Deutsches Lied

[545] Ich weiß ein Lied so voller Trauer, –

Wer dieses Lied zu Ende singt,

Dem ist, als ob vor Schmerzenschauer

Ihm in der Brust das Herz zerspringt.


Ein Lied voll schwerster Gramgedanken, –

Es färbt des Sängers Wange bleich,

Ein Lied voll Wehe sonder Schranken: –

Das ist das Lied vom Deutschen Reich!


O soviel Macht und Mut und Treue

Und soviel Torheit, Schimpf und Schmach!

O soviel Hoffnung stets aufs neue

Und soviel Unheil, das sie brach!


O soviel Hinterlist und Tücke

Und immer wieder neu Vertraun –:

Noch niemals mit so wenig Glücke

War soviel Recht und Kraft zu schaun.


Es muß in Sternen stehn geschrieben,

Daß Deutschland nicht darf untergehn,

Der Gott der Völker muß uns lieben, –

Sonst war es längst um uns geschehn.


Mein Volk, nicht rückwärts darfst du schauen,

Daß Gram dir nicht das Herz verzehrt:

Nein, vorwärts und auf Gott vertrauen

Und auf dein Recht und auf dein Schwert.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 545-546.
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