Das Taubennest

[512] Im Geschatt von dichten Zweigen

Lag ich tief im Eichenhag,

Ringsum Waldesmittagschweigen:

Fern nur Spechtes Schnabelschlag.


Und ganz leise mir zur Seiten

Rann der Moosquell wispernd hin:

Drüber der Libelle Gleiten,

Der beschwingten Schweberin.


Und ich dachte: »Schön ist's einsam:

Sang und Traum naht keinem Paar:

Aber schöner ist's gemeinsam:

Da wird Sang und Traum erst wahr.


Walther, war es dir zum Besten,

Daß stets einsam bliebest du?« – – –

Horch, da hoch aus grünen Ästen

Scholl's hernieder: »Rukuruh!«


Oben in den Wipfellauben,

Tief im lauschigsten Versteck,

Lag ein Nest von wilden Tauben

Und sie ätzten das Geheck.


Und ich sah – ich sah's mit Neiden,

Ich, der ungeweibte Mann, –

Wie so eifrig da von beiden

Liebgetreues Werk begann.


Wie die Täubin, nimmer säumig,

Flog zu Nest, gefüllt den Kropf,

Wie der Nestling, wollefläumig,

Reckte Fittich, Schopf und Kopf.
[512]

Wie dann auch der Tauber kehrte,

Fütternd wechselnd mit dem Weib,

Und dazwischen gurrend lehrte

Süßer Weisen Zeitvertreib. – –


Herrin, ach von stolzem Sinne!

War der Sänger dir zu arm?

Seine Treue, seine Minne

War wie keine treu und warm! –


Walther auf! – Es neigt die Helle,

Tiefre Schatten fallen ein,

Walther, heimwärts! Deine Zelle,

Ach, die leere, harret dein.


Nicht ganz leer! – Zum Notbedarfe

Tröstung dir dein Stern beschied:

Deine Hausfrau ist die Harfe,

Und dein Kind dein ewig Lied.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 512-513.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Balladen
Balladen Und Lieder (German Edition)

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon