Friesenfreiheit

[336] 1.

Das war am heil'gen Ostertag: die Glocken gingen helle,

Am Strande brach mit leisem Schlag die blaue Meereswelle.


Ein milder Lenz durchs schöne Land der Friesen war ergossen:

Der Hagedorn in Blüten stand, der Flieder stand in Sprossen.


In Aurich-Stadt mit Glockenschall zur Kirche ging die Menge:

Es schmückte sich die Rathaushall' mit jungem Laubgehänge. –


Und als aus Mess' und Litanei die freien Bürger zogen,

Da standen dänische Reiter drei wohl unterm Rathausbogen.


Der erste einen Säckel trug, eine Fahne trug der zweite,

Der dritt' ein Schlachtschwert lang genug: – das war ihr ganz Geleite.


»Ihr Friesen« – so spricht von Dänemark der König Abel der Rote –

»Sein Heer ist dreißigtausend stark, ich aber bin sein Bote:


Ein Schilling für jeden Friesenkopf soll in meinem Säckel klingen,

Auf eures höchsten Turmes Knopf soll meine Fahne schwingen.
[336]

Und wollt ihr meinen Säckel nicht und mein Panier nicht ehren,

Soll's vor dem dritten Mondenlicht mein langes Schwert euch lehren!«


Ein Vaterunser schwiegen sie, vor Ingrimm ob der Schande:

Doch dann der alte Wiarda schrie, der Richter war im Lande:


»Wir haben nur vom Sonnenlicht das Friesenland zu Lehen

Und fremde Königsfahnen nicht soll'n über'm Haupt uns wehen.


Zu Johannis fraget wieder an bei der Linde im Aurichtale:

Daß euch der Friese, Mann für Mann, das Kopfgeld klingend zahle.«


Die Ritter sprengten fort in Eil' mit Säckel, Schwert und Fahnen:

Die Bürger sandten den Heerespfeil hinaus auf alle Bahnen:


Den Eschenpfeil, getaucht in Blut, mit Federn schwarz und roten:

Es kannten alle Friesen gut den blut'gen Kriegesboten.


Aus Dorf und Stadt im ganzen Land, da wurden sonder Weile

Nach Aurich freudig eingesandt viel tausend Antwortpfeile.


Viel alte Schwerte wurden rings von den Wänden da genommen,

Und laut durch alle Gaue ging's: »Wohlan, sie sollen kommen!«


2.

Wo die alte Heidenlinde stand bei Aurich auf der Wiesen,

Zu Johannis Recht und Urteil fand von je das Volk der Friesen.
[337]

Als diesmal stieg das Sonnenlicht zu Johannis aus dem Meere,

Schart sich das Volksheer zu Gericht und Schlacht in guter Wehre.


Fernher die Dänenflotte schwamm, gleich schwarzem Raubgeflügel: –

Die Friesen standen Stamm für Stamm im Kreis am Lindenhügel.


Wiarda, zwölf Schöffen um ihn her, das Recht mit ihm zu finden,

Statt mit dem Stab saß mit dem Speer am Richtstein bei der Linden.


»Ihr Schöffen, weiset mir das Recht: wes Lehnsmann ist der Friese?« –

»Der Friese ist nur Gottes Knecht!« – einstimmig riefen diese.


»Ihr Schöffen, wessen Schatz und Bann sind pflichtig wir und frönig?« –

»Die zehnte Garbe Sankt Johann, Heerpflicht dem deutschen König.«


»Ihr Schöffen, schulden wir Zoll und Bann und Lehnspflicht sonst noch einem?«

Die Schöffen aber, Mann für Mann, »Nein,« sprachen sie, »sonst keinem.«


»Nachbarn, da zieht der Däne her, will euer Urteil schelten!«

Da schlugen sie an den Schild den Speer und sprachen: »Es bleibt gelten!«


3.

Indessen naht der Segelzug: und der Dänenfürst, der Rote,

Steht mit der Rabenflagg' am Bug von seinem Königsboote,
[338]

Sein Kronhelm blitzt und sein goldner Schild, es wehn seine roten Locken,

Der Purpurmantel flattert wild um ihn wie Feuerflocken.


Er tauchte die Fahne leicht ins Meer, daß die Spitze kaum in den Sand drang,

Sie hing nun, wenig genetzt, am Speer und er rief, indem er ans Land sprang:


»Auf den Turm von Aurich, triefend noch, ich meine Fahne pflanze!«

Und hinter ihm schwangen die Dänen sich hoch aus den Schiffen auf eschener Lanze.


Je ein Ritter, ein Bauer, ein Knecht zugleich: das »Kleeblatt« hieß es im Norden,

Manch' blutiger Tag, manch' schönes Reich war so der Dänen geworden.


Der Ritter warf den langen Speer, den der Bauer ihm zwölfmal neute:

Mit dem Schild behend vor ihnen her der Knecht fing auf, was dräute. –


Doch Nachbar und Genosse stand beisammen im Friesenkeile,

Daß man, wie Leben und Herd und Land, jetzt Kampf und Sterben teile.


Sie fielen anfangs, Mann für Mann, vor der scharfen Dänenlanze,

Sie hieben umsonst nach dem Edelmann hinter seiner lebendigen Schanze.


»Hei, Nachbarn, schlagt den Ritter nicht, schlagt auf die andern zweie:

Wenn Ein Blatt aus dem Kleeblatt bricht, verdorren alle dreie!«
[339]

So rief der kluge Folkemut, von Hunsingo gesendet:

Da sank den Dänen Glück und Mut, da ward der Tag gewendet.


Es fielen Knecht und Bauer jetzt wie Garben vor dem Schnitter:

Verloren war, ob unverletzt, der schwerbebrünnte Ritter.


Mit seinen kurzen Waffen drang der Friese auf die Edeln:

Vor'm Keulenschlag das Helmdach sprang und der Knochen in den Schädeln.


Es fuhr das Messer, breit und blank, durch Schuppenrock und Schienen:

Erst Bauer und Knecht im Kleeblatt sank, dann der Ritter über ihnen!


»Zu Roß! Zu Schiff! Die Hengste her!« verzweifelnd die Dänen schrieen,

Nur der König stand im fliehenden Heer wie ein Fels und wollt' nicht fliehen.


Sein Söhnlein ihm die Fahne trug, bartlos: doch mutig stritt er.

Rief stets, wann er einen Friesen schlug: »Ich bin ein Dänenritter!«


So standen treu zu ihrer Fahn' die beiden Königseichen:

Und alle Dänen, die das sahn, die schämten sich, zu weichen.


Da drang der Riese Folkmut her durch den dänischen Lanzenrechen:

Der Königstrotz verdroß ihn sehr, er wollt' ihn blutig brechen.


Die Fahne riß er aus der Hand dem Knaben, brach die Stange,

Und stieß die Spitze umgewandt ihm in die zarte Wange.


Da ward die Fahne vom Blute naß, wie erst vom Schaum des Meeres:

Den König riß der Schwall fürbaß des entsetzten Dänenheeres.
[340]

Er sprengte auf seinem schwarzen Roß in das Meer nach seinem Boote,

Sein Purpurmantel im Winde floß, es wallte sein Haar, das rote.


Und hinter ihm sprangen die Friesen ins Meer: sie hätten ihn gern gefangen!

Von Pfeilen ward der Goldschild schwer, den er hatte am Rücken hangen.


Und eh' er sich schwang aufs Schiff vom Roß, da kehrt er sich dräuend zum Strande,

Und in die Wellen den Speer er schoß, daß er zitternd zuckte im Sande.


Den ließen die Friesen stecken im Sand und sprachen: »Er ist ein Zeichen!

So weit soll Friesenrecht und Land und Friesenfreiheit reichen.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 336-341.
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