[Nun will ich jene Nacht schön schildern]

[678] Nun will ich jene Nacht schön schildern,

Die ich chimärisch seh' in Bildern.


Alles in einer Welt vergeht,

Wo alles fein aus Nippes besteht.
[678]

Man wagt dort kaum daran zu rühren,

Fürchtend, die Dinge könnten's spüren.


Wie Rokokko aus Porzellan,

So zart sah sich das Mohrle an.


Und nach den weiten Globusfahrten

Trat ich ans Tor zum Spielzeuggarten.


Die Landschaft wurde Miniatur,

Der Mond hing da als Ohrring nur.


Gelächter war wie Schlittenglocken,

Schnee war nur Puder für die Locken.


Sorg' wirkte nur als Schönheitsmouche,

Ein Pünkilein, das sich leicht fortwusch;


Für Langweil' gab's Musik und Schuh,

Man drehte sich und sieht nicht zu;


Weltteile sind nicht, nur das Plätzlein,

Das gut warmhält Kater und Kätzlein.


Und außerdem man nichts vermißt,

Hat man den Mund, der selig küßt.


Mohrle spielte gern Maskerad',

Weil's Lachen niemand wehe tat.


Als Kind schon liebte sie mit Bangen

Ganz raffiniert das Spiel mit Schlangen.


Natter und Blindschleich', wenn sie fand,

So nahm sie flott die in die Hand


Und ließ sie züngeln sich zum Hohn.

Was tut's, man stirbt ja nur davon.


Und sie vergaß sich dabei ganz

Und pfiff den Schlangen auf zum Tanz.
[679]

»Warum soll nicht auch Böses leben?«

Sprach sie, »Gott tat ja alles geben.«


So wie der Schnee sanft niederfällt,

Hat sie sich mir still zugesellt.


So selbstverständlich sah das aus

Wie Luft vom Garten in das Haus.


Schwarz ist mein Haar, weiß sind die Kissen,

Ich lieb' dich, rein ist mein Gewissen.


Ein Glasleuchter hing von der Decken,

Gut roch Wachslicht in allen Ecken.


Wachsduft ging um das Mohrle her,

Als ob sein Herz zerschmelzend wär'.


Und alle Möbel wurden stolz,

Und köstlich roch ihr kostbar Holz.


Auf meinem Bett, wo's Mohrle saß,

Kein Wurm im Holz mehr weiterfraß.


Wachslicht tat jede Nacht austreiben,

Die Nacht machte nur schwarz die Scheiben.


Und wie ein Wachslicht, süß entzündet

Hat's Mohrle seinen Mund geründet.


Sein Auge wurde heiß und feuchter,

Durchsichtig wie der Kronenleuchter.


Haarnadeln gingen langsam auf,

Wie Pech schlug's Haar an mir hinauf.


Es schüttelte das Mohrle sich,

Und Locken krochen über mich.


Und wie Korkzieher eine Flasche,

Zog sie mir's Herz auf in der Tasche.
[680]

Das Küssen drang uns in die Rippen,

Und Kuß um Kuß sprang von den Lippen.


Und wie zwei Milchtöpf' überlaufen,

So konnten unsre Köpf' kaum schnaufen.


Mein Herz stand endlich an dem Ziel

Wie ein Rad heißgelaufen still.


Ich tat die Lippen etwas lüften,

Sprach: »Mohrle, mit den Kinderhüften,


Fühlst wie ein Wickelkind dich an,

Das ganz erwachsen lieben kann;


Zart sind die Füßlein dir bestellt

Und liefen trotzdem um die Welt.


Wer hat dein Füßlein dir besohlt,

Überall hat's mich eingeholt?«


Das Mohrle tat die Lippen runden,

Sprach: »Balzer, stiehl nicht die Sekunden,


Stör nicht im Küssen diese Nacht,

Sprechen ist jetzt nicht angebracht.


Die Lippen tun mir Feuer schlagen,

Und können nur noch: Küss' mich! sagen.«


Die Kerzen brannten feierlich,

Wie Wachs tropfte ihr Herz in mich.


Wenn man zufrieden um sich sieht,

Fragt man, wo Sünde hier geschieht.


Wunschlos und still ich morgens saß,

Wachsen hörte ich 's Wintergras.


Vorm Fenster fiel zuckriger Schnee,

Und Zucker tut der Welt nicht weh.
[681]

Ein Liebesbett schien diese Welt,

Das täglich frisch vom Himmel fällt.


Da stieß der Wind das Fenster ein,

Im Zucker flog auch Salz herein.


Bitter wie nur körniges Salz

Steckte die Zukunft mir im Hals.


Doch wenn ich was zu sorgen hatte,

Steck' ich ins Ohr mir gerne Watte


Und horch aufs Leben nur gedämpft,

Weil es ja doch von selber kämpft.


Das Leben wird es wissen müssen,

Darf ich zugleich zwei Frauen küssen.


Zwei hat es sichtbar mir verehrt,

Doch eine sich dagegen wehrt.


Zucker und Salz zusammenrann,

So daß man keins mehr schrecken kann.


Und als die Mittagssonne kam,

Der Schnee sich fast wie Dreck benahm.


Das Mohrle saß noch auf dem Bett

Und fragte, ob ich gern sie hätt'.


Der Abend stand bald vor der Tür.

Antworten, dacht' ich, muß man hier.


Ich streichelte ihr knatternd Haar,

Das voll von Feuerwerk noch war.


Zwiebeln vor uns in Gläsern standen,

Dran heut sich offne Tulpen fanden;


Ich machte sie aufmerksam drauf,

Ihr Küssen wecke Blumen auf.
[682]

Doch schien's mir nicht mehr recht geheuer,

Ich streute Asche auf das Feuer.


Und sie sprach: »Immer hält die Glut,

Die warmgeschützt in Asche ruht.


Lebst du am Pol, und ich leb' hier,

Für immer,« sprach sie, »leb' ich dir.«


Sollst nur im Traum dich manchmal zeigen,

Das unterbricht das Todesschweigen.


Die Welt ist jetzt ein Edengarten.

Und muß ich auf den Adam warten,


Schön ist's im Garten zu spazieren,

Die Schlang' tut mich nicht mehr genieren.


Wenn ich auch in den Apfel biß,

Ich bleib' erst recht im Paradies.


Handle du immer nach Belieben,

Ich lieb' dich und laß mich verschieben.


Und kriege ich ein Wickelkind,

Ich mich als Mutter reizend find'.


Ein Kind von dir wär' eine Freude,

Möcht's anstatt morgen gleich schon heute.


Doch bist du ein beschämter Mann,

Siehst mich als Hausfriedensbruch an,


Will in Versenkung ich verschwinden,

Sollst nicht ein Härlein von mir finden.


Ich dank' dir für die eine Nacht,

Die ich so glücklich durchgemacht,


Und willst du keine weiter schenken,

Kann ich mir all die andern denken.«
[683]

Mir war wie ein Gedankenstrich,

Je länger dieser Tag entwich.


Wir sagten uns auf Wiedersehn,

Ich fragte: Was soll jetzt geschehn?


Zwei Frauen waren lebend mein,

Welche soll jetzt verstoßen sein?


Trost in meinem Extra-Geschick

Bewirkte mir die Statistik.


Vielbeweibt liegt selbst im Gebet

Halb Asien, wo die Sonn' aufgeht.


Auch Afrika sich so anstellt,

Wo dutzendweis' die Frau sich hält.


Auch mir hat's Schicksal vorgeschrieben,

Ich sollte unbescheiden lieben.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 678-684.
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