Eva

[216] Der Mann muß bald zurück vom Walde kehren: –

Er sammelt Reisholz: – lieblich neigt der Wind,

Der Abendwind, des hohen Grases Ähren

Und spielt im lichten Haare meinem Kind.


Wie schläfst du süß, mein Sohn, und schlingst noch fest

Im Schlaf um meinen Hals den weichen Arm:

Nicht fürchte, daß die Mutter dich verläßt –:

Ich bin bei dir: an meiner Brust ist's warm. –


Von Osten her, da leuchtet ferner Schimmer –

Von Eden sind's die hohen goldnen Tore:

Die schlanken Edelpalmen seh' ich nimmer,

Die dort umblühet stehn von buntem Flore.


Schön war es dort! Viel heller schien die Sonne –!

Ach, anfangs wollte mir das Herz vergehn

Um jenes Gartens wunderhafte Wonne,

Fühlt' ich von dorther süße Düfte wehn.


Nun aber schweigt mir längst dies eitle Sehnen:

Du, du, mein Kind, hast mich davon befreit:

Nicht geb' ich meiner Mutterliebe Tränen

Um jenes Paradieses Seligkeit.


Wenn du mich eng umschlingst mit zarten Armen,

Drückt unsre Schuld und Gottes Fluch mich minder:

Ich fühl's: Gott ist ein ewiges Erbarmen:

Er liebt uns auch, denn wir sind seine Kinder!


Schon flutet Dämmrung über Edens Toren:

Da kömmt mein Gatte: still, Freund, schreite sacht:

Es schläft das Kindlein, das ich dir geboren,

O küsse leise, daß es nicht erwacht!

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 216-217.
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