Herbstgedanken

[46] Der schwüle Sommer ist verschwunden.

Die Sonne laüfft der kühlen Wage zu.

Die Erde neiget sich zur Ruh

Nach ihren arbeitsvollen Stunden.

Ihr bunter Schmuck wird blöd und alt,

Und, was sich nächst im Flor befunden;

Verändert Farben und Gestalt.

Der Himmel trübet sich. Es haucht ein frischer Duft

Gleich einer kühlen Abendluft,

Und will des Jahres Abend kühlen.

Der Baume Zierat weicht; die leichten Winde spielen

Mit dem entlaubten Schmuck. O welch ein Unbestand!


Doch nein! ich kenne deine Hand,

Du grosser Schöpfer und Erhalter!

Des Laubes Schirm, die schattenvolle Wand,

Die ihrer Früchte zartes Alter[47]

Vor Hitz und Sturm in Sicherheit beschloß,

Hat nun die treüe Hut vollendet,

Da der verwahrte Schatz gezeitigt und geendet;

Drum fällt sie weg, und stellt ihn frey und bloß.

O reicher Schatz, den wir bewundern müssen!

Schau, wie die süsse Last die schwanken Aeste beügt!

Es scheint, als wollen sie die werte Muter küssen,

Die Muter, welche sie gezeügt.

Der Blätter Schmuck, der allgemach verfleügt

Erscheinet nun noch eins so prächtig.

Die schlanke Rede steht an Frucht und Zierat trächtig.

Schau, wie sie ihre grüne Pracht

Mit Gold und Purpur ausgesticket;

Wie sich ihr sterbend Laub zu guter Letzte schmücket,

Und seinen Abschied herrlich macht.


Wie aber? welch betrübtes Bild

Erblick ich voller Scham und Schanden!

Ich Armer ach! Mein Herbst ist auch vorhanden;

Mein Sommer ist bereits erfüllt.

Wie darf ich, Höchster! vor dir stehn,

Und mein beschämtes Haupt zu deinen Wolken strecken?

Ich bin ein kahler Baum, gleich einer dürren Hecken,

Von keinen Früchten reich, von keiner Zierat schön.

O wehe mir! die Art der Rache blicket schon,

Und draüt mir schnödem Holtz mit dem verdienten Lohn![48]

Erbarme dich! Erwecke meine Kraft,

Du Wesen voller Huld und Liebe;

Und fülle mich mit neüem Saft,

Mit einem gnadenvollen Triebe,

Eh mich dein Grimm zur Straf und Flamme rafft!

Herr, laß mich noch in dieser Zeit,

Obgleich mit später Frucht, zu deinem Ruhme dienen!

So werd ich dort in Ewigkeit

Bey dir im Paradise grünen.

Quelle:
Carl Friedrich Drollinger: Gedichte. Stuttgart 1972, S. 46-49.
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