Venus Natura

[64] Durch einen menschenleeren Garten irrend

geriet ich an ein Pfauenpaar; der Pfau

stand mit gespreiztem Rad vor seiner Frau,

die Flügel tief gesträubt, von Lichtern flirrend.


So stand er kreisend, sich die Henne kirrend,

und bannte sie zu feierlicher Schau;

starr federte das goldne Grün und Blau

des steilen Schweifes, vor Erregung klirrend.


Jetzt überfällt er sie, und seine Zier

peitscht wild die Luft, die heiße; funkelnd spaltet[64]

der Radsaum seine Speichen, daß sich mir

der Gartenkreis zum Paradies gestaltet –


O Mensch, wie herrlich ist das Tier,

wenn es sich ganz als Tier entfaltet! –


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Denn der Mensch: der eignen Notdurft Spötter,

ja, so war seit je ein Halbgott er.

Schob er seinen Ursprung drum auf Götter:

Mensch noch nicht, und Tier nicht mehr?!


Wo ich hinsah, äfften sich Begierden,

die sich ihrer nackten Herkunft schämten,

Brünste, die mit schlangenhäutigen Zierden

ihre tückische Unvernunft verbrämten.


Eine ungeheure Tollsuchtwildnis

dünkte mir der ganze Schöpfungsplan,

mittendrin der Menschheit tönern Bildnis

mit dem Stempel: reif zum Größenwahn.


O vermöchte jene Zeit der Schrecken[65]

meinen Dünkel immerfort zu dämpfen!

Wieviel Ekel mußt ich schmecken,

wie verbissen mit dir kämpfen,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 64-66.
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