LXXX.

Eine Unterredung über des Herrn Senacs Tractat von dem Herzen, und des Herrn Astrucs sein Buch de morbis venereis.

[176] Folgendes habe ich irgendwo gelesen – – –


Ich hörte einstmalen die Unterredung unterschiedlicher Gelehrten an. Sie redeten von den Schriftstellern und ihren Werken, und urtheilten von dem Ruf und Ansehen derselben. Die Meynungen waren selten einerley, ein jeder redete mehr nach seinem Geschmack als nach seinen Einsichten. Endlich fiengen sie mehr als jemals an, miteinander zu streiten und sich zu widersprechen, und einer von ihnen stund sehr hitzig auf, gieng auf mich zu, und sagte zu mir: Wie steht es, mein Herr, sie schweigen anjetzo sehr zur ungelegenen Zeit, wir reden hier von Büchern, und ich kenne deren zwey, die vorzüglich gut ausgearbeitet sind, und alle beyde von ihrer Kunst handeln. Weil er sehr laut redete, so schwieg jedermann, und er erhebte seine Stimme ferners: ja, mein Herr, verfolgte er, sie handeln von der Arzneykunst. Sie schauen sich einander an, gut, ich muß sie also nennen: Es ist solches das berühmte Werk des Herrn Astruc de morbis venereis, und des Herrn Senacs unsterblicher[177] Tractat von dem Herzen. Ich biete ihnen Trotz mir gründlichere, gelehrtere, deutlichere, ordentlichere, besser eingerichtete und geschriebene, ja ich setze noch hinzu, unterhaltendere Bücher als diese anführen zu können. Was für Gelehrsamkeit, Wissenschaft und Weisheit stecket nicht in diesem Tractat von den venerischen Krankheiten! Welche Schmäucheleyen muß Herr Astruc nicht bekommen haben, daß er dieses Werk heraus gegeben, welche Ehre – – – Ein Officier, der eben dazu kam, ließ ihm seine Lobrede nicht gar ausführen: Astruc, sagte er, und druckte drey bis vier Personen welche er in seinem Leben nicht gesehen hatte, die Hand, ach meine Herren, sie reden von dem Astruc, der ist ein grosser Mann – – – den sie vermuthlich sehr wenig kennen werden, mein Herr, sagte darauf jemand zu ihm. Den ich nicht kenne, erwiederte er, den ich nicht kenne, zum Teufel, so gut und vieleicht noch besser als Sie: habe ich ihn nicht vom Anfang bis zum Ende durchgegangen? Geben sie Acht, wenn sie eine Probe davon sehen wollen, ich will ihnen gleich meine Gelehrsamkeit zeigen. Ob ich den Astruc gelesen habe? Den Augenblick fällt mir ein Umstand ein, der mir besonders vorkam, und den sie schwerlich mit eben der Aufmerksamkeit beobachtet haben werden: daß nämlich fast alle Aerzte, die in den vorigen Zeiten von dieser bewusten Krankheit geschrieben haben, ihre Werke[178] blos dem Gebrauch grosser Personen, denen sie mehrestentheils zugeeignet sind, gewidmet haben; Diese Herren müssen sich also vermuthlich über das: was werden die Leute sagen, hinaus gesetzet haben: und sie hatten recht. Es ist eine Thorheit, seine Zufriedenheit der Willkühr des Redens der Leute blos zu setzen; inzwischen haben einige dieser Schriftsteller sehr lustig geschrieben1 ich hatte eine ganze Stelle auswendig gemerket, die zum Lachen war, aber was das Latein anbetrift, so mögte ich bey meiner Treue den sehen, der mich jetzo[179] dazu bringen sollte es zu reden; ich will des Todes seyn, wenn ich mehr als unser Major-Chirurgus davon weis: ich erinnere mich aber inzwischen noch ganz wohl, daß dieses Buch von dem sie sprechen, recht rein geschrieben war. Ja, mein Herr, versetzte darauf derjenige, den man unterbrochen hatte, sie haben recht; das Buch de morbis venereis ist auch in Ansehung der Schreibart ein Meisterstück; aber da sie von der Schreibart reden, wer schreibt wohl schöner als der Herr von Senac; welches Feuer, welche Richtigkeit, und gleichwohl auch welche Lebhaftigkeit, Annehmlichkeit und Leichte, zeiget sich darinnen: man findet die Stärke des Demosthenes, die Annehmlichkeit des Lysias, und den wortreichen Ueberfluß des Platons darinnen: es ist der Strich des Michael Angeli und der Reitz des Correge, kurz, es ist alles was gefallen und entzücken kann. Ich will ihnen nur die Vorrede des Tractats von dem Herzen vorlesen, das ist ein Stück der Beredsamkeit – – – von dem Herzen, mein Herr, versetzte der Officier lebhaft, davon lese ich nichts, das lernt sich nicht aus Büchern; da wollte ich lieber von unsern Grenadirern Herzhaftigkeit lernen, wenn ich es nothwendig hätte, aber es fehlet mir Gott Lob nicht an Herzhaftigkeit so wohl zum Dienst des Königes – – – Ey mein Herr, antwortete der andere heftig, was Teufel, sie reden von der Herzhaftigkeit? Das[180] kann man sich leicht vorstellen, daß es ihnen, da sie ein Franzoß sind, daran so wenig als einem andern fehlen wird: ich rede von dem Tractat, von der Einrichtung und Beschaffenheit und den Krankheiten des Herzens, von diesem Werk, welches unter den Schriften eben den Rang hat, welchen sein Verfasser unter den Aerzten besitzet, nämlich den allerhöchsten; Dieser vortrefliche Arzt, der auf dem Thron der Kunst sitzet, worauf ihn sein Verdienst geschwungen hat, redet darinnen als ein gründlicher Gesetzgeber, welcher den grösten Ruhm und Ehre erlanget hat; das anhaltenste Studieren, und die mühsamste Arbeit ist ihm ein Vergnügen, welches ihn oft den Wünschen der vornehmsten Personen entziehet, die so wohl wegen der Annehmlichkeit seines Geistes als auch wegen des weiten Umfangs seiner Einsichten, ihr gröstes Vergnügen an ihm haben: es sind auch alle seine Schriften lauter Gesetzbücher, in denen die zukünftigen Geschlechte noch die vortreflichen Gesetze finden werden, die ihnen in der Ausübung der so schweren Heilungskunst den rechten Weg zeigen werden – – – Dieser Mensch redete noch lange Zeit in diesem Ton fort, und ließ sich mit Vergnügen zuhören; der Officier schwuhr, daß er die Vorrede lesen wollte; ein Arzt, der sich dabey gegenwärtig befande, und sich scheuete zu bekennen, daß er den Traktat von dem Herzen niemals gelesen hätte; lief zu den P.*** um[181] solchen zu bekommen, und ich gieng ganz entzückt über diese an meinem Helden verschwendete Lobeserhebungen nach Hauß.

Fußnoten

1 Z.E. in der Stelle des Buches des Nicolaus Massa, wo sich der Verfasser, nachdem er vorhero von der Gefahr redet, welcher sich diejenigen aussetzen, die sich der Liebe mit solchen Weibspersonen, die sich in den ihnen so eigenen und gewöhnlichen Umständen befinden, der auch mit solchen überlassen, die angestecket sind, also ausdrucket: Quod si forte quis cum muliere infecta coiverit, laventur partes illae post coitum, cum vino albo calido, vel cum aceto, quod magis mihi placet, ut fiat confortatio membri et prohibitio corruptionis ad illam malam qualitatem – – – – si vero quis cum infecta muliere coire voluerit, quod fatuum est, laventur vulva cum vino aut aceto, et membrum virile cum aceto, quoniam non finit imprimere malam illam qualitatem, et non moretur in coitu, et post lavetur membrum virile, ut supra; et e contra, si mulier cum viro infecto coiverit, lavet viri membrum, et vulvam ante et post coitum, et non moretur in coitu.


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 176-182.
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