[463] Im Abendland
Es stillet kein Getränke
Den Durst, der stets mich sticht:
Wie viel ich ihrer denke
Wie reichlich ich sie schenke: –
's ist all' das Rechte nicht.
Wohl sechzig Wein' und Biere
Hat durchversucht mein Schlund:
Deutsch, Welsch und Malvasiere: –
Wie oft ich's auch probiere, –
Nichts dringt mir bis zum Grund.
Wohl schmeckt der Muskateller
Wie süßer Honigseim!
Liebfrau im Klosterkeller,
Burgunder und Chapeller,
Und du, mein Rüdesheim! –
Ach, mir könnt ihr nicht frommen,
– Gott segn' euch weiß und rot: –
Ich hab', wie tief's geschwommen,
Noch nie genug bekommen,
Ich sterbe Durstestod.
Wollt' mich ein Pfäfflein schlagen
In einer Stadt am Main:
Doch ich rief in drei Tagen,
Als leer die Leisten lagen:
»Herr Bischof, jetzt den Stein!«
»Mein Sohn heb' dich von hinnen«,
Der, sich bekreuzend, sprach:[464]
»Du hast im Schlund tief innen
Ein Abzuglöchlein rinnen,
Das dir der Teufel stach.«
Mir hilft vom Durst, das seh' ich,
Kein Naß im Abendland:
Drum übers Weltmeer geh' ich, –
In diesem Sinn versteh' ich
Den Brief, vom Papst gesandt.
Er schreibt: »Du wirst genesen
Im heil'gen Land, Hans Ott,
Von jenem schlimmen Wesen,
Das stets in dir gewesen:« – –
Er meint den Durst, bei Gott!
Zu stillen dies mein Sehnen,
Kennt dort er einen Trank!
Dafür mit Freudentränen
Köpf' ich ihm Sarazenen: –
Das sei Hans Ottens Dank.
Im Morgenland
O Sonnenbrand, –
O Wüstensand, –
O trockne Kehl', –
O arme Seel'! –
Ich sprach von Durst im Abendland: –
Das war ein Frevel unverzeihlich!
Nie, niemals ward mir Durst bekannt
Bis hier im Land: – sie nennen's heilig!! –
Bis hier, in diesem Höllenqualm!
Kein Blatt, kein Halm,
Kein Halm, kein Blatt.
Zum Schlucken wird mein Schlund zu matt.[465]
Ach gäb's nur Gras,
Das jener fraß,
Nebukadnezar hieß er, glaub' ich! –
Mein Herzblut selber rinnt mir staubig.
O lieber Heiland, Schulderlasser:
Verschworen soll auf ewig sein
Das kühle Bier, der edle Wein, –
Ich weiß, ich war ein arger Prasser, –
O lieber Heiland, leidenblasser: –
Ach nur noch einen Tropfen Wasser!
|
Ausgewählte Ausgaben von
Balladen
|
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro