An den alten Reichskanzler in Friedrichsruh

[632] Zutraulich äugt das Reh, das falbe,

Aus dichtem Busch in Friedrichsruh:

Es schwirrt im Abendrot die Schwalbe

Dem Nest am braunen Holzdach zu. – – –


Wann Er am linden Sommerabend

Im Schatten seiner Buchen geht, –

Was ist es, das, die Seele labend,

Beschwichtend ihm die Stirn umweht?


Dann dringet nicht der laute Ruhm,

Der Stolz, der Kampfzorn und der Groll

In dieses Waldesheiligtum,

So feierlich, so friedevoll.


Dann freut er sich der alten Bäume,

– Er kennt sie alle, Haupt für Haupt! –

Freut sich der alten Jugendträume

Und daß er stets an sie geglaubt.


Er denkt gerührt des Himmels Gnade

Und seines alten, weisen Herrn

Und daß durch wirre, nächt'ge Pfade

Zum Sieg ihn treu geführt sein Stern.


Dann rauscht es leis in allen Wipfeln,

Dann flüstert's in dem Buschgerank

Und zu ihm ob den grünen Gipfeln

Schwebt segnend seines Volkes Dank.


Ja, mußt' er von dem Steuer weichen, –

Der Dank, die Treue blieben gleich:

Ihm ragt ein Denkmal sondergleichen:

Sein Denkmal ist – das Deutsche Reich! –

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 632-633.
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