Der Gottesurteile Ende

[359] Meinem lieben Amtsgenossen Neckeben zu eigen.


Schwächer ward gemach der Glaube

An das Eisenurteil, weil man,

Ob unschuldig oder schuldig,

Meistens sich verbrennt die Hände,

Wenn man glühend Eisen anfaßt.

Hat Herr Gottfried doch von Straßburg

Von Isoldens Eisenurteil[359]

Schon gesagt: »da kam zutage

Daß es hohl ist wie ein Ärmel«.1


Ungefähr so vor der Mitte

Von dem 16. Jahrhundert

Ward zu Köln in einem Kirchlein

Eingebrochen in der Nacht und

Silbernes Gerät entwendet:

Kelche, Schalen und Patenen.

Wer der Dieb war, blieb verborgen.

Aber einen armen Teufel,

Einen fahrenden Scholaren

Und daneben auch Poeten: –

Fortunat war er geheißen,

Reich an Versen, arm an Beutel –

Hat der Wächter mit dem Speere

Aufgegriffen in der Nähe.

Und weil er ein schnöder Fremdling,

Weit her, aus verdächt'gen Landen,

Aus der rebenfrohen Rheinpfalz

(Zwischen Eppenstein und Klingen-

Münster lag sein »Unterstützungs-

Wohnsitz«: Dahn), und weil er ferner

Eine Laute trug am Rücken

Und, als ihm der Wächter nahte,

Still empor sah zu den Sternen:

– Beides ist stets sehr bedenklich! –

Als des Diebstahls höchst verdächtig

Stellte man alsbald den Jüngling[360]

Vor den Erzbischof, den Grafen

Philipp Ernst von Oberstein. –


Dieser Herr war mild und gütig

Und war fein und reich gebildet

In der Kunst und in dem Wissen

Der ital'schen Renaissance.

Benvenuto il Cellini

War sein Liebling: eben trank er,

Als man ihm den Jüngling brachte,

Malvasier aus goldnem Becher,

Jenem schönen Werk des Meisters,

Mit dem Amphitritedeckel,

Und er las mit leisem Schmunzeln

Im Decamerone just.


Trotz den Sternen und der Laute

Unverdächtig schien der Knab' ihm

Im Gewog' der braunen Locken;

Und er sprach: »Mein Sohn, beweise

Nur geschwind dein Alibi:

Denn gewiß bist du gewesen

Um die Zeit in einem Weinschank.

Sage nur, in welchem, Sohn.«


»Nein, ich war in keinem Weinschank.«


»Dieses klingt nun schon verdächtig.

Aber sprich, wo warst du sonst?«


»Ach, ich weiß nicht, Herr Fürstbischof!

Denn ich habe diesen Fehler,

Daß ich in die Sterne schaue

Und darob die Welt vergesse.«


Kurz, der Arme konnte leider

Gar kein Alibi beweisen.[361]

Eideshelfer fand er auch nicht,

Weil er fremd war und ein Dichter.

Und so mußte ihn der Bischof

Fast für überführt erachten.

Aber gütig war Herr Philipp,

Und so gönnt' er ihm als letzten

Strohhalm noch das Gottesurteil:

Glühend Eisen sollt' er tragen

Dreimal um den Hochaltar der

Kirche von Sankt Gereon.


Sehr betroffen war der Jüngling,

Als er diesen Ausspruch hörte:

Aber er ward abgeführt.


Andern Tages in der Kirche

Drängten sich die frommen Kölner

(Alaf Köln!), die Priester, Bürger

Und viel glaubensstarke Weiblein.

»Elend wird der Dieb sich brennen!«

Grinsten da die ältern, aber

Mancher Jungen tat er leid, der

Hübsche braune Lockenkopf.


Im Ornat stand Bischof Philipp

Am Altar: das Eisen glühte

Dunkelrot, die schwere Platte,

Welche kund'ge Schmiede hielten

Grade in der rechten Hitze.

