Der Wunschhort der Germanen

[626] Es ruht versenkt an stillem Ort,

Tief unter Urwalds Eichen,

Ein teurer, bergentrückter Hort,

Ein Wunschhort ohnegleichen.


Da liegt Herrn Wotans Runenspeer,

Dabei Frau Friggas Spule,

Dort blinkt der Becher, goldesschwer,

Des Königs Ring von Thule.
[626]

Der Amalungen weißer Schild, –

Das Schwert Herrn Karls, das scharfe:

Leis' tönet, wie verträumt, so mild

Des Vogelweiders Harfe;


Der Schöppenspruch auf Pergament,

Der Schapel holder Maide, –

Manch Lied, des Sänger niemand kennt,

Und steinbespängt Geschmeide;


Des Rotbart flatternd Kreuzpanier,

Des Rathausdaches Giebel,

Der Hansa stolze Flaggenzier

Und Doktor Luthers Bibel!


Darüberhin ein Hauch, ein Duft

Kernfirnen Rheinweins brütet:

O dringet kühn in diese Gruft,

Die quellend Leben hütet!


Allauf, Genossen, unverwandt

Laßt nach dem Schatz uns schürfen:

Nur reines Herz und reine Hand

Wird ihn erheben dürfen!


Er ist nicht tot: er wächst, er blüht,

Er steigt uns selbst entgegen,

Er will in Geist und in Gemüt

Uns seinen Segen legen:


Den Segen deutscher Herrlichkeit,

Die Heldenschaft der Ahnen;

Laßt uns ihn heben allezeit:

Den Volkshort der Germanen!

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 626-627.
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