Der Schatten

[26] Nach R.L. Stevenson


Ich hab einen kleinen Schatten;

der geht, wohin ich geh.

Aber wozu ich ihn habe,

ist mehr als ich versteh.[26]

Er ist ganz ebenso wie ich,

blos nicht ganz so schwer;

und wenn ich in mein Bettchen hüpfe,

dann hüpft er hinterher.


Das Sonderbarste an ihm ist,

wie er sich anders macht;

garnicht wie artige Kinder tun,

hübsch alles mit Bedacht.

Nein, manchmal springt er schneller hoch

als mein Gummimann;

und manchmal macht er sich so klein,

daß Keiner ihn finden kann.


Neulich ganz früh, da stand ich auf,

noch eh die Sonne schien,

und ging spazieren durch den Tau,

im Gras, und suchte ihn.

Aber mein kleiner fauler Schatten,

als wenn er Schnupfen hätt,

lag wie ein altes Murmeltier

noch fest zu Bett.

Quelle:
Richard Dehmel: Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 1908, S. 26-27.
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