Nach gehör'gem Exorzismus,

Teufelskünste auszutreiben,

Auf das Eisen wies der Bischof.

Doch der Jüngling rief: »O weh mir!

So gewiß als zwei mal zwei sind

Vier, so sicher weiß ich, – wehe! –[362]

Fass' ich die verfluchte Platte,

So verbrenn' ich mir die Hände,

Und dann werd' ich noch gehangen!

Und ich habe doch wahrhaftig

– Glaubt es, freundlicher Herr Bischof, –

Jene Schalen nicht gestohlen.

Nicht an Silber hängt das Herz mir:

Hängt an Lorbeer und an Schönheit!«


»Sei getrost, mein Sohn, unmöglich«

– Gegenredete der Bischof –

»Ganz unmöglich kann's geschehen,

Daß du dir verbrennst die Hände,

Bist du nicht der Dieb, mein Sohn.«


»Wißt Ihr das gewiß, Herr Bischof?«


»Nun natürlich!« sprach Herr Philipp,

»Halt' uns nicht so lange auf, Sohn.«


»Ei wohlan,« rief der Poet da

– Laut erschallte seine Stimme

Durch die Wölbungen der Kirche –

»Wenn das so ist, Herr Fürstbischof,

Wenn, wer schuldlos, ganz unmöglich

Sich dabei verbrennt die Hände, –

Ei, so reichet doch gefälligst

Ihr, Herr Erzbischof, mir selber

Jenes Eisen: denn Ihr habt ja

Sicher nicht verübt den Diebstahl.

Gern aus Euren heil'gen Händen

Will ich dann das Eisen nehmen.«


Sehr betroffen stand der Bischof,

Als er diesen Vorschlag hörte.

Sah zuerst aufs rote Eisen,[363]

Dann auf seine weißen, weichen,

Feinen, wohlgepflegten Hände: –

(Einen Ring mit schön geschnittnen

Steinen trugen seine beiden

Vierten Finger: ein Intaglio

An dem linken wies den Bacchos,

An dem rechten eine Gemme,

Einen herrlichen Apoll –)

Schwieg ein Weilchen, sann ein Weilchen,

Und dann sprach er: »Lieber Sohn, das

Ist doch aber ganz was andres.«


»Ja, denn das sind Eure Hände,

Nicht die meinen, die im Spiel stehn.«


»Dies zu sagen ... war nicht nötig

(Noch dazu vor allen Leuten!«

Sprach er leise zu dem Jüngling).

»Doch nun fällt mir ein: schon lange

Haben aufgeklärte Päpste

(Ja, sogar schon Agobardus

Von Lyon, mein Altkollega)

Die Ordalien verworfen:

Denn: ›Man soll Gott nicht versuchen‹,

Lehrt die Bibel und die Kirche.

Zieh in Frieden hin, mein Sohn. – Doch

Schau' zu viel nicht in die Sterne,

Schau' auf deinen Weg im Leben,

Dieses rat' ich dir zum Abschied. –

Aber meinem Kellermeister

Werd' ich Auftrag geben, daß er

Zur Entschäd'gung für den Schrecken

Einen Schlauch des besten Weines

(Malvasier: – ich trink' ihn selber!)[364]

Dir als Wegzehrung noch spende.

Räume, Sohn, nun rasch das Weichbild

Meines heil'gen Köln und rede

Anderwärts von dieser Sache

Mehr nicht – als du nicht kannst lassen.«


Ging nach Haus in den Palast und

Legte von sich den Ornat und

Las in dem Boccaccio weiter,

Wo er unterbrochen war.

Fußnoten

1 Tristan XXVI. Vers 15, 737.

»dâ wart wol geoffenbaeret

und al der werlt bewaeret,

daz der vil tugenthafte Krist

wintschaffen alse ein ermel ist.«


Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 359-365.
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