Die Krähen

[49] Heiß, heiß der Sonnenbrand

Drückt vom Zenit herunter,

Weit, weit der gelbe Sand

Zieht sein Gestäube drunter;

Nur wie ein grüner Strich

Am Horizont die Föhren;

Mich dünkt, man müßt' es hören,

Wenn nur ein Kanker schlich.


Der blasse Äther siecht,

Ein Ruhen rings, ein Schweigen,

Dem matt das Ohr erliegt;

Nur an der Düne steigen

Zwei Fichten, dürr, ergraut –

Wie Trauernde am Grabe –

Wo einsam sich ein Rabe

Die rupp'gen Federn kraut.


Da zieht's in Westen schwer

Wie eine Wetterwolke,

Kreist um die Föhren her

Und fällt am Heidekolke;

Und wieder steigt es dann,

Es flattert und es ächzet,

Und immer näher krächzet

Das Galgenvolk heran.


Recht, wo der Sand sich dämmt,

Da lagert es am Hügel;

Es badet sich und schwemmt,

Stäubt Asche durch die Flügel

Bis jede Feder grau;

Dann rasten sie im Bade,

Und horchen der Suade

Der alten Krähenfrau,[49]

Die sich im Sande reckt,

Das Bein lang ausgeschossen,

Ihr eines Aug' gefleckt,

Das andre ist geschlossen;

Zweihundert Jahr und mehr

Gehetzt mit allen Hunden,

Schnarrt sie nun ihre Kunden

Dem jungen Volke her:


»Ja, ritterlich und kühn all sein Gebar!

Wenn er so herstolzierte vor der Schar,

Und ließ sein bäumend Roß so drehn und schwenken,

Da mußt' ich immer an Sankt Görgen denken,

Den Wettermann, der – als am Schlot ich saß,

Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen –

Vom Wind getrillt mich schlug so hart, daß baß

Ich es dem alten Raben möchte gönnen,

Der dort von seiner Hopfenstange schaut,

Als sei ein Baum er und wir andern Kraut! –


Kühn war der Halberstadt, das ist gewiß!

Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,

Dann standen seine Landsknecht' auf den Füßen

Wie Speere, solche Blicke konnt' er schießen.

Einst brach sein Schwert; er riß die Kuppel los,

Stieß mit der Scheide einen Mann vom Pferde.

Ich war nur immer froh, daß flügellos,

Ganz sonder Witz der Mensch geboren werde:

Denn nie hab' ich gesehn, daß aus der Schlacht

Er eine Leber nur beiseit' gebracht.


An einem Sommertag, – heut sind es grad

Zweihundertfünfzehn Jahr, es lief die Schnat

Am Damme drüben damals bei den Föhren –

Da konnte man ein frisch Drommeten hören,

Ein Schwerterklirren und ein Feldgeschrei,

Radschlagen sah man Reuter von den Rossen,[50]

Und die Kanone fuhr ihr Hirn zu Brei;

Entlang die Gleise ist das Blut geflossen,

Granat' und Wachtel liefen kunterbunt

Wie junge Kiebitze am sand'gen Grund.


Ich saß auf einem Galgen, wo das Bruch

Man überschauen konnte recht mit Fug;

Dort an der Schnat hat Halberstadt gestanden,

Mit seinem Sehrohr streifend durch die Banden,

Hat seinen Stab geschwungen so und so;

Und wie er schwenkte, zogen die Soldaten –

Da plötzlich aus den Mörsern fuhr die Loh',

Es knallte, daß ich bin zu Fall geraten,

Und als kopfüber ich vom Galgen schoß,

Da pfiff der Halberstadt davon zu Roß.


Mir stieg der Rauch in Ohr und Kehl', ich schwang

Mich auf, und nach der Qualm in Strömen drang;

Entlang die Heide fuhr ich mit Gekrächze.

Am Grunde, welch Geschrei, Geschnaub', Geächze!

Die Rosse wälzten sich und zappelten,

Todwunde zuckten auf, Landsknecht' und Reuter

Knirschten den Sand, da näher trappelten

Schwadronen, manche krochen winselnd weiter,

Und mancher hat noch einen Stich versucht,

Als über ihn der Bayer weggeflucht.


Noch lange haben sie getobt, geknallt,

Ich hatte mich geflüchtet in den Wald;

Doch als die Sonne färbt' der Föhren Spalten,

Ha welch ein köstlich Mahl ward da gehalten!

Kein Geier schmaust, kein Weihe je so reich!

In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter,

Das gab ein Hacken, Picken, Leich auf Leich –

Allein der Halberstadt war nicht darunter:

Nicht kam er heut, noch sonst mir zu Gesicht,

Wer ihn gefressen hat, ich weiß es nicht.«
[51]

Sie zuckt die Klaue, kraut den Schopf,

Und streckt behaglich sich im Bade;

Da streckt ein grauer Herr den Kopf,

Weit älter, als die Scheh'razade.

»Ha«, krächzt er, »das war wüste Zeit, –

Da gab's nicht Frauen, wie vor Jahren,

Als Ritter mit dem Kreuz gefahren,

Und man die Münster hat geweiht!«

Er hustet, speit ein wenig Sand und Ton,

Dann hebt er an, ein grauer Seladon:


»Und wenn er kühn, so war sie schön,

Die heil'ge Frau im Ordenskleide!

Ihr mocht' der Weihel süßer stehn,

Als andern Güldenstück und Seide.

Kaum war sie holder an dem Tag,

Da ihr jungfräulich Haar man fällte,

Als ich ans Kirchenfenster schnellte,

Und schier Tobias' Hündlein brach.


Da stand die alte Gräfin, stand

Der alte Graf, geduldig harrend;

Er aufs Barettlein in der Hand,

Sie fest aufs Paternoster starrend;

Ehrbar, wie bronzen sein Gesicht –

Und aus der Mutter Wimpern glitten

Zwei Tränen auf der Schaube Mitten,

Doch ihre Lippe zuckte nicht.


Und sie in ihrem Sammetkleid,

Von Perlen und Juwel umfunkelt,

Bleich war sie, aber nicht von Leid,

Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.

So mild hat sie das Haupt gebeugt,

Als woll' auf den Altar sie legen

Des Haares königlichen Segen,

Vom Antlitz ging ein süß Geleucht.
[52]

Doch als nun, wie am Blutgerüst,

Ein Mann die Seidenstränge packte,

Da faßte mich ein wild Gelüst,

Ich schlug die Scheiben, daß es knackte,

Und flattert' fort, als ob der Stahl

Nach meinem Nacken wolle zücken.

Ja wahrlich, über Kopf und Rücken

Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl!


Und später sah ich manche Stund

Sie betend durch den Kreuzgang schreiten,

Ihr süßes Auge übern Grund

Entlang die Totenlager gleiten;

Ins Quadrum flog ich dann herab,

Spazierte auf dem Leichensteine,

Sang, oder suchte auch zum Scheine

Nach einem Regenwurm am Grab.


Wie sie gestorben, weiß ich nicht;

Die Fenster hatte man verhangen,

Ich sah am Vorhang nur das Licht

Und hörte, wie die Schwestern sangen;

Auch hat man keinen Stein geschafft

Ins Quadrum, doch ich hörte sagen,

Daß manchem Kranken Heil getragen

Der sel'gen Frauen Wunderkraft.


Ein Loch gibt es am Kirchenend',

Da kann man ins Gewölbe schauen,

Wo matt die ew'ge Lampe brennt,

Steinsärge ragen, fein gehauen;

Da streck' ich oft im Dämmergrau

Den Kopf durchs Gitter, klage, klage

Die Schlafende im Sarkophage,

So hold, wie keine Krähenfrau!«


Er schließt die Augen, stößt ein lang »Krahah!«

Gestreckt die Zunge und den Schnabel offen;[53]

Matt, flügelhängend, ein zertrümmert Hoffen,

Ein Bild gebrochnen Herzens sitzt er da. –

Da schnarrt es über ihm: »Ihr Narren all!«

Und nieder von der Fichte plumpt der Rabe:

»Ist einer hier, der hörte von Walhall,

Von Teut und Thor, und von dem Hünengrabe?

Saht ihr den Opferstein« – da mit Gekrächz

Hebt sich die Schar und klatscht entlang den Hügel.

Der Rabe blinzt, er stößt ein kurz Geächz,

Die Federn sträubend wie ein zorn'ger Igel;

Dann duckt er nieder, kraut das kahle Ohr,

Noch immer schnarrend fort von Teut und Thor. –


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 49-54.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Die Ausgabe von 1844)
Gedichte
Sämtliche Gedichte (insel taschenbuch)
Geistliches Jahr: Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon