[Dreht sich die Welt dir so ganz um]

[688] Dreht sich die Welt dir so ganz um,

Siehst du auch gute Dinge krumm.


Bei meiner Stadt steht nämlich Wald,

Der ist schon mythologisch alt;


Wildschweine hausen hinter Eichen,

Wo Borsten sie an Rinden streichen.


Es rauchen Meiler still verstohlen,

Zum Bügeln macht man dort die Kohlen.


Still ist es, wie in jedem Wald,

Und eingeschlafen ist man bald.


Sehr früh ist dann die Morgenstund',

Denn Vögel halten schwer den Mund.
[688]

Sie ziehen ihre Töne lang,

Dann ist der Wald voll Vogelsang.


Zum Wald kam ich im Sommer hin,

Doch abfärbend schien mir sein Grün,


Leichengrün spielten meine Hände,

Und ringsum nahm der Wald kein Ende.


Die Wege waren regenglatt,

Denn Sonne fand nur draußen statt;


Die Regenschnecken, schwarz wie Grauen,

Krochen wie Finger, abgehauen;


Stinkpilze saßen da verlegen

Und konnten sich wie Dreck nicht regen;


Mit einem Wort, mir war's nicht wohl

Und mir war nicht, wie mir's sein soll.


Und ist solch' Tag dann endlich aus,

Dann schläft man in dem Waldwirtshaus.


Und dort ich's Mohrle treffen tät,

Nacht war's, und sie kam an mein Bett.


Ich mußte tiefen Atem holen,

Als würde wieder was gestohlen.


Sie tat an meinem Bette stehn,

Ich bat, sie sollt' nicht näher gehn.


Ich sprach: »Ich bin noch seelenkrank,

Geh fort und fürcht meinen Gestank.


Vorläufig hass' ich jedes Lieben,

Vergib, daß du mir treu geblieben.«


Sie war der Mutter still entwichen,

Im Hemd verklärt hereingeschlichen,
[689]

Sie kam wie Zigarettenduft

In meine Seelenzimmerluft,


War für die Nase Rosenholz

Und für das Herz ein Armbrustbolz,


War wie das Rote in dem Blut

Und wie ein Blutkörperlein gut.


Doch trug sie in dem Aug' die Nacht,

Die mir Königin tot gemacht,


Wie Flecken, die nicht weitergehn

Und jeder Wäsche widerstehn.


Sie zitterte auf nackten Zehen,

Tat wie ein Streichholz leis ausgehen,


Sprang früh wild in den Wald hinaus

Und kam des abends erst nach Haus.


Trat ihre roten Schuhe schief,

Als sie im Wald nach Schweinen lief;


Hat sich im Wald ganz hart gesessen,

Wünschend, ein Wildschwein mög' sie fressen,


Wünschend, ein Pilz mög' sie vergiften,

Oder sonst was den Tod ihr stiften.


Die Schweine ließen sie in Ruh',

Die Pilze sahen ihr nur zur,


Bäume standen wie Wand an Wand,

Daß sie mit Einsicht stille stand.


Sie kam zu einem Weiher hin,

Und auf dem Kopf sah sie sich drin,


Sie weinte auf ihr Spiegelbild,

Das machte sie mit sich so mild.
[690]

Sie sprach: »Bin ich wo zu Besuch,

Heimlich ich oft in Büchern such'


Ein Ammenlied, man sang's als Kind,

Und von dem Lied ich's End' nie find'.


Wie dieses Lied macht mir jetzt Not

Die Lieb', ich find' nicht ihren Tod.


Ich brauch' ins Wasser nicht zu tunken,

Ich fühle mich schon halb ertrunken,


Heimkehre ich erst recht jetzt heiter,

Leb' noch mit einer Hälfte weiter.


Sie nahm ihr Tüchlein aus der Taschen,

Hat die Pupillen rein gewaschen.


Blaß sah das ganze Mohrle aus,

Und es erkannt' sie kaum das Haus.


Die Haustür stand vor Staunen offen,

Dort hat den Balzer sie getroffen.


Bist du gestorben,« fragte er,

»Blaß bist du wie das weiße Meer?«


»Ich bin nicht tot und nicht begraben,

Das Wildschwein nicht mal wollt' mich haben,


Ich fühle mich nur ausgerottet,

Daß es jeder Beschreibung spottet.«


Da seufzte Balzer: »Du weißt dies:

Frau Königin mich kalt entließ,


Heut hat sie Einen krönen lassen,

Ich bin enttront und tu mich hassen.


Dachte, daß man stets Liebe spielt,

Doch macht's die Königinnen wild,
[691]

Und schwarze Mohrle werden weiß,

Weil ich sie wie der Tod anbeiß!


Verpfändet fühl' ich meine Glieder,

Ich lege mich verschlafen nieder,


Fühle mich, wie Kamele gehn,

Vorläufig tu ich Wüsten sehn.


Doch einst komm' ich an deine Brüste,

Fata Morgana in der Wüste,


Du weißt, unlöschbar ist mein Durst.

Bin hoffentlich dir dann nicht Wurst?«


»Topp«, rief das Mohrle, »angenommen,

Kannst gehen und kannst wiederkommen,


Kamel, dein Mohrle wird dich tränken,

Dir in Oasen Palmschnaps schenken.


Denn sieh, ich sprach niemals im Fieber,

Liebe geht nicht nur so vorüber,


Du kannst verachten mich und schlagen,

Kannst kopfstehn selbst auf meinem Magen,


Kannst alle Schaltjahr wiederkommen,

Wirst wie der Sonntag angenommen.


Statt daß ich mit dem Tode tausch',

Wünsch' ich mir oft noch deinen Rausch,


Wollen mit Seufzern nichts verderben,

Helden sollen berauscht nur sterben.«


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 688-692.
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