[176] Wie funkeln hell die Sterne,
Wie dunkel scheint der Grund,
Und aus des Teiches Spiegel
Steigt dort der Mond am Hügel
Grad um die elfte Stund'.
Da hebt vom Predigthefte
Der müde Pfarrer sich;
Wohl war er unverdrossen,
Und endlich ist's geschlossen,
Mit langem Federstrich.
Nun öffnet er das Fenster,
Er trinkt den milden Duft,
Und spricht: »Wer sollt' es sagen,
Noch Schnee vor wenig Tagen,
Und dies ist Maienluft.«
Die strahlende Rotunde
Sein ernster Blick durchspäht,
Schon will der Himmelswagen
Die Deichsel abwärts tragen.
»Ja, ja es ist schon spät!«
Und als dies Wort gesprochen,
Es fällt dem Pfarrer auf,
Als müß er eben deuten
Auf sich der ganz zerstreuten,
Arglosen Rede Lauf.
Nie schien er sich so hager,
Nie fühlt' er sich so alt,[176]
Als seit er heut begraben
Den langen Moritz Raben,
Den Förster dort vom Wald.
Am gleichen Tag geboren,
Getauft am gleichen Tag!
Das ist ein seltsam Wesen,
Und läßt uns deutlich lesen,
Was wohl die Zeit vermag!
Der Nacht geheimes Funkeln,
Und daß sich eben muß,
Wie Mondesstrahlen steigen,
Der frische Hügel zeigen,
Das Kreuz an seinem Fuß:
Das macht ihn ganz beklommen,
Den sehr betagten Mann,
Er sieht den Flieder schwanken,
Und längs des Hügels wanken
Die Schatten ab und an.
Wie oft sprach nicht der Tote
Nach seiner Weise kühn:
»Herr Pfarr, wir alten Knaben,
Wir müssen sachte traben,
Die Kirchhofsblumen blühn.«
»So mögen sie denn blühen!«
Spricht sanft der fromme Mann,
Er hat sich aufgerichtet,
Sein Auge, mild umlichtet,
Schaut fest den Äther an.
»Hast Du gesandt ein Zeichen
Durch meinen eignen Mund,
Und willst mich gnädig mahnen[177]
An unser aller Ahnen,
Uralten ew'gen Bund;
Nicht lässig sollst Du finden
Den, der Dein Siegel trägt,
Doch nach dem letzten Sturme« –
Da eben summt's vom Turme,
Und zwölf die Glocke schlägt. –
»Ja, wenn ich bin entladen
Der Woche Last und Pein,
Dann führe, Gott der Milde,
Das Werk nach Deinem Bilde
In Deinen Sonntag ein.«
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Die Ausgabe von 1844)
|
Buchempfehlung
Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.
128 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro