Achter Abschnitt.

[152] Verschiedene Beschäftigungen.


28.-31. Oktober. Schon auf dem Rückwege war ich sehr beschäftigt zu überlegen, was ich nun in den nächsten Tagen vornehmen wollte. Es ist höchst sonderbar, daß der, so auf die Zukunft Wohnungen baute, gar nicht auf die Nothwendigkeit dachte, die zum Kornschneiden, Dreschen, Mahlen und Brodbacken unentbehrlichen[152] Geräthe zu verfertigen, da mir doch ohne sie die reichlichste Erndte keinen Genuß brachte, obgleich diese der Gegenstand meiner täglichen Sehnsucht war. Statt dessen beschloß ich, meine Höhle zu erweitern, nicht bloß um mehr Raum, sondern auch in der heissen Jahrszeit mehr Kühle zu bekommen, indem es sehr angenehm war, darin zu arbeiten. Allein ich fand ganz andere Beschäftigung! Mein erster Gang war, den Wachsthum meines Getreides zu beobachten; aber welch ein Schrecken befiel mich, als ich mich in Gefahr sah meine ganze Erndte, meine schönste Hoffnung zu verlieren! Ziegen, Haasen und andere Thiere, durch die zarten Blättchen der aufkeimenden Saat angelockt, ließen sich dieselben vortrefflich schmecken, und fraßen sie, sobald sie hervorsproßten, so kurz ab, daß sie nicht in Halmen aufschiessen konnte. Das Erste, was ich that, war meine Flinte zu holen und unter sie zu feuern; ich erlegte eine Ziege und einen Hasen, und ihr Fleisch sättigte meinen Hunger und meine Rache. Des Nachts band ich meinen Hund mit einer langen Schnur an einen Pflock, wo er wachen, umherlaufen, und durch Bellen die Bestien verscheuchen konnte, welches auch gelang, nachdem ich beides einige Male wiederholt hatte. Um aber die Saat, wie ich glaubte, vor jedem weitern Unfall zu sichern, machte ich einen vier Fuß hohen Zaun um das Feld, und da dieses nur klein, die Thiere aber ziemlich groß waren, so war es nicht nöthig, die Einfriedigung enge und dicht zu flechten, daher war ich schon zu Ende des Monats damit fertig.

1.-15. November. Sobald der Zaun beendigt[153] war, arbeitete ich täglich 5 Stunden an der Erweiterung meiner Höhle, verlängerte den Mittelgang um 10 Fuß, machte ihn aber nur 6 Fuß breit, da mir die allzu große Breite des vordern Theils Schuld am Einsturz zu seyn schien. Dann ließ ich neben dem Magazin den Fels 3 Fuß dick stehen und grub, indem ich mich links wandte, einen Gang, der nur 4 Fuß breit, 15 Fuß lang und eben so hoch als die übrigen Gewölbe war. Meine Jagdspaziergänge setzte ich fast täglich fort, und zwar größtentheils links dem Abhange des Berges entlang, weil er bewaldet und daher schattig war; hingegen rechts endete die kleine Ebene vor meinem Gezelte einige hundert Schritte davon an der Fels wand, wo diese sich bis an den Gipfel des Gebirgs aufthürmte, theils in übereinander geworfenen Steinmassen bis an den Strand und weit in die See hinauslief, so daß hier nicht weiter fortzukommen war.

16. November. Wenn ich mein Kornfeld besuchte, mußte ich nach dieser Seite, doch nicht so weit hingehen. Dies that ich heute wieder, aber kaum nahete ich mich, als eine Menge von allerlei Vögeln aus dem Getreide aufflog und sich auf die nächsten Bäume setzte; ich feuerte sogleich unter sie, und kaum gieng der Schuß los, als sich eine Wolke von Geflügel erhob, die ich noch gar nicht zwischen den Aehren bemerkt hatte. Während ich bestürzt eine Weile stillstand, naheten die Vögel schon wieder, setzten sich auf die nächsten Zweige, lauerten auf meine Entfernung, und kaum war ich zum Schein einige Schritte weggegangen, so fielen die Diebe über das Getreide her, worüber ich so ergrimmte,[154] daß ich noch einmal auf sie feuerte. Der Schmerz und die Furcht, meine Erndte und mit ihr jede Hoffnung zu verlieren in Zukunft Brod zu essen, waren desto größer, da ich kein Mittel sah, sie in Sicherheit zu setzen. Ich untersuchte den Schaden, fand ihn auch beträchtlich, doch nicht so groß als ich befürchtete, weil die Aehren noch zu grün waren, so daß sich vom Uebrigen noch immer eine gute Ausbeute erwarten ließ, wenn es möglich wäre, die Vögel zu verscheuchen. Lieber wollte ich Tag und Nacht mit meinem Hunde den Acker bewachen, als meine Erndte verlieren. Als ich die 5 oder 6 erschossenen Vögel aufhob, fiel mir ein, sie als Scheuchen aufzuhängen, setzte an vier Stellen diese Warnungszeichen auf, und die Wirkung war vollständig, denn nach ein paar Tagen war kein Vogel mehr auf meinem Kornfelde zu erblicken.

17.-30. November. Ich setzte die Aushöhlung meines Felsens mit Thätigkeit fort. Nachdem ich den Gang 15 Fuß verlängert hatte, wandte ich mich noch einmal links, und hoffte täglich fertig zu werden; allein der Monat gieng, aber nicht meine Arbeit zu Ende; ich kletterte zuweilen oben auf den Felsen um nachzusehen und mit dem Kompaß die Richtung genauer zu bestimmen. Vor Ungeduld hätte ich beinahe meine Arbeit eingestellt. Gleichwohl, da ich einmal gelernt hatte, an nichts zu verzweifeln, setzte ich mein Werk fort, und hatte kaum eine Stunde gearbeitet, als ich das Tageslicht eindringen sah. Ich kam in eine Spalte der Felswand, die ungefähr in der Mitte zwischen der Mauer meines Hofraumes und der Quelle zu Tage[155] auslief, und worin ich gewohnt war meine Leiter zu verbergen, wenn ich ausgieng. Ich machte nun vollends den Ein- und Ausgang bequem. Das war nun wieder ein Widerspruch in meinem Betragen, denn mit ausserordentlicher Anstrengung hatte ich mich eingeschlossen, und öffnete jetzt ohne Ursache mit eben so großer Beschwerlichkeit meinen Wohnsitz; so lange ich mit dieser Aushöhlung beschäftigt war, fiel mir nicht die geringste Besorgniß ein, und jetzt da ich kaum erlangt hatte, was ich suchte, ward ich besorgt, obgleich ich mich vor keinem lebendigen Geschöpfe bedroht glaubte, denn das größte Thier, das ich bis heute auf der Insel erblickt hatte, war eine – Ziege. Jetzt stand ich auf dem Punkt, die Oeffnung wieder zu verschliessen, aber so weit kam es doch nicht, aber da ich den Schutt nun auf dieser Seite hinaustrug, legte ich ihn so, daß der Eingang inwendig wie verschüttet und verdeckt war, und stark mit einer Thüre verschlossen werden konnte; auch ließ ich das Gesträuche, das die Felsenspalte von aussen verbarg, stehen, so daß Niemand als ich sie entdecken und den Weg finden konnte.

1.-9. Dezember. An diesem letzten Tage hatte ich jene Arbeit zu Ende gebracht. Es war auch hohe Zeit, denn auf meinem Landhause warteten neue Beschäftigungen auf mich.

10.-15. Dezember. Diese Tage brachte ich dort zu; ich fand alles in der besten Ordnung, die meisten Früchte theils beinahe, theils ganz reif, theils auch solche, die ich früher nicht gekannt oder nicht bemerkt hatte, z.B. Melonen, die in Menge auf der Erde[156] lagen. Die Pomeranzen und Zitronen waren schon überreif; von den Trauben hingegen waren nur noch wenige in voller Reife, und so anlockend sie auch seyn mochten, aß ich deren doch nur wenige, weil ich aus Erfahrung wußte, daß ihr häufiger Genuß entkräftende Abführungen und Fieber verursachte; ich fiel jedoch späterhin auf einen Ausweg sie unschädlich zu machen, nämlich sie an der Sonne zu trocknen und als Rosinen aufzuheben, und ich fand in der Folge, daß sie eben so angenehm als die frischen Trauben zu essen und weit gesünder waren. Den ersten Tag hatte ich mich vorzüglich damit beschäftigt, ein Gezelt aufzuschlagen, und hatte zu dem Ende ein Segel mitgenommen, die Stangen und Pflöcke aber in der Nähe umgehauen; dann hatte ich auch eine Menge Gras theils ausgerauft, theils mit dem Messer abgeschnitten und an der Sonne gedörrt, um mir ein weiches und trockenes Lager zu bereiten, auf dem ich mich sehr wohl befand. Ich machte am letzten Abend zwei Haufen, den einen von Limonien und Orangen, den andern von reifen Trauben, um sie in den folgenden Tagen abzuholen, und gieng den andern Morgen mit einem Vorrath nach Hause.

16. Dezember. Als ich in meiner Wohnung anlangte, fand ich meine Trauben theils durch ihre eigne Schwere und Reife, theils durch die Bewegung meiner Schritte zerdrückt und größtentheils verdorben, die Limonien und Pomeranzen hingegen waren noch in gutem Zustande.

17. Dezember. Heute kehrte ich nach meinem Landhause zurück, um die in Haufen gelegten Orangen[157] und Zitronen abzuholen, und nahm noch einiges Bettzeug als Hauptkissen, eine Decke und ein kleines Stück Segeltuch mit, um darauf zu liegen. Zu meiner Verwunderung und Bestürzung fand ich die Baumfrüchte und Trauben auseinander gewühlt, hin und her geschleppt, zertreten, angebissen und einen guten Theil davon verzehrt, woraus ich schloß, daß wilde Geschöpfe in dieser Gegend sich aufhalten müßten; welche? wußte ich zur Zeit noch nicht, aber späterhin fand ich Haasen ähnliche Thiere, die wahrscheinlich diese Verheerung angerichtet hatten. Da nun die Trauben weder in Haufen aufbewahrt, noch, wie ich gethan, in Säcken fortgetragen werden konnten, so sammelte ich so viel, als reif waren, und hieng sie zum Trocknen an die äussersten Baumzweige; von den Citronen, Pomeranzen und Melonen legte ich eine so schwere Fracht zurechte, als ich glaubte tragen zu können.

18. Dezember. Sehr ermüdet kam ich mit meiner Last nach Hause und legte sie an kühle Stellen, um sie aufzuheben. Als ich aus meinem Keller kam, war ich nicht wenig verwundert, meine verlaufene und verloren geschätzte Katze mit drei Jungen zu finden. Dies kam mir desto sonderbarer vor, da die wilden Katzen, von denen ich am ersten Tag nach meiner Ankunft auf der Insel eine auf den Kisten sitzend gefunden und nachher eine geschossen hatte, von einer ganz andern Art zu seyn schienen; dennoch mußte sie sich mit einer von diesen begattet haben.

19.-24. Dezember. In diesen Tagen gieng ich dreimal zu meinem Landhause, um Melonen, Zitronen[158] und Pomeranzen zu holen. Um mir das Tragen zu erleichtern und doch zugleich mehr fortbringen zu können, nahm ich die Mulde mit, die ich mir verfertigt hatte, um den Schutt aus meiner Höhle zu bringen, und sie that mir dabei vortreffliche Dienste. Auch waren meine Trauben, die ich noch in den letzten Tagen ansehnlich vermehrt hatte, durch die Sonne zu herrlichen Rosinen getrocknet und zugleich so sehr zusammengeschrumpft, daß ich auf einmal den ganzen Vorrath sehr leicht wegbringen konnte.

25. Dezember. Heute war Weihnachtstag und ich feierte ihn mit gerührtem Herzen für die vielen Wohlthaten, womit der gütige Vater der Menschen meinen Zustand so merklich verbessert. Ich bewunderte seine Allmacht und Liebe, die mir einen Tisch in der Wüste bereitet hatte. Ich empfand, daß ich durch ein eben so großes Wunder hier meinen Unterhalt als Elias in der Wüste durch die Raben fände, und daß ich an keinen unbewohnten Ort hin hätte verschlagen werden können, der so vortheilhaft für mich gewesen wäre, als diese Insel, wo ich freilich keine Gesellschaft aber auch keine wilden Menschen und Thiere, keine giftigen Ungeziefer und Pflanzen fand, die mein Leben bedrohten. Mit diesen und ähnlichen Betrachtungen feierte ich dieses Fest, und stärkte mich zur völligen Ergebung in den Willen der göttlichen Vorsehung.

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 1, S. 152-159.
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