Drittes Buch

Kein Tag war aufgegangen, kein Abendstern war da,

Der mich, nach dieser Stunde, nicht bey Themiren sah.

Wenn sie zu spät erschien, ihr Götter, was für Sorgen!

Ich sucht, und meiner Lieb hielt sie kein Wald verborgen:

Themiren mußt ich finden; oft, wie sie mir erzählt,

Hat sie, mich zu versuchen, mein Herz mit Fleiß gequält.

Wie leer mir alles war, und wie dieß Herz geschlagen,

O Freund, das kann ich dir mit keinen Worten sagen!

Oft dacht ich, wenn ich schmachtend den tiefen Wald durchstrich;

Unglücklicher, wen suchst du? Themiren? liebt sie dich?[23]

Verlangt sie dich zu sehn? – Wo willst du sie wohl suchen?

Kein Wald erzählt es dir, es schweigen diese Buchen,

Die sie, indem du schmachtest, vielleicht vorüber gehn,

Vielleicht an werthern Händen vergnügter wandeln sehn!

Vielleicht hielt sie ein Arm, ein glücklicher Verlangen,

Hier, oder dort im Busch vertraulicher gefangen!

O rauschten diese Haine dir alle Küsse zu;

Wer würde minder hoffen, Betrogener! als du?

Wer heißt dich, wenn du auch an ihrer Stirn gelesen,

Als Liebe zu verstehn, was Freundlichkeit gewesen?

Vielleicht reicht itzt Themire, am rauchenden Altar,

Die Hand, die sie dir raubet, dem werthern Freunde dar!

Geh, statt um dein Geschick ihr Auge zu befragen,

Laß ein Orakel dir dein Unglück deutlich sagen!

War niemand sonst, der liebte? wie viele drängten sich,

Themiren anzubethen! aus tausend wählt sie dich? –

So quälte sich mein Herz. Einst warf ich meine Glieder,

Vom langen Suchen matt, an einer Quelle nieder.

Damals hab ich das Schicksal in Ahndungen gefühlt,

Dem Cypris meine Treue, zu grausam, vorbehielt.

Indem ich also saß, und sich die Seele müde

Mit tausend Zweifeln rang, erweckte mich Seide.

Er rannte mir entgegen, glückseliger als ich,

Ganz voll von seinem Siege, und sprach: Umarme mich,

Aedon, umarme mich! Zephise ist die Meine;

Ach angenehmer Freund, dort fand ich sie im Haine.

Mir sey sein Schatten heilig! es starre jede Hand,

Die dieser Buche drohet, bey der ich überwand.[24]

O! hättest du gesehn, wie zärtlich sie gerungen,

Wie schön sie weigerte, und halb von mir bezwungen,

Mit matten Händen kämpfte, indem ich sie umfing,

Und trunken in Empfindung an ihren Lippen hing! –

Ach! Freund, ich sahe sie die Geister mühsam sammlen;

Erröthen sah ich sie, und – könnt ich dir doch stammlen,

Wie sie in schöner Unschuld die Augen niederschlug,

Und sanft die Hand mir drückte, als ich mein Schicksal frug,

Allein, du liegest hier? Stumm, tief in dich versenket!

Themire ist nicht hier! Aedon allein, und denket?

Wie hat die heiße Liebe so plötzlich aufgehört?

Ist denn das Herz Themirens nicht deiner Wünsche werth?

O! Freund, wie wird sie sich um diesen Wechsel grämen!

Du gabest ihr dein Herz, willst du es wieder nehmen?

Ich nehmen? o ihr Götter! Themiren, ich mein Herz?

Rief ich; ach Freund! wie wenig erkennst du meinen Schmerz!

Wer weis, von welcher Hand sie durch den Hain geführet,

In dem vertraulichsten Gebüsch sich gern verliehret!

Wer weis, in welchen Schatten, sie angenehm gekränkt,

Nach dem Beglückten seufzet, dem sie ihr Herz geschenkt!

Mir aber macht die Furcht Jahrhundert aus Minuten;

Und einsam laß ich hier mein Herz im Stillen bluten.

Vom Morgen ist die Sonne zum Abend hingerannt,

Seit dem ich sie schon suche, und nirgend, nirgend fand.

Ach! wenn ein ander Herz – Freund, müßt ich sie verlieren!

Komm, sprach er zärtlicher, ich will dich zu ihr führen!

