XXX. Brief

An Fanny

[58] Liebe ernsthafte Freundin! – Du ahndest in deinem Leztern meine Flatterhaftigkeit; aber sag mir nur, was blieb mir bei einer so traurigen Verfassung übrig? – Mußte ich nicht Den vergessen lernen, der mich betrog? – Ganz vergessen hab ich ihn demungeachtet nicht, es giebt dann und wann noch stille ungestörte Augenblikke, wo das Bild des Undankbaren lebhaft vor meinen Augen schwebt. Aber sich so fest an etwas zu ketten, wie ich mich zu ketten pflege, ist[58] Unsinn, ist Höllenmarter! – Doch was nüzt es? ich bin einmal schon so unglüklich gestimmt, und Betrug ist mir so wenig bekannt, daß ich ihn hinter keinem Sterblichen vermuthe. Ja wohl sind wir Menschen widersprechend in unsern Handlungen, ja wohl ist die Liebe eine Sache, die vom Zufall regiert wird. Ich glaube immer, die mehresten Menschen fangen umgekehrt zu lieben an. Wenn unser Geschlecht ein Widerspruch in der Liebe ist, so liegt es gewis in unserer unfesten Erziehung. Bis dahin haben mich die Herren Männer mit Temperamentsversuchen so ziemlich in Ruhe gelassen. Mein sanfter Freund war gerade von Denen einer, die ihre Seligkeit nicht blos im Körper finden. – Und was in Zukunft aus ihm geworden wäre – das hätte ich erwarten müßen. Daß der Kampf eines wünschenden Liebhabers für uns ein Opfer ist, mag wahr seyn; doch, liebe Fanny! – Laß mir meinen Glauben an platonische Liebhaber; es würde übel genug für mich seyn, wenn ich vom Gegentheil überzeugt seyn müßte. Koketterie, heißt in meinen Augen so viel, als seine Empfindungen vertuschen, und Freude an den Martern der Männer haben. Gott bewahre mich vor einer solchen Verstellung! – Ich würde ja mein Herz lästern und die liebe Natur beleidigen, die uns zum Fühlen schuf! Weh dem, der einst mein redliches, aufrichtiges Gefühl nicht erwiedert, und doppelt weh ihm, wenn mich die Rükerinnerung schmerzte, wenn ich mich ihrer zu spät schämen müßte! Hier hast Du meine Gesinnung; noch sind wir um ein ziemliches in unserer Denkungsart von einander entfernt. Vielleicht kömmt ein Tag, wo Du Recht erhalten wirst; aber für jezt laß mir meinen glüklichen Schlendrian in der Liebe. Doch, demungeachtet, höre von mir noch ein Geständniß: – Es wacht in mir seit der Zeit meines hiesigen Aufenthalts ein gewisser avantürischer Geist auf, der mir die einsame Lebensart meines Vaters unschmakhaft[59] macht. Ich möchte so gerne die Welt sehen und mehrere Menschen kennen lernen. Eben aus dieser Ursache wandte ich mich an meinen Oheim in K***, der nichtsweniger als geizig ist. – Er ist mir sehr gut und wird den Mittler zwischen mir und meinem Vater machen; denn mein Vater will von meinem Wunsche (bald wieder in die Welt hinein zu reisen) nichts weiter hören; aber mein Oheim ist desto billiger und wird gewis bald Auswege finden, mich unter fremde Leute zu bringen, damit ich mich in Puzarbeiten so gut als möglich für die Zukunft bilden kann. Giebt mein Vater aber seine Einwilligung nicht, so reise ich nicht, denn ungehorsam war ich nie. Bald schreibe ich Dir wieder, dann kannst Du mir mit einer Mühe zween Briefe beantworten. Deine beßte


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 58-60.
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