugethan.


Alß alles ist entschlaffen,

Kutsch ich mich gleichfalls ein,

Weiß aber nichts zu schaffen,

Zu ängstig ist die Pein:

Vnd darauff schlag ich Fewer

Vnd lese mit Verdruß,

Weil ich mein Vngehewer

Nur so betriegen muß.
[252]

Die Glocken hör ich schlagen:

Zwölff, eines, zwey, drey, vier,

Ich muß mich immer plagen,

Kein Schlaffwunsch hülffet mir,

Mein Häupt sinckt offt danieder,

Die Augen mach ich zu,

Krieg Ohnmacht in die Glieder,

Nicht aber etwas Ruh.


Ist dieß nicht grosser Jammer?

Ein iedes hüllt sich ein

Vnd schläfft in seiner Kammer,

Auch selbst der Mondenschein:

Kein Windchen ist verhanden,

Der Pregel ruht begnügt,

Auch schläfft in seinen Banden

Der so gefangen liegt.


Nur ich sitz über ende

Vnd nehme mit Beschwer

Mein Häupt in beyde Hände

Vnd winßle so daher:

Solt jemand ietzt mich schawen,

Er hätt ob meiner Quahl

Mitleiden oder Grawen,

Auch wär er harter Stahl.


Erbarmt euch meiner Schmertzen,

Ihr Ärtzte, kompt zuhauff,

Nehmt meine Noht zu Hertzen,

Schlagt ewre Bücher auff,

Waß ewer Raht wirdt bringen,

Auch wär es GassenKoht,

Ich wil ihn in mich schlingen,

So groß ist meine Noht.


Ach das ich nur verdrossen

Mach ewre Wissenschaft,

Ich hab vmbsonst genossen

So manchen Tranck vnd Safft,

Mein Leid ist nicht zu heben,

Es kriegt den Sieges Preiß,

Ich muß verlohren geben,

Vmbsonst ist Kunst vnd Fleiß.


Mein Fieber ist verschwunden,

Mich hungert allgemach,

Ich gebe den Gesunden

Fast nirgends etwas nach,

Mein Durst hat sich geleget,

Nur daß der zähe Wust

Die Athems-Kürtz erreget

In meiner engen Brust.


Mein Ampt muß gantz erliegen,

Vieleicht läst manches Maul

Von mir ein Vrtheil fliegen,

Ich sey so Arbeit-faul:

Gott lasse mich genesen,

So soll es kuntbar seyn,

Weß hie die Schuld gewesen,

Der Kranckheit oder mein.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 1, Halle a.d.S. 1936, S. 251-253.
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