Ihr Auge voller Sehnsucht, womit sie itzt mich bath,

Sie dir nicht zu verrathen, befielht mir den Verrath.[25]

Sie frug: wen suchst du hier? Der Tag ist fast vergangen,

Geh, zu Zephisen, geh; sie wartet mit Verlangen!

Für mich soll dieser Abend in Einsamkeit vergehn;

Aedon darf mich nicht suchen! ich wünsch ihn nicht zu sehn.

Solch ein Verboth, dem schon die Augen widersprechen,

Will übertreten seyn, und fodert ein Verbrechen!

Oft wünscht das Herz der Schönen, gar nicht gehorcht zu seyn;

Wie schön sind die Verbrechen, die sie so gern verzeihn!

Wie willig folgt ich ihm! In diesem Myrthenhaine,

Sprach er, verließ ich sie, hier werde sie die Deine.

Ich fliege zu Zephisen. Ihr Götter! ach wie schön

Soll mir an ihrer Seite der Mond vorüber gehn!

Ich schwebte durch den Hain, erbebend, unentschlossen,

Und meine ganze Seel in Zärtlichkeit ergossen.

Ob hier mein Herz, das bebte, von Liebe nur entbrannt,

Den Einfluß von Themiren, schon in der Fern empfand;

Ob es von Ahndungen des Künftigen geschlagen,

Und Gram geweißagt hat, das kann ich dir nicht sagen.

Ich fand sie unter Schatten: nachsinnend saß sie da;

Mir alle Stunden schöner, so oft ich sie nur sah.

Die Myrthen schienen ihr die Zweig herab zu biegen,

Und düfteten um sie, und lispelten Vergnügen.

Der Scherz flog um ihr Antlitz, ein athmender Zephyr

Spielt um die schönen Locken; Entzückung strömt aus ihr

Weit in die Gegend aus; und Phöbus sah herunter,

Hing staunend auf dem Meer, und ging erröthend unter.

Die Gegend, die ihr Auge neu zu beleben schien,

Ließ junge Blumen düften, empfing ein frischers Grün.[26]

Die Silberfluth des Bachs floß aus der Urn der Quellen

Mit lieblicherm Geräusch, und schlug verliebte Wellen.

So herrscht im güldnen Morgen Aurorens erster Strahl

Die Nebel von den Hügeln, und weckt ein schlummernd Thal:

Die Rose öffnet sich, und trinkt den frischen Segen,

Und eine Welt erwacht, und lächelt ihr entgegen.

Themire schien verwirrt, mich ihr so nah zu sehn;

Ach! Freund, in der Verwirrung noch tausendmal so schön!

Unmöglich war es mir, der Liebe Stand zu halten;

Von mehr, als menschlichen, von göttlichen Gewalten

Zu mächtig hingerissen, stürz ich auf meine Knie,

Nehm ihre Hand, ich seufze, ich drück, ich küsse sie;

Zu stammeln heb ich an, und ringe mit der Sprache,

Und häng an ihrem Aug, und weis nicht, was ich sage,

Die Worte werden Seufzer; doch was mein Antlitz spricht,

Das reden hundert Zungen in ganzen Tagen nicht.

Themire ward verwirrt, und konnte sich nicht fassen;

Ich merke Aengstlichkeit, sie wollte mich verlassen:

Ach! seufzte ich, Themire, wenn eine Liebe noch –

Ich flehe, bey den Göttern, Themire, bleibe doch!

Soll mein verwundet Herz mit steten Zweifeln ringen?

Soll ich zu dem Altar der Cypris Thränen bringen?

Verzeihe mir, Themire, – Kein Mensch verdienet dich;

Allein, verdient dich Liebe, recht heiße Liebe – ich!

Da, wo ich dich nicht seh, da seh ich schwarze Bilder,

Nur Klagen hört der Hain, und wiedertönt sie wilder.

O! Angebetete, versuche dieses Herz;

Ganz soll es dir gehören, ganz – oder auch dem Schmerz![27]

Ach! würdest du dein Herz an einen andern geben,

Wie, große Götter! wie wird dann Aedon wohl leben?

Mein Blick hing an dem ihren: die Stimme ward zu schwach,

Zu bebend, und ein Seufzer floß meinen Bitten nach.

Themire ward bewegt; ihr holdes Auge wandte

Sich zärtlicher auf mich, und ihre Wange brannte;

Sie drückte mir die Hände; ich merkte schönen Zwang,

Indem ihr voller Busen mit einem Seufzer rang:

Ein Lächeln sprach für sie; indem ich sie betrachte,

Glaubt ich, daß mich auf eins ein Amor kühner machte:

Mich dünkt, ich merkte Liebe, und schlug die kühne Hand

Voll Feur um meine Schöne, schwach war ihr Widerstand:

Ich riß sie an mein Herz, und hielt sie fest umfangen,

Ihr Busen kochete, und Gluth stieg in die Wangen.

Ach! Freund hier hab ich endlich den ersten Kuß geraubt;

Was sie nicht geben durfte, hat sie doch schön erlaubt.

Die Myrthen rauscheten, der sanfte Westwind spielte

Liebkosender um uns; ich glaubte, alles fühlte.

Ach! dort steht das Gebüsche, Agenor, siehe dort!

Mein Glück bemerkt den Schatten, und zeichnet mir den Ort.

Doch wird Themire mich mit schwarzer Untreu lohnen:

So soll Verzweifelung, und Schrecken ihn bewohnen!

Mein Herz fühlt hier noch blutend sein glückliches Geschick,

Und fodert itzt Themiren, wo nicht, die Ruh zurück.

Hat Falschheit ihn entweiht, der Zärtlichkeit zu spotten,

So waffne Venus sich, im Grimm ihn auszurotten,

Und Jupiter vertilge, wenn er im Donner fährt,

Das Denkmaal eines Meineids, das Cypris Hain entehrt![28]

O wo ist nun mein Glück? Freund, was ich um mich sehe,

Der Tempel, dieser Hain, das Thal, und wo ich gehe,

Ist öde, schrecklich öde, ein Denkmaal meiner Pein,

Steht traurig, ohne Leben, und jagt mir Schrecken ein.

Welch Land, ihr Götter! trägt den Schatz, den ich verliere,

Und welch ein Himmel sieht den Meineid der Themire,

Wo sie in einem Arme, der alles sich erkühnt,

Vielleicht der Seufzer spottet, die sie nicht mehr verdient!

O! wo sie immer sey, kann Reu sie noch erschüttern,

So schrecke sie mein Bild, und strafe sie mit Zittern!

Freund, als sie mich noch liebte, wie zärtlich liebten wir!

Sie nur bey mir zufrieden, und ich allein bey ihr.

Durch alle Gegenden, die nur den Lenz gezieret,

Hab ich an meiner Hand die Zärtliche geführet:

Mit jungen Morgenrosen, so bald Aurora kam,

Bezahlt ich ihr die Küsse, die ich nicht selber nahm.

Oft, wenn die Jünglinge ihr aufzuwarten stritten,

Und wenn sie freundlich war, was hat mein Herz gelitten!

Ich wurde eifersüchtig, vor Furcht, und Misgunst schlug

Das Herz in meinem Busen; ein Lächeln war genug:

Dann riß ich mich von ihr; verrätherische Thränen,

Durch euch erniedrigt uns die falsche Kunst der Schönen!

Sie kannte meine Schwäche; in Zähren warf sie sich

An meine Seite nieder, umfing, und küßte mich:

Ach! seufzte sie, Aedon, was hab ich denn begangen?

So kalt? du liebst mich nicht, du kannst nicht mehr umfangen!

Vergnügst dich, mich zu quälen, bist kalt, verachtest mich:

Und ich, gerechte Götter! wie zärtlich lieb ich dich![29]

Ich fiel um ihren Hals, in langen, starken Küssen

Schien meine Brust erschöpft das Leben auszugießen.

Ach! sprach ich dann, Themire, vergieb mir deinen Schmerz!

Ich hasse meinen Argwohn, und mein unruhig Herz:

Nie liebt man mich genug – Geliebteste, verzeihe!

Furcht schaffet Eifersucht, und Argwohn quält nur Treue.

O! wenn du mich noch liebest, so liebe so, wie ich,

So ganz, so stark, so einzig; sonst bitt ich, hasse mich!

Ich will ein ganzes Herz; und kein Tyrann der Erden,

Der Kronen geben kann, muß mir verglichen werden!

Agenor, so vertraulich versöhnten wir den Streit,

Und zankten, mehr zu lieben, und Zwist war Zärtlichkeit.


Quelle:
Johann Jakob Dusch: Der Tempel der Liebe, Hamburg und Leipzig 1757, S. 20-30.
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