[618] O, jauchze, Welt, du hast ihn wieder,
Sein Himmel hielt ihn nicht zurück!
O jauchzet! jauchzet! singet Lieder!
Was dunkelst du, mein sel'ger Blick?
Es ist zu viel, man kann nur weinen,
Die Freude steht wie Kummer da;
Wer kann so großer Lust sich einen,
Der all so große Trauer sah!
Unendlich Heil hab' ich erfahren
Durch ein Geheimnis voller Schmerz,
Wie es kein Menschensinn bewahren,
Empfinden kann kein Menschenherz.
Vom Grabe ist mein Herr erstanden,
Und grüßet alle die da sein,
Und wir sind frei von Tod und Banden,
Und von der Sünde Moder rein.
Den eignen Leib hat er zerrissen,
Zu waschen uns mit seinem Blut,
Wer kann um dies Geheimnis wissen,
Und schmelzen nicht in Liebesglut!
Ich soll mich freun an diesem Tage
Mit deiner ganzen Christenheit,
Und ist mir doch, als ob ich wage,
Da Unnennbares mich erfreut.
Mit Todesqualen hat gerungen
Die Seligkeit von Ewigkeit,
Gleich Sündern hat das Graun bezwungen
Die ewige Vollkommenheit.
[618]
Mein Gott, was konnte dich bewegen
Zu dieser grenzenlosen Huld!
Ich darf nicht die Gedanken regen
Auf unsre unermeßne Schuld.
Ach, sind denn aller Menschen Seelen
Wohl sonst ein überköstlich Gut,
Sind sie es wert, daß Gott sich quälen,
Ersterben muß in Angst und Glut!
Und sind nicht aller Menschen Seelen
Vor ihm nur eines Mundes Hauch?
Und ganz befleckt von Schmach und Fehlen,
Wie ein getrübter dunkler Rauch?
Mein Geist, o wolle nicht ergründen,
Was einmal unergründlich ist;
Der Stein des Falles harrt des Blinden,
Wenn er die Wege Gottes mißt.
Mein Jesus hat sie wert befunden
In Liebe und Gerechtigkeit;
Was will ich ferner noch erkunden?
Sein Wille bleibt in Ewigkeit!
So darf ich glauben und vertrauen
Auf meiner Seele Herrlichkeit!
So darf ich auf zum Himmel schauen,
In meines Gottes Ähnlichkeit!
Ich soll mich freun an diesem Tage:
Ich freue mich, mein Jesu Christ,
Und wenn im Aug' ich Tränen trage,
Du weißt doch, daß es Freude ist!
[619]
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro